Währing bleibt grün

Eine Nachwahlanalyse zur Wahl am 11. Oktober 2020

Ich kann mich noch sehr gut an den Moment an diesem Montag erinnern, als wir in der Pizzeria Cavallo Bianco gesessen sind. Im Hinterzimmer, nervös und angespannt, weil wir immer noch nicht wussten, ob wir den Bezirk gewonnen haben. Es war der 12. Oktober 2015.
Es gibt nämlich keinen zweiten Sieger (bzw. keine zweite Siegerin) – die stimmenstärkste Partei stellt die Bezirksvorstehung, so ist es Tradition in Wien.
Also: Nur eine einzige Stimme weniger und alles war umsonst. Das stimmt natürlich nicht, aber gefühltermaßen ist es so.
Das mussten die Grünen im vierten Bezirk, auf der Wieden, vor zehn Jahren schmerzlich zu spüren bekommen, als sie den ersten Platz nur um 1-2 Handvoll Stimmen verpasst haben. Oder die FPÖ in der Leopoldstadt, als sie 2015 nur 21 Stimmen hinter den Grünen auf dem dritten Platz lagen und dann die Wahl angefochten haben, um einen bezahlten Stellvertreter zu bekommen. Mit dem Ergebnis, dass die Grünen dann die Bezirksvorstehung hatten – bis 2020 zumindest.

In Währing waren es 2015 zum Schluss 212 Stimmen, die wir vor der ÖVP lagen, die den Bezirk 69 Jahre beherrscht hat. Arschknapp, bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 50.000 Menschen. Das hätte genauso gut andersrum ausgehen können.

Wir waren darauf eingestellt, denn 1,5 Jahre vorher mussten wir eine Entscheidung treffen, ob wir uns die enorme Arbeit antun auf die Eroberung der Bezirksvorstehung zu gehen. Unser Bauchgefühl sagte: 50% Chance.
Am Endergebnis konnten wir dann sehen, dass das exakt zutraf. Daher war auch das Zittern entsprechend groß und dauerte auch lang, weil wir das Ergebnis erst am Montag gegen 22 Uhr bekamen. Dann die entscheidende SMS: Geschafft!

Der Jubel war enorm, wir hatten die Bezirksvorstehung erobert. Auch wenn das wie ein Kampf klingt – gefühlt war es das auch. Da wir als Grüne den Grundwert „gewaltfrei“ haben, stellt sich natürlich die Frage, wie das vereinbar ist: Wahlkampf.
Geht kämpfen ohne Gewalt?
Ich glaube, dass es sich hier um eine Zivilisationsfrage handelt. Damit Menschen nicht miteinander kämpfen müssen, lagern sie das aus, z.B. in eine Arena, wo eine Handvoll Menschen stellvertretend für alle kämpft. Der Rest kann sich mit jeweils einer Seite identifizieren und so den eigenen Kampf und die gegenseitige Gewalt substituieren. Das funktioniert weltweit gut, etwa in Fußballstadien oder bei Skirennen oder sonstigen sportlichen Auseinandersetzungen. Und in der Politik.

Es folgten fünf Jahre grüne Bezirksvorstehung mit größeren und kleineren Veränderungen in Währing, etwa durch die Einführung des Parkpickerls, die 30er-Zonen, Radfahren gegen die Einbahn, Schulwegsicherung und noch einiges mehr.
Was hier auffällt, ist die starke Konzentration auf das Thema Verkehr. Es gab natürlich auch noch andere, etwas die Schaffung von 3 Gemeinschaftsgärten, viele Sitzbänke für gebrechliche Menschen sowie die komplette Neugestaltung des Johann-Nepomuk-Vogel Platzes.
Trotzdem dominieren Verkehrsthemen, dort spitzt es sich zu, dort prallen die Welten aufeinander: die alte Welt, vertreten durch ÖVP und FPÖ und Teilen der SPÖ, sowie die neue Welt, vertreten durch die Grünen und tw. durch die NEOS (wie viel „tw“ wird sich demnächst zeigen, in der neuen rot-pinken Stadtregierung).
Das ist deswegen so brisant, weil wir uns in einem Kulturwandel befinden, von der Welt des 20. Jhd. mit der fetischisierten Überhöhung des motorisierten Individualverkehrs in Form des eigenen PKW, zunehmend in eine Welt des 21. Jhd., in der es um eine Neudefinition von Mobilität generell geht, angesichts des bereits stattfindenden Klimawandels inkl. der ständig zunehmenden Klimakrise.
In Währing sind die konservativen Kreise groß und stark, vor allem in Pötzleinsdorf und im Cottage, aber auch in Gersthof.
Nachdem 60 Jahre alles getan wurde, um den PKW-Verkehr zu stärken, kommen jetzt die Grünen und meinen, alle anderen Mobilitätsformen haben auch das Recht auf öffentlichen Raum.
Und da dieser nur einmal verteilt werden kann, muss man dem Auto Platz wegnehmen. Das empfinden viele Autofahrer als Angriff auf ihre scheinbar unantastbaren Rechte bzw. nehmen es persönlich. Verstärkt wird das Problem noch durch die Klimakrise, weil für die Gegenmaßnahmen ebenfalls öffentlicher Raum benötigt wird, sprich: Bäume statt Parkplätze.

Das ist vielen bös aufgestoßen, auf das geliebte eigene Auto wollen viele nicht verzichten, wobei hier die Betonung auf „eigene“ liegt, denn mit gut ausgereiften Car-Sharing-Modellen wäre das Platzproblem quasi auf der Stelle lösbar. So haben sehr viele Menschen ihr Auto zu 95% der Zeit herumstehen und brauchen 10m2 öffentlichen Raum.

