Buben in Dublin – ein Reisebericht

Donnerstag, 28. August 2014

Es braucht nicht viel Gepäck für so ein Wochenende: Jeans, Sweater, feste Schuhe, eine Regenjacke und einen Kulturbeutel – mit wenig Inhalt, nicht einmal Rasierzeug nehme ich mit. Das alles passt in den famosen englischen Hedgren-Rucksack, einer der besten Käufe meines Lebens und stets handgepäcktauglich.
Laut ÖAMTC-Website gibt es diesen kleinen Zweirad-Parkplatz noch, den ich vor Jahren am Flughafen entdeckt habe und bei dem es sich immer noch um einen Geheimtipp handeln dürfte. Er befindet sich gleich neben der Abflughalle, ist unbewacht, überdacht und kostenlos.

parkplatzschwechat

Mit dem Motorroller fällt jedes Staurisiko weg, ich gebe den Helm, die Handschuhe, den Nierengurt und die Protektorenjacke ins Topcase, nehme meinen Rucksack und marschiere zum Abflug, wo ich die Buben treffe: Rupert, Knochi, die Steiner-Brothers, Schnick, Roschl, Killer, Andi C., Gösser, Stefan, Fifi, Wiesi, Martin, Thomas F. und Andi H. – einige haben sich bereits mit einem Aufwärmbier die Wartezeit verkürzt.
Air Lingus fliegt in 2,5 Stunden direkt nach Dublin, dem Gösser haben sie sein Roll-On und sein Duschgel bei der Sicherheitsschleuse abgenommen, sonst ist alles im grünen Bereich. Bei Air Lingus muss man für jedes Gepäckstück zahlen (saftige Euro 63,-), wir haben aber alle nur Handgepäck und da zeigen sie sich einigermaßen großzügig, entsprechend eng geht es in den Overhead-Bins zu.
Im Flugzeug können wir es irgendwie nicht lassen etwas zu laut und etwas zu auffällig zu sein, etwa wenn wir Andi H. mit tosendem Applaus begrüßen, als er das Flugzeug betritt. Der Pilot schafft es dann jedoch tadellos den Kurs zu halten, obwohl Andi H. Fifi und Wiesi alle rechts sitzen und wir demgemäß eigentlich in Dubai landen müssten und nicht in Dublin.
Andi H. kauft sich noch am Flughafen einen Football-Sweater, den er dann auch braucht, weil er beim Anprobieren (oder davor oder danach) seinen eigenen ließen lässt und erst im Taxi drauf kommt.
Das Taxi ist bei geteilter Rechnung billiger als der Bus und wir landen gut im Ripley Court Hotel. Das stellt sich als alter, unglaublich düsterer Kasten heraus, dem ich trotzdem eine Empfehlung geben möchte, schließlich habe ich nichts anderes erwartet und es hat uns eigentlich an nichts gefehlt.

ripley

Wir zahlen 70,- Euro pro Nacht im Dreibettzimmer, was zu der spannenden Frage führt, wer schnarcht und wer nicht. Ich erwische mit Gösser und Killer zwei Gelegenheitsschnarcher, die nur in bestimmten Schlafpositionen so richtig loslegen, wobei sich auch der Alkoholisierungsgrad als Einflussfaktor erweist.
Kurz gesagt, bis auf ein kleines Wäldchen wurde nichts gesägt.

Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Sinn der Reise, denn es handelt sich um ein echtes Buben-Wochenende, an dem beruflich und privat vielbeschäftigte Familienväter in den besten Mannesjahren einmal im Jahr unbeaufsichtigt Schabernack treiben dürfen. Die Grenzen stecken die Iren, wir selbst und eine gewisse moralische Lässigkeit, am Rande flankiert von Budget und Alterserscheinungen – mehr dazu später.
Ich darf noch erwähnen, dass ich das erste Mal auf der grünen Insel bin und entsprechend voller Erwartungen und Klischees, sie sich so ziemlich alle als Volltreffer erweisen.
Da wäre etwa die skurril-britische Zimmereinrichtung mit Bügelbrett und Mini-Teebar – beides ließen wir unbenutzt. Die unpassenden Stecker (Irland-Profi Killer hat einen Adapter mit) passen zur unsäglichen Erfindung getrennter Wasserhähne und der Duschkopf ist fix an der Wand befestigt und höhenmäßig eher für Zwerge konzipiert, was für mich eine stets devote Duschhaltung bedeutet.

becken

Auf den Betten liegen jeden Tag auf´s Neue seltsame rote Stoffbahnen und Zierkissen und die Fenster kann man nur kippen und auch da nur die Hälfte.
Überall befindet sich watteweicher Teppichboden und der Iren liebste Chemikalie dürfte Chlor sein, auf jeden Fall riecht es im ganzen Hotel immer nach Jörgerbad.

Wir treffen uns nach dem Einchecken, um irgendwas gegen den Hunger zu tun – die Air Lingus Snacks waren mies und teuer – und marschieren zum Pub gegenüber und auch gleich wieder hinaus, weil uns Markus mit den Worten „do brunzelts“ davon überzeugt eine andere Lokalwahl zu treffen.
An dieser Stelle sind ein paar Worte zur Gruppendynamik fällig. Wir sind jetzt eben 8 Leute, die alle die Straße hinunterschlendern. Die anderen kommen nach oder gehen woanders hin, wobei 2 gerade in ein Geschäft hinein gehen und von den restlichen 6 nur mehr 4 zu sehen sind, von denen 2 eher nach links tendieren und die anderen zwei geradeaus gehen wollen oder vielleicht auch nach links. Oder nach rechts.

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Kurz und gut, nach wenigen Augenblicken hat man sich aus den Augen verloren. Wenn man sich nicht immer an Andi (deutlich über zwei Meter groß) anhängt, ist man sofort allein. Da hilft die Erfindung des Handys, denn sonst läuft man den anderen nur per Zufall über den Weg (das hat bei mir zwei Mal geklappt, ich hatte mein Handy nämlich ausgeschaltet) oder das ganze Wochenende gar nicht.
Jedenfalls landen wir an einer Ecke im O´Sheas, einem Hotel mit Restaurant und Bar, das aussieht wie ein Pub und sich auch so anfühlt. In einem Hinterzimmer ergattern wir einen Tisch für uns 9. Eigentlich sollte man Servierpersonal ja nur nach eingehender Spezialschulung auf uns loslassen, die kleine Irin ist jedoch recht robust und hält uns aus, vor allem, weil sie noch nicht weiß, dass wir die nächsten Tage noch öfter hier antanzen werden, allerdings nie mehr in Vollbesetzung.
Ich lerne schnell, dass Getränke in Dublin teuer sind und sich gut auf Guinness (Bier), Bulmers (Cider) und Jameson (Whiskey) zusammenfassen lassen. Als Unterlage eignet sich so ziemlich alles, was man hier zu essen bekommt, weil die notwendige Fettration überall reichlich enthalten ist.
Ich will es klassisch und entscheide mich für Fish & Chips, was sich als gute Wahl herausstellt.

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Auch die restlichen 5 sind inzwischen eingetroffen und unterziehen den Guinness-Zapfhahn einem ersten Stresstest, den dieser jedoch ohne Punkteabzüge besteht.
Nach dem Essen geht es weiter Richtung Stadtzentrum, wobei sich hier alles in Gehdistanz abspielt – zumindest die für uns wichtigen Orte wie Hotel, Stadion und Temple Bar District. Letzterer ist ein Stadtviertel, in dem sich sozusagen alles abspielt, vergleichbar mit dem früheren Bermuda-Dreieck in Wien, der Khaosan-Road in Bangkok oder der Bahnhofstraße in Zürich.
Dublin sieht großteils so aus, wie ich es mir vorgestellt habe: Backsteingebäude, an jedem Eck ein Pub oder auch vier, rothaarige Menschen mit Irland-Teint (dauerregen-bleich) und Autobusse, Autobusse, überall Autobusse, die meisten davon doppelstöckig. Der Lokal-Mix ist bunt, die Pubs sind absolut vorherrschend und wirken von außen meist recht einladend und gemütlich. Dicht auf den Fersen sind ihnen die Pizza-Fastfood-Läden, die meist von Pakistanis betrieben werden und meist auch Burger, Kebab oder Fish & Chips anbieten.
China-Restaurants sowie die großen amerikanischen Burger-Ketten runden das Bild ab, wobei nicht nur McDonalds architektonisch heraussticht, weil sich die Filialen erstaunlich gut an das Stadtbild anpassen – bis auf einen Schriftzug ist meist gar kein CD zu erkennen, übrigens auch nicht bei Starbucks, von denen es ebenfalls jede Menge gibt.

mcdonalds

Die Preise sind etwas höher als bei uns, wobei wir an einem ganz besonderen Wochenende hier sind, es spielen nämlich am Samstag die Penn State Lions gegen die UCF Knights – zwei US-Collegeteams, die mit Sack und Pack angereist sind und einmal im Jahr ein Meisterschaftsspiel in Irland austragen. Deswegen ist Dublin mit Amis quasi abgefüllt und bemüht sich sehr diese Amis wiederum mit Guinness abzufüllen – die Stadt hat ca. 200.000 Einwohner und es sind etwa 40.000 Amis da. Zum Spiel kamen übrigens 53.000 Zuseher.
Die Amis sind überall auf der Welt leicht zu erkennen, diesmal besonders gut durch die Fan-Kluft, die sie fast alle tragen.
Ein Pint Bulmers Cider kostet in der Temple-Bar im Herzen des gleichnamigen Districts 6,85- Euro. Das Guinness ist ein wenig günstiger und am Stadtrand schon um 4,50 zu haben.

