Warum der Tolino leider nicht so toll ist

Der „Tolino“ ist ein Reader, also ein elektronisches Buchlesegerät. Ich habe ihn geschenkt bekommen und natürlich sofort ausprobiert. Anlass war der Science-Fiction-Roman „Picknick am Wegesrand“, den ich vom edlen Spender des Tolino empfohlen und auch digital geschickt bekam, als pdf-Datei.
Also begann ich ihn zu lesen, bei mir am großen Bildschirm daheim. Das ist jedoch stressig und nicht die Art, wie ich Bücher lesen möchte. Es macht mich müde, andere Dinge lenken ab und ich kann mich nicht gut konzentrieren. Außerdem bekomme ich immer so eine Hektik und möchte die Datei ganz schnell gelesen haben, eigentlich nur überfliegen, wie eine lange Email, die mich nervt.
Keine guten Voraussetzungen für ein entspanntes Leseerlebnis und nachdem ich Gerhard angeraunzt hatte, bekam ich den Tolino. An dieser Stelle Dank dem edlen Spender!

Der Tolino ist das Lesegerät von Thalia. Und das bringt mich auch schon zum ersten meiner Rezessionspunkte:

1.) Die Zwangsbeglückung
Wenn man den Tolino startet, nachdem man den Akku entsprechend aufgeladen hat, wird man zart, aber konsequent dazu gebracht sich bei thalia.at im Shop anzumelden. Dort kann man dann all die schönen Bücher kaufen, die man eigentlich noch nie lesen wollte. Und noch ein paar mehr. Wenn man das eigentlich nicht will, kann man etwas versteckt auch den Hinweis finden, dass man das Gerät an den Computer anstecken und als „externe Festplatte“ benützen kann.
Wer sich nicht gut auskennt, lässt das lieber. Wer sich schon besser auskennt, versteht, dass dann auch Dateien (wie etwa mein pdf mit dem SF-Roman) auf den Tolino hinaufladbar sein müssten.
Sofern der Tolino mit Apple-Computern kommunizieren kann.

Also, er kann es. Daher lassen sich pdf-Dateien draufladen und auch verwenden. So weit, so gut.
Ein paar Dateien, also Bücher, sind auch schon drauf, was ganz nett ist, wenn man diese lesen will. Eines ist etwa „Max und Moritz“, samt Bildern. Aber der Thalia-Shop ist immer in Griffweite und ruft leise „meld mich an“ oder „kauf was“.
Die Internetverbindung läuft übrigens über WLAN und wer das nicht hat, hat Pech und sollte sich normale Bücher kaufen.

2.) Die Technik, also die Hardware
Auf den ersten Blick ganz nett. Die Oberfläche des Gehäuses ist ausgesprochen griffig und wirkt hochwertig. Der Bildschirm ist mit einer Schutzfolie bedeckt (bei mir ist sie immer noch oben) und das Gerät passt in eine Hand – zumindest in meine, und ich habe ziemlich große Hände.
Er ist nicht sehr schnell, der Aufbau des LCD-Bildschirms (ich weiß nicht, ob es so einer ist, aber er sieht wie so einer aus) dauert immer ein wenig, auf jeden Fall länger als es dauert eine Buchseite umzublättern. Das ist nur ganz wenig kürzer, summiert sich aber.
Der Bildschirm ist schwarz-weiß. Damit kann man keine farbigen Abbildungen sehen, was mich bisher nicht gestört hat. Es macht aber den Vorteil zunichte, den man etwa bei meinen Vespa-Büchern durch den Tolino hätte, denn in meinen Büchern sind die Bilder auch nur schwarz-weiß und wer sie in Farbe will, muss auf meine Website gehen, wo sie zu finden sind.
Am Reader könnte man sie gleich in Farbe haben. Nur halt nicht am Tolino.
Die Batterie hält angeblich ewig, bevor man sie aufladen muss. Meine war nach ca. 5 Stunden auf 50% und ich habe noch nicht ausprobiert, wie lange die restlichen 50% halten. Ich war auch nur wenige Minuten im Internet, die Akkukraft wurde also durch ganz normales Lesen verbraucht.
Wenn sich das nicht um eine Zehnerpotenz bessert (und warum sollte es das plötzlich tun?) wäre der Tolino für einen Urlaub nicht wirklich brauchbar, denn genau das ist eigentlich der Witz eines Readers, dass er nicht an jeder Ecke eine Steckdose braucht.

3.) Die Bedienbarkeit, also die Software
Es gibt nur einen Knopf, mit dem kommt man auf die Startseite. Das ist okay. Und man kann auf den Bildschirm tippen, was leider nicht so leicht geht wie auf einem iPhone, sondern irgendwie schwerer. Das muss nicht schlecht sein, ist aber gewöhnungsbedürftig.
Das Umblättern hat – wie schon gesagt – eine Verzögerungssekunde eingebaut. Das ist nicht ganz so super, weil das hätte ich gerne schneller. Der Tolino braucht immer etwas, bis er die nächste Seite am Bildschirm aufbaut und scharf stellt. Das nervt, weil es in der heutigen Zeit nicht sein müsste, schon gar nicht bei einem schwarz-weiß Bildschirm.
Nach einiger Zeit schaltet der Bildschirm in den Ruhezustand. Dann erscheint ein Smiley am Bildschirm und meint „Psst… Tolino schläft!“ Um ihn wieder aufzuwecken, muss man einen winzigen Schalter links oben einmal ziehen, dann ist er wieder einsatzbereit. Das schont die Batterie und ist prinzipiell nicht schlecht, man kann auch die Zeit einstellen, bis er sich ausschaltet.
Eine echte Bedienungsanleitung gibt es leider nicht, nur eine Kurzeinführung. Den Rest muss man sich irgendwie erarbeiten. Wahrscheinlich gibt es irgendwo im INternet eine ausführliche Version, aber auf die Idee, diese auf den Tolino schon vorzuinstallieren, ist scheinbar noch niemand gekommen.

Kommen wir zum wichtigsten Punkt, der Lesbarkeit.
Hier ist sicher der größte Kritikpunkt anzubringen. Das File mit dem „Picknick am Wegesrand“ lässt sich zwar problemlos abspielen, die Größe der Darstellung lässt sich jedoch nur in Schritten und nicht stufenlos verstellen. Das bedeutet, dass bei einer Größe die Schrift so klein ist (siehe Bild 1), dass ich sie auch bei bestem Willen nicht lesen kann oder sehr bald die Augen weh tun. Wenn ich eine Stufe größer gehe (siehe Bild 2), habe ich nur mehr einen Ausschnitt der Seite im Bild. Scrollen? Geht nicht. Also, es geht schon, aber nach drei bis vier Seiten bist Du ein nervliches Wrack und wünscht dir nichts sehnlicher als ein echtes Buch.

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Der Bildschirm ist zu klein zum Leben und zu groß zum Sterben, zumindest für mich. Das Gewicht wäre okay, er ist echt leicht und handlich. Aber der Bildschirm misst 90 x 122 mm und ist somit deutlich kleiner als A6 (100 x 150).
Bei anderen Reader-Formaten kann man mehr skalieren. Die als Teaser aufgespielten Bücher können so etwas. Da kann man die Schriftgröße in kleineren Stufen verstellen, denn die Seiten sind nicht, wie beim pdf-Format, fix, sondern variabel. Das ist viel besser lesbar, aber jetzt gibt es keine Seiten mehr, zu denen man zurückblättern kann und auch keine Seitennummerierungen. Insofern erkauft man sich den Vorteil wieder durch einen Nachteil. Und man braucht dieses spezielle Format für den Reader (keine Ahnung wie das heißt).

4.) Die Haltbarkeit
Wie lange hält der eingebaute und verschweißte Akku? Das ist das ganz große Problem vieler moderner Geräte, bei denen man die Akkus nicht mehr herausnehmen und somit auch nicht tauschen kann. Die Hardware wird zur Wegware, also zur Wegwerfware. Wie lange hält er wirklich? Ein Jahr? Oder gar zehn Jahre? Und ist er dann mit den neuen Computern noch kompatibel, sprich: gibt es die normalen USB-Schnittstellen noch?
Der Umweltfreundlichkeitsaspekt ist auf jeden Fall ein dickes Minus, wobei man sich eventuell den Druck vieler Bücher spart, das könnte man in die Bewertung mit einbeziehen.
Dafür bleibt Elektronikschrott übrig, wenn der Tolino kaputt geht oder nicht mehr gebraucht wird. Ich bezweifle, dass man ihn wie ein Buch weiterschenken kann. Er ist auch nicht lagerfähig, denn das macht die Batterie nur eine Zeit lang mit, dann ist sie irgendwann tiefentladen und das ganze Gerät Schrott.

5.) Fazit
Ich bleibe beim Buch. Es ist nämlich auch das Weiterblättern um zehn, zwanzig oder hundert Seiten zwar möglich, aber extrem mühsam und genauso ist es mit dem Zurückblättern.
Ich werde bestimmte pdf aufspielen und dann mitnehmen, um sie für den Fall der Fälle dabei zu haben. Also zumindest habe ich vor das zu tun. Bücher werde ich auch darauf lesen, aber nur in Ausnahmefällen.
Und ich weiß jetzt, warum die Zahl der verkauften Reader in USA bereits wieder deutlich zurück geht.

