Wie werde ich zum Voyeur?

Seit einiger Zeit bin ich in dem Netzwerk „Facebook“ und spiele, auf Einladung eines alten Freundes, das Online-Spiel „Mafia Wars“. Man kämpft gemeinsam mit eigenen Mafia-Freunden gegen andere Mafia-Gruppen. Um neue Waffen etc. zu bekommen, braucht man einen großen Clan, muss also neue Mitglieder rekrutieren. Dies funktioniert gegenseitig, und daher haben findige Facebook-Mitglieder eigene Gruppen gebildet, wo Leute aus der ganzen Welt „please add me to your mafia“ hineinschreiben. Wenn man diese Leute anklickt, kann man die Funktion „Als FreundIn hinzufügen“ (sehr nett gegendert) anwählen. Dann bekommt die andere Person einen Nachricht, bestätigt diese und man ist „befreundet“.
Ab diesem Zeitpunkt kann man das Profil dieses neuen „Freundes“ aufrufen, und ich hab mir ein paar von den netten Leutchen angesehen, die jetzt meine Freunde sind. Es ist erstaunlich, welche Informationen über das (Privat-)leben ich erhalte – und im Gegenzug natürlich auch preisgebe.

Als Beispiel nehme ich irgendeins der Profile, das ich angeklickt habe. Es gehört Stephan T. einem äußerst kräftig gebauten Herrn aus dem Ort Grande Prairie in Alberta, Kanada.
Auf seiner Profilseite erfahre ich folgendes:
1. Seine vollständige Postadresse, seine e-mail Adresse und sein Geburtsdatum
2. Seine Ausbildung, auf welcher Schule er war und wann er die beendet hat sowie dass er das Royal Military College of Canada de St. Jean 1992 abgeschlossen hat.
3. Ich sehe, bei welchen Interessensgruppen auf Facebook er Mitglied ist: „Foundation for the protection of Swedish underwear models“ (da bin ich selbst auch Mitglied ;-) und „help us to stop the massacre in Gaza“.
4. Ich sehe mehrere Fotoalben, unter anderem über seine Alaska-Reise mit riesigem Pickup und noch riesigerem Wohnwagen. Ich sehe Bilder seiner Tochter und seines Sohnes, seiner Mutter.
Ich sehe, dass er eine fesche blonde Freundin (oder Ehefrau) hat, erfahre den Namen seine älteren Schwester und aufgrund der Kommentare unter den Fotos auch meist die Namen der Abgebildeten.
5. Aufgrund der Untertitel der Fotos weiß ich, dass er neben Englisch auch Franösisch spricht, also Franco-Kanadier sein dürfte.
6. Ich sehe mit wem er noch auf Facebook befreudet ist und erfahre von diesen Personen Name und Aussehen (auch wenn das Bild sehr klein ist)

Nachdem ich das alles angesehen habe, komme ich mir wie ein Voyeur vor, obwohl Stephan diese Informationen freigegeben hat und ich in der Praxis nichts damit anfange.
Welche politische Einstellung würde ich ihm zuschreiben? Wäre ich jemand, der ihm schaden will, hätte ich dann genug Informationen, um mir irgendeine Gemeinheit auszudenken? Ich schätze, die Infos, die er auf sein Facebook-Profil gestellt hat, sind echt, die Bilder auch der Rest ebenfalls. Bei mir ist das jedenfalls so, und er kann meine Vespa-Leidenschaft genauso durchwühlen.
Was treibt Menschen dazu, sehr private Details an andere, wildfremde Menschen freizugeben? (Globalisiert, versteht sich! Stephan ist ja noch einer, der relativ WENIG freigibt, das sieht oft noch wesentlich detaillierter aus.)
Das wird noch Thema einer genaueren Analyse sein.

Ein Gedanke zu „Wie werde ich zum Voyeur?

  • 3. Februar 2009 um 19:51 Uhr
    Permalink

    Drang zum Selbstdarstellung. Durch Facebook kann jeder ein Gefühltaufbauen, dass er etwas darstellt und ein interesantes Leben hat. Wenn jemand keine eigene Webseite und sonst in den Medien nie vorkommt (und wir leben in einer Welt die Medien-süchtig ist) hat man durch Face ein „public personnae“. Ausserdem ist facebook sehr verführerisch weil es dadurch wirklich einfach ist, ein grosses „Freundeskreis“ aufzubauen. Es findet sich immer jemand der antwortet wenn man reinschreibt, dass man gerade Kopfweh hat – also Face gibt uns ein vituelles gefühl von geborgenheit. Und – die Menschen denken noch nicht darüber, dass sie hier freiwillig beim Big Brother mitmachen. Wird sich aber bald ändern.
    Das schlimmste, was ich erlebt habe war eine Bekannte, bei der es durch ihre Posts immer klar war, wann sie Sex gehabt hat. Will ich wirklich nicht wissen….

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