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Wir finden in der Temple-Bar einen erstklassigen Platz im überdachten Freien, was vor allem die Raucher freut. Generell herrscht hier schon seit vielen Jahren in allen Lokalen Rauchverbot, was aber niemand wirklich zu stören scheint und der Gemütlichkeit keinerlei Abbruch tut. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier und bei uns wird auch in ein paar Jahren kein Hahn mehr danach krähen.
Extrem auffällig ist auch die hohe Dichte an SPAR-Märkten. Ich schätze, der dänische Konzern hat irgendwann eine große lokale Supermarktkette übernommen. Die Supermärkte haben oft bis Mitternacht offen und dafür auch eine „special license“, was sehr praktisch ist, wenn man am Heimweg noch eine Wasserflasche gegen den morgendlichen Brand kaufen möchte, das Leitungswasser ist doch recht chloriert.
Die Temple-Bar ist riesig, es gibt Live-Musik, an diesem Wochenende allerdings leider nicht irisch, sondern amerikanisch – an jeder Ecke kannst Du dich an „Brown Eyed Girl“ tothören.

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Wir können uns gute Plätze und die Aufmerksamkeit des Servierpersonals besorgen. Andi bestellt um 14 Euro ein Sixpack Austern und erntet Hohn und Spott, weil es in der Karte um 12 Euro ebenfalls ein Sixpack Austern plus ein Pint Guinness gibt – so ganz ist die Preisgestaltung hier nicht zu durchschauen.
Eines wurde mir übrigens schnell klar: Half-Pint geht gar nicht, denn das bedeutet ersten erheblichen Reputationsverlust in der zunehmend lauter gröhlenden Runde („Jo wos is´n des?“) und zweitens kostet es unerheblich weniger als das doppelt so große Pint, das hier übrigens immer und überall sehr gut eingeschenkt wird, randvoll quasi.
Gerade recht kommt uns jetzt auch das nette Angebot eines Bloody-Mary-Oyster-Shots, die sie hier wohlfeil um 12 Euro im Sixpack anbieten, inklusive Zitrone und Tabasco. Nach drei bis vier Runden ist jedoch bei allen eine gewisse Sättigung mit den kleinen Schleimbatzen zu erkennen und es wird ordentlich nachgespült, meist mit einem Guinness oder zwei.

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Flotter als das Bier macht nur der Schmäh die Runde, vor allem als wir noch die Herren Sascha, Sladi, Peter und Blockmalz-Harry begrüßen dürfen, die mit einer anderen Fluglinie und daher anderem Zeitplan nach Dublin gekommen sind – es warat wegen dem Ausschlafen am Sonntag, wie sie meinen.
Heute gehört die Hütte uns, so viel ist schnell klar, wenngleich wir später noch einen Wechsel ins Quays gegenüber machen, weil auch dort ordentlich was los ist und gepflegtes Bier ausgeschenkt wird.
Fifi beschließt uns in dem überfüllten Lokal etwas Platz zu verschaffen und stellt einen ab. Dieser ist so gewaltig, dass nicht nur rundherum plötzlich alles frei ist, sondern auch eine unmissverständliche Mitteilung vom Kellner an ihn ergeht, dass bei einer Wiederholung der Untat ein sofortiger Hinauswurf bevorstünde.
Vor der Türe ist es übrigens auch nicht gerade menschenleer, wenngleich hier immer wieder zarte Schauer hernieder gehen. Mit Bierglas darf man übrigens nicht hinaus, die Türsteher haben allerdings stets einen Plastikbecher zum Umfüllen bei der Hand.
Das Wetter ist übrigens das ganze Wochenende irisch, d.h. es wechseln sich Sonne und Regen im Stundentakt ab. Alles in allem bleiben wir jedoch äußerlich weitgehend trocken.
Irgendwann gegen 23 Uhr beschließen Gösser und ich ins Hotel zu gehen, unterbrochen nur durch die eine oder andere Heißhungerattacke, die ihn immer dann befällt, wenn wir an einem der noch offenen Fastfood-Läden vorbei gehen. Das führt dazu, dass er sich letscherte Hot Dogs und kalte Pizza („bevor die mir das in die Mikrowelle hauen, ess ich es lieber so“) einwirft und noch bis Samstag eine Art Klumpen im Magen mit sich herum schleppt.

Freitag, 29. August

Die Gruppendynamik bleibt spannend, weil trotz äußerst verschiedener Hotelrückkunftszeiten irgendwie alle rechtzeitig zum Frühstück erscheinen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Verfassung.
Das English Breakfast heißt hier Irish Breakfast und ist genau das gleiche. Fifi magaziniert mit einem Teller Baked Beans mit Tomatensauce für den heutigen Tag auf, alle anderen genehmigen sich die übliche leichte Kost: Ham & Eggs, gebratene Würstel und „Black Pudding“ – so heißt hier die Blutwurst. Toast, Tee und ein unbestimmbares Getränk, das offiziell als „Kaffee“ angeboten wird, runden das nicht ganz fettfreie Frühstück ab, wohlfeil um 5 Euro und vom Wiesi auch nach dem dritten Teller für erledigt erklärt. („Jetzt geh i schlofn“.)

Jetzt zeichnet sich wieder eine Aufsplittung der Gruppe ab: Gösser möchte eine Landpartie zu den Klippen einer nicht weit entfernten Insel machen, Killer will zur Jameson Destillerie, einige bevorzugen eine Stadtrundfahrt und andere wissen nicht, was sie wollen. Die Vorerfahrungen könnten unterschiedlicher nicht sein, vom Dublin-Profi Knochi und Markus bis zum blutigen Anfänger (ich).
Letztlich wählen wir die Hop-on-hop-off-Tour, für die es zwei Anbieter gibt. Wir entscheiden uns für die grüne Tour, weil da im Preis auch eine Dock-Tour inkludiert ist. Bei der Guinness-Brauerei sowie bei der Jameson-Destillery halten alle, daher fällt die Wahl letztlich leicht und auch der Killer ist zufrieden, zumindest bis zu dem Zeitpunkt des Einsteigens in den Bus, als er entdeckt, dass er die Fahrkarte (17 Euro) nicht mehr findet und noch ein zweites Mal kaufen muss.
Die Busse sind doppelstöckig, wobei der obere Stock zu einem Drittel überdacht ist. Da es nieselt wollen wir einen Bus mit freiem Dachabteil und müssen daher etwas warten, weil der gerade für die Abfahrt bereite Bus oben schon besetzt ist. Also raucht man eine. Dann kommt der nächste Bus, Leute steigen ein und besetzen einen Teil des oberen Stocks, was wiederum dazu führt, dass wir auf den nächsten warten müssten und die Burschen dazwischen eine rauchen können.
Dann wird es mir zu blöd und ich gewinne eine Mehrheit für eine Einsteigaktion.
Letztlich haben wir das ganze Dachabteil für uns, irgendwie und aus irgendwelchen Gründen haben uns die anderen Touristen Platz gemacht, Fifi ist aber unschuldig, seine Chemiewaffe kam diesmal nicht zum Einsatz.
Die Fahrt wird zu einem der Höhepunkte dieses Wochenendes, weil jeder von uns allein schon eine Dreckschleuder ist, gemeinsam jedoch können wir ungeahnte Momente aus dem Nichts erschaffen, bis sogar dem Schmäh selbst schwindlig wurde und der Tourleiter am Mikrophon einen Stock tiefer anmerkt, dass er sein eigenes Wort nicht mehr versteht.
Wir zeigen uns eher unbeeindruckt und starren um die Wette auf hübsche Mädchen unten auf der Straße, wodurch uns natürlich wichtige Sehenswürdigkeiten entgehen – nicht jedoch die Tatsache, dass ganz Dublin voll von Kirchen ist. Von einer grüßt sogar ein Priester und winkt uns zu.

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Bei der riesigen und weitläufigen Guinness-Brauerei beschließen wir nicht auszusteigen, sehr wohl jedoch bei der Jameson-Distillery. Der Busfahrer gibt noch per Funk an all seine Kollegen durch, dass sie bei unserem Anblick an der Haltestelle unverzüglich durchstarten sollen und entschwindet dann in der Ferne.
Wir marschieren um´s Eck und entdecken eine unglaublich lange Schlange an Touristen, die alle auf eine Führung warten. Da die prognostiziert-geschätzte Wartezeit etwa drei Stunden betragen dürfte, beschließen wir nur auf die Toilette und in den Gift-Shop zu gehen. Ab jetzt werden uns kleine Jameson-Flaschen in der Brown Bag durch den Tag helfen.

