Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 3

Ich hatte am Vorabend noch in Italien angerufen, um mein Quartier zu finden. Dank Silvios Hilfe hatte ich die Nummer von Helga Karlegger, die mit ihrem Mann Sigi gemeinsam eine Herberge betreibt. Obwohl sie eigentlich schon ausgebucht waren, willigte sie ein und meinte „Kommen Sie doch einfach vorbei“. Das war für mich eine große Beruhigung, denn so hatte ich nicht nur ein feines Quartier für die Nacht, sondern auch schon ein Tagesziel, auf das ich hinsteuern konnte.

Der Tag begann sonnig und warm, und doch war schon nach wenigen hundert Metern klar, dass es ohne Windjacke um halb neun Uhr in der Früh noch nicht gehen würde. Als ich die Vespa abstellte, bemerkte ich das Malheur: der rechte Ständerfuß fehlte. Ich musste ihn in der Nacht zuvor irgendwo zwischen Viktring und dem Kreuzbergl verloren haben.
Das war schade, denn diese Ständerfüße aus Metall waren extra angefertigt worden, damit ich einerseits starten konnte, ohne sie unbedingt auf den Ständer stellen zu müssen, was sich vor allem im dichten Verkehr an einer Kreuzung sehr bewährt, andererseits passte so der Ständer am SIP Road Auspuff vorbei.
Und genau diesen Metallfuß hatte ich verloren. Natürlich saß er fest drauf, aber das hatte ich beim Sturzbügel am Tag zuvor auch angenommen.
Also die nächsten paar tausend Kilometer mit einer schief stehenden Vespa – Panne Nummer 5 halt. Hätte ich etwa glauben sollen, dass es mit den ersten vier Pannen erledigt wäre? Dieser Schaden ließ sich erst in Wien wieder beheben.

Dafür bewährte sich das Handtuch, ich saß deutlich bequemer und der Hintern begann erst gegen Mittag weh zu tun. So ging es ohne weitere Störungen ins Rosental und dann zum nächsten ADEG, um ein wenig Proviant einzukaufen. Als ich die Vekäuferin um die Abzweigung zum Wurzenpass fragte, erfuhr ich, dass dieser gesperrt wäre, wegen eines Murenabgangs. Nun gut, dann würde es doch das Kanaltal werden, auch wenn ich mich schon auf das angeblich malerische Soca-Tal gefreut hatte. Die Soca ist ein wunderschöner, türkisblauer Fluß, der auf seinen letzten Kilometern in Italien Isonzo heißt und vor allem im ersten Weltkrieg Schauplatz wilder Schlachten war, die von keiner Seite je wirklich gewonnen wurden.
Heute ist das eine friedlichere Gegend, die ich doch noch sehen sollte, denn bei der Abzweigung zum Wurzenpass stand groß angeschrieben, dass dieser offen wäre. Also nichts wie hinauf, Rudi hatte mich allerdings vorgewarnt, dass das ein recht steiler Anstieg wäre.
Nun, er hatte nicht übertrieben. Es geht auf bis zu 18 % Steigung, das ist richtig knackig und sollte eine erste Bewährungsprobe für den Motor werden. Mein Kompliment gilt übrigens den Radfahrern, die sich das antun, es waren gar nicht wenige, die ich zu Gesicht bekam. Ich entschuldige mich an dieser Stelle für den Zweitaktgestank, den ich ihnen und ihren Lungen als kleinen Gruß hinterließ.
Die Vespa ist gar nicht schwach, aber zeitweise musste ich in den ersten Gang schalten und über den zweiten kam ich auch nur ganz selten hinaus. Doch dann war es geschafft, die Passhöhe war erreicht und ich fuhr nach Slowenien hinein.

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Bild: Der Wurzenpass

Nach einer knackigen Abfahrt kam ich nach Podkoren, das gleich neben dem Wintersportort Kranjska Gora liegt. Ich stellte den Motor kurz ab, um auf die Karte zu schauen. Den Vrsic-Pass würde ich mir und der Sprint ersparen, statt dessen rechts nach Tarvis fahren und von dort dann über den Predil-Pass hinunter ins Soca-Tal.