In den letzten fünf Jahren wurde viel verändert und daher entstand eine verstärkte Polarisierung: diejenigen, die sich das alte Währing mit der radikalen Optimierung für den PKW-Verkehr wünschen und die anderen, die das Gegenteil wollen.
Stellvertretend für diese beiden widersprüchlichen Positionen sind die ÖVP und die Grünen. Deswegen war schnell klar, dass es wieder auf ein Duell zwischen diesen beiden hinauslaufen würde.

Was nicht klar war: Wie viele Währingerinnen und Währinger befinden sich auf welcher Seite?
Ein Ergebnis war aus vielen Gründen nicht prognostizierbar:
1.) Es gibt keine Umfragen für die Bezirke
2.) Es gibt in jedem Bezirk so etwas wie einen „BezirksvorsteherInnenbonus“, von dem aber nie klar ist, wie groß er ausfällt. Also unberechenbar.
3.) Es gibt nach fünf Jahren jede Menge neue BürgerInnen in einem Bezirk, in Währing sind das ca. 30%. Auch hier ist unklar, woher die kommen und welchen politischen Hintergrund sie haben. Also auch unberechenbar.
4.) Wie groß ist die Menge der Zufriedenen, die nicht wahrgenommen werden, weil sie sich still verhalten?
5.) Wie groß ist die Menge der Unzufriedenen und wie viele ziehen sie in ihrer Unzufriedenheit mit? Sind sie nur laut oder auch viele?
6.) Welche Rolle spielen die anderen Parteien, etwa die SPÖ oder die NEOS? Im letzten halben Jahr gab es etwa eine riesige Aufregung wegen der Verlängerung des 42A, der durch zwei Gassen fahren sollte, deren AnwohnerInnen das nicht wollen. Alle Parteien bis auf die Grünen haben sich da draufgesetzt und sind in Radikalopposition gegangen. Wie wird sich das auswirken? Es gab immerhin 1.000 Unterschriften gegen die Grünen, selbst wenn wir dafür gar nicht verantwortlich waren, weil die Routenwahl von den Experten entworfen wird.
In dieser Geschichte gingen die Emotionen besonders hoch und alle Parteien erhofften sich satte Stimmengewinne und grüne Verluste.
7.) Wie viele EU-BürgerInnen machen von ihrem Wahlrecht im Bezirk Gebrauch und wie wählen die?
8.) Wie wirkt sich kontinuierliche Politik aus, die aufgrund eines vorher erarbeiteten Programms durchgezogen wird und daher auch Widerstände hervorruft? Was geschieht, wenn man nicht auf die lautesten Zurufe hört und ständig den Kurs wechselt, immer dorthin, wo am lautesten geschrien wird? Wird so etwas belohnt oder bestraft?
9.) Welche Partei wird von welcher Partei wie viele Stimmen abziehen und wie groß wird die Gruppe der NichtwählerInnen sein? Und von welcher Partei wenden sie sich stärker ab und von welcher weniger?
10.) Wie wirkt sich die Gemeindeebene aus, da die Wahlen ja zusammen abgehalten werden? Wie viele Menschen splitten hier ihre Stimme und wählen z.B. rot auf Gemeindeebene und grün auf Bezirksebene? Sind das mehr als das letzte Mal oder weniger?

Diese und noch viele weitere Fragen ergeben einen Cocktail der Unberechenbarkeit. Und selbst das Bauchgefühl ist keine verlässliche Informationsquelle, weil es erstens auf den eigenen Wahrnehmungen basiert – und die kommen aus der eigenen Zustimmungs- bzw. Ablehnungsblase -, und zweitens waren sich alle Beteiligten einig, dass sie in dieser speziellen Frage nicht einmal eins hätten, ein halbwegs brauchbares Bauchgefühl.

Also hieß es wieder abwarten und zittern. Der Wahlkampf war so ziemlich wie immer und begann früh, nämlich in Wahrheit ein Jahr vorher.
Seinen langen Schatten warf er schon beim Projekt zur Umgestaltung des Gersthofer Platzls voraus. Die anderen Parteien – bis auf die NEOS, die standhaft blieben – schwenkten alle um und stimmten gegen den Entwurf der Agendagruppe. Für die war das ein harter Schlag, denn sie hatten unglaublich viel Arbeit hineingesteckt, die Entwürfe etliche Male korrigiert, möglichst viele Interessen eingebaut – und dann das plötzliche Aus. Dass Rot und Türkis kurz vor der Wahl noch ähnliche Entwürfe als neu und von ihnen stammend präsentierten, machte die Sache für die Agendagruppe nicht lustiger.
Corona warf dann viele Pläne über den Haufen, unsere Strategie hatten wir aber schon ein Jahr vor der Wahl fertig und konnten glücklicherweise rechtzeitig viele Aktionen (Standln, Aussendungen, Gimmicks, mediale Auftritte etc.) planen und vorbereiten.

Die Stimmung bei den Wahlkampfstandln ist für mich ein wichtiger Indikator, vielleicht sogar der wichtigste, weil es nicht viele andere gibt. Es werden keine Umfragen gemacht und niemand weiß, wie viele Zufriedene oder Unzufriedene es wirklich gibt. Vor zwei Jahren, als die Grünen aus dem Nationalrat geflogen sind, war die Stimmung erkennbar mies. Ich habe das daran erkannt, dass ich höchst ungern in der grünen Jacke auf die Straße gegangen bin.

Diesmal war die Stimmung großteils gut, aber allen von uns fehlte das Bauchgefühl und den anderen Parteien erging es nicht anders, wie ich im Gespräch mit ihnen erfahren konnte. Der Bezirk war wie eine Blackbox, die sich nach der Wahl öffnen und ihren Inhalt preisgeben würde.
Also hofften wir, dass die vielen freundlichen PassantInnen, die uns „ich hab euch eh schon gewählt“ oder „ihr habt das im Bezirk super gemacht“ zuriefen, es auch so meinten. Wir wussten, dass es 50% Wahlkarten oder noch mehr geben wird. Wir wussten auch, dass es seit der letzten Wahl ca. 30% neue BürgerInnen in Währing gibt (in Neubau sind es 50%).

