Der Bacherl – ein später Nachruf

Sechs Todesfälle 2022, das war dann doch ein bissi viel. Zwei davon haben mich ganz besonders getroffen: mein Vater und der Bacherl. Vielleicht habe ich es deswegen nicht geschafft den Nachruf früher zu schreiben, der auf meinen Vater wird sowieso noch deutlich komplexer sein müssen.

Es ist immer noch schwierig. Ich werde es chronologisch angehen und mich hinarbeiten bis zu seinem Begräbnis am 13. Mai 2022.

Ganz genau weiß ich es nicht mehr, wann ich den Peter kennengelernt habe. Es war gemeinsam mit vielen anderen Klosterneuburgern irgendwann 1993, vielleicht bei einem privaten Festl oder einem Clubbing. Gleich zu Beginn – daran kann ich mich noch gut erinnern – ist mir aufgefallen, dass er stets von hübschen Frauen umgeben war. Auch seine damalige Freundin, die Babsi (in Klosterneuburg hießen damals irgendwie alle Babsi, außer die Kathis, dazu später) gehörte in diese Gruppe.
Damals hatte der Peter noch nicht studiert und machte beruflich irgendwas, ich weiß das einfach nicht mehr. Aber er war schon damals ein umtriebiger Typ und kannte halb Klosterneuburg und auch darüber hinaus eine Menge Leute. Daraus ergaben sich viele verschiedene Jobs, etwa im Bereich Security oder auch als DJ „Del Vino“.
Wahrlich nicht auf den Mund gefallen, für manche hin und wieder ein wenig nervig, aber auch jederzeit zu einem tiefsinnigen Gespräch bereit. Peter konnte zuhören, was keine allzu verbreitete Tugend ist. Deshalb saß ich mit ihm auch des öfteren beim Heurigen, natürlich nicht nur für tiefsinnige Gedanken, wir waren beide jung und deppert und hatten vor allem Parties im Kopf. Daher nahm ich ihn auf gute Festln mit und umgekehrt. Ich habe es sicher auch ihm zu verdanken, dass ich meinen heutigen Klosterneuburger Freundeskreis so schnell und gut kennenlernen durfte.
Der Freundeskreis, der ihn letztlich auch zu Grabe tragen musste.

Es fällt mir auch jetzt schwer auszuwählen, worüber ich schreiben möchte. Es waren fast dreißig Jahre Freundschaft, mit viel mehr Höhen als Tiefen, mit einer Konstanz, die alle Tiefen ausbügeln konnte, mit einer Basis, die wir nie in Frage stellen mussten.
Beim Schreiben dieser Worte muss ich tief seufzen. Das war auch einer der letzten gutgemeinten Tipps, die ich ihm gegeben habe, als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, kurz vor seiner Kehlkopfoperation. Danach konnte er nicht mehr sprechen, er, der kommunikative Typ mit der großen Pappn.
„Tief seufzen hilft mir oft, probier es doch aus.“

Jetzt bin ich wieder gesprungen. Eigentlich war ich noch in den Erinnerungen an die schönen Zeiten. Sie umfassen ja den weitaus längsten Teil unserer Freundschaft und reichen über die schon erwähnten zahlreichen Heurigenbesuche über den gemeinsamen Besuch von Festen aller Art bis zu dem netten Wochenende, an dem Peter mich zur Blockveranstaltung an der Uni Klagenfurt begleitet hat. Sogar an einer Organisationsaufstellung hat er einmal teilgenommen. Solchem Hokus-Pokus begegnete Peter mit einer soliden Skepsis, ich konnte ihn aber neugierig machen. Es war spannend, vor allem für ihn, denn er wurde als Repräsentant ausgewählt und stand dann da in der Aufstellung. Und dann passierte was, und es hinterließ einen bleibenden Eindruck. „Ich konnte auf einmal meinen Kopf nicht mehr bewegen, erst nach einer Auflösung der Situation war mir das wieder möglich“ meinte er danach.

Ich bleibe noch kurz beim Blockseminar in Klagenfurt. Wir gingen an einem der Abende in ein Wirtshaus und der Peter bestellte. Als das Essen kam, blickte er mit leichter Verzweiflung, aber nicht ohne Humor darauf: „Bestellt habe ich Pute mit Reis, bekommen hab ich Schwein mit Fritten.“ Das war typisch. Wir haben das dann mit ein paar Bierchen erledigt.

Am nettesten waren eigentlich die spontanen Treffen. Ein kurzer Anruf und wenig später saßen wir bei einem Bier in der Eule oder einem Spritzer beim Schmucki. Mir fällt es schwer mich an einzelne Abende zu erinnern, sie sind bei mir wie ein großes Ganzes abgespeichert, eine Art Freundschaftspaket, das mich mit dem Bacherl verbindet.
Einige Fotos können das vielleicht besser zeigen.