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Die Diaspora unserer Gruppe ist wieder einmal komplett vollzogen, der gemeinsame Treffpunkt könnte am Nachmittag die Cheerleader- und Marchingband-Parade im Temple-Bar District sein, was jedoch misslingt. Ich fahre mit einer kleinen Restmannschaft zurück ins Zentrum und mache noch die Dock-Tour, die man sich allerdings getrost schenken kann. Einziges Highlight ist eine Brücke in Form einer Harfe, irgend einem irischen Schriftsteller oder Dichter gewidmet.

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Einer der Steuerungsmechanismen unserer Gruppe sind Durst und Hunger. Jetzt etwa betrifft es mich, ich brauche dringend eine Stärkung in Form von Fish & Chips, aber die Herren Schnick und Roschl werden zu Mädchen und müssen jedes Schuhgeschäft von innen ausgiebig bestaunen. Da es jede Menge Schuhgeschäfte gibt, dauert das ewig und mein Hunger wird nicht kleiner. Dann ist auch noch die Zeit für die Parade, aber bei der Temple Bar erfahren wir von Penn-State-Fans, dass ihre Parade erst um 16.30 beginnen wird, aber die von UCF soll angeblich irgendwo dort drüben schon früher sein.

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Wir marschieren irgendwo dort hinüber und finden einen Platz, wo ein paar gelangweilte Musiker üben und eine Handvoll Cheerleader herum stehen. Etwas enttäuscht ziehen wir wieder ab und marschieren über die Brücke, wo wir einige der Buben treffen, die uns in die „Church“ schicken, einer zur Bar umgebauten Kirche.

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Dort warten Sascha, Blockmalz-Harry und Andi H. bei einem Getränk auf bessere Zeiten. Ich nütze die Chance um das erste Mal in meinem Leben Stoffwechselprodukte in einer Kirche zu hinterlassen und kenne jetzt das Designer-Häusl der Church.

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Dann marschieren wir endlich in Richtung Fish & Chips, doch dem Roschl gefällt die Bude nicht. Mir eigentlich auch nicht, aber ich habe schon richtig Hunger und eile daher zu einem anderen Lokal, das mir schon früher aufgefallen ist. Die anderen gehen weitere Schuhgeschäfte anschauen, während ich das zu teure und nicht wirklich gute Essen runterwürge.
Die anderen gehen einstweilen ins O´Sheas und speisen köstlich, ich marschiere ins Hotel zwecks einer kleinen Ruhepause. Am Abend könnte es ja noch intensiv werden. Beim Hotel treffe ich den Gösser, der gerade von seiner Inseltour zurück kommt und auch entsprechend müde ist, jedoch noch für seinen kleinen Sohn shoppen gehen möchte.
Ein wenig ausruhen, dann geht es ins „Quays“, das wir schon vom Vorabend kennen. Diesmal ist fast die ganze Runde vollständig und wir haben jede Menge Gaudi mit jeder Menge netter Menschen, etwa mit Tanja von der Isle of Man. Noch jemand ohne Foto mit ihr? Nein? Gut!

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Auch die seltsamen Leutchen mit ihrem noch seltsameren Schild werden von uns befragt. Es stellt sich heraus, dass sie von einer Sekte sind und was auch immer predigen.

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Wir predigen Guinness in Theorie und Praxis und sind damit wesentlich erfolgreicher. die Zweimann-Band holt das letzte aus den feiernden Amis heraus und die Stimmung ist überall wirklich gut, vor allem weil es nur hin und wieder tröpfelt, also vom Himmel.

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Irgendwann ist auch dieser Abend zu Ende und ich marschiere alleine zurück zum Hotel. Gösser ist bereits da und Thomas wird auch nicht allzu spät eintreffen. Auch der zweite Tag war ein voller Erfolg.

Samstag, 30. August 2014

Auch im Ripley Court Hotel grüßt täglich das Murmeltier und so versammeln sich alle zur Einnahmer fettreicher Speisen, meist noch leicht gezeichnet vom Vorabend. Aber heute ist Game Day und alles steht im Zeichen des American Football. Ich marschiere mit ein paar von den Jungs noch in den Temple-Bar-District um ein wenig Tailgating zu erleben. Es dient aber eher dem Zeitvertreib und ich erspare mir das Bier am Vormittag (ICH, nicht so manche andere…). Dann geht es Richtung Croke Park Stadium, denn ich möchte noch vor dem Kickoff dort sein. Das wollen auch viele andere und die zuerst einzelnen kleinen Grüppchen, die dem Stadion zuströmen, werden mehr und größer und dichter, bis wir am Schluss in einer langen, trägen Menschenschlange auf das beeindruckende Gebäude hinwandern.

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Ich habe mir noch Sandwiches und Wasser gekauft, die sie mir aber beim Eingang sicher abnehmen werden – gerade bei so einem Match wird die Sicherheitslage gespannt und die Kontrolle entsprechend scharf sein.
Dachte ich bis jetzt. Es gibt de facto genau überhaupt keine Security, ich marschiere durch ein Drehgitter, zeige meine Karte und bin drin. Es gibt keine lange Schlange und keine Abtastungen, ich hätte weiß Gott was hineinschmuggeln können.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass American Football traditionell eine friedliche Sportart ist. So brutal es am Spielfeld aussieht, so friedlich gehen die Fans miteinander um. Es gibt nahezu nie Raufereien und beim Tailgating vor dem Stadion grillt man gemeinsam und trinkt untrinkbare Biersorten, zumindest in USA.

Es ist das erste große Footballmatch in meinem Leben und damit auch das erste College-Match, das ich live sehe. Da die Teams aus USA angereist sind, haben sie nur einen Bruchteil ihrer Entourage mit, also z.B. nur 7 Cheerleader-Girls und eine winzige Marching Band. Zu Beginn springen zwei Fallschirmspringer ins Stadion, von denen es aber nur einer schafft, der andere knallt außen an die Stadionwand und ward nicht mehr gesehen.

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Dann gibt es ein Fly-Over mit zwei Jets und die üblichen Rituale vor Spielbeginn. Das Stadion fasst max. 80.000 Personen und wenn man die Sitze sieht, weiß man warum. Sie sind auch für zart gebaute Gäste winzig, die Herren Wiesi, Fifi, Sascha und Andi H. haben ihre liebe Not und suchen sich zeitweise anderswo eine Reihe, wo mehrere Sitze nebeneinander frei sind.

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Wir sitze auf der UCF-Seite und wissen nicht wirklich genau, zu wem wir halten sollen. Penn State hat deutlich mehr Fans, UCF gilt als die eigentlich stärkere Mannschaft, die jedoch im ersten Viertel bereits zurück liegt und langsam schwappen die Sympathien in Richtung Florida. Die Cheerleader tun ihr Bestes und zeigen sich als wahre Profis: kräftig gebaute junge Männer und kleine, auch kräftig gebaute Mädchen zeigen sensationelle Akrobatik. Ich habe noch nie versucht ein Mädchen in die Höhe zu halten, die nur auf einer meiner nach oben gestreckten Hände steht und ich werde es auch nie tun. Die Cheerleader können es und zwar nicht nur einmal. Ihre Show dauert drei Stunden, so lange wie das Spiel.

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In der Halbzeit zeigen die Iren eine ihrer Nationalsportarten, von der ich bisher nicht einmal noch gehört habe: Hurling. Das ist eine seltsame Mischung aus Rugby, Cricket, Basketball, Baseball und noch einigen anderen Sportarten. Es wird mit kleinen Bällen gespielt und jeder hat eine Art Schläger in der Hand, der so lange wie ein Baseballschläger ist, aber flach. Das Spiel ist extrem schnell und sie pracken wie die Irren (Iren) auf den Ball, ohne Rücksicht auf andere Spieler und deren Körperteile. Außerdem spielen sie das alles ohne Handschuhe. Ja, auch der Torwart.

Die zweite Spielhälfte wird richtig spannend, nach ein paar Big Plays liegt UCF kurz vor Schluss zwei Punkte vorne. Wenn sie jetzt den letzten Angriff von Penn State abwehren können, gewinnen sie das wichtige Spiel. Jetzt hält es niemand mehr auf den Sitzen, es entwickelt sich zu einem richtig guten Spiel, bei dem letztendlich Penn State die Nase vorn hat und noch ein Fieldgoal erzielen kann. Es endet 24:23 und man sieht, wie groß die Enttäuschung bei UCF ist.
Ich bekomme noch die Gelegenheit die Cheerleader zu fotografieren, dann geht es auch schon wieder zurück in die Stadt.

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Wie üblich fällt die Wahl auf das O´Sheas, in dem heute ebenfalls Sport angesagt ist. In dem proppenvollen Lokal bekommen wir tatsächlich noch einen Tisch und können ein frühes Abendessen genießen. Meine Wahl fällt diesmal auf Lamb Stew, traditionell und durchaus empfehlenswert. Dazu sehen wir noch eine Übertragung eines Gaelic-Football-Matches und lernen die zweite völlig unbekannte Sportart kennen. Jetzt ist es eine Mischung aus Rugby und Handball, mit unten einem Fußballtor und oben einem American-Football-Tor. Das Spiel ist auch extrem körperbetont und wir spülen die Eindrücke mit einem Guinness runter.