Also Helm auf, Karte unter dem Gepäcknetz verstauen, Handschuhe, starten und ab geht die Post! Zumindest theoretisch, denn vorerst ging einmal gar nichts. Die Startversuche scheiterten und die in diesem Moment notwendigen Vespa-Spezialisten oder alternativ eine Handvoll satter slowenischer Flüche waren jeweils nicht anwesend.
Ich wusste bereits von den Schwierigkeiten, die nur beim Warmstart auftraten, ich hatte sie im Laufe des Frühlings schon so drei bis vier Mal gehabt. Sie springt dann schon an, rennt aber nur so wop-wop-wop und nimmt kein Gas an. Selbst wenn ich Vollgas gebe, bleibt es beim stotternden wop-wop-wop und dann, nach einiger Zeit nimmt sie auf einmal Gas an. Der Verdacht auf ein Vergaserproblem liegt nahe, aber was genau soll da sein? Die Schwimmernadel war neu, der Vergaser neu gedichtet und sorgfältig gereinigt. Vielleicht ein geknickter Benzinschlauch, der sich nur manchmal meldet? Aber wieso dann nur beim Warmstart? Der Choke blieb auch nicht hängen, das hatte ich schon kontrolliert, nachdem genau dieser Fehler bei einem Freund von mir aufgetreten war. Ich hatte weder Lust den kompletten Gepäckträger samt Tank auszubauen, um den Benzinschlauch zu kontrollieren, noch den Vergaser hier an der Straßenkreuzung auszubauen, zu kontrollieren und wieder zusammen zu bauen, wahrscheinlich mit dem Ergebnis, dass nichts zu finden wäre.
Also anrennen. Auch das scheiterte zuerst, dann aber nahm sie plötzlich Gas an und ich konnte weiterfahren. Was soll´s, vielleicht nahm sie mir ja nur den Wurzenpass übel oder sie mochte Slowenien nicht, als echte Italienerin, wer weiß das schon.

Nach Tarvis ging es hinauf zum Predil-Pass.

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Bild: Der Predil-Pass mit grandiosem Blick auf die slowenischen Berge

Ich blieb an einem Wirtschaftshof stehen und wollte einen Mann fragen, wann es auf der Strecke durch Slowenien die nächste Tankstelle gäbe. Er konnte aber kein Wort Deutsch, auch nicht Englisch oder Französisch. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er Italienisch konnte, aber auf meine mit Händen und Füßen unterstützte Anfrage meinte er, dass ihm keine Tankstelle in Slowenien bekannt wäre. Also fuhr ich weiter. Allerdings nicht sehr weit, dann machte der Motor Probleme. Er stotterte wie am Vortag, nahm nur schlecht Gas an und ich rollte irgendwann aus, mit Panne Nr. 6. Das erste Mal versagte der Motor. Ich schob die Kiste hundert Meter weiter zu einer Hauseinfahrt und wurde von zwei großen, schlecht gelaunten Hunden mit viel Gebell empfangen.

Ich hatte mit den Hunden die schlechte Laune gemeinsam, sonst allerdings nichts, denn ich war eher schmähstad bis kleinlaut, aber auch wütend: Was war da los mit dieser Scheiß-Kracksn? Ich hatte so viel Geld, Zeit und Mühe in diesen Motor gesteckt und das gesammelte Wissen guter Freunde und Vespa-Spezialisten war hier vereint. Warum lief sie nicht?
Es war heiß und es gab keinen Schatten in der Einfahrt, also erst einmal Jacke, Helm, Handschuhe und Nierengurt ausziehen. Dann tauchte eine nette Dame auf, die gut Englisch konnte. Ich erklärte ihr mein Problem und sie meinte, ein paar hundert Meter weiter wäre jemand, der sich vielleicht auskennen würde, eine Art Traktor-Werkstatt und sie müsse jetzt wegfahren. Sie würde mich aber gerne mitnehmen, wenn mir das helfen könnte. Ich war ihr dankbar, lehnte aber ab. Sie meinte, sie wäre ohnehin in einer halben Stunde wieder da und dann würden wir sehen, ob ich ihre Hilfe noch bräuchte. Und wegen der Hunde solle ich mir keine Sorgen machen, die bellen nur viel und laut und hätten Angst vor der chromblitzenden Vespa.