Was wir nicht wussten, ist die Anzahl der Menschen, die unsere Bezirkspolitik gut finden und uns wählen, auch wenn sie nicht sichtbar sind, weil sie sich über nichts beschweren. Die andere Gruppe ist viel sichtbarer und scheint größer zu sein. Und weil auch wir nachher viel gescheiter sind, wissen wir jetzt, dass diese Gruppe doch nicht so groß war und ist.

Dann kam der Sonntag. Die Anspannung stieg den ganzen Tag über, ich war wieder in einer Wahlkommission und somit auch bei der Auszählung. Ich wusste, dass wir alles vergessen könnten, wenn mein Sprengel nicht sehr grün ist. 2017 war er nicht mehr grün, 2019 schon, sowohl bei der Europawahl als auch bei der Nationalratswahl. Glücklicherweise war er es diesmal auch, was aber noch genau gar nichts aussagte, denn gewinnen oder verlieren würden wir es in Gersthof.

1.jpg

BILD 1: Sprengel 17 – händische Ergebnisnotiz

Die Sprengelergebnisse sind noch aus einem weiteren Grund nicht sehr aussagekräftig: die Wahlkartenstimmen werden nicht mitgezählt, weil sie den Sprengeln nicht zugeordnet werden können. Bei 50% Wahlkarten liegt somit ein riesiger Unsicherheitsfaktor in den Sprengeln, der sich auch nicht beseitigen lässt und in jedem Fall größer ist als die möglichen und erwartbaren Prozentverschiebungen.
Die Hochrechnung ergab übrigens im Sprengel 17, dass nur die Grünen merkbar zulegen konnten.

2.jpg

BILD 2: Sprengel 17, Ergebnis mit hochgerechneten Wahlkarten

Nach Wahlschluss und nach dem fertigen Auszählen begann das bange Warten, das mindestens bis Montag Nachmittag, vielleicht sogar bis Dienstag oder Mittwoch dauern würde.
Recht flott kam das Wien-Ergebnis, wenngleich ohne Wahlkarten, somit auch nur als Hochrechnung.
Ohne Wahlkarten lagen die Grünen da bei 12-13 Prozent, die Hochrechnung mit Wahlkarten prognostizierte bis zu 15%.

3.jpg

BILD 3: Hochrechnung des Ergebnisses der Gemeinderatswahl

Das war eigentlich sehr erfreulich, wir würden auf jeden Fall über dem Ergebnis von 2015 liegen. Ich selbst hatte für mich entschieden, dass alles über 15% einem Wunder gleich käme, alles zwischen 12 und 15 ein gutes Ergebnis wäre und alles darunter eher ein Debakel.
Für den Bezirk bedeutete das mehr oder weniger gar nichts, war aber zumindest kein Zeichen für einen Absturz.
Da war mir der Erhalt der Bezirksvorstehung mit Abstand das wichtigste. Wir hatten 2015 in Währing 28,07% der Stimmen, jeder Gewinn über 30% wäre der Oberhammer. Unsere größten Phantasten träumten von 35% – für mich war das jenseits des Denkbaren.

Die erste Hochrechnung für den 18. Bezirk kam um 23:36 und war für uns mehr als nur toll.

4.jpg

BILD 4: Hochrechnung des Ergebnisses der Bezirksvertretungswahl für Währing

Ich persönlich hatte damit erstens nicht gerechnet und zweitens konnte ich es auch nicht wirklich glauben. Zu falsch lagen die Hochrechnungen in der Vergangenheit, zu optimistisch für die Grünen, die dann am Schluss oft lange Gesichter machten, wenn die Prozente dann plötzlich deutlich nach unten kletterten.
Trotzdem war irgendwie klar: wir werden den Bezirk halten. Oder war das doch nicht so klar?
Spontan trafen sich einige von uns bei Robert in seinem Hof, der teilweise überdacht ist, um ein Glas Sekt zu trinken. Es regnete in Strömen und war eher kalt, aber wir hatten Freude daran uns ungläubig anzustarren und zu versuchen, an ein Wunder zu glauben.

Wissen würden wir es erst am nächsten Tag, da ja noch keine Wahlkarten ausgezählt waren. Der nächste Tag begann mit einer neuen Hochrechnung:

5.jpg

BILD 5: Neue Hochrechnung in der Früh

Das sah sogar noch besser aus und schön langsam begann ich es zu glauben: Wir haben es geschafft. Wir haben den Bezirk gehalten und vielleicht sogar noch einiges dazugewonnen.
Doch noch hieß es warten, konkret bis wann auch immer. Wir hofften, dass es schon am Dienstag ein Ergebnis geben würde. Es lässt sich nämlich nicht voraussagen, wie lange die Wahlkartenauszählung dauert, da ein kleiner Fehler eine erneute Auszählung bewirken kann und das schiebt das Ergebnis dann gewaltig nach hinten.

Am Dienstag um 14 Uhr war es dann soweit:

6.jpg

BILD 6: Endergebnis der Bezirksvertretungswahl

Das übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Wir hatten ja alle pauschal für verrückt erklärt, die uns 35% prognostiziert hatten. Und jetzt waren es 38,7%.
Wir hatten uns von 12 auf 17 Mandate gesteigert, die SPÖ hatte 2 verloren und die ÖVP eines dazu gewonnen, obwohl sie nur 0,22% Steigerung und einen de-facto-Stimmenverlust hinnehmen musste.
Die NEOS waren gleich geblieben, für die FPÖ war es ein Debakel: von 5 auf 1 Mandat und kein Klubstatus mehr, d.h. sie würde in keinen Ausschüssen und Kommissionen dabei sein.

