Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 8

Der gestrige Tag war mit der Wanderung auf der Via Appia Antica genau genommen noch nicht ganz zu Ende. Ich ging am Abend noch ein drittes und letztes Mal in die Trattoria, denn die anderen beiden Lokale hätten mir kein besseres Essen bieten können. Allerdings erst nach einer dringend notwendigen Dusche, denn mein T-Shirt hatte ehrlichen Via-Appia-Antica-Schweiß vorzuweisen:

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Bild: Shirt nach der Wanderung

Diesmal war ich etwas später dran, weil ich noch einiges für den nächsten Tag vorzubereiten und zu packen hatte. Ich wollte möglichst früh aufbrechen können.

Die Trattoria war ziemlich voll, aber der nette Geschäftsführer fand ein Plätzchen für mich. Diesmal wusste ich, dass die Portionen riesig wären und bestellte gleich nur eine Pasta. Wieder kam sie in einer enormen Pfanne und wieder war das Essen hervorragend. Der Tischwein ist in solchen Lokalen übrigens meist sehr gut und passt gut zum Essen. Er ist leistbar und wird in Karaffen zu einem halben Liter serviert. Ich bekam auf Bestellung aber problemlos auch ein Viertel plus der obligaten Flasche Wasser.
Danach musste es noch ein Tiramisu sein, das eigenwillig aber sehr gut war. Ich war randvoll und zufrieden wie schon lange nicht. An diesem Abend in der netten Trattoria waren die Sorgen des nächsten Tages weit weg. Ich wusste, dass sie wieder kommen würden, aber nicht mehr heute, nicht jetzt.
Schließlich war es Zeit sich zu verabschieden und ich ging durch die warme Nacht nach Hause.

Am kommenden Tag, ein Montag, kam Michele mit einer halben Stunde Verspätung, um mir die Garage aufzuschließen. Vor der Verabschiedung wollte er mir noch eine Rollerwerkstatt zeigen, die nicht weit entfernt war. Ich musste noch ein oder zwei Gasseile kaufen, weil ich nur mehr eines in Reserve hatte und das war vielleicht zu wenig.
Die Werkstatt hatte um 09 Uhr noch geschlossen, aber es war schon jemand da und meinte, bald wäre auch jemand hier, der wüsste, wo die Ersatzteile wären. Ich verabschiedete mich von Michele und fuhr noch zur nächsten Tankstelle, um in der Zwischenzeit einen Liter Zweitaktöl zu kaufen und den Tank anzufüllen. Ich wollte möglichst gut gerüstet die Heimreise antreten.
Danach fuhr ich wieder zu der Werkstatt, dort meinte man aber, Gasseil hätte man keines. Ein netter Italiener empfahl mir eine weitere kleine Rollerwerkstätte ein paar Minuten Richtung Zentrum und ich machte mich auf den Weg.
Als ich dort angekommen war, musste ich feststellen, dass ich die letzten 50 Meter gegen die Einbahn gefahren war. Ich war so fixiert die Werkstatt zu finden, dass mir das passieren konnte. Deswegen hatten ein paar Passanten so seltsam geschaut…

Bis jetzt ist mir unklar, wie die Italiener das Berufsleben organisieren. Die Geschäfte sperren frühestens um 9 Uhr auf, oft erst um 10, dann machen sie von 12 bis 16.30 Siesta und haben ihre Geschäfte dann unterschiedlich lang in den Abend hinein offen. Wann hackeln die eigentlich? So ein Leben hätte ich auch gerne. Oder machen wir das was falsch? Weil irgendwie kommen sie ja auch zurecht.

Der Chef und Mechaniker der kleinen Werkstatt hatte tatsächlich die richtigen Gasseile und ich erstand das Nötige. Da er natürlich kein Wort Englisch sprach, musste ich mich mit Handzeichen und den passenden Geräuschen („braaaam, braaa-aaam, vrooom“) behelfen. Es funktionierte hervorragend.
Dann war es soweit, die Rückreise konnte beginnen.

Warum hatte ich den Entschluss gefasst, die gleiche Strecke wieder zurück zu fahren? Ich weiß es nicht genau, aber der erste Gedanke kam irgendwann auf der Hinfahrt. Es ging darum, dass ich dem Fahrzeug bzw. dem Motor einfach nicht vertraute – es waren ein paar Pannen zu viel passiert. Was käme als nächstes? Die Alternativroute wäre um einige hundert Kilometer länger Richtung Toskana und dann durch die gesamte Tiefebene gegangen. Zwei bis drei Tage zusätzlich, mit dem Ort Castellina in Chianti, wo ich vor mehr als 20 Jahren eine Woche Mountainbiken war. Und ich hätte mir das Piaggio-Museum in Pontedera angesehen.