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Bei mir geht dann die Energie auf Reserve und ich mache die letzte Tour zur Temple Bar nicht mehr mit. Wir müssen morgen am Sonntag um 05.30 raus, weil um 07.30 die Maschine zurück nach Wien geht. Ein ruhiger Abend im Hotel ist auch okay.

Sonntag, 31. August

Der Taxifahrer ist extrem gesprächig und gut aufgelegt, seine Schmähs sind gut und so sind wir im Nu am Flughafen. Da wir am Vorabend bereits online eingecheckt haben und die Security hier in Dublin sehr flink arbeitet, sind wir bald am Gate und warten auf den Heimflug. Auch dieser verläuft unspektakulär, die Mitreisenden müssen mit der einen oder anderen Fahne leben und auch mit dem dazu passenden Schmäh. Immerhin – es hat keiner geklatscht bei der Landung.
Auch meine brave Honda steht noch da und ich komme ohne weiteren Regenschauer nach Hause.
Als ich das Handy aufdrehe, sehe ich die Nachricht vom Tod meines lieben Freundes Oliver. Irgendwie bin ich froh, dass ich sie nicht in Irland bekommen habe. So war es ein wirklich schönes Wochenende mit den Buben.

Zero SR – Oberliga des Elektromotorradfahrens

Nach der Zero FX (siehe früherer Beitrag) durfte ich jetzt die „große“ Zero testen. Sie ist von der Konstruktion her ein Naked Bike und kommt einem herkömmlichen Motorrad vom Fahrgefühl schon sehr nahe.
Einen ausführlichen Test gibt es im motomobil: http://www.motomobil.at/component/content/article/37-test-technik/647-zero-sr-test-e-bike
Ich möchte hier nicht alles, was dort steht, noch einmal herunterbeten. Daher werde ich mich auf die Besonderheiten und Unterschiede beschränken.

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Kraft und Beschleunigung
Alan Cathcart schreibt, dass die Zero SR „in der Beschleunigung aus dem Stand besser ist als fast alles, was Räder hat.“ Nun, dann ist er noch keine starke Maschine gefahren. Natürlich geht sie saugut und die Art der Kraftentfaltung ist angenehm und faszinierend, aber jede gute GSX-R 750 ist besser, von den 1000ern ganz zu schweigen. Allerdings müssen die sich auch gehörig anstrengen, um der SR davon zu fahren.

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Lassen wir die Kirche im Dorf, die SR geht etwa wie eine 600er Supersport, allerdings nur bis ca. 140 km/h, dann wird die restliche Beschleunigung etwas zäh bis zur Spitze von ca. 160.
Das reicht für jede normale Tour, denn der wichtige Geschwindigkeitsbereich von 40 bis 120 wird sehr gut abgedeckt. Ich bin gestern einer Supermoto davon gefahren, deren Fahrer bis in die Haarspitzen (unterm Helm zwar nicht zu sehen, aber es war so) motiviert war – ich hatte nämlich ein holländisches Kennzeichen und er war auf seiner Hausstrecke von Katzelsdorf hinauf auf den Tulbinger Kogel unterwegs. Also war ich Feind, Doppel-Feind, den er unbedingt herbrennen musste. Seine Karten waren auch gut gemischt, denn er kannte die Strecke und vor allem sein Bike in und auswendig. Und ich hatte gerade mal 15 km auf dem Sattel und kenne die Strecke eher so na ja. Außerdem traue ich mich mit einem Testbike die Kurven lange nicht so zu fahren wie es das Bike könnte.

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Auf jeder Geraden wurde er hinter mir kleiner und frustrierter. Nach etwa der Hälfte ließ ich ihn vor und hängte mich dann an ihn an. Das Gerudere war köstlich anzusehen, sein rausgestrecktes Bein in jeder Kurve, um nur ja alles ausnützen zu können.
Das ist die Zero SR. Lautlos, unauffällig und ein Pain in the Ass für Superbike- und Supermotofahrer, die alles und jedes bekämpfen müssen, was sich so auf der Straße bewegt und zwei Räder hat.

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Reichweite
Nach der FX hatte ich die Hoffnung auf wirklich üppige Reichweite, so um die 200 km werden angegeben. Die kann man auch fahren, allerdings in der Geschwindigkeit und Beschleunigung einer Automatik-Vespa. Wer im Sportmodus ordentlich Strom gibt, sieht die Batterievorräte schmelzen wie Eis in der Sonne. Dann werden 100 Kilometer schon eher zum Problem.
Das Bike hat einen Schutzmodus, wenn die Akkuleistung einen bestimmten Wert unterschreitet, regelt er automatisch ab, damit man noch ausreichend Reichweite hat. Vielleicht kann das Zusatz-Akkupaket, das man dort montieren kann, wo sonst der Tank bei einem Motorrad sitzt, noch ordentlich was drauflegen, aber mein Testbike hatte es nicht dabei.

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Die Hinterbremse wurde angeblich verbessert und es ist jetzt ein spanisches Fabrikat montiert. Nach der Testfahrt frage ich mich, ob Spanier echte Hinterradbremser sind. Bei der Bremsleistung dürfte das eher nicht der Fall sein. Mit anderen Worten: Man könnte eine tadellose Gewichtsersparnis erzielen, wenn man die Hinterradbremse einfach ausbaut. Sie ist nämlich wirkungslos und bedeutet nur zusätzliches Gewicht, das von der Vorderbremse mitgebremst werden muss. Ja, ich rede wirklich von komplett wirkungslos. Erstens ist sie schwergängig und sobald eine erste zarte Wirkung eintreten könnte – wirklich noch davor – blockiert sie. Das ist nicht nur ihre Schuld, die Lastverteilung ist sehr weit vorne und gerade bergab bleibt hinten quasi kein Gewicht übrig. Wie gesagt: ausbauen.
Im folgenden Bild ist sie gut zu sehen, vor allem aber auch die wunderhübsch geschweisste Schwinge. Generell wirkt die Zero hochwertig gearbeitet – das dürften die Amis drauf haben, zumindest die von Zero, wenngleich ich anmerken muss, dass fast alles zugekauft wird.

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Anders die Vorderbremse. Sie erfüllt ihre Pflicht und zieht ziemlich gut. Trotzdem wünsche ich mir eine zweite Scheibe – von mir aus sollen sie die von hinten nach vorne verbauen. Die Bremswirkung wirkt etwas filigran, wobei das auch an der Upside-Down-Vordergabel liegen kann. Generell empfand ich das Fahrwerk als etwas zu schwammig – eben filigran. Bei der Kraftentfaltung will ich ein sehr stabiles Fahrgefühl. Vielleicht lässt sich mit der Gabeleinstellung was machen, ich habe das nicht ausprobiert, aber die Verwindung in Kurven ist spürbar, sogar für mich als Rollerfahrer, der bei alten Vespas einiges gewohnt ist.

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Alles in allem ist die Zero ein absoluter Gewinn auf dem sehr breit gestreuten Motorradmarkt. Das fast geräuschlose, stets Staunen erweckende Gleiten, dazu die tolle Kraftentfaltung machen das Bike zu einem Spaßfahrzeug, dessen Faszination noch fast niemandem bekannt ist. Man muss sie fahren, ausprobieren und dem Charme elektrischen Fahrens erliegen – ich kann das nur empfehlen. Am nächsten Bild sieht man gut die Größenverhältnisse – mein lieber Freund und Motorradmechaniker hat den Radstand nachgemessen und für gut befunden. Er wünscht sich eine andere Lenkgeometrie: die Griffe der Lenkstange hinter dem Gabelholm – aber das ist Geschmackssache, so wie die Sitzposition. Anfänglich erschien sie mir stark nach vorne gestreckt, nach 50 km hatte ich mich daran gewöhnt und als ich nach Ablieferung der Zero auf meine SH stieg, hatte ich ein extrem seltsames Fahrgefühl – ganz abgesehen von der plötzlich fehlenden Kraft.

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Ein Schwachpunkt zeigte sich leider bei beiden Touren: Bei engagierter Fahrweise in bergigem Gelände wird der Motor heiß. Dann blinkt eine gelbe Temperaturwarnlampe und man erschrickt. Die Betriebsanleitung zeigt, dass dann das „Temperaturmanagement“ zu arbeiten beginn und dass das keinerlei Befürchtung hervorrufen sollte. Trotzdem wirkt es seltsam und wenn man dann nicht „vom Strom“ geht, regelt irgendwann die Elektronik den Motor ab. Das passiert somit dann, wenn es gerade am Schönsten ist – ein Nachteil, der bei herkömmlichen Motorrädern nicht auftritt. Ich darf noch erwähnen, dass die Testfahrten an keinem heißen Tag durchgeführt wurden und dass ich die Zero eher vorsichtig gefahren bin.
Kein Motorrad für den Stadtverkehr – so viel steht für mich fest. Erstens empfehle ich jedem in der Stadt ein Fahrzeug mit Durchstieg – für den Fall eines Seitenaufpralls – zweitens orientieren sich die Menschen akustisch und nicht optisch, was zu unschönen Gefahrenmomenten führen kann, und drittens ist sie für die Stadt einfach übermotorisiert. Für eine nicht allzulange Spritztour ist sie dafür eine echte Alternative zu starken Motorrädern und macht enorm Spaß.

