Die Ausbeutung Afrikas

Wir tun es jeden Tag und die meisten von uns wissen es gar nicht. Wir leben auf Kosten anderer, ohne wenn und aber. Ein spannender Doku-Film (wie üblich auf ARTE) zeigte die besonders unschönen Seiten.

Er beginnt in Rüschlikon, der reichsten Gemeinde der Schweiz. Es gibt dort keine Arbeitslosigkeit und enorm viele sehr wohlhabende oder reiche Menschen, unter anderem den Chef eines riesigen Bergbaukonzerns (Glencore, 180 Mrd. Dollar Jahresumsatz), der vor zwei Jahren in den Ort zog. Darauf erhöhten sich die Steuereinnahmen um 50 Millionen Franken und der Bürgermeister schlug eine Steuersenkung um 7 % vor.

Ein Bürger wandte ein, dass man doch 5 % machen könnte und das restliche Geld, ca. 2 Millionen Franken, nach Afrika als Entwicklungshilfe schicken könnte. Der Bergbaukonzern ist in Sambia aktiv und beutet dort die Menschen aus. Kein einziger Rappen der 50 Millionen Steuergeld wurde in der Schweiz erwirtschaftet und schon gar nicht in Rüschlikon.

Die Abstimmung im Ort ergab eine extrem hohe Mehrheit gegen die 5 %. Das Geld, so meinte man, solle im Ort bleiben. Was man hat, gibt man nicht mehr her.

Ist diese kleine Schweizer Gemeinde eine Ausnahme? Eine Analyse ergab, dass die meisten der Einwohner von den Zuständen in Afrika keine Ahnung hatten.
Psychologische Experimente haben herausgefunden, dass Menschen umso weniger gerne was hergeben, je mehr sie haben. Um das zu wissen, bräuchte man allerdings nur in der Bibel nachblättern: Eher passt ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt.

Sambia gehört zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt, obwohl es enorme Reichtümer an Bodenschätzen hat. Zwischen 2001 und 2008 hat sich der Kupferpreis weltweit vervierfacht. Da die internationalen Großkonzerne, die das Kupfer abbauen, jedoch in Sambia keine Steuern zahlen, profitieren nur einige wenige Privilegierte von deren Reichtum. Das erhöht den Gewinn der Schweizer Firma Glencore und den Preis zahlen die Sambier. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 1.

Diejenigen, die am meisten von den Reichtümern profitieren, zahlen also keine Steuern. Wieso lässt sich die Bevölkerung das gefallen?
Hier kommt der alte Spruch zum tragen: „The king said to the priest: You keep them stupid, I keep them poor.“
Wer keine Bildung hat, kann das System nur schwer durchschauen und hat auch nicht die Ausdrucksmittel um seiner Stimme Gewicht zu geben – sofern er überhaupt in dem politischen System eine hat.
Wenn die Machthaber auch die Medien beherrschen, ist das System perfekt.

Glencore bekam einen hohen Kredit (50 Mio. Dollar) von der europäischen Investitionsbank und verwendete diesen um die Produktion der Kupferminen zu erhöhen. In den Umweltschutz wurde nichts investiert, daher gibt es verseuchtes Wasser, verseuchtes Land und verpestete Luft. Das erhöht den Gewinn von Glencore und den Preis bezahlen die Sambier. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 2.

Wie kommt Glencore eigentlich dazu, die Kupferminen Sambias zu besitzen? Vor einigen Jahren waren die Minen staatlich und trotz Verschwendung landete doch einiges an Geld in den Staatskassen. Leider hatte Sambia viele ausländische Kredite und als der Kupferpreis nach unten ging, konnten sie die Kredite nicht mehr zurückzahlen. Also verlangte man (IWF und Weltbank) von ihnen die Privatisierung und den Verkauf der Minen, und zwar um den lächerlichen Betrag von 46 Millionen Dollar. Die jährliche Fördermenge stellt einen Wert von 6 Milliarden Dollar dar. Dazu kam ein korrupter, konsumsüchtiger Präsident und schon hatte Glencore ein Schnäppchen gemacht.

Kredite geben, dann wirtschaftlich unter Druck setzen und wenn sie die Kredite nicht mehr bedienen können: Kaufen und ausbeuten. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 3.