All das hatte auf einmal keinen Reiz mehr, vor allem wenn die Gedanken an endlose Suchabenteuer mit der Karte plus Motorproblemen auftauchten. Sie zermürbten die Freude auf die schöne Toskana und machten Stück für Stück die schon bekannte Strecke reizvoller. Auf der Fahrt nach Rom war es sehr anstrengend, alle paar Kilometer stehen zu bleiben, die Vespa abzustellen, auf den Ständer zu hieven, den Helm runter zu nehmen, die Handschuhe auszuziehen, die Jacke aufzuknöpfen (bei den Temperaturen wäre ich sonst auf der Stelle kollabiert) und die Karte aus dem Gepäcknetz rauszufummeln.

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Bild: Die Karte im Gepäcknetz

Dann nachsehen, wo ich mich gerade befinde und warum hier auf einmal nicht mehr „Terni“ sondern „Aquilea Nova“ angeschrieben steht. Liegt das auch auf der gleichen Straße? Bin ich schon zu weit gefahren? Oder noch nicht weit genug? Dann alles wieder einpacken und anziehen und den Motor starten – sofern er sich gleich starten lässt. Wenn ja, dann steht ein paar Kilometer weiter die gleiche Prozedur wieder am Programm, wenn nein: wieder ausziehen, Werkzeug auspacken, zerlegen… Das Problem mit dem Navi habe ich schon auf der Hinfahrt geschildert, es konnte mir auch nicht weiter helfen.
Kreisverkehre umrundete ich oft mehrfach, bis ich die Schilder entziffert hatte und mir einigermaßen sicher war, den richtigen Weg zu fahren. Ich musste nicht nur einmal umkehren, um dann letztlich irgendwann die Alternative zu finden.
Das folgende Bild zeigt ein gutes Beispiel. Alle Wege deuten nach links, die normale Straße wird nur als für den „Lokalverkehr“ angeschrieben:

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Bild: Hinweisschild

Kurz und gut: Der Weg war nicht mehr das Ziel, sondern es tauchte ein neues auf: auf eigenen Beinen bzw. Rädern nach Hause kommen, idealerweise mit möglichst wenig Stress und Pannen. Das stellte sich auf einmal als durchaus reizvoll dar, mit Aussicht auf Erfolg. Es wäre auch möglich, das schöne Urbino noch einmal zu sehen und eventuell wieder bei Sigi und Helga zu übernachten.

09 Uhr 25, Abfahrt aus Ciampino. Ich hatte lange mit Michele diskutiert, welches die stressfreieste und dazu noch erlaubte Route durch Rom wäre. Ich beschloss dann, doch wieder die Appia Nuova zu fahren und zu hoffen, dass nicht allzu viel Verkehr sein würde. Dann die Tangentiale est finden und dazu noch die richtige Abfahrt auf die Schnellstraße Nr. 3 – das wäre die Lösung.
Ich hatte Glück, der Montagmorgen-Frühverkehr hielt sich in Grenzen und ich kam gut ins Zentrum. Dort beschloss ich die altbewährte Methode des Durchfragens anzuwenden. An der Kreuzung stand ein roter Fiat Panda mit zwei Frauen drin. Sie verstanden was ich wollte und meinten, sie würden auch Tangentiale est fahren und ich sollte ihnen einfach folgen. So lief es prächtig und die beiden Damen dachten mit. Als sie abfahren mussten, wurden sie langsamer, fuhren rechts ran und die Fahrerin rief mir zu „Flaminia“. Das war das Stichwort und ich verstand. Mit einem Dankesgruß verabschiedete ich mich von den beiden und von Rom gleichermaßen. Auch jetzt noch einmal ein herzliches Dankeschön an die mitdenkenden Damen, die mir das exakt richtige Stichwort zugeworfen hatten. An der übernächsten Abfahrt stand „Flaminia“ angeschrieben und ich verstand zum ersten Mal, warum ich bei der Fahrt nach Rom dieses Wort so oft gelesen hatte – wie schon früher beschrieben, handelt es sich um die alte Römerstraße Nr. 3, der ich nur zu folgen brauchte, mehr oder weniger fast bis Urbino. Sie ändert ständig ihr Aussehen, ihren Verlauf und ihren Straßentypus, aber sie ist immer als Nr. 3 erkennbar. (Die Nr. 7 ist die Appia Nuova, die Nr. 2 die Cassia, die Nr. 4 die Salaria, die Nr. 5 die Tiburtina, die Nr. 6 die Casilina und die Nr. 8 schließlich die kürzeste, die Ostiense.