Erleichterung und Freude waren ungeheuer, da es keinen zweiten Sieger gibt. Wer auch nur eine Stimme hinten ist, verliert alles, nämlich die Bezirksvorstehung.
Wir hatten jetzt nicht mehr knappe 212 Stimmen Vorsprung wie 2015, sondern mehr als das Zehnfache.

Unser Sieg bedeutet für mich folgendes:
1.) Die Grünen bleiben in der Bezirksvorstehung und können gestalten.
2.) Je nachdem, ob die Grünen in der Stadtregierung bleiben, können wir auch größere, wenn sie rausfliegen, nur mehr kleine Projekte planen und umsetzen, da der Bezirk nur sehr wenig eigenes Budget hat. Sollte es rot-magenta werden, dann haben wir schlechte Karten, denn weder die SPÖ noch die NEOS haben ein Interesse grüne Bezirke in ihrer grünen (Umwelt)Politik zu stärken.
3.) Ich bleibe Nahversorgungsbeauftragter. Das ist zwar ein ehrenamtlicher Job, ich mache ihn aber trotzdem gerne.
4.) Es hat die Art von Politik gewonnen, für die ich stehe und für die die Grünen Währing stehen. Wir machen ein Programm, werden dafür gewählt und setzen dieses Programm dann auch um, so weit und so gut wir können. Die anderen Parteien haben im Wahlkampf die andere Variante gewählt, die wir aus der Ochlokratie (der „Herrschaft der Lauten“) kennen: Wer am lautesten schreit, bekommt Recht und für dessen Interessen tritt man ein. Das ist das exakte Gegenteil unseres Ansatzes. Gut zu beobachten war das bei der 42A-Diskussion. Die anderen Parteien sind sofort auf die laut Schreienden aus den beiden Gassen zugegangen und haben ausschließlich deren Interessen verfolgt, durchaus in der berechtigten Hoffnung, dass ihnen das Wählerstimmen bringt. Die Protestler waren plötzlich „die Währinger“ oder „ganz Gersthof“.
Die anderen Interessensgruppen – die BewohnerInnen des Schafbergs oder der Simonygasse (dort soll die noch ungeplante Alternativroute durchführen) oder die Wiener Linien, die für die Umsetzung zuständig sind, wurden nicht gehört oder als unwichtig eingestuft. Hätten sie auch gleich laut zu schreien begonnen, wäre das zum Problem geworden.
Das hat sich bei der Wahl gerächt, vor allem für die SPÖ, die den Grünen gleich mehrere (mediale) Hackln ins Kreuz gehaut hat. Sie haben im Bezirk zwei Mandate verloren und wurden dadurch zur schwächsten Bezirksgruppe von ganz Wien.
Die Grünen haben in den beiden Sprengeln, in denen es die Bürgerproteste samt Unterschriftsliste gab, natürlich verloren, im Gegenzug aber am Schafberg gewonnen, was in etwa auf ein Nullsummenspiel hinausgelaufen ist. Das war zwar so nicht geplant und wir konnten damit auch nicht rechnen, es ist aber höchst erfreulich.
Besonders ungläubig staunten wir übrigens bei einigen Cottage-Sprengeln, die von türkis auf grün gewechselt hatten. Das zu erklären wird schwierig.

Spannend ist auch die Statistik der Gesamtbevölkerung. Es leben ja in Wien jede Menge Menschen, die nicht wählen dürfen, weil das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gebunden ist und nicht daran, wo der Lebensmittelpunkt ist. Das wäre deswegen fair (und die Grünen treten auch dafür ein), weil diese Menschen nicht nur hier Steuern zahlen, sondern von der Politik ja direkt betroffen sind.
So sieht quasi das „echte“ Ergebnis aus:

7.jpg

BILD 7: Theoretische Aufteilung der Prozente

Da stellt sich natürlich die Frage, wie diese nicht Berechtigten wählen würden. Darauf gibt es leider keine Antwort, allerdings veranstaltet SOS Mitmensch jedes Mal eine „Pass egal-Wahl“, deren Ergebnis folgendermaßen aussieht:

8.jpg

BILD 8: Ergebnis der Pass-egal-Wahl 2020

Das könnte also für die Grünen interessant sein. Warum die SPÖ hier weiter abblockt, ist mir ein Rätsel.

Ergänzung: Seit heute 27. Oktober wissen wir, dass die rot-grüne Koalition in Wien Geschichte ist. Michael Ludwig macht mit den NEOS weiter. Für uns im Bezirk ist das höchst unerfreulich, weil weder die SPÖ noch die NEOS haben den Umweltschutz oder die Klimakrise auf ihrer Agenda – zumindest nicht nach der Wahl.
Wir dürfen gespannt sein, was sich da entwickelt.

Der Stabmixer

Er fehlt eigentlich in keiner Küche, ich brauche ihn meistens zum Marmelademachen. Als ich mir den Stabmixer kaufte, war ich frisch in die Wohnung eingezogen und legte damals noch wenig Aufmerksamkeit auf die mögliche Qualität von Küchengeräten. Ich kann mich an das Auswahlkriterium nicht erinnern, aber es wurde ein Braun Stabmixer.

Viele Jahre, fast Jahrzehnte verschwendete ich keinen Gedanken an das Gerät – es funktionierte einwandfrei und konnte genau das, was ich wollte.
Irgendwann vor ein paar Jahren brach dann unten ein Stück Plastik ab, aber ich konnte ihn weiter verwenden, die Funktion war gegeben.

Jetzt war es soweit – ein weiteres, großes Stück brach ab und bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass das Plastik generell schon rissig und brüchig ist. Jetzt erst fiel mir auf, wie lange ich das Ding schon verwendet habe – 28 Jahre. Das ist eine lange Zeit und zeigt, wie gut Braun damals die Stabmixer baute und welcher Wert auf Langzeitgebrauch gelegt wurde.