Wie hat im Film „Let´s make money“ ein Nigerianer gesagt: „Hört auf uns auszubeuten, sonst kommen wir zu euch. Und dann wünsche ich euch viel Glück beim Bau einer Mauer rund um Europa.“

Ja, ein Teil unseres Wohlstandes beruht darauf, dass wir die Afrikaner ausbeuten. Es ist genau der Teil des Wohlstandes, der uns nicht glücklich macht. Er verschafft uns diejenigen Produkte, die wir nicht brauchen, die kein Bedürfnis befriedigen, sondern ein Begehren. Und das wird durch seine Befriedigung größer.

Was bedeuten „Freunde“ bei Facebook?

Jetzt bin ich seit ca. 4,5 Jahren auf Facebook und habe in dieser Zeit ca. 890 „Freunde“ gesammelt. Zeit für eine Bilanz.

Meine Kategorisierung lautet wie folgt:
1.) Echte Freunde (56). Das sind Menschen, die mir im Falle eines Problems ungefragt helfen. Vielleicht springen nicht alle um drei Uhr in der Früh sofort aus dem Bett, aber ich glaube, dass ich mich an sie wenden kann, wenn es wirklich notwendig ist. Ich kenne sie alle gut bis sehr gut, manche sind Teil meiner Familie (7), andere alte Schulfreunde oder Menschen aus meiner Vespa-Clique. Selbstverständlich kommen da noch einige hinzu, die nicht auf Facebook sind. Es sind auch Menschen, denen ich meine Sorgen anvertrauen kann und sie hören mir zu.

2.) Gute Bekannte (226). Hier findet sich der erweiterte Kreis der Vespa-Clique sowie Menschen, mit denen ich derzeit viel Zeit verbringe – aus der Grünen Wirtschaft oder aus meinem Klosterneuburger und Greifensteiner Freundeskreis. Manche mag ich einfach gerne, andere sind beruflich wichtig (meist auf Gegenseitigkeit beruhend) und wieder andere sind alte Freunde, die ich nur selten sehe, mit denen mich aber gemeinsame Erlebnisse verbinden.

3.) Bekannte (ca. 590) Alte Schulbekanntschaften oder solche aus Freundeskreisen, die sich längst aufgelöst haben. Teilweise berufliche Kontakte, obwohl ich diese lieber in XING parke. Bei diesen Leuten glaube ich, dass sie sich für meine Postings interessieren oder ich mich für die ihrigen. Alle diese Menschen kenne ich insofern persönlich, als ich mindestens einmal mit ihnen länger geplaudert habe und sie mir sympathisch waren.

4.) Nicht persönlich Bekannte (17). Da gehört etwa Carlo dazu, mit dem ich regen Kontakt in Sachen Vespa habe. Er lebt in der Schweiz und wir haben uns noch nie getroffen, was sich sicher in Zukunft einmal ändern wird. Ein paar „Nicht-Personen“ sind auch dabei, meist Vespa-Clubs oder so. Bei einigen ist ein Kennenlernen nur noch nicht passiert, aber wir haben es sozusagen vor.

Im letzten halben Jahr sind ca. 70 neue Kontakte dazu gekommen und 30 weggefallen. Ich habe zusätzlich ca. 12 gestern entfernt, weil ich mich an sie überhaupt nicht erinnern kann.

Ca. 30 Personen warten derzeit auf die Bestätigung ihrer Freundschaftsanfrage. Sie werden wahrscheinlich lange warten müssen, weil ich sie entweder nicht kenne oder nicht mag.

Es war übrigens gar nicht so leicht eine Liste der Freunde zu erstellen. Facebook will das aus irgend einem Grund nicht. Hier ist die Anleitung, wie man es trotzdem schafft eine alphabetische Liste zu bekommen (Danke an meinen FB-Freund Igor):

„Allgemeine Kontoeinstellungen“ klicken (rechts-oben). Dann öffnet eine Seite wo man Name, Nutzername, E-mail-Adresse, Passwort, Netzwerke und Sprache umändern kann. Da gut schauen (weil schwer zu sehen): „Lade eine Kopie deiner Facebook-Daten herunter.“ klicken.. Nachdem alles ausgefüllt ist wird Facebook dir am nächsten Tag alle Details deines Kontos zum Download bereit stellen.