Sie fuhr weg und ich fing an mit den Zerlegungsarbeiten. Sturzbügel runter, Seitenbacke runter, Vergaserwannendeckel runter – doch die Sichtkontrolle ergab nichts, außer der üblichen Sauerei in der Wanne, hervorgerufen durch den Blowback der Kurbelwelle, vielleicht etwas stärker als sonst, aber ich führte das auf die besonderen Anstrengungen zurück. Dann fiel mir ein, dass ich ja in einer Seehöhe gewesen war wie noch nie zuvor. Dort ist die Luft dünner – das weiß ich aus eigener Erfahrung der Besteigung hoher Berge – und das könnte Auswirkungen auf das Gemisch haben. Dünnere Luft müsste bedeuten, dass das Gemisch fetter wird, vielleicht ja zu fett. Also raus mit der Zündkerze und siehe da: komplett schwarz, verrußt und ölig. Dass sie da nicht mehr ordentlich geht und schlecht anspringt ist klar.
Ich war froh, den Fehler gefunden zu haben und baute alles wieder zusammen, nachdem ich die Kerze mit der Bürste gereinigt hatte. Sie sprang auf den ersten Kick an und ich konnte mit gut laufendem Motor weiterfahren. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welcher Schaden sich wahrscheinlich hier schon anbahnte. Und vielleicht war das gut so, denn ich hatte sowieso schon Zweifel, es bis Rom zu schaffen. Zeit für einen Tipp.

Tipp: Tourenmotoren
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den 200er Motor etwas zu tunen, wenn auch nur um 2-3 PS. Das sollte man aber nur tun, wenn man ein wirklicher Spezialist ist, der sich auch in schwierigsten Situationen zu helfen weiß und die Nerven behält. Es gibt Menschen, die das alles ganz locker sehen und vor keiner Panne Angst haben. Ich gehöre leider nicht dazu. Ich empfehle daher den 200er Motor uneingeschränkt, aber in der absoluten Originalversion. Er hat da auch viel Kraft und läuft normalerweise problemlos, wenn er sauber aufgebaut wurde, idealerweise mit Originalteilen, sofern diese zu bekommen sind. Alle Nachbauteile sind ungenau gefertigt und Quelle möglicher Fehler. Das beste sind NOS-Teile (als New Old Stock, Neuteile aus einem alten Lagerbestand, somit aus einer Zeit, als Piaggio noch genaue Qualitätskontrollen hatte). Das bewahrt nicht vollständig vor Schäden und Pannen, macht diese aber deutlich seltener. Die Einstellung eines Tourenmotors ist immer eine Nuance fetter, damit bei heißen Bedingungen auf langen Etappen nichts passiert. Bei einem Originalmotor ist man dann auf der sicheren Seite.

Ich stellte also auf Verdacht die Gemischschraube eine Viertelumdrehung magerer, weil sie sowieso eher fett eingestellt war. Leider wurde dadurch das „Stampfen“ stärker, das auch vorher schon zu spüren war, wenn auch nur leicht. So nenne ich es, wenn der Motor im Schubbetrieb, also bergab ohne Gas seltsam zu ruckeln beginnt. Angeblich ist das ein Zeichen dafür, dass sie zu mager läuft. Lag es doch nicht an der dünnen Luft? Aber woran dann?