Also hab ich mir wieder einen Braun gekauft und witzigerweise hat er ein paar ähnliche Designelemente, Braun ist quasi der Linie treu geblieben, ich hoffe auch punkto Qualität und dass ich den neuen Stabmixer wieder 28 Jahre verwenden kann.
Der Preis lässt das leider nicht vermuten, der Mixer ist mit 19,90 Euro ausgesprochen billig.

braun.jpg

Bild: 2 Stabmixer von Braun, 28 Jahre Differenz

Ich hoffe, dass ich nicht bald wieder darüber berichten muss. Und jetzt gehe ich Marmelade kochen.

Die kurze Strategie

Wie groß war der Jubel der Grünen über die 14% bei der Nationalratswahl im Herbst 2019 – das beste Ergebnis aller Zeiten, wieder im Nationalrat, wieder Geld, wieder Jobs, wieder „drin“.

Ein halbes Jahr später sind die Grünen mit den Türkisen in einer Koalition und die Stimmen des Widerstands und der Kritik werden nicht nur innen, sondern auch außen größer.
Um die Situation zu verstehen, muss man sich die Koalitionsverhandlungen ansehen. Es war allen Grünen klar, dass sie die künftige Linie nicht dominieren werden und dass in dieser Linie jede Menge menschenverachtende, harte und ideologisch hart rechte Positionen das Ergebnis bestimmen werden.
Viel, sehr viel von dem, was unter türkis-blau Programm war, wurde wieder Programm und die Grünen müssen es wohl oder übel mittragen. Die einzige Alternative wäre die Auflösung der Koalition.
Wenn diese den Grünen in die Schuhe geschoben wird, stürzen sie ab ins Nichts.

Erwartung und Enttäuschung

Der heikelste Punkt an dieser Sache sind die extrem hohen Erwartungen vieler Wählerinnen und Wähler: Jetzt mit den Grünen wird es all die ausländerfeindlichen und sozial ungerechten Dinge nicht mehr geben und der Umweltschutz rutscht an die erste Stelle.

All das wurde von den Türkisen milde belächelt. Sie wussten ganz genau, dass die Grünen auch mit den besten VerhandlerInnen kein Grünes Programm zustande bringen können und dass das Ergebnis in jedem Fall von Türkis massiv dominiert wird.

Genau so kam es dann auch, plus der Besonderheit, dass die Grünen ihre Verhandlungserfolge nicht kommuniziert haben, zumindest nicht gut. Es gibt etwa eine Liste mit Grauslichkeiten, die die Grünen verhindern konnten und diese Liste ist sehr lang, wird aber nicht veröffentlicht. Sie wächst übrigens ständig, wird aber weiterhin nicht kommuniziert.
Daher hört man jetzt an jeder Ecke Aussagen der Enttäuschung, teilweise wütend, teilweise frustriert vorgetragen.
Die tatsächliche Arbeit rückt da komplett in den Hintergrund und wird von der Mehrheit der GrünwählerInnen und GrünsympathisantInnen nicht bemerkt oder als nicht wichtig bewertet.
Was sie jedoch sofort bemerken und bewerten, sind die zahlreichen Dinge, Entscheidungen und Bereiche, in denen sich nichts Grünes oder nur ganz wenig zeigt.
Es wirkt, als ob genau die Menschen besonders enttäuscht sind, die während der Koalitionsverhandlungen vehement für eine türkis-grüne Koalition akklamiert haben.
Dass sie mit viel zu hohen Erwartungshandlungen auf die Grünen geblickt haben, hilft zwar als Erklärung, aber gerade die Enttäuschten wollen das nicht hören.
Ich nenne das die „Erwartungslegasthenie“, denn sie verwechseln 14 mit 41 Prozent. Sie hätten gerne, dass sie Grünen so viel durchsetzen, als hätten sie bei der Wahl 41% der Stimmen bekommen. Manche verlangen sogar so viel, als hätten die Grünen die absolute Mehrheit im Parlament.

Die Türkisen schmunzeln übrigens noch immer und gehen den von ihnen gewollten und eingeschlagenen Weg. Und sie verkaufen Siege und Erfolge der Grünen als ihre eigenen.
Die Grünen kämpfen im Parlament und in den zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen und sonstigen Gremien mit allen Kräften gegen die Härte an und erreichen auch einiges. Doch auch jetzt gilt: Die Kommunikation nach außen ist – vorsichtig ausgedrückt – katastrophal. Die Einzelpersonen Kogler und Anschober kommen zwar ganz gut an, aber auch ihnen wird vorgeworfen, dass sie „umfallen“.
Dieser Eindruck entsteht, weil sie Erfolge nicht als grüne Erfolge kommunizieren. Die Türkisen tun das zwar auch nicht, da sie aber den Kanzler und den Großteil der MinisterInnen stellen, werden ihnen die Erfolge automatisch zugerechnet.

Ich komme jetzt zum Punkt, nämlich der Frage, wie das weitergeht.

Der Blick in die Zukunft

Er ist wie immer schwierig, aber ich wage ihn trotzdem.
Wir haben derzeit die erste Corona-Welle hinter uns und einen Sommer voller Lockerungen und als Beobachtungszeitraum vor uns. Ob es eine zweite Welle geben wird und wie stark diese ausfällt, kann absolut niemand sagen.
Für die Türkisen ist das aber egal, denn sie können ihre Strategie problemlos weiterfahren und haben es überhaupt nicht eilig. So lange der grüne Stern sinkt, steigt der Türkise. Derzeit steigt der sogar so hoch, dass die Absolute in Umfragen zum Greifen nahe ist.

