Die Tschernobyl-Vespa

Endlich, letzten Freitag war es soweit, Thomy hatte Zeit, um mir beim Vergasereindüsen zu helfen. Ich knatterte nach Greifenstein und wir versuchten unser bestes, das aus mir unerfindlichen Gründen leider nicht gut genug war. Nach einigen erfolglosen Proberunden inkl. entsprechender Schieberei war es Abend und ich fuhr nach Wien zurück.
Das Motto war „Vursicht“ und so fuhr ich gemächlich und möglichst motorschonend. Da sie im Standgas zu hoch blieb, keimte in mir schon der Verdacht, dass da was nicht in Ordnung war.
Bei der Kreuzung Kahlenbergerdorf war es dann soweit: Im Leerlauf drehte der Motor plötzlich quasi von alleine hoch und ich schob die Kiste ohne Zögern rechts auf den Gehsteig und betätigte den kleinen Totmach-Knopf (Der heißt offiziell nicht so, aber er unterbricht die Zündung und damit stellt man auch den Motor ab.) Irgendwie wollte der Knopf aber gerade nicht und die Vespa drehte weiter hoch.

Schwerere Geschütze mussten ran und ich nahm mit einiger Hast die Seitenbacke runter und zog den Kerzenstecker ab. Dann bekommt die Kerze keinen Strom mehr, es gibt keinen Zündfunken und der Motor bleibt stehen. Theoretisch.
Mein Motor wollte aber nicht stehenbleiben und lief einfach weiter, immer noch in schwindelerregende Höhen drehend. Seit diesem Moment weiß ich, wie sich die Leute im Kontrollraum von Tschernobyl (und wahrscheinlich auch ihre Kollegen in Fukushima) fühlten, als sie den Notfallknopf drückten und nichts passierte. Außerdem nenne ich meinen Motor ab jetzt HAL 7000, das war der Computer aus Stanley Kubricks Film „Odysee 2001“, der auch die Abschaltung einfach verweigerte.

Leider war klar, dass diese verrückten Drehzahlen nicht lange gut gehen würden und ich ein ähnliches Ergebnis wie in Tschernobyl, nämlich eine fette Explosion, zu erwarten hätte, und zwar in Kürze. Das schmerzt bei einem gerade neu aufgebauten Motor, in den ich viel Zeit und viel Geld investiert habe.

Dummerweise kommt so ein Phänomen eigentlich nie vor und daher ist es auch nicht ganz leicht, die richtigen Maßnahmen zu setzen. Die erste Möglichkeit wäre gewesen, den Luftbalg zusammenzuquetschen und dem Motor sozusagen an die Gurgel zu gehen: Luft weg, Atmen beendet, Motor stirbt.
Das fiel mir nicht ein.

Die zweite Variante besteht darin, den Choke zu ziehen, fest auf die Hinterbremse zu steigen und zugleich den zweiten Gang einzulegen, damit kann man den Motor auch abwürgen. Das fiel mir zum Teil ein, aber die Umsetzung war irgendwie nicht erfolgreich.

Die dritte Variante besteht im blitzschnellen Abdrehen des Benzinhahns, um ihm den Nachschub abzuschneiden. Das fiel mir ein und das funktionierte auch, glücklicherweise noch bevor der Motor explodierte.

Vollkommen am Ende waren jedoch meine Nerven, und ich bin heilfroh, dass ich die Kiste nach einer entsprechenden Abkühlungsphase wieder starten und mit dem neuen Motto „Vursicht, mehr Vursicht, noch mehr Vursicht“ sowie fetteren Düsen im Vergaser (ich kann die Düsen inzwischen fast so schnell tauschen wie ein paar Socken) gut nach Hause kommen konnte.

Eines ist mir jetzt klar: Wer Vespa-Fahren übersteht, den kann nicht mehr viel erschüttern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert