Was ist mit der Autoindustrie los?

Gleich zu Beginn ein Zitat aus pressetext.com:

„Die weltweit 18 größten Autobauer haben im ersten Halbjahr 2013 in den USA mehr Wagen zurückrufen müssen als sie abgesetzt haben. Die durchschnittliche Quote ist in den vergangenen sechs Monaten bei 142 Prozent gelegen. Das heißt, dass die Fahrzeugriesen um 42 Prozent mehr Autos wegen Mängel zurück geholt haben als neu zugelassen wurden. Das ist das Ergebnis einer heute, Mittwoch, veröffentlichten Studie des Center of Automotive Management http://auto-institut.de an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.“

Die Zahlen sind alarmierend oder wirken zumindest so oder sollten es zumindest sein. Wahrscheinlich werden sie kein Umdenken bewirken, weil ein solches Umdenken nicht erwünscht ist und so lange man sich sicher sein kann, dass man in jedem Fall mit Steuergeldern am Leben erhalten wird, ist es einfach nicht notwendig.

Bis gestern wunderte ich mich über die scheinbare Prosperität der wieder erwachten US-Autoindustrie: noch größere Kisten mit noch stärkeren Motoren und noch mehr Verbrauch. Und die Menschen kaufen die Dinger wie verrückt, Pick-ups und Vans, SUVs etc. – je größer, desto besser, je öfter, desto lieber. Ein Land in Endzeitgigantomanie.

Hier der Rest der Pressetextmeldung:
„Im Gespräch mit pressetext führt Automobil-Experte und Studienleiter Stefan Bratzel diesen „relativ hohen Wert“ in erster Linie auf strukturelle Gründe zurück.
„Die steigende technische Komplexität und der hohe Kostendruck bei einer gleichzeitigen Verkürzung der Produktlebenszyklen sind die Hauptfaktoren, die zu diesen 42 Prozent führen“, so Bratzel. Hinzu komme das sogenannte Baukastensystem. Immer mehr gleiche Teile werden aus Kostengründen in unterschiedliche Modelle eingebaut. Von Zulieferern begangene Fehler betreffen dadurch mehr Autos als noch vor einigen Jahren.
Insgesamt wurden zwischen Los Angeles und New York 11,3 Mio. Wagen zurück in die Werkstatt beordert. 2012 lag dieser Wert noch bei 4,8 Mio. Stück. Das ist ein Anstieg um 230 Prozent und zeigt, dass der Negativrekord von 18 Mio. zurückgerufenen Autos aus dem Gesamtjahr 2010 wohl überboten wird. Zu den häufigsten Mängeln zählen Probleme bei der Innenschutzeinrichtung, bei elektrischen Baugruppen und beim Motor.
Unter den besonders fleißigen „Rückrufern“ finden sich Toyota mit 208 Prozent, Honda mit 265 Prozent und Hyndai mit 294 Prozent. Sie werden nur noch von Chrysler mit 314 Prozent und BMW mit 334 Prozent übertrumpft. Am besten haben hingegen VW, Suzuki, Tata, Volvo, Madza und Mercedes abgeschnitten. Ihre Rückrufquote tendiert gegen null.
Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Rückholaktionen. Im Jahr 2012 hat das Kraftfahrtbundesamt http://kba.de wegen erheblicher Mängel 824.000 Fahrzeughalter angeschrieben. „Aufgrund des hohen Verwundbarkeitsrisikos muss die Produktqualität über Wachstumsziele der Unternehmen gestellt werden“, fordert Bratzel. Neben sicherheitstechnischen Minimalanforderungen verlangt er die Definition und Implementierung von globalen Standards für die Marken.“

Das ist die Spitze des Eisbergs. Toyota galt noch vor ein paar Jahren als Firma, der die Qualität ihrer Produkte nicht völlig egal ist. Ich glaube übrigens, dass auch die Marken mit wenig Rückholaktionen das nicht lange halten werden, denn sie schwimmen letztlich auf der gleichen Welle wie die anderen. Das gilt auch für Mercedes, die früher ein Synonym für Langlebigkeit waren. Auch sie wollen heute möglichst schnell möglichst viele neue Autos verkaufen. Das geht in einem gesättigten oder sogar übersättigten Markt nur, wenn man die Haltbarkeit verkürzt. Die Militärindustrie braucht schließlich auch alle paar Jahre irgendwo einen Krieg, der die gelagerten Waffen vernichtet, damit sie neue verkaufen können.