Wir erinnern uns an Sebastian Kurz und seinen vielleicht einzigen Moment, in dem wir alle hinter seine Kulisse blicken konnten: „Heute hat das Parlament entschieden, morgen entscheidet das Volk“.
Wenn man diese Aussage in die Entwicklungsgeschichte der Karriere von Sebastian Kurz einreiht, ergibt sich ein durchaus stimmiges Bild. Als Staatssekretär für Integration hat er sich sehr mittig positioniert. In dieser Zeit entstanden Aussagen, die heute höchst bizarr wirken, wenn man weiß, wofür er heute eintritt.
Dann kam seine Zeit als Außenminister. Es ist faszinierend, wie unbeschadet er sie überstanden hat. Er ließ sich weder im österr. Parlament noch in der Konferenz der europäischen Außenminister oft blicken. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Absenz in Gremien immer bedeutet, dass mir die Gremien nicht wichtig sind. Und das, was sie repräsentieren, auch nicht.
An dieser Stelle erlaube ich mir eine Behauptung: Sebastian Kurz ist kein Demokrat in dem Sinne, dass er parlamentarische Demokratie als wertvollste und anstrebenswerteste Staatsform sieht.
Er erträgt sie, um sie bei erstbester Gelegenheit loszuwerden. Sie ist für ihn eine sinnvolle Stufe auf einem Weg, der ganz woanders hin führt.

Bei der Verwirklichung hilft ihm die Ursuppe der ÖVP, die er inzwischen in „Neue Volkspartei“ umbenannt und ihr auch eine neue Farbe – eben türkis – gegeben hat.
Auch die Umbenennung in eine „Bewegung“ hilft bei der Erreichung seiner Ziele, denn das ist so schwammig, dass man es für alles verwenden kann. Und es hilft die Vergangenheit abzustreifen, zumindest den Teil, der für die Zielerreichung hinderlich ist: der konservativ-christliche.
In der alten ÖVP gab es Werte sie Sozialpartnerschaft, Erhaltung des Wertvollen, und zwar materiell und immateriell, eingebettet in ein katholisches Weltbild, in dem bestimmte christliche Werte durchaus das Handeln leiteten. Umweltschutz war da übrigens Teil der Erhaltung des Wertvollen, nicht umsonst war die eine Hälfte der Grünen bei ihrer Entstehung aus dem bürgerlich-konservativen Lager.

Das ist restlos verschwunden. Geblieben ist der Teil der alten ÖVP, der Macht will und sonst gar nichts. Dabei ist Europa im Weg, weil es nationalistische Entwicklungen behindert oder zumindest verlangsamt. Lange Zeit gab es Stimmen, die meinten, Kurz möchte in der EU Karriere machen. Ich glaube das nicht oder zumindest erst, wenn er eine Art Imperator von Europa werden kann. Das kann dauern, aber er ist ja auch noch sehr jung – der jüngste Regierungschef in Europa.

Die Grünen sind eine basisdemokratische Partei, in der eine parlamentarische Demokratie einen hohen Stellenwert hat. Sie werden nicht bereit sein, diese aufzugeben.
Glücklicherweise für Sebastian Kurz ist das aber kein Hindernis. Die Grünen selbst sind zwar ein Hindernis, aber kein hohes. Und es gibt auch schon einen Weg, wie er sie loswerden und zugleich als strahlender Sieger dastehen kann.
Dieser Weg sieht folgendermaßen aus:

Der türkise Weg

1.) Durch die schon beschriebene Konstellation gewinnt Kurz derzeit massiv an Stimmen dazu, während die Grünen nur sehr leicht dazu gewinnen. Das spielt aber für ihn keine Rolle, weil der Abstand dadurch trotzdem immer größer wird. Mit anderen Worten: Dass die Kurve der Grünen leicht nach oben geht, ist ihm so lange egal, so lange seine Kurve stark nach oben geht.
Derzeit ist seine Kurve von 37% auf 48% gestiegen, die der Grünen von 14% auf 17%.
Das kann also noch länger so weitergehen, hier haben die Türkisen keinen Druck.

2.) Durch die Corona-Krise gewinnt Kurz weiterhin dazu und die Grünen verlieren, weil sich intern, aber auch im Mainstream Widerstand aufbaut. Für die Türkisen lautet die Devise: je mehr, desto besser. Die Grünen werden sozusagen sturmreif geschossen.
Sebastian Kurz macht das folgendermaßen: Er startet eine Initiative nach der anderen, die den Grünen weh tun, weil sie gegen ihre Prinzipien sind. Besonders beliebt und erfolgreich ist das Agitieren gegen Ausländer oder gegen sozial Schwache. Immer wenn die Grünen da mitgehen bzw. mitgehen müssen, weil es sonst einen Koalitionsbruch bedeuten würde, steigt der Widerstand der Grünen Basis. Kurz legt da immer wieder ein Schäufelchen nach, eine kleine soziale Ungerechtigkeit, eine Gesetzesnovelle gegen Arme, die Unterstützung harter Maßnahmen gegen Flüchtlinge etc.
Die Grünen wehren sich dagegen nicht, interessanterweise nicht einmal durch Aufklärung der eigenen Basis über das, was Kurz da tut und wie er mit ihnen umgeht. Es gibt ausschließlich Jubelmeldungen darüber, wie gut man selbst ist und wie super es mit dem Koalitionspartner läuft.
Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, welche Knebel Kurz den Grünen da angelegt hat, aber sie sind sehr wirksam.