Tipp: Ein stoisches Gemüt
Die griechischen Philosophen aus der Schule der Stoiker gelten heute als Vorbilder in Gelassenheit. Angeblich konnte sie nichts erschüttern. Ich empfehle ebenfalls so eine Einstellung, wenn man sich eine Gewalttour wie die meine antun will. Ich selbst bin es nämlich nicht oder nicht oft genug. Es gibt auch die Variante, sich mit Vespas überhaupt nicht auszukennen und einfach drauflos zu fahren. Ich kenne Leute, bei denen ist das bis in die Türkei und zurück gut gegangen. Sie hatten keine Ahnung, was da unten läuft und wie, sie wussten nicht einmal, wo der Vergaser ist. Sie hatten ihren Chokehebel, ihren Benzinhahnhebel und ihren Kickstarter. Und sie fuhren einfach so lange, wie die Kiste lief. Wenn es dann aus war, konnten bzw. mussten sie sich einen Spezialisten suchen, der sich mit dem Ding auskennt.
Wer genau weiß, was sich da unten abspielt und jede Schraube beim Vornamen kennt, kann zwar meist selbst reparieren, wenn er die notwendigen Ersatzteile und das Werkzeug dabei hat, läuft aber auch Gefahr, ständig auf die Geräusche des Motors zu hören. Das trübt die Freude an der Tour, weil man mit dem Gefährt beschäftigt ist, anstatt sich die schöne Landschaft anzusehen und die Fahrt zu genießen.

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Bild: Das Tal mit tiefen Schluchten, unten fließt die Soca türkisblau

Ich war nun in so einer Situation und konnte das wunderbare Soca-Tal nur bedingt genießen. Und es war genau das eingetreten, was ich durch meine lange Planung und Vorbereitung verhindern wollte: Motorprobleme, die ich nicht in den Griff bekam, weil ich nicht wusste, woran es genau liegt. Das bewirkt eine gewisse Angst irgendwo liegen zu bleiben. Ich musste erst lernen, damit umzugehen, so schien es.

Doch vorerst lief die Vespa wieder gut, auch wenn ich sie schonte und nicht oder nur selten Vollgas gab. Die nette Dame hatte mir übrigens verraten, dass es ohnehin genügend Tankstellen am Weg gäbe und so hatte ich eine Sorge weniger.
An einer schönen Stelle stand eine Bank im Schatten und das war genau der richtige Platz für die Mittagspause.

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Bild: Mittagspause, wieder auf einem Bankerl

Die Wurstsemmeln mundeten hervorragend und ich merkte, dass der Wasserbedarf stark anstieg. Entspannt startete ich die Vespa – oder versuchte es zumindest. Sie sprang nämlich wieder nicht an. Aus der Entspannung wurde sofort wieder Stress und ich fing erneut mit der Tortour an: Helm runter, Handschuhe ausziehen, Rucksack abnehmen, Jacke ausziehen, Nierengurt runter, Werkzeug rausfummeln, Sturzbügel, Seitenbacke, Zündkerze raus, putzen – und das alles wieder retour.
Zum Glück sprang sie wieder an und ich fuhr weiter, wieder ein Stück mehr verunsichert. Der Genuss der traumhaften Strecke (viele Motorräder, manche grüßen einen vollbepackten Vespa-Fahrer) wich dem ständigen Hinspüren und Hinhören: was kreischt, was scheppert, was klingelt, wie dreht der Motor, dreht er oben aus, nimmt er unten Gas an, ändert sich das gerade wieder…

In Nova Gorica verfuhr ich mich das erste Mal und stoppte an einer Schnellstraßenkreuzung. Ich fuhr bei einem Kreisverkehr ab und erwischte einen Autofahrer, den ich nach dem Weg nach Italien fragen konnte. Er schickte mich wieder auf den richtigen Weg. Die Beschilderung war so schlecht, dass das für mich nicht eindeutig erkennbar war. Er wusste aber, wo es lang ging und das passte auch, zumindest bis Gorizia, dem Nachbarort von Nova Gorica, wo ich wieder fragen musste.
Diesmal erwischte ich zwei junge Herren, die wieder kein Wort Englisch konnten, aber sehr nett und hilfsbereit waren. Ich musste nach Monfalcone und sie konnten mir irgendwie erklären, dass ich Richtung Triest fahren müsse und ein paar Kilometer vorher rechts ab.
Das klappte auch gut und ich merkte langsam, dass sich die Landschaft veränderte, mediterraner wurde, mit den ersten Pinien und Zypressen und auch die Temperatur stieg merklich an. Jetzt bewährte sich das erste Mal die Air-Flow-Jacke und auch der Motor schien rund zu laufen. Sie war jetzt auch ein paar Mal problemlos angesprungen und ich hoffte, dass mit den Bergen auch die Probleme hinter mir lagen.