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Bild: Rast an der Flaminia

Die Vespa lief gut und ich machte ordentlich Kilometer. Auch der Weg war klar, ich war ihn schon einmal gefahren, wenngleich er auch in die Gegenrichtung ziemlich anders aussieht. Genau genommen fuhr ich gar nicht die gleiche Strecke, vor allem die Entfernungen zwischen den Ortschaften hatte ich in gänzlich anderer Erinnerung. Entspannung macht sich bemerkbar, das Wetter ist fantastisch, die Sprint schnurrt und ich komme gut voran. Und ich hatte die erste Hürde für heute, nämlich die Durchfahrt durch Rom, schnell und problemlos gemeistert.
Außerdem hat sich der starke Südwind der letzten Tage, den ich gestern auf die Appia Antica ordentlich gespürt hatte, bis heute bewahrt und schob mich sanft heimwärts.
Ich überlege, ob ich bei der Heimfahrt bei Antonio stehen bleiben soll, aber das Schicksal nimmt mir die Entscheidung ab. Ich dürfte gerade von einem LKW abgelenkt gewesen sein, auf jeden Fall fuhr ich vorbei und merkte es erst, als ich wieder bei der Eisenbahnbrücke mit meiner Tankstelle war.
Kurz erschien es mir wie ein Traum aus vergangener Zeit, obwohl es erst drei Tage her war. Ist das alte Bauernhaus noch da? War es überhaupt da? War das ganze nur ein sehr abenteuerlicher Traum? Ich dachte mir, dass ich das Haus auf Google Earth suchen und markieren würde. (Das hat übrigens funktioniert, die Koordinaten sind 42°18´00.96″N 12°26´13.58″E)
Wird es noch da sein, wenn ich wieder einmal vorbei fahre? Und der alte Antonio? In solchen Momenten spüre ich, wie vergänglich die Zeit ist. Auch ich nütze Begegnungen wie diese zu wenig, dabei sind gerade sie in ihrer Vergänglichkeit so wertvoll.
Mein Ziel heißt Urbino und treibt mich weiter, der Südwind beschert mir einen guten Verbrauch, ich komme mit 4 Litern 125 km weit.

Ich erinnere mich, dass ich es bedauert habe, in der uralten Stadt Narni nicht stehen geblieben zu sein. Das kann ich jetzt ändern. Als ich versuche mich am Hauptplatz einzuparken, kommt eine nette Dame, die hier den Parksheriff darstellt. Sie spricht französisch und wir diskutieren eine Zeit lang, ob und wo und wie lange ich mit der Vespa hier stehen bleiben darf.

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Bild: Narni

Es zeigt sich wieder, dass man mit einer alten, voll bepackten Vespa nicht sehr flexibel ist. Eine kleine Besichtigungstour zu Fuß ist nicht drin. Ich müsste die Vespa samt Gepäckrollen wo stehen lassen. Das geht nur unter Aufsicht, denn nicht nur das Gepäck könnte schnell neue Freunde bekommen.

Tipp: Lange Reisen und Sicherheit
Sie war auf meiner Romreise kein Problem, aber sie kann eines werden. Wer mit einer Vespa unterwegs ist und nicht nur einen kleinen Rucksack hat, kann das Fahrzeug samt Gepäck nur schwer unbeaufsichtigt abstellen, außer er geht das Risiko bewusst ein. Natürlich kann bei der Rückkehr noch alles da sein, aber will man das riskieren?
Ich hatte eine große, schwere Kette mit Schloss im Gepäckfach und habe sie nie gebraucht. Die Vespa stand am Abend immer hinter einem sicheren Tor oder in einer Garage. Während der Fahrt habe ich sie nie aus den Augen verloren. Ich konnte aber weder einen kleinen Badeausflug noch eine Besichtigung von was auch immer unternehmen.
Eine alte Vespa gegen Diebstahl zu sichern ist sehr schwer. Meine Sprint etwa hat kein Zündschloss und man kann den Motor jederzeit starten. Damit das nicht passiert oder zumindest nicht von irgendwelchen Leuten (gegen Profis nützt eh nichts), habe ich einen Unterbrecherschalter im Gepäckfach angebracht. Wer sich auskennt, kann sie trotzdem starten, aber es ist nicht mehr so leicht.
Die Lenkschlosssperre ist leicht zu durchtreten, auf die sollte man sich nicht verlassen. Die große schwere Kette ist auch nur bedingt brauchbar, weil man sie ja nicht sieben Mal um das Fahrzeug wickeln kann. Wo bringe ich sie an? Bei mir geht es am vorderen Sturzbügel, den kann man zumindest nicht ganz leicht abschrauben, aber mit einer Eisensäge ist er auch in wenigen Minuten durch.
Meist werden wertvolle Vespas gestohlen, indem ein kleiner Lieferwagen stehen bleibt, eine Seitentüre aufgeht, 4 Typen herausspringen und das Gerät mit seinen läppischen 100 Kilo einfach einladen. Dauert ein paar Sekunden.
Ich wollte vor Rom noch einen „Car-Finder“ einbauen. Das ist ein Gerät, das bei Diebstahl aktiviert wird und per GSM-Signal ortbar ist. Da aber nicht klar war, ob der Sender in dem Hohlraum unterhalb des Tanks funktionieren würde, habe ich mir das erspart.