Herr Bratzel ist leider ein Träumer, wenn auch mit netten Träumen. Die Wachstumsziele der Unternehmen können nicht hinterfragt werden, weil sie nicht hinterfragt werden dürfen. Das ist Frevel, Gotteslästerung, ein Tabu. Dass sie sowieso nicht erreicht werden und gar nicht erreicht werden können, spielt dabei keine Rolle, ganz im Gegenteil: Wenn so ein hoch gestecktes Ziel nicht erreicht wird, dann muss man das nächste noch höher stecken, vielleicht motiviert das ja die Beteiligten mehr Leistung zu bringen und sich mehr anzustrengen.
Das einzige, was unkontrolliert und maßlos wächst, ist übrigens der Krebs. Ein seltsames Vorbild, das die Konsumindustrie da hat.

Ich setze dem die Philosophie von Leopold Kohr entgegen: Optimales Wachstum – das heißt, alles wächst bis zu seiner optimalen Größe und nicht weiter. In der Wirtschaft streben die meisten jedoch nach maximalem Wachstum und das ist krank. Genauso krank wie der Gedanke, dass etwas ewig wachsen kann. Das schafft übrigens nicht einmal der Krebs, der sich letztlich selbst vernichtet. Übrigens umso schneller je schneller er wächst, indem er seinen Wirt umbringt. Und das ohne sich vermehrt zu haben, wie das andere Parasiten wenigstens schaffen.
In unserer Wirtschaft muss alles ewig wachsen. In Österreich etwa bekommt man keinen Gewerbeschein wenn man bei der Gründung der Firma nicht ewiges Wachstum schwört. Wer hineinschreibt, dass er nach X Jahren plant die Firma wieder zuzusperren, bekommt aus ethischen (!) Gründen eine Ablehnung. So etwas kann nicht ein, weil es nicht sein darf. Man muss zumindest den Willen zu ewigem Wachstum haben. De facto gehen die meisten Firmen ohnehin weit vor ihrem sinnvollen Ende zugrunde. Aber zumindest der Schein muss aufrecht erhalten werden.

Das gilt auch für die Autoindustrie: Sie muss scheinbar wachsen und es muss ihr immer blendend gehen. 60 % Neuwagenverkaufsrückgang in Italien und Spanien, 80 % in Griechenland? Das kann nur ein vorübergehendes Phänomen sein eine kleine Wolke vor den strahlenden Aussichten, die gleich wieder vorbeigezogen ist. Demnächst geht es wieder steil bergauf und man wird Neuwägen wie verrückt verkaufen!
Das ist überall zu lesen und zu hören und es schafft bei mir die Gewissheit, dass es nirgends so große Illusionen gibt wie in der Autoindustrie. Was tun, wenn das Wachstum in Europa nicht zurückkehrt? Dann wird man es irgendwo anders auf der Welt schaffen, ganz sicher. In Afrika oder China. Oder sonstwo. Hauptsache Wachstum. Und alle Kritiker sind Spinner, die nichts verstanden haben und nur maulen wollen.

Ich wünsche mir… eigentlich nichts, denn ich weiß auch nicht wie dieses Problem zu lösen ist. Die KonsumentInnen werden wohl nicht auf eine neue Qualitätslinie umschwenken, zu geil und gemütlich ist die derzeitige Situation („Ich will alles und das jetzt gleich“) und die Autoindustrie wird sich hüten, das zu tun, und sich auf den Druck der Konkurrenz ausreden. Die Politik wird auch keinen Finger rühren und die kaputten Autofirmen mit zig Milliarden Steuergeld „retten“, so wie sie es immer getan hat und auch jetzt verspricht und wie es in USA in großem Stil passiert ist.

Wohin das führt will selbst ich mir nicht ausmalen.

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