UPDATE FEBRUAR 2024

Gute 11 Jahre später bin ich immer noch auf Facebook, obwohl es zusehends mühsamer wird. Die extremen Ansichten nehmen zu, jede(r) ist auf einmal Experte für eigentlich eh alles, Wissenschaft wird nicht mehr verstanden oder verlacht.
Die Anzahl meiner Facebook-Freunde ist auf über 1.700 angewachsen und über 300 Leute warten auf die Bestätigung der Freundschaftsanfrage. Ich bin aber wesentlich selektiver geworden und habe alle Freunde in „Freunde“ oder „Bekannte“ eingeteilt – das geht inzwischen auf Facebook. Heikle – vor allem politische – Postings gebe ich manchmal nur für „Freunde ohne Bekannte“ frei. Das erspart mir einen großen Teil der Hasspostings.
Eine kleine Anmerkung noch zu Punkt 4.) – Carlo habe ich leider nie persönlich kennengelernt. Er ist 2014 plötzlich und sehr unerwartet an einem Gehirnschlag gestorben.

Der falsche Weg

Eine Pressemeldung bejubelt eine neue Erfindung: Mittels einer App am Smartphone plus elektronischer Schaltung müssen Radfahrer in Zukunft nicht mehr selbst schalten. Dies wird als „deutliche Erleichterung“ beschrieben und im Text genauer erklärt:

„Zur Auswahl stehen dabei zwei unterschiedliche Betriebsarten: Im „Manual Mode“ kommuniziert das Schaltsystem per Bluetooth mit einem Smartphone, das sich in der Hosentasche des Radlenkers befindet. Dessen Schaltkommandos werden über eine spezielle App an ein umgebautes elektronisches Getriebesystem weitergeleitet, das auch Bluetooth-Befehle verarbeiten kann. Im „Automatic Mode“ liest hingegen ein Magnetsensor die aktuelle Trittgeschwindigkeit ab. Aus den empfangenen Daten wird dann automatisch der optimale Gang berechnet und eingestellt.“

Für mich ist es das genaue Gegenteil:
1.) Ich verlerne das Schalten.
2.) Ich habe jede Menge zusätzliche Teile, die kaputt werden können und das durch die geplante Obsoleszenz auch werden.
3.) Die Umweltbilanz des Fahrrads wird deutlich schlechter, ich brauche eine Batterie, muss diese immer wieder tauschen etc.
4.) Das Rad wird schwerer.
5.) Ich mache mich abhängig von einem Hilfssystem, das funktionieren kann oder auch nicht. Bisher konnte ich jede Schaltung selbst reparieren, mit diesem System ist das nicht mehr möglich. Wenn es kaputt wird, muss ich in die Fachwerkstatt fahren und es dort teuer tauschen lassen.
6.) Manchmal will ich in einem anderen Gang fahren, ganz bewusst, etwa um die Muskeln anders zu belasten.

Die Nachteile überwiegen klar, ganz abgesehen davon, dass mir die Vorteile nicht ersichtlich sind. Ich hatte nie ein Problem mit dem Schalten und ich kenne niemanden, der jemals eines hatte.
Es erinnert mich an den elektrisch verstellbaren Innenspiegel beim Auto, der mir das Hinaufgreifen mit der rechten Hand plus einer kleinen Bewegung ebendieser erspart. Dafür brauche ich zwei elektrische Stellmotoren, jede Menge Kabel, Schalter etc.

Das sind zwei exzellente Beispiele für den falschen Weg. Er führt uns in die Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln ohne erkennbaren Nutzen. Gerade mal die Hersteller dieser Dinge haben einen solchen Nutzen, denn sie können ihren Umsatz steigern.

Wo machen wir uns von der Technik abhängig ohne echten Nutzen oder gar mit deutlichen Nachteilen, weil wir eigene Techniken verlernen? Was ist, wenn die Technik versagt und wir keine Alternative mehr haben, weil wir verlernt haben ohne die Hilfsmittel zu überleben?

Selbstverständlich ist es praktischer ein Feuerzeug zu haben als mittels Steinzeitmethoden Feuer machen zu müssen. Viele technische Erfindungen haben uns echten Nutzen gebracht, das soll hier nicht bezweifelt werden.
Aber wo ist die Grenze?