Zero FX – Elektromotorrad light, aber nicht schwach

Vor zwei Jahren durfte ich schon die Zero DS testen. Inzwischen hat sich viel getan in der kalifornischen Motorradschmiede. Die Fahrzeuge sind ausgereift und werden in Serie gebaut.
Der Preis: knapp unter 10.000 Euro, also in etwa so viel wie ein Piaggio MP3 500 Roller. Die Vergleichbarkeit ist jedoch ansonsten gering – die FX wiegt laut Werksangabe knapp 127 kg, der MP3-Roller mehr als das doppelte.

Dopplerhuette

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Die getestete Version hat einen stärkeren Motor und kostet knapp über 12.000 Euro. Dafür bekommt man schon sehr gute Motorräder, aber nichts vergleichbares.
Bleiben wir bei der FX. Sie ist designmäßig inzwischen ziemlich anspruchsvoll und sieht bei weitem nicht aus wie irgendein Elektro-Versuchsmobil, das im Hinterhof zusammengeschustert wurde. Die Qualität wirkt gut, zumindest soweit man das bei einer ersten Begutachtung und Probefahrt sagen kann. Die Bremsen ziehen ausreichend, die hintere ist sogar ein wenig zu scharf, man blockiert fast sofort.

Zero baut verschiedene Modelle. Das ist das leichteste und schwächste. Allerdings muss man hier aufpassen, die Motorleistung entspricht zwischen 40 und 90 km/h etwa einer 750er Enduro, sie zieht erbarmungslos ab, jeder Überholversuch wird zu einer Sekundenangelegenheit: von 0 auf 100 in vier Sekunden. Das war bei der getesteten Zero DS vor zwei Jahren auch schon ähnlich, nur wog diese noch knapp 200 kg und war deutlich voluminöser. Bild: Vorbei am Wienerwaldgasthof Bonka in Oberkirchbach.

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Ein Vergleich darf noch sein: Die KTM Duke 690 hat 70 Nm bei 5.500 U/min, die Zero legt 95 hin, und zwar gleich. Damit es einen nicht sofort abwirft, wird elektronisch über eine Steuereinheit abgeregelt. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei ca. 135 km/h, aber für die Autobahn sollte man sich sowieso was anderes kaufen. Im folgenden Bild sieht man vor allem wie breit der Lenker ist – für meine Begriffe schon an der Grenze des Bequemen:

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Hier wirkt alles leicht und filigran, aber nicht zerbrechlich. Auch die Schalter, das Display und die Plastikteile muten stabil an, es ist ein echtes Motorrad und beschränkt sich auf die notwendigsten Bedienelemente.

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Tacho

Am Bedienfeld kann man zwischen „Eco“, „Sport“ und „Custom“ wählen, das sind drei Betriebsmodi. Im ersteren spart man Strom, die Motorleistung ist gering, aber dafür schafft man es bis zur nächsten Steckdose. Es reicht übrigens eine ganz normale und das Kabel hat man auch immer dabei – wenngleich es sonst keinerlei Gepäckraum mehr gibt. Wer was mitnehmen will, wählt den Rucksack.

tankstelle

Im Sportmodus geht die Post ab und im Custom-Modus kann man selbst via Handy und Blue Tooth umschalten und programmieren (das hab ich aber nicht ausprobiert).
Für Geländefahrten ist die FX übrigens definitiv nicht geeignet, vor allem wegen des Antriebsriemens – der würde erstens bald aufsitzen und zweitens hält er keine Steine aus, die sich darunter verfangen könnten.

antrieb

Darüber habe ich mit Herbert Bonka ausführlich diskutiert – er ist im Gegensatz zu mir ein guter Crosser und weiß wovon er spricht:

fachsimpeln

Noch einmal zum Preis: Viele begehen gerne den Fehler nur den Kaufpreis zu sehen und nicht die laufenden Kosten. Die Akkuladung für 100 km kostet knapp über einen Euro, da legt man bei einem normalen Motorrad schon 7x so viel hin. Dazu kommen die geringen Wartungskosten: Das Ding besteht aus einem Rahmen, Sitz, Gabel, Federung, Beleuchtung, Schwinge, Akku, Elektromotor und Steuereinheit. Im folgenden Bild sieht man den Motor, der wie eine Lichtmaschine aussieht und genau genommen auch eine solche ist – nur halt umgepolt:

motor

Dann gibt es noch zwei Räder, eine Bremsanlage und ein paar Verkleidungsteile und das war es auch schon. Die Wartung beschränkt sich auf die Bremsen und hin und wieder die Federung. Sehr viel mehr ist nicht zu tun. Bei einer angenommenen Kilometerleistung von 5.000 pro Jahr erspart man sich im Jahr ca. 800 Euro. Auf fünf Jahre gerechnet sind das 4.000 Euro Ersparnis gegenüber einem benzingetriebenen Motorrad.

groesse

Selbstverständlich hat das auch Nachteile: Man braucht relativ oft eine Lademöglichkeit (in der Stadt fährt sie mindestens 100 km, bei Vollgastouren im Wiener Wald kann auch nach 60 km der Strom zur Neige gehen), und man hat kein Motorgeräusch. Bis auf das Abrollgeräusch der Räder und das Surren der Rekuperation gibt es nur die Windgeräusche des Helms. Wer gerne brüllend und donnernd daher kommt, wird sich so etwas nicht kaufen.

Der Ronny ist nicht mehr

„Ich bin eine Northern Soul Schlampe“ hat der Ronny manchmal gesagt. Und gegrinst. Und einen Schluck von seinem Bier genommen und einen tiefen, genussvollen Zug von seiner Zigarette.

Montag Abend hat er sich in den Northern Soul-Vespa-Lambretta-Mod-Himmel abgeseilt – oder eigentlich eher aufgeseilt, denn sein Blick ging die letzten Stunden seines Lebens nach oben.

Irgendwann vor ca. zehn Jahren hat mir mein lieber Freund Schubi im Vespa-Gespräch geraten: geh doch zum Ronny! Er hätte eine Werkstatt in der Heiligenstädter Straße und würde mir sicher bei meinen Vespa-Problemen helfen. Damals konnte ich noch nicht zangeln. Ich kannte ja den Ronny noch nicht, oder zumindest fast nicht, wie sich bald herausstellen sollte.
Also rief ich ihn an und er meinte, ich solle doch einfach am Abend vorbei kommen, er wäre eh da. „Servas, i bin der Ronny. Schieb einfach deine Vespa herein.“ Als ich die Sprint das erste Mal über die Schwelle der Galeria hievte, wusste ich noch nicht, welch gute Freundschaft in den nächsten Jahren mein Leben bereichern würde.
„Pfau, da schau i oba“ waren Ronnys Worte, als er die Sprint in ihrem Mod-Style sah.
Dann war es eine Sache von Minuten bis wir wussten, dass Ronny ein Jugendfreund meines Bruders war und ich ihn damals natürlich auch kannte, wenngleich so flüchtig, dass die Erinnerungen nur sehr vage waren oder überhaupt dem Wunschdenken entsprangen.
Ronny war Mod. Ronny war Vespa-Fahrer. Und ein außergewöhnlicher Mensch. Außerdem war er noch Bilanzbuchhalter, liebevoller Vater, einer der besten Zangler auf Lambretta und Vespa, und auch starker Raucher. Leider.

Fröhlich und ernst, launisch und beruhigend, sanft und brutal – Ronny war ein Mensch mit breitem Spektrum, den nicht nur seine Roller, sondern auch das Leben schon ordentlich durchgebeutelt hatten. Vor etwas mehr als zehn Jahren musste er mit dem Tod seines Vaters zurecht kommen. Diese Breitseite hat er irgendwie nie ganz verkraftet, vielleicht begann damals sein Liebäugeln mit dem Tod.
Er war auch ein Suchender – lange Jahre nach der richtigen Frau, selbstverständlich ständig nach guten, raren Lambretta-Teilen, dem nächsten kühlen Bier, der nächsten Tschik und nach so etwas wie dem Sinn des Lebens. In den letzten Jahren nahm seine Spiritualität beständig zu, an langen Abenden zu zweit in der Galeria durfte ich hin und wieder in der ersten Reihe vor der Bühne von Ronnys Leben Platz nehmen.
Die Suche bringt Sucht, zumindest manchen Menschen. Er war einer von diesen und sein Bruder Bobby meinte gestern: „Der Ronny hat sein Leben viele Jahre mit Vollgas gelebt.“ Wir konnten uns dann einigen, dass er „in echt“ ca. 70 Jahre alt wurde.
Trotzdem sind uns die 46, die es dann doch waren, deutlich zu wenig. Er ist zu früh gegangen, zumindest aus der Sicht der Zurückbleibenden. Es wäre nicht fair, meinte Bobby, dass Ronny gehen musste und nicht er. Das Schicksal kennt aber keine Fairness.