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Bild: Peter in Diskussion mit unserem Freund Dole

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Bild: Peter umgeben von schönen Frauen. Sehr unangenehm war ihm das nicht, er hatte mehrere lange, gute Beziehungen – bis er die Julia kennenlernte. An einem Abend, an dem er eigentlich daheim bleiben wollte und nur kurz auf ein Bier wegging. Fast im Jogger. Typisch Peter (der übrigens meistens durchaus gut angezogen war.)

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Bild: Am allerletzten Konzert von Drahdiwaberl am 11. Mai 2013. Es gab ja viele letzte Konzerte dieser legendären Wiener Punkband. Dieses war aber wirklich das letzte, zwei kräftige Herren schleppten Stefan Weber auf die Bühne, er krächzte 3-4 Nummern und dann haben sie in wieder runtergetragen. Das alles vor der Karlskirche, das Konzert war nämlich Teil der Wiener Festwocheneröffnung und ich wusste nix davon. Dann rief mich Peter an (oder war es Kathi? egal) und trotz Regen beschlossen wir uns das zu geben. Es war unglaublich, eine Replik auf die alten Zeiten. Es wurden rohe Eier ins Publikum geschmissen und rohe Hühnerteile. Was sie auf der Bühne alles aufführten, erwähne ich hier aus gutem Grund nicht. Am lustigsten waren fein gekleidete Festwocheneröffnungsgäste aus aller Herren Länder, die das überhaupt nicht packten.

Eine Veränderung unserer Beziehung brachte unser Engagement in der Politik. Leider nicht zum Guten – Peter stieg in Klosterneuburg bei den NEOS ein, ich in Wien bei den Grünen. In zahlreichen Diskussionen zeigten sich zwei doch recht unterschiedliche Weltbilder. Das konnte, das sollte, das durfte unsere Freundschaft nicht berühren. Und doch war es so. Wir hatten in der Zeit ohnehin weniger Kontakt und eine Zeit lang gab es Postings auf Facebook, die doch eine erhebliche Differenz zeigten. Wir konnten aber immer wieder gute Gespräche führen und die Differenzen diskutieren.
Dann wechselte Peter als Gemeinderat zur ÖVP. Das war für viele seiner Freunde ein Schlag, ich fand es weniger aufregend, weil seine Beziehungen in die ÖVP-Welt waren immer gut und er fühlte sich wohl. Zugleich lief es beruflich nicht optimal und es war Zeit für ihn neue Wege zu gehen. Unsere Freundschaft dümpelte vor sich hin, er hatte schließlich neben der Politik und dem Job noch eine Familie, die ihn zurecht auch forderte.

Dann kam der bittere Tag, an dem ich von seiner Erkrankung erfuhr: Krebs. Ein Stimmband raus, dann noch ein halbes. Hoffen, dass es damit erledigt ist. Das Wissen, dass gute Wünsche zwar nett sind, aber wenig ausrichten. Die Bitterkeit, schon vor vielen Jahren erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört zu haben und dann das. Einem Menschen, der von seiner Stimme lebt, von seiner Fähigkeit am Telefon zu kommunizieren, im Marketing, im Verkauf – mit einem Schlag fast vorbei.
Peter zog sich zurück, auch aus seinem riesigen Freundeskreis. Natürlich nicht ganz, aber doch spürbar. Auch wir sahen uns einfach seltener.
Dann kam die nächste schlimme Nachricht: Es ist wieder da. Und der Kehlkopf muss raus.
Das traf mich hart und ich fand keinen Zugang zu Peter. Bis zu dem Tag, an dem ich ihn einfach anrief, wissend, dass das Sprechen schwer fiel. Das Gespräch war lange und gut, ich sprach ihm so viel Trost zu wie nur möglich.

Was kann da noch passieren? Die Antwort ist einfach: Corona. Für einen frisch Operierten eine Katastrophe. Peter konnte nicht anders als sich möglichst umfassend zurückzuziehen. Der Kontakt beschränkte sich auf Emails oder Facebook-Postings. Aber die konnten keinen Trost spenden und die Freundschaft nur sehr schlecht aufrecht erhalten. Seine Verbitterung tat weh und tut es bis heute.

Dann kam der Herbst 2021 und der Start in die Football-Saison. Peter war seit Ewigkeiten im Football-Universum, viel länger als ich. Diesen Start feiern wir immer am ersten NFL-Spieltag bei einem Freund, der eine große Party gibt.
Peter war auch dort, nach langer Zeit wieder unter Menschen bzw. mit einer großen Gruppe. Nur ich war leider nicht da, weil ich mir genau an dem Wochenende einen alten Traum erfüllt hatte und nach Gstaad zum Konzert von Emmylou Harris gereist war.