Dann erreichte ich Monfalcone und verfuhr mich zum zweiten Mal. Die Karte war für die vielen Kreisverkehre und Abzweigungen zu ungenau und ich fuhr nach Gefühl. Dann blieb ich bei einer Tankstelle stehen, weil sie ein paar schattige Plätze unter großen Bäumen bereit hatte. Mein Plan eine Flasche Wasser zu kaufen schlug grandios fehl, weil die Tankstellen in Italien fast immer zu Mittag geschlossen haben, so von 12 bis 15.30 Uhr etwa. Früher konnte man da gar nichts machen außer warten, heute haben fast alle auf Tankautomaten umgestellt. Das ist aber tricky, denn erstens nehmen sie nicht immer die Karten, die man gerade eingesteckt hat und sie sind auch bei den Euro-Scheinen recht wählerisch. Zweitens kann man nur mit 5, 10 oder 20 Euro Scheinen tanken, d.h. manchmal bekommt man den Tank nicht voll, dann wiederum schenkt man der Tankstelle den einen oder anderen Liter. Da dürfte für die Mineralölfirmen bzw. Tankstellenpächter ein ganz nettes Körberlgeld dabei herausschauen, die Tankautomaten geben nämlich nicht retour.
Ich brauchte gerade keinen Sprit, aber Wasser wäre fein gewesen, es war nämlich extrem heiß und etwa 14 Uhr. Und ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren musste.
Dann kam eine Italienerin auf einem Fahrrad vorbei, die gerade telefonierte. Da sie die einzige seit vielen Minuten war, die überhaupt hier vorbei kam, außer natürlich den vorbeiflitzenden Autos, hielt ich sie auf und fragte sie höflich, wo es denn hier nach Cervignano ginge. Sie war etwas unwirsch, dass ich sie während ihres Telefonats anzusprechen wagte und außerdem konnte sie kein Wort Englisch. Sie fuhr dann einfach weiter, telefonierend.

Also zückte ich zum ersten Mal das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte (Danke Michi Bernleitner!). Leider wurde ich damit nicht glücklich. Erstens spiegelte der Bildschirm, zweitens wackelte das ganze Ding so gewaltig, dass während der Fahrt nichts abzulesen war und drittens kam ich mit den Pfeilen zwar zurecht, nicht aber mit den Angaben. Das Navi zeigt nämlich immer die nächste Straße an, ich weiß aber natürlich nicht, ob ich auf der überhaupt fahren will. „500 m geradeaus und dann links abbiegen“ wäre viel besser. Ich habe nun einmal wenig Erfahrung mit Navis und blieb daher bald bei einem Pärchen stehen, das sich gerade bei einem Gebrauchtwagenhändler umsah. Die konnten sogar ein paar Worte Englisch und meinten, ich wäre ohnehin auf der richtigen Straße und müsse nur den blauen Schildern folgen, das wäre quasi die Bundesstraße. Nur grün wäre schlecht für mich, das ist die Autobahn.

Motiviert fuhr ich weiter und war kurz darauf tatsächlich auf der richtigen Straße, der ich jetzt nur bis Jesolo folgen müsste. Es würde zwar noch eine Zeit lang dauern, aber die Vespa lief gut, sprang jetzt auch im Warmzustand gut an und nach einiger Zeit fand ich auch eine Tankstelle mit einem echten Tankwart. Dieser war sogar sehr freundlich und zeigte mir sofort, wo ich Wasser kaufen könnte, nämlich in der bereits offenen Bar daneben.
Es sind diese kleinen Begegnungen, die mich als Alleinreisenden sehr stützen. Sie sind wie Inseln im weiten Meer, denn die Straße ist nicht gerade freundlich zu einem Zweiradfahrer mit einer 39 Jahre alten Vespa. Ständig zischen Autos vorbei, eines größer als das andere. Je flacher die Gegend wurde, desto mehr Geländewagen fuhren herum. Sie sind am aggressivsten, vielleicht haben sie besonders viel zu beweisen, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall überholen sie sehr knapp und bremsen sich dann vor dir stark ein, weil davor schon das nächste Auto fährt. Solche Manöver sind für meine kleinen Trommelbremsen sowie für meine Reaktion immer eine ziemliche Herausforderung.
Die anderen sind auch nicht angenehmer. Sie zittern möglichst weit in Fahrbahnmitte elendslangsam vor dir her und machen sich ständig in die Hose. Wenn ich sie überholen will, steigen sie aufs Gas und fahren noch mehr in Richtung Mittellinie. Was ist los mit den Italienern? Wo sind die ganz normalen Autofahrer, quasi die goldene Mitte? Oder hab ich mir das alles nur eingebildet? Jedenfalls war ich da und dort froh über den einigermaßen starken Motor, mit dem ich hin und wieder flott überholen konnte. Außerdem eignete ich mir langsam die italienische Fahrweise an, die lautet für Roller: seitlich vorbei, auch rechts, den Vorteil des schmalen Gefährts nützen und hoffen, dass sie dich nicht übersehen.

