Roger Waters „The Wall“ – ein Konzertbericht

Wofür brauche ich eine fette HiFi-Anlage, wenn sie doch nur die meiste Zeit unbenützt herumsteht und Staub fängt?
Die Antwort ist einfach: Ich brauche sie, wenn ich Pink Floyd höre. Das bläst auch den Staub von den Membranen der Lautsprecher. Und putzt die Ohren der Nachbarschaft durch, eicht sie wieder für gute, für exzellente Musik.

Ich wandere in der Erinnerung ein paar Jahre zurück, in meine Jugend. Da fand im Sommer 1985 im damaligen Praterstadion (heute: Ernst-Happel-Stadion) ein Pink Floyd Konzert statt. Das war auch mein Beginn als Platzanweiser im Stadion, damals spannend und lustig. Pink Floyd hatte sich nur wenige Jahre zuvor von Roger Waters getrennt – oder er sich von ihnen, je nachdem, wessen Sicht man gerade in den Vordergrund rückt.
Es war später Nachmittag und den Platzanweisern war fad wie nur was. Daher gingen wir hinunter auf den Rasen (damals noch: Rasen) und hockten uns mit unseren Lunchpaketen auf den Rasen unter der Bühne.
Auf einmal kam David Gilmour nach vorne und fragte, was wir denn gerne hören würden. Sie wären gerade beim Soundcheck und so. Ich rief hinauf „Shine On You Crazy Diamond“.
So spielte Pink Floyd für mich, im Stadion, vor langer Zeit.

Gestern schloss sich der Kreis und 28 Jahre später hatte ich mit Roger Waters im Stadion den letzten Rest von Pink Floyd gesehen. Ich greife der Geschichte vor und sage: Es hat sich ausgezahlt, und wie!

Bei guten Konzerten lasse ich mich auch heute noch gerne als Platzanweiser einteilen. Man verdient ein paar Euro, kann sich im Rucksack mitnehmen was immer man will und das Konzert genießen, weil die Arbeit vor Beginn der Show mehr oder weniger erledigt ist. Ich mache besonders gerne den dritten Rang, weil dort meist am wenigsten zu tun ist – das kommt darauf an, wie ausverkauft das Stadion ist.
Gestern waren laut ORF ca. 40.000 Leute im Stadion und der dritte Rang war bis auf wenige Sektoren fast frei. Wir schoben die ruhigste Kugel seit vielen Jahren.

Eine der Besonderheiten: Am Rasen gab es Sitzplätze, es müssen so etwa 10.000 gewesen sein, natürlich ausverkauft. Zu solchen Konzerten im Stadion kommen immer sehr viele Besucher aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn.

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Die zweite Besonderheit ist die Mauer, die aus vielen „Ziegelsteinen“ (424 Stück) aufgebaut ist, am Anfang so wie auf dem Bild. Sie ist zugleich eine Videowall – und was für eine! Laut Medienberichten ist sie knapp 150 Meter breit und 12 Meter hoch. Sie wird von 40 Beamern angesteuert und liefert gestochen scharfe Bilder. Die Technik für diese Show muss ein Vermögen kosten. Die Videowall ist angeblich die größte der Welt.
Zu Beginn ist sie noch nicht fertig und wird im Laufe der Show dann Stück für Stück höher. Am Schluss bleiben nur drei Löcher, durch die man die Band sieht, und auch die werden dann geschlossen (vor der Pause, die mit 25 Minuten recht lang war, aber es müssen ja auch viele Leute pinkeln und neues Bier holen).
Auf den folgenden beiden Bildern sieht man wie voll das Stadion war:

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Zu „Another Brick In The Wall“ wurde eine über zehn Meter hohe Lehrer-Puppe aufgebaut, die sich bewegt und wie aus einem Alptraum entrissen aussieht – ganz im Stil des Films „The Wall“ aus den 1980ern, für den man heute noch visuell starke Nerven braucht.
Dazu singt ein Schülerchor (aus der jeweiligen Stadt) den Refrain „We don´t need no education…“

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„Mother“ ist eine der wichtigsten Nummern des Albums. Ich weiß nicht, welche Jugendtraumata Roger Waters hier abarbeiten will, aber die Darstellung der Mutter ist sowohl auf der Bühne wie auch im späteren Videoausschnitt aus dem Film ein einziges Horrorszenario.