Vor einem halben Jahr erfuhr ich, dass mein lieber Freund Christian schwer an Krebs erkrankt war. Noch am selben Tag rief mich Ronny an und meinte, er müsse mir leider mitteilen, dass er Speiseröhrenkrebs hätte.
Ronny war der beste Bäcker der Straße.
Christian war der beste Zuckerbäcker der Straße und hatte viel von Ronny gelernt.
Und ich habe viel von beiden gelernt, Tipps und Tricks – eigentlich das meiste, was ich heute kann, wenn ich an Vespas herumzangle. Durch ihn kam ich überhaupt erst auf den Geschmack, durch die zahllosen Abende in der Galeria, wo wir bei einem guten Bier Motoren zusammen bauten und Elektrik-Probleme diskutierten, bis die Köpfe rauchten. Im folgenden Bild sehen wir Ronny beim Nacht-Lackieren des Lamy-Lenkerkopfs, im Scheinwerferkegel meiner Honda.

lackieren

Ohne seine Anleitungen und Tricks, für die er nie einen Cent verlangte, wäre in mir vielleicht nie die Leidenschaft entstanden. Wie oft habe ich ihn angerufen und er hat mir erklärt, wie ich etwas richtig einbauen oder Kabel korrekt anstecken kann. Er wusste eigentlich immer was zu tun war, konnte ein Problem gut analysieren, eingrenzen und hatte jede Menge spezielle Möglichkeiten. Seine Schweißnähte waren nie schön – aber immerhin, er konnte schweißen:

schweissen

Notfalls funktionierte immer das Universalwerkzeug, wie auf dem folgenden Bild:

hammer

Martina wurde die Mutter seiner Tochter Ani, die jetzt gute drei Jahre alt ist. Ein zuckersüßes Dirndl, dessen Erwachsenwerden Ronny gerne miterlebt hätte. Sehr gerne, daher hat er auch nicht aufgegeben, als ihn die Ärzte – genauer gesagt: die Schulmediziner – aufgegeben hatten.
Jammerschade, dass er den anderen Weg nicht mehr rechtzeitig einschlagen konnte. Erst nachdem sie ihn aufgeschnitten hatten, fing der Krebs in seinem Dünndarm zu wuchern an, was schließlich seinen Körper so zerstörte, dass auch die alternativen Versuche nichts mehr nützten. Binnen weniger Wochen ging es zu Ende.
Ronny ist einer der zahlreichen Fälle, die den Göttern in weiß zeigen, wo ihre Grenzen sind und dass sie bei manchen Erkrankungen besser die Finger davon lassen sollten.
Wir wissen nicht, ob Ronny noch leben würde, wäre er an dem Tag nicht ins Krankenhaus gefahren. Er war kräftig, voller Tatendrang und hatte noch schnell mit Christian Bosich seine Lambretta fertig gebaut – oder zumindest fast fertig, aber sie lief schon. Das ist ein Bild davon, mit diesem Roller wollte er nach seiner Genesung den Jakobsweg fahren, wie er mir vor einiger Zeit sehr emotionsgeladen erzählt hatte:

lamy

Nach der Operation hatte er eine riesige Wunde im Bauch, einen Krankenhauskeim (lange Zeit unentdeckt) und erholte sich nie wieder. Ich möchte an dieser Stelle nicht all das erzählen, was ich im AKH alles mit ihm erlebt habe, es macht nur wütend und traurig. Über den Zynismus, mit dem sie Menschen sterben schicken, nur weil sie selbst mit ihren Methoden am Ende sind, werde ich ein andermal hier in diesem Weblog schreiben.
Ronny war auch wütend und enttäuscht, er fühlte sich allein gelassen und mies behandelt. Als er dann ins St. Elisabeth Spital auf die Palliativstation kam, wurde das anders. Dort behandelten sie ihn menschlich und mit der Wärme, die schwer kranken Menschen zusteht. Vor seinem Fenster stand ein großer Maulbeerbaum und die Schwestern kümmerten sich rührend um ihn.
Wir hatten die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben und ich schmiedete mit ihm gemeinsam Pläne, wie wir die Lamy durchs Pickerl bekommen und danach anmelden könnten.

Ronny war Mod. Nicht einfach nur irgend ein Mod, sondern einer der zentralen Figuren in der Szene der 1980er, rund um den Donnerbrunnen. Kaum einer, der Ronny nicht kannte. Er lebte „Modernist“ sein durchgehend, mit feinen Anzügen aus den Sixties, Parka und Motorroller.
Das folgende Foto zeigt ihn vor der Galeria bei einem Fototermin für einen Kurier-Artikel:

parka

Er fuhr zu zahllosen Scooterruns bis nach Schottland und sonstwohin. Er schlief im Straßengraben, eingewickelt in seinen Parka und achtete darauf, dass der feine Anzug nicht verknitterte. Er hasste Skinheads und Neonazis und hatte in seiner Jugend so manche Prügelei überstehen müssen, einsteckend und austeilend. Mod sein ist eine Stilfrage und Ronny hatte Stil, zweifellos. Selbst ein Trainingsanzug hatte bei ihm etwas stilvolles, wie auch immer er das anstellte. Hier ein Foto vom Donnerbrunnen, als sich die „Alt-Mods“ zu einem kleinen Stelldichein versammelten:

donnerbrunnen

Nicht vergessen dürfen wir auf die Musik, die spielt im Leben der Mods eine große Rolle. Neben den Klassikern der Mod-Szene der 1980er (The Who, Madness etc.) ist das vor allem die Northern Soul Musik. Die Soul-Musik war in den Urzeiten der Modbewegung, also in den 1950ern, die eigentlich stilprägende Musik, die später dann von modernerer Musik abgelöst wurde. Nur im Norden von England sprach sich das nicht so schnell herum und dort wurde weiterhin die Soul-Musik in der Frühvariante gespielt, daher nannte man sie dann eben „Northern Soul“.
Hier zwei von Ronnys Lieblingsnummern:

Die Wiener Northern Soul Szene (ja, die gibt es!) wird ihn fast genauso vermissen wie die Rollerszene. Die Galeria war einer der Geheimtipps, wo man an Dienstag Abenden vorbei schauen konnte und mindestens einen guten Tipp bekam, oft wurde spontan einfach der eine oder andere Roller repariert. Wenn ein Ersatzteil nötig war, dann hatte Ronny es wahrscheinlich in einer der zahllosen Kisten, die so ungeordnet aussahen, aber das Genie beherrscht das Chaos. Alle anderen brauchen Ordnung. Auch Ronny wollte zum Schluss Ordnung haben und so heiratete er wenige Tage vor seinem Tod noch Martina. Im St. Elisabeth Spital ist das eine der leichteren Übungen, da es sich um ein Ordensspital handelt. Ronny behielt auch mit der Magensonde, durch die er einen Schlauch aus der Nase hängen hatte, die notwendige Würde. Der Schlauch wurde für solche Fälle ganz einfach hinter das Ohr geklemmt, so what!
Im österreichischen Recht ist das eine wichtige Sache, damit seine Frau und die Tochter ordentlich versorgt sind. Ronny kämpfte in den letzten Jahren mit wechselnden Arbeitgebern und auch einer Phase der Arbeitslosigkeit, die er jedoch durch einen guten und nicht unspannenden neuen Job überwinden konnte. Er war ein Bilanzbuchhalter der besonderen Sorte und hängte sich immer ordentlich ins Zeug. Er war ein sehr wertvoller, weil ungewöhnlicher Buchhalter, nicht nur vom Aussehen, auch von der Art der eigenen Auffassung seiner Tätigkeit. Er schaffte es meistens erfolgreich mit der Steuer zu verhandeln, was ihm Anerkennung einbrachte.

Seine Familie war ihm wichtig, vor allem sein Bruder Bobby, auf den er auch noch in der Zeit seiner Erkrankung aufpasste und mit strenger Miene meinte, ich solle ein ernstes Wörtchen mit seinem Arbeitgeber reden, auf dass ihn dieser auch ordentlich und pünktlich bezahle.

brueder

Seine Tochter Ani ist ein entzückendes kleines Ding mit einem Lächeln, das Eisberge verdampfen kann.

ana

Ihr galt auch seine Aufmerksamkeit und gemeinsam wohnten sie mit Martina im zweiten Bezirk, mit all den Höhen und Tiefen, die so ein Familienleben zu bieten hat.
Das Bild hab ich beim Holländer aufgenommen, sozusagen Ronnys Stammbeisl:

stammtisch

We watched our friends grow up together
and we saw them as they fell.
Some of them fell into heaven
and some of them fell into hell.

