Demokratie in der Krise?

Ein paar Überlegungen anlässlich der Scobel-Sendung November 2010

Der britische Politikwissenschafter und Soziologe Colin Crouch hat unser System als „Post-Demokratie“ bezeichnet: die Wahlbeteiligung sinkt beständig, das Volk reagiert apathisch, die politischen Entscheidungen werden wie Unternehmensentscheidungen getroffen: oben im „Vorstand“ und ohne jegliche Transparenz nach außen, zugänglich nur für Machtfiguren aus der Wirtschaft und deren Lobbies.
Die politischen Inhalte verlieren an Bedeutung, es geht um ein Gesamtprodukt mit Aushängefiguren, die vermarktet werden. WAS jemand vertritt, ist weitgehend egal, WIE es dargestellt wird, entscheidet das Wahlverhalten.

Nun stellt sich die Frage, wohin entwickelt sich eine Post-Demokratie? Was ist der nächste „logische“ Schritt?

Schon bei den Menschenaffen ist es so, dass sich in Friedenszeiten Gruppen und Kooperationen bilden, in Krisenzeiten jedoch ein Individuum die autoritäre Führung übernimmt.
Nun ist die Herrschaft Einzelner, also das Modell der Diktatur, umso schädlicher je größer die Gesellschaft ist. Es muss also das Führungsmodell auf eine neue Ebene gehoben werden.

Wie kann das aussehen?

Vielleicht steht uns eine neue Form der Basisdemokratie bevor? Zuerst einmal muss mit einem kleinen Irrtum bzw. einer Unschärfe ausgeräumt werden: Jede Demokratie ist Basisdemokratie, es kommt nur darauf an, auf welcher Ebene man sie sucht. Diejenige, die auf allen Ebenen die Basis entscheiden lässt, ist nicht praktikabel, weil zu träge für viele wichtige Entscheidungen.
Das Gegenteil, die in jeder Form repräsentative Demokratie ist genauso wenig praktikabel, weil sie dazu tendiert, langsam aber sicher alle Entscheidungen immer weiter nach oben zu delegieren, bis sie zu einer mehr oder weniger milden Form der Diktatur mit schöner Demokratie-Fassade wird.

Wir brauchen wahrscheinlich eine neue Form, etwa durch partizipativ organisierte Gesellschaftsgruppen, die informationsmäßig gut vernetzt sind. Das Medium dazu ist schon erfunden und man probiert damit die ersten wackeligen Schritte: Im Internet agieren Communities und testen, wie Vernetzung funktioniert. Das ist massiv verbesserungswürdig, aber die Zeichen zeigen, in welche Richtung es gehen kann:

Neue Plattformen

1.) Großkonzerne können nicht mehr beliebig agieren, wenn sie sich durch gute Kontakte zu Politik und Medien absichern – das reicht nicht mehr. Sie schaffen es auch nicht, die sozialen Netzwerke zu infiltrieren und zu manipulieren, denn dazu fehlen ihnen die Ressourcen, die letztlich gegen unendlich gehen würden: Irgendwo sitzt immer einer, der es sagt, der es gesehen hat, der es auf Video hat etc.

2.) Auch Staaten können nicht mehr beliebig agieren: wenn überall eine Kamera mitläuft, dann kann man nicht mehr unbeobachtet Journalisten erschießen oder Menschenrechte einfach außer Acht lassen. Die aktuelle Diskussion rund um Wikileaks zeigt gut, wie laut die Mächtigen aufschreien, wenn man hinter ihre Machenschaften kommt. Egal wie Wikileaks organisiert und selbst fehlbar ist – es setzt ein Zeichen.

3.) Wikipedia zeigt die Selbstkorrekturmechanismen, die bisher die freie Marktwirtschaft für sich reklamiert hat und damit meines Erachtens gescheitert ist: Märkte regulieren sich nicht von selbst, sondern sie werden reguliert, entweder bewusst demokratisch/politisch, oder durch Kräfte mit kurzfristigen Individualinteressen oder duch eine sich verändernde Umwelt: Wenn man natürliche Ressourcen ohne Maß und Ziel ausbeutet und den eigenen Lebensraum vergiftet, schlägt das irgendwann zurück und wird zu quasi „natürlichen“ Regulator der Märkte.
Im Internet bauen sich echte Selbstregulatoren gerade auf. Man hat lange gezetert, dass Wikipedia zu einem unseriösen Schlachtfeld einiger weniger Selbstdarsteller werden könnte – diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet, die Korrekturmöglichkeiten und tatsächlichen Korrekturen einer großen Menge engagierter Partizipienten zeigt, dass es doch geht.

Neues Engagement

Hier sind wir bei einem wichtigen Punkt angelangt: Wie werden aus verwöhnten, fetten Couch-Potatoes politisch engagierte Menschen? Das ist nicht leicht zu bewerkstelligen, ein Ansatz besteht jedoch darin, die existierenden Kanäle zu nützen und die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen: Wenn es möglich ist, von der Couch aus zu partizipieren, dann machen einige mit. Facebook zeigt wie Menschen Lust bekommen mitzumachen, mitzureden, mitzudiskutieren. Der Weg zu politischem Engagement ist hier ev. schon ein wenig kürzer geworden.
Wenn es dazu noch möglich ist, sich den Kick des „Real life“ zu besorgen, dann machen noch einige mehr mit. In New York City gibt es das „Museum of Natural History“. Dort findet man (oder fand man, ich war schon lange nicht mehr dort) einen Wald aus Plastikbäumen mit Plastikvögeln und Waldgeräuschen aus dem Lautsprecher. Dieses bizarre Szenario ist für New Yorker Kinder, die noch nie in einem realen Wald waren, und von denen gab es zumindest in den 1980er Jahren eine Menge.
Nach einiger Zeit im „Second Life“ gieren die Menschen nach einem „First Life“ und sind auch bereit, sich wieder im realen Leben zu treffen.

Fazit

In bzw. nach der nächsten Wirtschaftskrise wird sich zeigen, wie kräftig die neuen Triebe der Demokratie sind oder ob wir noch eine Zusatzrunde Faschismus, Diktatur oder Ähnliches brauchen, bis wir für Neues bereit sind.

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