Das Ende der bunten Erlebniswelt

Allerorts rufen die Werbefachleute nach noch mehr Erlebnissen. Jede kleinste Schuhpastawerbung muss zum umfassenden, megageilen und hochemotionalen Event werden, sonst hat man Angst, dass sie nicht aus der riesigen Flut der anderen Werbungen heraussticht, die letztlich doch alle dem gleichen Schema folgen.
Man singt den Abgesang der alten Werbung und fordert – genau die gleiche, nur unter neuem Namen.
Möglicherweise wird dieses Konzept scheitern, spätestens wenn die Kunden die Nase (und die Augen und die Ohren) voll haben und einfach ihre Ruhe wollen. Es mag eine Zeit lang funktionieren, die Menschen durch bunte Phantasiewelten von der Realität fernzuhalten, irgendwann jedoch holt sie die Realität ein, und dann kann es passieren, dass sie die bunten Welten als das durchschauen, was sie sind: Verschleierung und Täuschung. Ein gutes Beispiel sind große Autos, die durch menschenleere Landschaften fahren und dann dezent auf Almwiesen parken – in der Praxis gibt das eine fette Anzeige wegen Flurschadens und nicht die totale Freiheit.
Wenn dieser Schleier runtergerissen wird, bleibt eine ziemlich nackte Produktwelt, in der schöne und weniger schöne, brauchbare und weniger brauchbare Dinge für unser Leben sichtbar und auch als solche erkennbar werden.
„Es kann nicht so weiter gehen“ rufen die Werbefachleute und sie haben Recht. Leider fällt ihnen noch nicht die kleinste neue Idee ein, vielleicht weil sie daran glauben, dass Werbung, die nicht funktioniert, nur verstärkt werden muss: Irgendwann werden die Menschen schon kaufen, auch den letzten Schrott, wenn er nur gut (also irgendwie „richtig“) beworben wird, wenn man die Menschen nur clever genug übertölpelt. Da werden geheimnisvoll klingende Konzepte entworfen („ambient media“), um den Kunden dort abzuholen, wo er bisher noch nicht abgeholt wurde (und dafür äußerst dankbar war). Man schleicht sich jetzt am Point of Sale und anderen Points an ihn heran, feilt multimediale Strategien aus, um ihn dort zu packen und resümiert: Werbung muss auffallen!
Irgendwie ist an den Fachleuten vorbeigegangen, dass die Menschen nach immer stärkerem Bombardement einfach müde sind, und so wird weiter propagiert, dass man in bisher noch verschonte Lebensräume eindringen muss und es am besten so clever (der wienerische Ausdruck „gefinkelt“ passt hier besser) anstellt, dass die Menschen die Werbung gar nicht als solche empfinden.
Noch mehr Täuschung! – so lautet das Credo, idealerweise versucht man dafür die Zielgruppen noch klarer einzukreisen, um sie dann erfolgreich erlegen zu können. Den Kunden wird dies als neuer Weg verkauft, meist indem man einem alten Konzept einen neuen Namen gibt, eine allseits beliebte Methode. „Werbung auf einem Bierdeckel“ wird als brandneuer Weg angepriesen, den der Kunde mit heller Freude annehmen wird, weil er einen speziellen Nutzen (das Bier darauf abstellen zu können) damit verbindet und aufgrund dieser unermesslichen Freude am nächsten Tag sofort ins Geschäft rennt, um den am Bierdeckel beworbenen Gegenstand zu kaufen.
Für wie blöd halten diese Fachleute die Kunden? Kann es sein, dass denen Werbung auf der Rückseite ihrer Konzertkarte vollkommen egal ist, etwa weil sie ein Konzert ansehen und nicht die neuen, supersaugfähigen Windeln kaufen wollen?
Ich halte dagegen: Transparenz über Herstellung und Inhaltstoffe sowie über das herstellende Unternehmen, Kundennähe durch Aufklärung über positive und negative Eigenschaften von Produkten, Aufbau von Vertrauen durch langfristige Betreuung – damit wird man die Kunden in Zukunft interessieren können, nicht durch noch größere Plakate und psychologisch ohnehin schwache Tricks von hintenrum. Dezente, schnelle und glaubwürdige Präsentation, einfach überprüfbar – das sind die Herausforderungen an die Medien- und Werbeindustrie, denen sie sich wird stellen müssen. Wer kapiert das zuerst?

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