Das Extrem ist ein Mensch, der in einer warmen, weichen Umgebung liegt und sich nicht mehr bewegen muss, weil ihm (technische) Diener alle notwendigen Bewegungen abnehmen.
Das ist das alte Traumbild aus unserer Kindheit und es heißt „König“. In unzähligen Märchen und TV-Sendungen bekamen wir ständig das Bild des in Luxus und Wohlstand glücklich lebenden Königs aufgebrummt, mit einer hübschen Königin an der Seite und unzähligen Dienern, die den beiden das Leben auf dem Märchenschloss zum Paradies machen.
Viele Menschen lechzen auch heute noch nach diesen Bildern und die höchsten Einschaltquoten bekommen Märchenhochzeiten. Das ist verständlich, wir haben es ja unsere gesamte Kindheit hindurch gelernt.

Leider sind Märchen nicht real, nicht einmal für die „echten“ Prinzessinnen und Könige.
Aber das ist nicht das Problem.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Völker immer und ohne Ausnahme zugrunde gingen, wenn sie aufgrund von Luxus in die Dekadenz verfielen. Sie entfernten sich von der Realität und wurden von dieser immer irgendwann eingeholt. Ob das nun die Khmer in Kambodscha waren oder die mittelamerikanischen Hochkulturen, die Habsburger oder die Römer – sie alle gingen unter, weil sie den Blick auf die realen Umweltbedingungen verloren. Sie waren zu träge um sich zu bewegen, zuerst mit dem Körper und dann mit dem Geist.
Platon hat schon vor 2.500 Jahren auf dieses Problem aufmerksam gemacht und Hegel hat es in sein System der Herr-Knecht-Problematik übernommen, das dann von Karl Marx auf seine Theorie adaptiert wurde: Die Herrscher verlieren die Macht an die Knechte, weil diese sich der Umwelt stellen müssen und körperlich wie geistig fit bleiben. Irgendwann übernehmen dann die Knechte die Herrschaft und werden nach einiger Zeit zu dekadenten Herrschern, die irgendwann wieder von den neuen Knechten vom Thron gestoßen werden etc.

Es stellt sich die Frage, ob die Menschheit so weit ist, um diesen Kreislauf durchbrechen zu können. Oder siegt auch hier die ewig Wiederkehr des Gleichen? Der Unterschied zu den alten Kulturen ist heute die Globalisierung. Das erste Mal in der Geschichte betreffen lokale Krisen möglicherweise die gesamte Menschheit. Vielleicht führt das zu einem Lernprozess.

Die Abgehobenheit

Philosophen gelten als abgehoben von der Realität der Welt und sitzen angeblich im gläsernen Palast über den Wolken und ein Flugzeug gilt als abgehoben, wenn es sich in die Luft erhoben hat.

Ich stelle eine andere Frage: Wo finden wir Abgehobenheit in der gesellschaftlichen Entwicklung? Zur Diskussion stehen folgende Punkte:

1.) Die Finanzindustrie
Finanz- und Realwirtschaft haben sich schon so weit getrennt, dass die Frage nach einer Verbindung inzwischen gestellt werden kann ohne auf großes Kopfschütteln zu stoßen. Durch die Entkoppelung des Dollars vom Gold unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher fand hier ein entscheidender Schritt statt. Durch die fast vollständige Aufhebung der Kontrolle des Staates über die Finanzindustrie unter Bill Clinton konnte diese ohne jegliche Grenzen wachsen. Eine winzige Eigenkapitalquote und zugleich die Möglichkeit Gelder fast nach Belieben hebeln zu können haben zum Aufbau von Finanzblasen und etwa Systemen geführt, die wir heute als „Derivatehandel“ und „Hedgefonds“ kennen.
Provokant gesagt: Die einzige Verbindung der Finanzwirtschaft zur Realwirtschaft besteht darin, dass erstere der zweiteren schaden kann und dafür keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat (Welches Gesetz regelt, dass ein 22-jähriger Investmentbanker irgendwo in London auf den Knopf drücken kann und in Indien eine Hungersnot auslöst? Eben.).