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Danach wird es noch düsterer. Roger Waters erscheint überdimensional, aber nur in weißen Umrissen auf der gigantischen Videowall, die nach oben hin von weiteren Videoelementen unterstützt wird. Die drei Farben rot-weiß-schwarz ziehen sich durch die ganze Show und sind eine ständige Ermahnung an die Schrecken des Dritten Reichs.
Das Bild unten taucht genau bei der Textzeile „Mother, should i trust the government?“ auf – passend und vielleicht eine gute Grundlage für die nächste Diskussion über die bevorstehenden Nationalratswahlen:

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Generell gibt es jede Menge Botschaften, die natürlich schon im Originalfilm zu finden waren, jetzt sind sie aber auf die heutige Zeit abgestimmt. Die politischen Botschaften sind unübersehbar, bei „Good Bye Blue Sky“ ziehen die schwarzen Bomber über den roten Himmel und lassen als Bomben die Schreckenssymbole des 20. Jahrhunderts und auch des 21. fallen: Kreuze, Davidsterne, Hammer und Sichel, Halbmonde, aber auch Mercedes-Sterne, Dollarzeichen und noch viele andere Logos (Apple, Shell, McDonalds…).

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Hunderte oder gar tausende Fotos von ermordeten Soldaten wurden von Roger Waters zu einer überdimensionalen Collage zusammen gesetzt und durchziehen als Einzelbilder mit Daten (Name, Einheit, Todesjahr etc.) die Show. Seine Abrechnung mit dem Krieg quer durch das 20. Jahrhundert ist unübersehbar und hat auch nach über dreißig Jahren nichts an Aktualität verloren:

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Die Show ist in jeder Sekunde bombastisch, ich habe bei weitem nicht alles mitbekommen, was sich abgespielt hat. Es ist hart an der Grenze der Überforderung, weil oft mehrere Videos gleichzeitig laufen, alles bewegt sich, Spots leuchten, dazu der wirklich gewaltige Klang – Waters hat die Akustik im Stadion gut in den Griff bekommen, nicht zuletzt Dank 6 großen Soundtürmen, die unterm Stadiondach aufgehängt waren. Es wurde vor der Lautstärke gewarnt, wer allerdings das AC/DC-Konzert gesehen oder besser gehört hat, den konnte das nicht beeindrucken. Trotzdem gab es bei uns zahlreiche Anfragen wegen Ohrenstöpseln.
Bei „Comfortably Numb“ wurde die Wand in silbriges Licht getaucht und Waters stand ganz alleine unten – auf dem Bild nur schwer zu erkennen. Ganz oben auf der Mauer stand der Gitarrist Dave Kilminster und spielte das legendäre Gitarrensolo von David Gilmour. Hier ist die Choreographie einfach gewaltig, und in Verbindung mit der Musik sehr stimmig, übrigens in der ganzen Show.

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Der Vater von Roger Waters starb im zweiten Weltkrieg und Roger rechnet mit „The Wall“ nicht nur mit seiner Mutter, seinen Lehrern und noch so einigem ab, sondern auch sehr gründlich mit dem Nazi-Regime. Das ist unübersehbar und auch heute noch sind die Bilder furchterregend, vor allem wenn sie in dieser gewaltigen Größe kommen:

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Das legendärste Motiv sind die im Stechschritt marschierenden Hämmer, hier ist in Bildform eine der besten Faschismuskritiken aller Zeiten entstanden:

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Doch auch moderne Symbole kommen quasi unter den Hammer, etwa Apple:

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Es bleibt nicht bei „iPay“, sondern die Elemente ziehen sich durch die gesamte Show: „iBelieve“ oder „iFollow“ bis hin zu „iKill“ – ob das allerdings die heutige Jugend kritisch sehen kann, bleibt fraglich. Was soll man tun? Eine der Antworten lautet: Weglaufen!

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Oder man bringt die eigenen Mauern zum Einsturz. So endet auch die Show und das Schwein (jede Show von Pink Floyd braucht eine „richtige Sau“) sinkt zu Boden.

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Wer die Möglichkeit hat sich das Spektakel anzusehen und ev. noch für die Musik von Pink Floyd was übrig hat, sollte sich das nicht entgehen lassen.

2 Gedanken zu „Roger Waters „The Wall“ – ein Konzertbericht

  • 24. August 2013 um 21:19 Uhr
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    Hätte ich gerne gesehen. Dürfte wirklich beeindruckend gewesen sein.

  • 28. Oktober 2013 um 08:54 Uhr
    Permalink

    Diese Beschreibung des Jahrhundert-Konzerts stimmt bestens. Es wird nie mehr so etwas Großes in einem Konzert geben. Für mich kommt nichts mehr danach.. Danke, Roger! Danke Pink Floyd!

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