Nach längerer Zeit und ziemlichen Genickschmerzen erreichte ich Jesolo und fuhr dann noch einige Kilometer weiter nach Cavallino. Dann war ich nicht nur langsam selbst am Ende, sondern auch am Ende einer kleinen Sackgasse angelangt und stand vor einem großen Eisentor. Dahinter jedoch sah es wunderbar aus, wobei an diesem sehr anstrengenden Tag jedes Reiseziel wunderbar ausgesehen hätte.

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Bild: Das Haus von Helga und Sigi Karlegger

Ich war in der Ca´Casson angelangt, und die Website verspricht nicht zuviel, wenn sie meint „Bed & Breakfast in einer anderen Welt“. Auf der Website www.karlegger.it finden sich alle notwendigen Informationen. Helga und Sigi haben vor ca. 10 Jahren diesen alten Bauernhof gekauft und komplett umgebaut. Sie haben nicht allzu viele Zimmer und es ist daher notwendig, rechtzeitig zu buchen oder Glück zu haben. Ich hatte das Glück und durfte dort übernachten, zu einem ausgesprochen fairen Preis übrigens. Aber darum ging es nicht. Ca´Casson war mir ein Zufluchtsort, fast ein Stück zuhause, eben eine andere Welt als das Drumherum, nämlich Jesolo in der unmittelbaren Nähe.
Wer hier ankommt, durchschreitet nicht nur ein Tor, sondern findet sich in einer ganz speziellen Atmosphäre wieder. Helga und Sigi sind Südtiroler und Cavallino ist ihre Wahlheimat. Sie betreiben den Hof mit sehr viel Engagement und Liebe und das ist überall zu spüren. Sie haben viele Obstbäume gepflanzt und die Zimmer sind extrem gepflegt und auf sehr hohem Standard.

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Bild: Das Bad

Ich kam als Fremder und wurde sofort als Gast aufgenommen. Das war mir als Alleinreisender nach einer extrem anstrengenden Tagesetappe sehr viel wert. Nach einer Stunde Entspannung kam langsam der Hunger hoch. Helga empfahl mir eine spezielle Pizzeria, denn dort würde es noch echte italienische Pizza geben. Auch die Einheimischen gingen dorthin und die Preise wären sehr fair.
Vorher empfahl sie mir aber noch ein kleines Bad in der Adria. Also ging ich die 900 Meter nach vor zum Strand, der in Cavallino ein freier Strand ist, ganz im Gegenteil zu Jesolo, wo man in einem der vielen Hotels absteigen muss, um den Strand benützen zu dürfen.
Zwei nette Damen waren einverstanden für ein paar Minuten auf meine Sachen aufzupassen und ich konnte schwimmen gehen. Das war herrlich für mein komplett verspanntes Genick und überhaupt für den ganzen Körper.
Ansonsten reißt mir der Strand dort nichts aus. Ein langer Sandstrand, man muss lange waten, bevor er Schwimmtiefe erreicht. Viele Liegestühle, klassische Adria-Strandkulisse, so hatte ich es mir vorgestellt. Viele Kinder, die Muscheln sammeln und Sandburgen bauen. Eltern in gutem Fütterungszustand, meist bundesdeutscher Herkunft und natürlich viele aus Wien.