2.) Die Ernährung
Der Großteil der Menschen in der westlichen Industriewelt hat nichts mehr mit der Kultur zu tun, aus der wir stammen, nämlich der Agri-Kultur. Wir sehen Fleisch nur in Plastiktassen eingeschweißt oder überhaupt fertig gebraten und hübsch angerichtet. Wir bekommen Brot aus dem Schnellbackofen im Supermarkt und sehen auch hier nicht, woher es stammt. Das gilt für fast alle Lebensmittel. Wir haben abgehoben von der Natur. Was bleibt ist Sport (meist im Fitnesscenter) oder die Fahrt ins Grüne (mit dem Auto bis auf den hoffentlich asphaltierten Parkplatz vor dem Wirtshaus im Wald).

3.) Die sozialen Kontakte
Wer setzt sich heute noch eine Woche mit KollegInnen zusammen und bespricht, wie es läuft und wie es allen geht? Oder nur einen Tag lang. Vielleicht eine Stunde? Meist nicht einmal das.
Freunde hat man auf Facebook und wenn man sie doch trifft, dann für sehr kurze Zeit, denn man muss an diesem Abend noch zu zwei anderen Festen oder kann nur gemeinsam einen Stehkaffee trinken, weil dann schon der nächste Termin ruft. Meetings werden kürzer und mit mehr Themen vollgestopft.
Wer bespricht ein Thema noch ohne Zeitdruck bis in die Tiefe, in der beide Gesprächspartner sagen können: Wir haben es vollständig bearbeitet.
Freundschaften und sogar Familien tendieren auch in diese Richtung. Wir haben abgehoben.

Abheben tut man letztlich immer von der Erde, deswegen stellt sich auch die Frage nach einer neuen „Erdung“ der Menschen. Wie soll diese aussehen und was soll sie auslösen?
Ich glaube, dass uns die globale Entwicklung, in der wir uns befinden, dorthin bringen wird. Es könnte allerdings ein schmerzhafter und teurer Weg sein und dafür sind wir dann selbst verantwortlich.
Felix Baumgartner wurde vom UNO-Generalsekretär plus den Medien als „mutigster Mann der Welt“ gefeiert. Das ist nun doppeldeutig: Für das Abheben oder für das wieder Zurückkommen? Vielleicht ja für beides.
Ich glaube, wir werden noch längere Zeit in diesem Widerspruch verweilen müssen, eventuell gehört das auch zu unserem Menschsein.

Die Zero DS – ein neues Funbike, elektrisch

Zero ist mehr als Null

Fahrbericht der neuen Zero DS Elektro-Funbike

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Die Hügel und Berge westlich von Wien sind als Motorradstrecken durchaus beliebt, und das nicht ohne Grund. Abwechslungsreich und landschaftlich traumhaft eignen sie sich daher auch gut für Testfahrten, wenngleich ich das Angebot der vielen Wienerwaldgasthöfe nicht in Anspruch nahm, es galt jede Minute mit lautlosem Dahingleiten zu nützen.

Wobei Dahingleiten die Sache nicht trifft, die Zero geht zwischen 60 und 110 ab wie die sprichwörtlich gesengte Sau. Das ist vor allem deswegen erstaunlich, weil sie als 125er eingestuft ist – zumindest laut dem holländischen Zulassungsschein, der bei dem Fahrzeug dabei war.

Aber der Reihe nach. Die Zero ist ein waschechtes Motorrad aus einer kleinen kalifornischen Fabrik (Zero Motorcycles Inc.), in der pro Woche ca. 35 Fahrzeuge hergestellt werden, mit steigender Tendenz.
In der neuesten Generation hat die Zero DS (das ist die Straßenenduro oder auch Funbike) einen ziemlich großen und leistungsfähigen Akku eingebaut. Er sitzt dort, wo bei anderen Motorrädern der Motor sitzt. Der eigentliche Motor befindet sich dahinter, direkt neben den Anlenkpunkten für die Schwinge.

Dann gibt es noch einen Rahmen, eine Gabel, zwei Räder mit Bremsen, Lenker, Sitz, Scheinwerfer und eine kleine Kiste, in der die Steuerelektronik verborgen ist.
Das ist alles. Der Antrieb erfolgt über einen Zahnriemen direkt vom Ritzel des Elektromotors (der aussieht wie eine Lichtmaschine bei einem Auto, und genau das ist er auch, nur quasi verkehrt herum betrieben) auf das Hinterrad. Das wäre alles. Es gibt kein Getriebe und auch sonst nicht viel, was der Wartung bedarf oder kaputt werden könnte.