So verpasste ich die Chance Peter zu sehen. Es sollte keine weitere geben. Das wusste ich damals natürlich noch nicht, denn Peter ging es den Umständen entsprechend gut und das war auch das, was ich erfuhr und was mich natürlich sehr freute.
Das hieß auch: Demnächst wieder beim Heurigen bei einem gepflegten Spritzer. Ich plante schon ihn anzurufen, dann kam alles mögliche dazwischen – egal, wir hatten es ja nicht so eilig.
Zumindest bis zum Neujahrstag 2022, als ich von einem Freund erfahren musste, dass der Krebs wieder gekommen war. Metastasen in der Lunge. Es sah schlecht aus, ich wusste das leider, weil ja 2014 drei meiner besten Freunde an Krebs verstorben waren.

Aber niemand gab die Hoffnung auf, auch Peter nicht. Er kämpfte sich durch eine Chemotherapie nach der anderen. Doch seine Facebook-Postings wurden weniger und die wenigen Freunde, mit denen er Kontakt hatte, zeigten nur mehr wenig Hoffnung.

Dann das Posting auf Facebook von einer Freundin, mit einer Todesnachricht. Ich dachte noch: Mein Gott, es ist was mit ihrem Vater! Aber dann war schnell klar, dass Peter gestorben war.
Am fünften Mai hatte er seine Frau kennengelernt.
Am fünften Mai hatte er sie geheiratet.
Und am fünften Mai ist er gestorben.

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Bild: Die Kerze von Peter und Julia

Peter hatte einen Sinn für Inszenierung. Wir verpassten ihm dafür ein Begräbnis, das wohl noch lange allen Anwesenden in Erinnerung bleiben wird. Die Stiftskirche in Klosterneuburg war gerammelt voll, der Bürgermeister – einer seiner engsten Freunde – hielt eine Rede, die mehr als außergewöhnlich war. Straßen wurden gesperrt für den Trauerzug zum Friedhof.

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Bild: Aufgebahrt in der Stiftskirche von Klosterneuburg. Ob er auch mit Sonnenbrille begraben wurde, ist nicht bestätigt

Und danach gab es eine Party wie sie dem Bacherl gefallen hätte – sehr gut gefallen sogar. Im Stollkeller, einem unserer Lieblingslokale, das schon lange geschlossen hatte und für uns, für Peter, einmal aufsperrte.

„Einst lehnte er im Stoll am Fassl,
heut lehrt er an der Uni Kassel.“

Der kleine Reim stammt von Peter und er druckte diese Wuchtel spontan an irgendeinem Abend viele Jahre davor, als wir beide am Fassl im Stollkeller standen.

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Bild: Am Fassl lehnend

Der Abend am Tag seines Begräbnisses wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Lachen und heulen zugleich, so viele Emotionen auf einen Haufen habe ich vorher noch nie erlebt. Auch bei mir selbst nicht. Es war zum Schluss wie eine Erlösung, auch für seine Frau Julia, die wahrlich keine leichte Zeit hinter sich hatte. So wie auch ihre beiden Kinder.
Ein paar Bilder können vielleicht einen Eindruck vermitteln.

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Bild: Am WC vom Stollkeller. Auch hier an jeder Ecke irgendein Bild vom Bacherl. So war es nun einmal notwendig. So gehört sich das.

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Bild: Auch das Wimmelbild im Garten vom Stoll spricht für sich. Der Verlust ist noch nicht fassbar, nicht verarbeitbar.

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Bild: Im Keller – auf diesem Bild finden sich alle Emotionen dieser Welt. Des Peters würdig.

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Bild: An der Bar vom Stollkeller. Mit Spritzer, Bier und guter Musik. Es gibt wohl keinen besseren Ort um vom Peter würdig Abschied zu nehmen. Inzwischen gibt es das alte Lokal nicht mehr. Irgendwie ist es mit Peter gestorben.

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Bild: Stowi und Andi spielen für uns, und speziell für Julia, während Peter im Hintergrund Blödsinn treibt.

Jetzt sind schon bald zwei Jahre vergangen. Peter ist präsenter als ich es erwartet hatte. Durch seine Frau Julia, die wieder nach vorne schaut und von allen herzlich willkommen geheißen wird. Durch die vielen Erinnerungen, die nicht nur in Klosterneuburg auftauchen, sondern auch sonst zu allen möglichen Gelegenheiten, in bunter, wilder Mischung sozusagen: Sprüche fallen mir bei Gelegenheit ein, oder ich treffe gemeinsame Freunde, oft zufällig, und dann ist Peter ein Thema.
Oder ich denke beim Schreiben an ihn, beim Musikhören, auf Konzerten, Festen, Veranstaltungen, Workshops etc. Es war eine Beziehung, eine Freundschaft, die mein Leben geprägt hat – so wie einige andere, aber nicht viele.
Diese Prägung wird anhalten, nicht nur bei mir, sondern bei erstaunlich vielen Menschen. Peter ist tot. Es lebe der Bacherl!

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