Monday, frosty Monday: Das U2-Konzert

Ich blicke gerade auf mein Außenthermometer und es zeigt 11 Grad. Das ist nicht allzu berühmt für August, erklärt aber teilweise, wieso ich beim Konzert jämmerlich gefroren habe. Zum Glück hatte ich über dem T-Shirt und dem Kaputzensweater noch das Security-T-Shirt und die absolut dichte Motorrad-Regenjacke. Okay, am dritten Rang pfeift der Wind so kalt wie im Westerwald, aber alles erklärt sich dadurch nicht.

Aufgewärmt in der warmen Stube darf ich ein wenig vom „größten Konzertereignis des Sommers“ (Zitat: Alle Medien) berichten.

Hart, kühl, metallisch: Die Musik

Der Sound von U2 hatte noch nie wärmende Elemente, sondern stammt aus den coolen 1980er-Jahren und ist dort auch geblieben. Die modernen Nummern sind – mit wenigen Ausnahmen – eher noch dissonanter und härter, und vor allem: kühl. Bono und Kollegen spielten einen klugen Mix aus alten Hadern und neueren und neuen Nummern, von denen ich nicht alle kannte. Wärmende Elemente waren maximal die immer noch absolut sensationelle Stimme von Bono Vox und ein Lied über Burma und die dort in Hausarrest sitzende, weil gewählte Eben-nicht-Präsidentin.

Gerade der Beginn des Konzerts war cool, auch das Auftreten und die Umgebung der Band (dazu komme ich gleich) waren stimmig.

Dass U2 musikalisch ihren Höhepunkt 1987 mit der komplett schwarz-weiß gestalteten LP „The Joshua Tree“ hatten, merkt man eindeutig daran, dass die wichtigsten Nummern daraus stammen und vom Publikum auch am meisten bejubelt werden („With or without you“ war eine der beiden Zugabennummern, davor noch „Where the streets have no name“ ). Somit gebührt der Gruppe auch schon der Titel „Rock-Opas“, wenngleich sie agil und frisch wirkten (aber das tun The Who auch und die sind noch älter).

Die Bühne

Ein unglaubliches Ding, das angeblich enorm teuer ist und auch so aussieht. Es handelt sich um eine Art Krake oder Spinne, die mit vier Beinen am Boden steht. Darunter hängt ein dunkler Kasten, der sich dann als 360-Grad-Leinwand, bestehend aus in die Länge gezogenen und wie ein Scherengitter bewegbaren Sechsecken herausstellt.

In allen Farben beleuchtet und mit einer riesigen Spitze, die über das Stadiondach hinausragt, ist des sicher die perfekteste, gewaltigste und technisch aufwändigste Bühne, die ich je gesehen habe. Und sie hat den Vorteil, dass sie rundum einsehbar ist, so dass das gesamte Ernst-Happel-Stadion ausverkauft werden konnte, bis auf einen kleinen Sektorteil hinter dem Technikkasten.

Die Monitorkaskade veränderte sich ständig und zeigte mit der Bühne gemeinsam jede Menge Spezialeffekte, der tollste davon war eine Art Glitzer-Spiegel-Jacke an einem beleuchteten Mikro-Ring, die Bono für eine Nummer anzog.

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Bild: Bühne

Aber auch hier: Kühle, die meisten Bilder in U2-typischem schwarz-weiß, die Bühne aus viel Stahl. Selbst das rote Licht wirkte dort irgendwie kalt. Die Bilder waren meist technisch modifiziert, alles wirkte extrem professionell, aufwändig und wie durch einen Filter gedrückt, der das Menschliche daraus entfernt. Bonos Charity-Elemente konnten den Eindruck bei mir auch nicht zerstören.

Der zentrale Eindruck: die Menschen treten in den Hintergrund, angesichts der Bühne wirkten die Musiker wie winzige Ameisen, die sich darunter bewegen, sichtbar nur durch die Scheinwerfer, die sie anstrahlen. So blickt auch niemand mehr (außer den Gästen direkt rund um die Bühne) auf die Musiker, sondern alle schauen auf die überdimensionalen Leinwände.

Rund um die eigentliche Bühne war der heute stets beliebte VIP-Bereich, abgeschottet vom Plebs und diesmal mit der Besonderheit, dass der Abschottungsring rundherum ging und mit der Bühne durch zwei bewegbare Brücken verbunden war. Die Zuseher im VIP-Bereich hatten somit das Vergnügen, hin und wieder unter einer der Brücken zu stehen.

Das Publikum

Von 15 bis 65 – alles vertreten, 70.000 Leute, Durchschnitt, angenehme Menschen wie wir alle, unaggressiv, höflich, brav mitsingend wo von Bono verlangt. Nur einmal gab es eine Überraschung: Der Refrain von „I still have´nt found what I´m lookin for“ wurde nach Ende der Nummer vom Publikum weitergesungen, mehrfach wiederholt. Bruce Springsteen etwa wäre darauf eingegangen und hätte einfach noch einmal hineingestartet – musikalisch haben U2 das allemal drauf. So wartete Bono bis den Leuten die Luft ausging und meinte dann „Thank you.“ Okay, aber eben auch kühl.

Ich selbst, diesmal wieder quasi dienstlich dort als Platzanweiser, hatte eine ruhige Kugel zu schieben. Nur einmal, da sah ich eine Frau mit grünen Gummistiefel an mir vorbeistiefeln. Ich darf erwähnen, dass es im Happel-Stadion am dritten Rang nur eher selten tiefen, morastigen Untergrund gibt und ein anderer Grund für Gummistiefel fällt mir um die Burg nicht ein. Verirrte Donaufischerin? Probandin im Dauerschweißfußtest? Keine Ahnung.
Ansonsten alles bestens, nach einiger Zeit sehen die Leute um mich herum aus wie der Betriebsausflug der Clown Doctors – viele rote Nasen.

Ein Phänomen darf ich noch berichten: Früher sah man bei ruhigen Nummern Feuerzeuge. Heute – oder vielleicht ist das gerade bei U2 besonders auffällig – sieht man statt dessen tausende kleine blaue eckige Lichter, die sich als die Monitore der iPhones, Digitalkameras und Handys herausstellen. Die Leute filmen was der Akku hält und spiegeln so die unterkühlte High-Tech-Show auf der Bühne wider: Alles wird durch einen Filter gejagt, sogar die eigene Wahrnehmung, die eigene Sicht geht durch eine Kamera.

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Bild: Viele fotografieren

Alles in allem ein Erlebnis, von dem ich unterkühlt heimkomme: Perfekte Show, perfekte Bühne, perfekte Musik. Herz nicht erreicht.

2 Gedanken zu „Monday, frosty Monday: Das U2-Konzert

  • 31. August 2010 um 22:04 Uhr
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    hallo guido,
    mit deinen eingefügten bildern und kommentaren braucht man gar nicht dort gewesen zu sein, kenn mich ungefähr aus, wie es dort war :-) danke für deinen ausführlichen bericht! lg birgit

  • 1. September 2010 um 09:31 Uhr
    Permalink

    hi guido!
    danke für den guten bericht, gespickt mit witzigen anekdoten und der erwähnung des wirklich interessanten phänomens der „mini-scheinwerfer“ der didi-cams aus dem publikum. lg dietmar

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