3) Sobald Kurz von seinen Experten das Signal bekommt, dass sich die Absolute ausgehen wird, bricht er die Koalition auf. Er wird das nicht mitten in einer Corona-Welle tun, aber das muss er auch nicht, weil er keinen Zeitdruck hat. Die SPÖ ist mit sich selbst beschäftigt und damit, auf die Grünen hinzuhacken – interessantweise deutlich stärker und öfter als auf die Türkisen. Die FPÖ ist zumindest derzeit noch ziemlich tot, Kurz konnte durch eine stramme Rechtspolitik viele WählerInnen auf seine Seite ziehen.
Die NEOS sind erstens zu klein und zweitens haben sie den Schwanz eingezogen, als es das Misstrauensvotum gegen Kurz gab. Von denen geht für ihn keinerlei Gefahr aus.
Das Perfide daran ist, dass Kurz die Koalition aufbrechen und sehr einfach dafür den Grünen die Schuld geben kann. Er braucht nur in den Krug, den er bereits mit den erwähnten Entscheidungen fast an den Rand gefüllt hat, ein wenig nachleeren.
Dieses Wenige ist so wenig, dass er es als Bagatelle hinstellen kann und dafür keine Verantwortung übernehmen muss. Für die Grünen hingegen wäre es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Auch wenn Kogler, Anschober und die anderen unter Aufbietung aller Zurückhaltung und unter weit hörbarem Zähneknirschen das noch irgendwie ertragen würden, werden sie von der Basis gezwungen, die Koalition aufzukündigen.

4.) Auf diesen Moment hat Kurz nur gewartet, denn jetzt kann er sagen, dass die Grünen gänzlich ohne Grund die so tolle und von ihm initiierte Koalition aufgebrochen haben. Das oben erwähnte Wenige kann er glaubwürdig als Lappalie darstellen, wegen der ein Koalitionsbruch nun wirklich nicht notwendig gewesen wäre. Jubel seiner Anhänger und Schmährufe für die Grünen.

5.) Jetzt muss er leider Neuwahlen ausrufen und kann sich – wieder einmal – als das Opfer darstellen, diesmal nicht der FPÖ, nicht der SPÖ, sondern der untreuen Grünen. Die sind im Arsch, weil sie medial nach innen und außen keine Chance haben. Kurz hingegen kann mit vollen Kräften und gänzlich unbeschädigt in einen Wahlkampf gehen, der ihm mindestens die Absolute bringt.
Die Grünen hingegen sind auf ihre Kernwählerschaft zurück gestutzt, und wie groß die ist, wissen wir seit 2017. Kurz ist damit die letzte linke Kraft im Lande los und auch endgültig das leidige Thema Umweltschutz, das seit der Wirtschaftskrise europaweit komplett in den Hintergrund gerückt ist.

Das Wahlergebnis sieht dann folgendermaßen aus:
Neue Volkspartei 55% („Ein klarer Wille des Volkes“)
SPÖ 15% („Wir sind nicht hinter die FPÖ zurück gefallen und zweitstärkste Kraft. Die Richtung stimmt!“)
FPÖ 15% („Durch die Wiedervereinigung mit Strache sind wir zweitstärkste Kraft. Ein grandioser Sieg!“)
NEOS 9% („Ein klarer Zugewinn!“)
GRÜNE 6% („Wir sind nicht aus dem Nationalrat geflogen!“)

Sebastian Kurz hat sein erstes wichtiges Ziel erreicht. Der nächste Schritt ist jetzt die schrittweise Demontage der parlamentarischen Demokratie, was mit einer absoluten Mehrheit keine echte Herausforderung darstellt, noch dazu, wo man keine 50 Kilometer entfernt die erste lupenreine Diktatur innerhalb der EU hat. Das stört übrigens bisher niemand, schon gar nicht Sebastian Kurz, dem diese Entwicklung kein einziges kritisches Wort wert war. Sein Innenminister hat gesagt, dass man solche Dinge lieber intern bespricht. Das wirkte durchaus glaubwürdig, der gleiche Stallgeruch ist jedenfalls schon vorhanden und sehr demokratisch duftet er nicht gerade.

Zum Kinosterben

Auf Facebook macht gerade das Zusperren des Bellaria-Kinos die Runde und es gibt Empörung allerseits. „Bitte nicht“ wird gepostet und „das muss doch verhindert werden.“
Die Diskussion erinnert mich an die letzten beiden Bio-Greissler in meinem Bezirk. Auch da war die Aufregung groß, als sie zusperren mussten. Leider sind die Aufgeregten nie dorthin einkaufen gegangen. Und wenn niemand hingeht, muss er zusperren. So einfach ist das.

Aber es gibt ja noch die großen Giga-Mega-Superplexxx-Kinos und in so einem (Cineplexx Auhof, bitte immer mit „xx“ statt nur einem „x“, das ist ganz wichtig, warum auch immer) hab ich mir „Rise of Skywalker“ angeschaut.
Der Kartenkauf ging einigermaßen einfach über die Website, wenngleich ich lange suchen musste, um irgendeine Beschreibung der vielen tollen technischen Neuerungen zu finden, die mit wunderschönen Logos angepriesen werden: Atmos, und Super-Wahnsinns-Dolby 28.0 und Mega-Giga-Ultra-3-D (schau ich nicht, da bekomm ich Kopfweh und die Nase drückt von den komischen Brillen).
Da ich mit meiner Nichte unterwegs war, mussten wir Kino-Normalgeher simulieren, also Cola, Popcorn und Nachos kaufen.
Beim Essen kann man das Vorsintflutliche erkennen, das in der Kinowelt drin steckt, auch in den modernsten Kinos. Die Nachos waren extrem versalzen und werden in einer Plastikschale ausgegeben. Während des Films sind sie schwer zu essen, weil es im Saal stockfinster ist.
Das Cola ist ebenfalls im Plastikbecher, wobei ich den Strohhalm weggelassen habe, ohne trinke ich es einfacher.

Jedenfalls Plastik ohne Ende, selbstverständlich alles zum Wegwerfen, meist mit der Hälfte der Nachos.