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Bild: Strand in Cavallino, Adria

Ich machte noch einen kurzen Strandspaziergang, ein etwa zehnjähriger dicker deutscher Bub mit famosem Sonnenbrand versuchte sich als Kaufmann: „Muscheln zu verkaufen, das Stück nur 50 Cent“ plärrte er ständig, aber niemand interessierte sich dafür.

So will und werde ich nie Urlaub verbringen. Beim Heimweg ging ich dann an einer der zahlreichen Wohnwagensiedlungen vorbei, aus dem Sumpf nebenan roch es gar schröcklich und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das ein Genuss ist. Wie grauenvoll muss es erst daheim sein, wenn man im Urlaub das aushält:

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Bild: Wohnwägen, Deichsel an Deichsel

Der Tag war noch nicht zu Ende. Im Garten von Helga sah ich einen seltsamen Vogel herumhüpfen – ein Wiedehopf. Der erste meines Lebens. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen, vor allem nicht das Abendessen (Pizza, nicht Wiedehopf). Ich machte mich nach einer ausgesprochen verdienten Dusche auf den Weg in die Pizzeria La Laterna (www.lalanterna.info) und erlebte mit Freude, dass es in Italien doch noch wirklich gute Pizza gibt. In Wien suche ich das seit Jahren leider vergeblich, auch die Lokale, die früher gute Pizza gemacht haben, können oder wollen es nicht mehr. Entweder bekomme ich die American Pizza mit dickem Teig und noch dickerem Belag aus Kunstkäse und Formschinken, oder eine mit einigermaßen brauchbarem Teig und der richtigen Belagstärke, dafür aber komplett geschmacksbefreit. Wo sind die Pizze, die ich noch in meiner Jugend verzehren durfte, die so herrlich dufteten und noch besser schmeckten? Mit Oregano und fallweise Knoblauch, mit würziger Paradeissauce und Mozarella, der noch richtig Fäden zieht? Alle Tipps für Wien erwiesen sich bisher als Reinfall. Geschmack ist offenbar nicht mehr gefragt, Aussehen reicht – so wie bei modernen Vespas, wo das Design zählt und nicht mehr die Qualität darunter.
In Cavallino bekam ich sie nun, nach vielen Jahren Abstinzenz.
Und die Aussagen, dass Italien so teuer geworden wäre, erwiesen sich als nicht zutreffend. Große Pizza samt zwei Achterln Wein, einem Liter Wasser und dem Gedeck kamen inklusive Trinkgeld auf 17 Euro. In der Hochsaison in einem Lokal, in das zur Hälfte Touristen gehen. Noch Fragen?

Da musste ich beim Gehen noch zum Koch, der allerdings gerade mit einer Pizza beschäftigt war. Sofort kam die Chefin zu mir und fragte mich, was los wäre. Als sie kapierte, dass ich nicht reklamieren, sondern nur das tolle Essen loben wollte, wich der irritierte Gesichtsausdruck und sie freute sich sichtlich.
Satt und zufrieden ging ich nach Hause, die Vespa-Probleme waren in ausreichend weite Ferne gerückt und die Zuversicht wieder spürbar.

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Bild: Sonnenuntergang an der Lagune von Venedig

2 Gedanken zu „Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 3

  • 4. September 2012 um 09:24 Uhr
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    ich kann abraten von einem Besuch in der Herberge von der Helga Karlegger.
    Man ist wenig gastfreundlich dort. Die 5 Hunde sind gemeingefährlich. Meine Kinder hatten furchtbare Angst. Auf der Website vom Ca Casson stand kein Wort von den Hunden! Die Wirtsleute wollten uns nicht gehen lassen und verlangten den vollen Preis.
    Nachts wird man eingeschlossen und man darf nicht mehr raus gehen.

  • 4. September 2012 um 09:38 Uhr
    Permalink

    Schade, aber so unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Ich bin kein besonderer Hundefreund, aber mich haben sie nicht gestört (bin aber auch kein kleines Kind). Ich wurde Nachts auch nicht eingeschlossen und konnte kommen und gehen wann ich will.

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