So entsteht ein Gesamtgewicht von ca. 160 kg, wobei man hier nicht von „Trockengewicht“ sprechen kann, weil es weder Getriebeöl noch Benzin gibt. Servicekosten beschränken sich auf Bremsen, Gabel und vielleicht noch ein wenig Schmierfett da und dort. Getankt wird Strom und nun kommen wir zum entscheidenden Punkt, bei dem alle ständig ausflippen und jammern.
Es gibt sogar schon einen Fachbegriff dafür: Range Extension Fear – die Angst vor zu wenig Reichweite. Darum kreisen alle Fragen und Ängste, das wird als Killerargument gegen den Elektroantrieb gerne und oft ins Spiel gebracht.
Im Klartext: Die Zero DS fährt mindestens 120 km weit. Ein Freund von mir fährt sie seit einiger Zeit und kommt oft auf 160 km.
Dann muss aufgeladen werden. Das geht mit einem Schnell-Ladegerät in ca. 2 Stunden und an einer normalen Steckdose über Nacht.

Natürlich gibt es Menschen, die weder daheim noch in der Arbeit noch sonst wo eine Steckdose in Motorradreichweite haben, aber es gibt auch genügend andere, um einen großen Markt zu bieten.
Ich vergleiche die Zero einmal mit meiner alten Aprilia Pegaso, die war auch eine Straßenenduro mit einem 650er Rotax Einzylinder und 50 PS. Bis ca. 120 könnte die Zero mithalten und wäre da und dort sogar noch spritziger. Danach ist Schluss, die Aprilia kam dann noch bis Tacho 160.
Eine Tagestour gefällig? Dann muss man das Schnell-Ladegerät mitnehmen und die Mittagspause ein wenig länger gestalten, sich also etwa zwei Stunden Zeit nehmen. So kann man 2 x 120 Kilometer fahren. Ein normales Steckdosenkabel (wie beim Tintenstrahldrucker daheim) ist übrigens im Fahrzeug integriert, die ganze Bedienung ist ausgesprochen einfach.
Oder man verwendet sie in der Stadt, was vom Gewicht und der Wendigkeit her kein Problem ist. Es gibt sogar ein durchaus pfiffig gestaltetes Koffersystem. Aufgeladen wird dann einmal die Woche.

Gewöhnungsbedürftig ist die Lautlosigkeit. Da auch das Abrollgeräusch der Reifen nicht hoch ist, düst man absolut ohne Geräuschentwicklung durch die Landschaft. Die Menschen am Straßenrand drehen sich irritiert um und man muss besonders bei Radfahrern sehr aufpassen. Wir alle sind im Straßenverkehr auf Akustik programmiert und ich hatte den Zwiespalt, ob ich die Radfahrer anhupen (die Zero hat eine sehr laute Hupe) oder lautlos an ihnen vorbeiflitzen soll. Erschrocken sind sie in beiden Fällen.

Das Gefühl, ohne jegliches Geräusch und gänzlich ohne Abgase durch den Wienerwald zu fahren, war fantastisch. Ja, es ist ein Quantensprung und eine ziemlich andere Art Motorrad zu fahren. Die gewohnten Vibrationen und der kernige Auspuffklang sind Geschichte, die stufenlose Kraftentfaltung neu und reizvoll.
Wir dürfen in den nächsten Jahren mit weiteren, deutlichen Steigerungen punkto Kraft und Reichweite rechnen, die alten Argumente zählen heute schon weniger und morgen gar nicht mehr.
Selbstverständlich bleibt der Ressourcenverbrauch bei der Herstellung als Minus, aber das ist meiner Ansicht nach kein Grund, sich vor dieser Zukunft zu fürchten. Die Zero jedenfalls und alle ihre Töchter haben zwar zero Abgase, aber sicher nicht zero Zukunft.

Weitere Infos und Testberichte gibt es auf www.motomobil.at

Bild: Guido Schwarz auf der Zero DS
Bildquelle: Michael Bernleitner

© Guido Schwarz, September 2012