Ronnys dunkle Seite gehörte auch zu seinem Leben. Bier bis Oberkante Unterlippe, manchmal an der Grenze des Erträglichen. Und natürlich die Zigaretten. Es waren viele, sehr viele und das über sehr viele Jahre. Bis die schwächste Stelle nicht mehr konnte, und das war die Speiseröhre. Und dann der Dünndarm. Jeder von uns lebt sein Leben und niemand weiß, welche Faktoren mehr wirken und welche weniger. Manche werden hundert Jahre und andere reisst es noch vor der Hälfte von uns weg.

amc2010

Ob Ronny noch leben könnte, wenn er rechtzeitig mit dem Rauchen aufgehört hätte? Was ist rechtzeitig? Diese Fragen werden wir nie beantworten können und manchmal ist das auch gut so, denn niemand sollte seinen Todeszeitpunkt kennen. Martina hat gestern gemeint, hier stirbt ein Mensch am Krebs und in Palästina werden gerade junge, gesunde Menschen dem politischen Wahnsinn geopfert und in den Tod geschickt.
Was hat Ronny hinübergezogen, bis sein Körper nicht mehr konnte?

Als ich Montag Mittag zu ihm ins Spital fuhr, ging es ihm schon recht mies. Trotzdem plauderten wir und ich fuhr mit gemischten Gefühlen wieder weg. Würde er es schaffen? Die nächste Zeit wird kritisch, so viel war klar.
Am Abend rief mich dann Martina an und fragte, ob ich zu ihm fahren könnte und wollte. Es stünde sehr schlecht um ihn und so machte ich mich auf einen schweren Weg. Um 22 Uhr kam dann Bobby und gemeinsam wachten wir über unseren Gefährten, der langsam immer schwerer atmete. Ich besprach mit Bobby noch die Idee ihm ein wenig Musik zu gönnen, weil er schon ziemlich weggetreten war.
„Love Reign O´er Me“ aus Quadrophenia schien mir passend und mit diesen Klängen in den Ohren verstarb Ronny am Montag, 14. Juli 2014 um 22.20 Uhr. Er ist sehr sanft und friedlich hinüber geglitten, wohin auch immer.
Mit seiner Lamy, ein paar Northern Soul Platten und seinem Parka macht er sich jetzt auf die lange Reise, die uns allen irgendwann bevorsteht. Bei ihm führt sie auf jeden Fall dorthin, wo alle guten Menschen ein großes Ganzes bilden, wie auch immer das gestaltet sein mag und das wir nur sehr unzureichend mit dem Wort „Himmel“ beschreiben.
Der Ronny ist ein Teil davon. Auch wenn er „Hope I´ll die before I get old“ wohl ein bisschen zu wörtlich genommen hat.

Ronnys Begräbnis

Er wurde am 25. Juli am Stammersdorfer Zentralfriedhof bestattet. Irgendwie war allen klar, dass es sich hier nicht um irgend ein Begräbnis handelt. Es wurde bewusst inszeniert und ich glaube, es hätte ihm gefallen. Vielleicht hat es das ja, wer weiß schon, ob und wie er uns zugesehen hat.
In der Früh fuhr ich nach Langenzersdorf zu unserem lieben Freund Sempal, denn mit ihm hatte ich am Vortag die Lammy in den Bus eingeladen.

einladen

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach Stammersdorf und trafen dort Bobby. Gemeinsam luden wir die Lambretta aus und die ausgesprochen netten Pompfuneberer erlaubten uns sie neben den Sarg in die kleine Kapelle zu stellen, gleich neben das Bild von Ronny, im Anzug tanzend, bei irgend einem Northern-Soul-Fest.

lammy

Das folgende Bild zeigt dieses Tanzfoto, auf dem auch Christian drauf ist, dessen Begräbnis erst vor zwei Wochen war.

tanzend

Dann ging es zum Schachtelwirt auf die Brünner Straße, wo sich die Rollerfahrer für den Korso treffen sollten. Zehn waren schon da, bald waren es zwanzig. Irgendwann dreißig, vierzig, bei der Abfahrt waren es gute 50 Roller, eine stattliche Anzahl, wenn man bedenkt, wie viele wegen Urlaub oder anderen Verpflichtungen nicht mitfahren konnten.

treffen

Jeder Roller bekam ein schwarzes Band und wir machten uns auf den kurzen Weg zum Friedhof. Bei der Kreuzung zur Stammersdorfer Straße versagte plötzlich die Schaltung meiner Sprint. Ein wenig schwammig war sie in den Tagen davor schon gewesen, aber ich dachte mir: nachstellen ist nach dem neuen Einbau des Motors eine Kleinigkeit, die ich irgendwann erledigen könnte.
Jetzt ging gar nichts mehr und ich war gerade im 4. Gang. Also ordentlich am Gas bleiben, ein wenig mit der Kupplung arbeiten, vor allem wegen des Schleichers im Auto vor mir. Parkplatz erreicht, passt!
Erst am späten Nachmittag konnte ich den Schaden finden: Das Gangseil war im Lenkerkopf abgerissen, nur mehr das Nipperl war da – so etwas passiert eigentlich nie. Eigentlich.

nipperl

Vor der Kapelle waren schon viele Leute, jetzt noch mehr als 50 RollerfahrerInnen – glücklicherweise hatte Ronny gutes Wetter bestellt und so konnten etwa die Hälfte der Trauergäste die Feier vor der Kapelle mitverfolgen und wurden über Lautsprecher zumindest akustisch gut versorgt.
Louis Armstrong: We have all the time in the world – eine alte Lieblingsnummer von Ronny, bei der die ersten seiner Freunde, die nah am Wasser gebaut sind, bereits frühzeitig ausschieden.
Ein Kranz in Form eines Mod-Targets von Nivin und Jürgen, auch das hätte Ronny mit „coool“ kommentiert. Einen besonderen Platz hatte seine alte Kutte, mit der er zahllose Scooterruns erlebt hatte. Bei jedem kam ein Aufnäher drauf – Ronny hatte so viele, dass er sie auf der Innenseite anbringen musste. Diese Kutte zierte auf seinem letzten Weg seinen Sarg. Fast konnte man sein breites Grinsen sehen.

kutte

Der Priester war der gleiche wie bei seiner Hochzeit, die nur zwei Wochen zurück lag. Vor seiner Predigt hatte ich die Ehre im Namen seiner Freunde ein paar Worte zu sprechen.
Bobby schob die Lammy vor dem Sarg den ganzen Weg bis zum Grab – sicher nicht das schwerste auf diesem Weg. Eine stattliche Anzahl von ca. 120 Personen folgte ihm. Mods mit Anzügen und Parkas, Scooterboys, die Crazy Ducks, jede Menge alte Freunde aus Lockenhaus, aus seiner Jugend, die Galleria-Freunde und noch viele mehr. Insgesamt eine vielfältige, große Schar an Freunden, die einander oft seit Jahrzehnten nicht gesehen hatten und durchwegs meinten, eine andere Gelegenheit wäre ihnen deutlich lieber gewesen.
Seine kleine Familie ging hinter dem Sarg, Martina mit ihren beiden Kindern und natürlich die Tante Wanda.
Wie bei Rollerfahrerbegräbnissen üblich landeten auch diesmal wieder einige seltsame Gegenstände im Grab: Gasgriffe, Zündkerzen und noch einiges mehr. Wenn in ein paar tausend Jahren hier einmal Ausgrabungen stattfinden, wird man sich sehr wundern, welche Rituale die Menschen damals hatten.
Als alle Trauergäste sich von Ronny verabschiedet hatten, stand die Lammy einsam an seinem Grab, als ob sie ihn bewachen würde.

einsame-lammy

Danach durfte sich Ani noch auf den Roller setzen. Wer weiß, vielleicht wird sie irgendwann eine kesse Modette mit einer feschen Lambretta.

ani

Ein Heurigenbesuch in Stammersdorf – dort gab es auch Bier, was Ronny gut gefallen hätte. Der Leichenschmaus samt einem guten Schluck dient seit ewigen Zeiten dazu wieder ins Leben zurück zu finden. In ein Leben, das der Ronny sehr viele Jahre in vollen Zügen genießen konnte, mit Höhen und Tiefen, Schicksalsschlägen und großartigen Ereignissen.

heuriger

Da und dort tauchte die erste Anekdote aus Ronnys Leben auf, gefolgt von noch einer und noch einer. So viele Freunde hatten so viele Erlebnisse in ihren Erinnerungen, da hätten zehn Heurigenbesuche nicht ausgereicht. Im Laufe des Nachmittags löste sich die Trauergemeinschaft dann auf, die Vespas und Lambrettas wurden gestartet und alle gingen ihrer Wege.
Vielleicht nimmt ja jeder ein Stück von Ronny mit, in seinen/ihren Erinnerungen und auch in den Rollern, die in gar nicht geringer Zahl irgendwann durch Ronnys Hände gingen. Er bleibt uns aber nicht nur als Zangler in Erinnerung, sondern als guter Freund und Kamerad, als lustiger Geselle, als außergewöhnlicher Mensch, den zu kennen niemandem je zur Schande gereicht hat.

Mach´s gut, Christian!

Ich kann mich noch nicht daran gewöhnen Todesnachrichten über Facebook zu bekommen. Aber vielleicht ist das ja einfach ein Zeichen der Zeit.

Letzten Sonntag ist mein lieber Freund Christian (*11.09.1974; † 29.06.2014) gestorben.

Ein bitterer Tag, von dem ich gehofft hatte, dass er nicht kommen würde. Von mir aus in 30 Jahren oder später. Aber bitte noch nicht jetzt, nicht kurz vor seinem 40. Geburtstag.