Eine Studie zeigt jedoch, dass die Akzeptanz der E-Reader in USA ca. 10x so hoch ist wie bei uns. In Deutschland beträgt sie ca. 2 Prozent. Interessant ist die Erkenntnis, dass Menschen auf E-Readern schneller und effektiver lesen (siehe: bild der wissenschaft, August 2014) und die Inhalte besser aufnehmen als von gedruckten Büchern. Das stimmt mich nachdenklich, weil auch hier ein für mich sehr negativer Trend noch verstärkt wird. Ein Buch zu lesen bedeutete bis jetzt Entspannung, sich Zeit nehmen, vielleicht in eine gemütliche Ecke zurückziehen zu können. „Ich nehme mir zwei bis drei Bücher in den Urlaub mit, die ich eh schon lange lesen wollte und freue mich sehr darauf“ meinen zahlreiche Freunde des öfteren. Das gute Buch steht für die Welt der Entschleunigung, wo es nicht nur um Effizienz geht – möglichst schnell möglichst viel.
E-Reader bewirken genau das: Ich speichere mir hundert oder tausend Bücher darauf ab, viele davon vielleicht vorher bezahlt. Selbst wenn sie einzeln billiger sind, gebe ich dann letztlich doch mehr Geld aus. Bekomme ich dafür auch mehr Wert? Kann ich all diese hundert Bücher im Urlaub lesen, oder macht mir das genau den Stress, den ich eigentlich vermeiden wollte? Wie effizient muss ich dann lesen, um statt den üblichen zwei Büchern jetzt fünf oder gar zehn zu schaffen? Das ist ein Leistungsstress und vielleicht sagt mir dann ein guter Freund, dass er im Urlaub um zwei Bücher mehr geschafft hat als ich. Dann bekomme ich noch einen Post-Urlaubsstress dazu.
Welches Buch lese ich zuerst? Oder lese ich in viele hinein und entscheide mich dann? In der Studie wird auch erklärt, dass Wissenschafter daran arbeiten, uns die E-Reader noch schmackhafter zu machen, indem sie selbständig Erklärungen und Übersetzungen einblenden können, etwa wenn wir etwas nicht verstehen. Eine Kamera folgt unseren Augen (im Auto gibt es das ja schon, um Müdigkeit rechtzeitig zu erkennen) und registriert, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt. Vielleicht gibt es dann automatisch eine Adrenalinspritze, damit wir wieder voll leistungsfähig sind. Das gemütliche Einschlafen mit einem Buch am Bauch können wir uns dann auf denselben pinseln, ganz abgesehen davon, dass durch die dann notwendige ständige Internetverbindung irgendjemand ganz nach Belieben jederzeit weiß, wo wir gerade sind und in welchem körperlichen Zustand.
Wenn ich in einem Buch etwas nicht verstanden habe, bekam ich Lust zu recherchieren. Vielleicht habe ich zurück geblättert oder mir ein anderes Buch gesucht, in dem ich eine Erklärung finden konnte. Nicht selten wurde meine Neugier geweckt und ich habe zu forschen begonnen. Das alles würde der Vergangenheit angehören und das wäre schlicht und einfach schade.
Ich werde diese Entwicklung nicht mitmachen. Glücklicherweise gibt es so viele gedruckte Bücher auf dieser Welt, dass ich keine Angst haben muss, in diesem Leben auf einen E-Reader angewiesen zu sein.

Bisher wollte leider noch niemand meinen Tolino haben. Er schlummert friedlich vor sich hin. Vielleicht lade ich seine Batterie demnächst auf.

2 Gedanken zu „Warum der Tolino leider nicht so toll ist

  • 3. Oktober 2015 um 22:30 Uhr
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    also ich kann deine erfahrungen mit dem tolino nicht teilen. habe einen solchen seit dem er erschienen ist (schon eine weile her) – und mittlerweile ein weiteres geräte für die enkeltochter.

    ich finde, das gerät ist gut lesbar, mich nervt auch keine „erinnerung“ an den thalia-shop (wohl ich das gerät bei weltbild gekauft habe, aber da nervt mich nix). schriftgröße findet sich immer eine passenden, notfalls in verbindung mit einer anderen schriftart. man kann aber auch seine „eigenen“ schriften aufspielen.

    ich lade bücher immer nur am pc von diversen seiten (isteinfach schneller und bequemer) und spiele sie über die freeware „calibre“ auf das gerät. da gibt es keine probleme. mit dem programm verwalte ich zugleich auch meine (zur zeit rund 6.000!) e-books.

    ich lese fast ausschließlich bücher im epub-format. nur ganz selten pdf (diese dann aber meist im querformat. da muss man zwar öfter blättern. aber die seiten werden besser angezeigt).

    übrigens kann man mit dem genannten programm auch formatierungsfehler wie auf dem letzten bild (zu breiter linker rand) korigieren.

    aus meiner sicht ist das gerät eine absolute empfehlung. ich lese mit einer akkuladung ca. 5 wochen (jeden tag/abend mind. 30 seiten).

  • 5. Dezember 2021 um 18:59 Uhr
    Permalink

    Meine Frau hat einen Tolino Vision 5. Nach spätetestens nach jedem neuen Update und auch schon mal zwischendurch steigt er aus und ich habe dann jedesmal den Ärger und muss diese Schrottkiste neu installieren, obwohl diese Schrottkiste doch angeblich so einfach zu handhaben ist.

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