In Terni beschloss ich die gleiche Route für die Rückfahrt zu nehmen, also wieder durch das malerische Tal und denn durch den Tunnel zu fahren. Vorher kaufte ich an einem großen Obststand noch ein paar Äpfel. Als ich auf die Vespa stieg und schon wegfahren wollte, kam ein älterer Mann auf mich zugelaufen und rief etwas. Dann zeigte er nach unten und ich verstand: Der Ständer war noch nicht ordentlich hochgeklappt und das hätte eine brenzlige Situation bewirken können. Danke an den aufmerksamen netten Herren, der einem Fremden Ärger und Leid ersparen wollte.

Der Rest der Fahrt verlief an diesem Tag recht unspektakulär und vor allem ohne Panne. Das war neu, genauso wie die paar leichten Wolken am Himmel. Trotzdem bekam es laut einer Anzeige 41 Grad, was ich nicht ganz glaube.

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Bild: Temperaturanzeige kurz vor Urbino

Aber 38 werden es schon gewesen sein und das reicht allemal, um zu testen, ob der Motor hitzefest ist. Ich pfiff an diesem Tag komplett auf das Fahrverbot auf der Schnellstraße und zog vor allem über den Appenin einfach durch. Das fand alles zur Mittagszeit statt und die Schnellstraße lag wie ausgestorben da. Eine kurze Rast an einer Tankstelle, ein Apfel, eine Flasche Wasser, ein paar Dehnungsübungen für den Nacken und weiter ging es!

Auch durch das Furlo-Tal fuhr ich und diesmal hatte ich die Gelegenheit, mir die Kulisse ein wenig näher anzusehen. Türkisgrünes Wasser und ein kühles Lüftchen, es war ein guter und angenehmer Tag und ich hatte es nicht mehr weit bis Urbino, wo ich das gleiche Hotel aufsuchen wollte, in dem ich schon bei der Fahrt nach Rom übernachtet hatte.

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Bild: Die Furlo-Schlucht

Alles klappte und ich zog mit guter Kraft die Kurven nach Urbino hinauf. Auch dieser Tag war anstrengend, aber ich war um 15:50 Uhr am Ziel und somit schon nach 6,5 Stunden, allerdings mit nur wenigen kurzen Pausen.
Und ich bin schon gespannt, ob ich Polizeistrafen nach Wien geschickt bekomme. Die Vespa war nicht sehr schnell, aber vielerorts sind 50er-Beschränkungen, die ich sicher nicht immer eingehalten habe. Da ich nicht aufgehalten wurde, können maximal noch Radarstrafen kommen. Auch die würden das Urlaubsbudget jedoch ziemlich in die Höhe treiben.

Was soll´s, ich hatte meinen ersten pannenfreien Tag geschafft und begab mich wieder nach Urbino, um ein ordentliches Abendessen zu verdrücken. Diesmal tat der Fuß nicht weh und ich genoss den mehr als nur warmen Abend in dieser schönen Stadt. Morgen würde es gut weitergehen, so die Hoffnung.

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Bild: Urbino in der Dämmerung am Hauptplatz

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Bild: Der Palast in der blauen Stunde

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Bild: Guido vor dem Palast, entspannter als noch beim ersten Mal

Auch der Fußmarsch zurück zum Hotel war angenehm und einfach. Ich kam an einer der Automatentankstellen vorbei, die in der Nacht stets ein wenig gespenstisch aussehen:

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Bild: Menschenleere Tankstelle in der Nacht

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