Ich weiß gar nicht mehr, wann und wie ich ihn kennengelernt habe. Entweder bei einer Vespa-Ausfahrt oder einem Modern-Soul-Fest, vielleicht auch in der Galeria oder sonst wo. Ein feiner Mensch, so der erste Eindruck. Erst viel später habe ich erfahren, dass er Restaurator ist und alte Gemälde irgendwo in Österreich oder auch in seinem Atelier herrichtet, in Kirchen und sonstwo.
Christian war ein sehr genau arbeitender Mensch, akribisch, mit viel Gefühl für Materialien und Dinge. Nicht nur deswegen war er auch ein exzellenter Vespa-Zangler. Er beherrschte große und kleine Vespas und Lambrettas und hatte für dieses Wissen und Können meinen vollsten Respekt.
Im Frühjahr 2011 half er mir meinen Rom-Motor aufzubauen. Immer wieder fuhr ich bei ihm im 14. Bezirk vorbei und er nahm sich Zeit eine Proberunde zu drehen. Er war auch der Organisator der Vespa-Ausfahrten am 1. Mai und am 26. Oktober. Das folgende Bild zeigt ihn bei so einer Ausfahrt am Tulbinger Kogel 2012:

chris2012

Auch heuer war er am 1. Mai dabei, schon schwer gezeichnet von der Krankheit, abgemagert, mit eingefallenem Gesicht, ruhig und fein wie eh und je. Da hatten wir alle Hoffnung, dass er es doch noch schaffen würde, dass er wieder gesund wird und wir noch viele Ausfahrten mit ihm machen könnten.

In einem Vespa-Buch schrieb ich bei den Credits „Christian, dem besten Zuckerbäcker der Straße“, weil das eine Art zu arbeiten sehr gut traf. Letzten Herbst musste ich zu meinem Entsetzen erfahren, dass er an einer sehr seltenen, schweren und heimtückischen Krankheit laborierte. Es war schnell klar, dass die Sache ernst ist. Die Behandlung ging los, die Nebenwirkungen waren gering und Christian erholte sich, ging wieder arbeiten und frönte seinem Hobby Platten auflegen. Er war nicht nur ein guter Vespa-Zangler, sondern auch ein begabter DJ und ein guter Restaurator. Und er war Mod. Zwar ein paar Jahre jünger, aber er zelebrierte das Lebensgefühl der „Modernists“ durch feine, immer gut passende Kleidung. Ein Sir, sozusagen. Ein Kommentar auf Facebook hieß „Der letzte Dandy Wiens“.

Christian war immer der Ruhige, der eher am Rand steht, sich selbst dort positioniert. Das folgende Bild zeigt ihn auf der Rollfähre in Klosterneuburg – im Hintergrund, aber Organisator der Ausfahrt.

chris2010

Letzten Sommer bin ich mit ihm zu Allan hinaus gefahren, zu einem Festl in der Nähe von Melk. Ich fand es damals schade, dass er mitten in der Nacht noch nach Wien zurück fuhr. Aber auch das war Christian – streckenweise Einzelgänger und verschlossen, zumindest kam es mir so vor. Die Vespa, die er damals zur Probefahrt quasi ausführte, ging um so viel besser als meine eigene, dass er mir hinauf auf den Jauerling unglaubliche Meter abnahm. Von ihm bekam ich etliche Tipps und Tricks, die mir heute wertvolle Zeit ersparen bzw. die auch ich wieder anderen weitergeben kann.
Typisch für Christian war die Bomberjacke, oft mit Knieschützern kombiniert, er legte Wert auf sichere Ausrüstung, ging aber anderen damit nicht auf die Nerven. Das folgende Bild zeigt ihn mit Flappo und Ronnie beim obligatorischen Tankstellenstart bei einer Ausfahrt 2009.

chris2009

Letzten Herbst, etwa einen Monat vor seiner Krankheitsdiagnose, fuhr ich in die Stadt um ihn beim Auflegen zu besuchen. Es war einer dieser Abende, an denen nur ganz wenige Menschen ihr Haus verließen und so waren wir eigentlich allein. Er der DJ und ich der einzige Gast. Wir kamen ein wenig zum Plaudern und heute weiß ich, dass er damals schon an seiner Krankheit laborierte, jedoch noch nicht wusste, wie ernst es wirklich war. Ich habe ihn danach nicht mehr sehr oft gesehen, er hat nach Ausbruch seiner Krankheit eher verschlossen reagiert und der Kontakt beschränkte sich auf gelegentliche Telefonate.
Wie die meisten aus der Vespa-Community war auch Christian ein ganz eigener Typ. Er liebte italienischen Kaffee, italienisches Essen und die italienische Sprache, die er gut beherrschte. Er war so nett mein Rom-Buch zu redigieren und einige Fehler gibt es daher Dank seiner Mithilfe nicht.

Sein Tod zeigt mir, dass das Leben unberechenbar ist und auch dass wir Gesundheit einfach zu selten hoch schätzen. Es kann unglaublich schnell gehen, Christian hatte keinen ungesunden Lebenswandel, er hat sich weder dickgefressen noch geraucht wie ein Schlot. Und doch hat es ihn erwischt. Er hinterlässt eine Lücke, die seine Umgebung in ihrer ganzen Größe wohl erst nach einiger Zeit begreifen wird.
Only the good die young.

12. Juli 2014

Heute war das Begräbnis von Christian. Zuerst eine stimmungsvolle Feier in der Pfarrkirche in Hütteldorf. Es war eine gute Entscheidung keine Einsegnungshalle am Friedhof zu nehmen, denn die wäre zu klein gewesen. Ca. 150 Trauergäste waren gekommen und ein DJ-Freund von Christian spielte ein paar der wichtigsten Northern-Soul-Nummern. Seltsam, wenn der Pfarrer Pause hat – diesmal waren es sogar zwei. Sie sprachen die üblichen salbungsvollen Worte, die auf jeden Menschen zutreffen, zumindest aus dem Blickwinkel der katholischen Kirche.
Wirklich spannend wurde es als Georg eine Ansprache hielt. Er war einer der Freunde, die Christian als Arzt bis zum Schluss begleiteten und traf mit seinen Worten den Kern der Sache. Christian behielt seine Modernist-Würde ganz bis zum Schluss. Der Krebs konnte seinen Körper zerstören und ihn letztlich auch töten (sich selbst im übrigen auch, was zu einer anderen, nicht minder interessanten Diskussion führt), aber seinem Wesen konnte er nichts anhaben. Christian blieb sich selbst treu und bestätigte seine besondere Stellung in der Gemeinschaft.
Danach ging es im Vespa-Konvoi zum Friedhof. Etwa 50 Roller fuhren vor einer guten Handvoll Oldtimer – Christian hatte auch dafür ein Faible, vor allem für alte Opels, aber auch für historische Fahrzeuge generell.

roller1

roller2

Es war ein heißer Tag, zeitweise schwül und die Trauergemeinschaft war so bunt gemischt wie die Farben von den Bildern, die Christian restauriert hatte. Von alt bis jung, Scooterists, Mods, DJs und jede Menge Freunde, die alles zugleich sind. Von der Lederjacke bis zum Parka, von den Turnschuhen bis zu den Chelsea-Boots, von langer Mähne bis Glatze – ich glaube, Christian hätte sich hier sehr wohl gefühlt. Er wäre etwas abseits gestanden und hätte gelächelt, freundlich und milde, bestimmt und ein wenig in sich gekehrt.
Einige warfen sehr persönliche Gegenstände ins Grab: ein Opel-Zeichen, eine Zündkerze, einen Schraubendreher. Die Sonne brannte herunter und es dauerte eine gute Stunde bis alle sich verabschiedet hatten. In dieser Zeit war es sehr sehr ruhig, kaum jemand sprach ein Wort, Sonne, Wind und Wolken bestimmten die Szenerie.

Dann ging es zurück zur Kirche. Eine Hälfte der Trauernden feierte noch eine Messe, die andere setzte sich ins Francesco, wo Christian des öfteren seine Lieblingspizza aß (über die Pizzaqualität waren wir nicht einer Meinung). Anschließend bat die Familie zur Agape und langsam löste sich die Spannung. Das eine oder andere Lachen war wieder zu hören und es gab die Gelegenheit den Eltern zu kondolieren. Der Leichenschmaus (hier in Form von Brötchen und jeder Menge exzellenter Mehlspeisen) ist eine alte und meiner Meinung nach sehr sinnvolle Tradition, bei der sich die Trauernden wieder dem Leben zuwenden und Christian ziehen lassen. „I´m on my way“ heißt die schöne Soul-Nummer, die seinen Abschied gut symbolisiert.

essen

Er ging uns voraus und niemand kann sagen, wann wir folgen werden. Auf dem kleinen Kärtchen, das wir beim Eingang in die Kirche bekamen, ist ein Gedicht von Rilke zu finden. Ich möchte hier eines seiner schönsten anführen:

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.“

Christian hat viele dieser Ringe gelebt und hat den letzten vielleicht doch vollbracht. Er weiß es. Wir wissen es nicht. Noch nicht.

chrisRilke