Leute, so wird das nix, das ist so anachronistisch wie nur möglich. Dazu kam noch, dass sie nirgends eine Karte haben und schon gar keine Preise angeschrieben. Auf meine Frage meinte die gelangweilte Schnepfe hinter der Ausgabetheke nur, dass es „da hinten, irgendwo im Eck“ eine kleine Tafel gäbe, wo das alles irgendwie draufstehen würde.

Alles in allem ein Erlebnis, das mich zweifeln lässt, ob die Erhaltung von Kinos wirklich erstrebenswert ist. Zumindest in dieser Form sicher nicht.

Woher kommen wir?

Ich beschäftige mich ja schon seit vielen Jahren mit der Frage des Ursprungs der Menschheit. Nach einigem Hin und Her sind sich aber inzwischen alle WissenschafterInnen einig, dass unser Ursprung in Afrika ist. Wo genau, das ist noch nicht ganz klar und auch nicht, ob es parallele Entwicklungen des Homo sapiens gab.
Durch die moderne Genetik konnten jedoch einige Fragen geklärt werden: Es gab tatsächlich eine Urmutter, eine Art genetische Eva, von der alle modernen Menschen abstammen.
Da finde ich spannend und es wäre vor allem ein lustiger Ansatz für eine neue Religionsgründung, sofern man Religionen überhaupt für sinnvoll hält. Im Gegensatz zu den patriarchalen Monotheismen wäre das eine matriarchale Form, die sich aus der Vererbungslinearität ergibt.

Auf die ebenso wichtige Frage, wann und wie die Menschen Afrika verlassen haben, um dann zuerst Asien und später Europa zu besiedeln, gibt es ebenfalls neue Antworten: Es geschah vor ca. 100.000 Jahren, also vor ca. 4.000 Generationen. Eine Gruppe von wenigen hundert Menschen dürfte sich von Ostafrika hinauf in Richtung Israel aufgemacht haben. Dort fand man menschliche Knochen, die auf eine durchaus hohe Zivilisation hindeuten. Konkret dürften diese Menschen bereits eine Idee eines Lebens nach dem Tod gehabt haben, die Grabbeigaben lassen darauf schließen.

Vor 125.000 Jahren war die Sahara mehr oder weniger grün, es gab Flüsse und Seen, Vegetation und Wild, sie war also einfach durchquerbar, vor allem an den Rändern. Die Menschen konnten so durch Äthiopien ans Rote Meer gelangen und dort Richtung Norden wandern. Sie kamen dann nach Israel, das ist quasi eine uralte Geschichte einer Migrationsbewegung in ein gelobtes Land, die später dann wieder aufgegriffen wurde.

Wir wissen nicht, ob es eine Art kollektives Menschheitsgedächtnis gibt und wie es funktioniert. Vielleicht kann auch hier die Genetik einmal Aufschluss geben, so weit sind wir aber noch nicht.
Interessant ist es allemal, dass eine so wichtige und große Geschichte wie die erste Migration des modernen Menschen genau an der Stelle auftaucht, wo sie 100.000 Jahre zuvor tatsächlich stattfand.
Welche Art von Wissen kann sich über tausende Generationen erhalten? Ich erlebe es manchmal, dass Freunde und Bekannte, die ich mit nach Ostafrika nehme, mir von einer seltsamen Regung erzählen. Sie empfinden ein flüchtiges Deja-vu, so als ob sie schon einmal dort gewesen wären.
Das ist nachweislich nicht der Fall, also woher kommt diese Wahrnehmung, die sicher keine klassische Erinnerung ist und sein kann?

Wir finden dort eine Landschaft, die dem Auge und dem Gemüt gut tut. Es ist eine Gegend mit sanften Hügeln, Ketten niedriger Berge (so genannte „Escarpments“), weite Graslandschaften, durchzogen von kleinen und größeren Bächen und Flüssen, an deren Rändern so genannte „Galeriewälder“ wachsen.
Es ist eine stark strukturierte Landschaft, die sehr friedlich und einladend wirkt. Das ist wohl kein Zufall, denn in solch einer Landschaft sind die modernen Menschen entstanden, beginnend mit dem homo australopithecus, der sich dann zum homo habilis und schließlich zum homo sapiens weiterentwickelt hat.
Eine Theorie besagt, dass es durch Klimaveränderungen einen Rückzug der riesigen Regenwälder gab und die Landschaft trockener wurde, bis sie so aussah, wie die heutige ostafrikanische Savanne. Am Übergang zwischen Wald und Savanne entwickelte sich der Mensch, mit seiner Fähigkeit aufrecht zu gehen, durch die unsere Wirbelsäule unter den Kopf rutschte (bei Primaten steht sie hinten raus) und dadurch die Mund- und Kehlkopfpartie frei wurde für die Entwicklung einer Sprache.
Dazu kam die Fingerfertigkeit, die mit Händen entwickelt werden konnte, die nicht mehr zur Fortbewegung nötig waren.

Haben wir eine Erinnerung an unser eigenes Entstehen? Haben wir sozusagen unsere Seinsbedingung in uns gespeichert? Diese Frage ist nicht nur für Evolutionsbiologen interessant, sondern auch für Philosophen.

Eine andere Theorie besagt übrigens, dass die Menschen, die nach Kleinasien gewandert sind, dort wieder ausstarben und dass andere Entdecker über die Straße von Bab al Mandab, also der engsten Stelle des Roten Meeres, übergesetzt haben. Die Distanz beträgt 30 Kilometer, ist also mit einem einigermaßen guten Boot machbar.
Vor ca. 70.000 Jahren war die Meerenge sogar nur ca. 11 Kilometer breit und die Menschen konnten so auf die arabische Halbinsel gelangen. Die dortige Küste war damals fruchtbar und sorgte somit für eine gute Basis um zu überleben. Eine frühe Hochkultur gab der Region, die wie ein großer Garten wirkte, einen Namen: Eden.