Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 5

Würde ich es überhaupt bis Rom schaffen? Vielleicht sogar heute? Im riesigen Frühstückssaal war ich der einzige. Der Fernseher lief und das Buffet war nicht gerade ansprechend, außerdem hätte ich sowieso nichts hinunter gebracht, das Reisefieber war wieder da, stärker denn je.
Zwei Gläser Wasser und dann packen. Der nette Rezeptionist von gestern war wieder da und ein Bauhackler plauderte gerade mit ihm. Zu dritt erörterten wir die Möglichkeiten auf der Karte, welches denn der beste Weg wäre, wie ich die Superstrada umfahren könnte und dergleichen mehr.
Ich bekam etliche gute Tipps und viele gute Wünsche. Mein Dank hier an dieser Stelle an die netten und engagierten Herren. Auch die Vespa war noch da (Ich war in der Nacht beim Heimkommen noch in die vollständig offene Garage gegangen und hatte kontrolliert, ob sie noch da war. Jeder andere hätte das auch können, ein kurzer Tritt und dann rausschieben – niemand hätte den Dieb aufgehalten. Aber sie war ja noch da, scheinbar liegt das Hotel in einer recht sicheren Gegend.) und nach dem Verzurren der Gepäckrollen konnte es auch schon los gehen. An den uralten Stadtmauern vorbei ging es durch den relativ kühlen Morgen (so 26 Grad) Richtung Süden. Allerdings nicht lang, denn im Ort Calmazzo verfuhr ich mich. Die Abzweigung wäre im spitzen Winkel nach rechts weg gegangen, Schild gab es keines. Also fuhr ich noch zwei bis drei Kilometer weiter, bis mir das seltsam vorkam. Zwei ältere Herren auf Rennrädern waren gerne behilflich und ich machte mich auf den Weg zurück.
Das Furlo-Tal mit dem Furlo-Pass ist wunderschön, fast eine Klamm, mit einem grünlichen Fluss und ein paar Aussichtsbuchten. Ich hatte es aber eher eilig und pfiff auf die Fotos, die Straße rief.
Nach einiger Zeit kam ich in den Ort Acqualagna und konnte auf die P3 Richtung Cagli auffahren. Es handelt sich dabei um eine echte Schnellstraße, die fast schon Autobahncharakter hat, mit geteilten Richtungsfahrbahnen und Leitplanken. Ab Pontericcioli verwandelt sich die P3 in die S3 – ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich um die alte Römerstraße Nr. 3, die „Flaminia“ handelt und dass ich sie bis Rom durchfahren könnte. Insgesamt gab es acht dieser Römerstraßen und sie führten alle sternförmig weg von Rom – bis auf Richtung Westen, da war das Meer. Daher kommt auch der Spruch, dass alle Wege nach Rom führen.

Nun ging es auf einen Pass hinauf Richtung Fossato di Vico. Die Vespa zog gut und ich nahm die Kurven mit gutem Schwung, eine nach der anderen. Dann plötzlich ein lauter Knall (übrigens in der Nähe des Ortes Tranquillo). Die ganze Fuhre geriet ins Schleudern und stellte sich quer. Ich ruderte was ging, lenkte gegen, glich mit den Beinen aus und dachte: Bitte keine Brezen, nicht jetzt, nicht hier. Und tatsächlich schaffte ich es, die Vespa zum Stehen zu bringen, ganz ohne Sturz.
Doch damit waren die Probleme nicht zu Ende. Ich stand ausgangs einer scharfen Serpentine und es ging ziemlich bergauf. Rechts ca. 20 Meter weiter war eine Art verlassenes Haus mit einem Stück Schotter davor, aber es war extrem mühsam, die Vespa mit dem schweren Gepäck und dem zerrissenen Reifen dorthin zu schieben. Binnen Sekunden war ich schweißgebadet, die Sonne knallte bereits ordentlich herunter und ich brauchte einige Zeit, bis ich sie dort stehen hatte.

Ich holte noch mein Handtuch, das ich in der Serpentine abgeworfen hatte – die Vespa aus dem Gefahrenbereich zu bringen war das wichtigste, schließlich fuhren hier doch etliche Autos durch, darunter schwere Sattelschlepper, die sich die Autostraßenmaut ersparen wollten.

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Bild: Schmale, kurvige Bergstraße als idealer Ort für einen Reifenplatzer

Warum war der Reifen geplatzt? Hatte ich mir einen Stein oder eine Scherbe eingefahren? Der Reifendruck war okay, das hätte ich sofort gemerkt, wenn der zu niedrig gewesen wäre.
Ich legte die Sprint auf die Seite, um das Rad zu wechseln.

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Bild: Reifenpanne

Glücklicherweise hatte ich ein Reserverad mit. Es war auch in Ordnung und hatte genügend Luft, denn ich hatte es erst ein paar Wochen zuvor einem Freund geborgt, der auf unserer Maiausfahrt einen Patschen hatte.
Als ich das kaputte Rad herunten hatte, sah ich das Malheur: Der Reifen war komplett am Ende, bis auf die Karkasse durchgefahren. Das folgende Bild sagt mehr als tausend Worte:

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Bild: kaputter Reifen

Aber wie konnte das passieren? Ich war in Wien mit zwei tadellosen Stollenreifen (Heidenau K 58) mit viel Profilweggefahren und der vordere war auch noch ganz okay. Wenige Tage später diskutierte ich diesen Punkt mit meinem Freund Rudi, der viele tausend Kilometer durch Italien gereist war. Die Ursache dürfte eine Kombination aus folgenden Faktoren gewesen sein:
1.) Schweres Gepäck hinten drauf, mit Abstand zum Fahrzeug und somit einer Hebelwirkung;
2.) Große Hitze;
3.) Ein wenn auch leicht frisierter Motor;
4.) Die Italiener mischen in ihren Asphalt in manchen Regionen Granitsplitter hinein. Das erhöht den Grip, frisst aber die Reifen. Am Schlimmsten soll das in Sardinien sein, da sind Motorradreifen manchmal nach 1000 km am Ende.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich noch mal Glück hatte. Fünfzehn Minuten zuvor war ich mit 90 auf der Schnellstraße unterwegs und nach dem Pass kamen flotte Kurven zuhauf. Ich war irgendwie auch gar nicht unglücklich, dass ich den Schaden nicht am Vortag bemerkt hatte, denn ich hätte mich nicht weiterfahren getraut. Okay, ein Reifenwechsel wäre möglich gewesen, aber dann hätte ich mir einen Reservereifen suchen müssen.
Schließlich, so sinnierte ich zu meiner eigenen Beruhigung, brauche ich mir nicht vorwerfen lassen, dass ich Reifengummi unnötig herschenken würde. Und repariert wird, wenn etwas kaputt ist, nicht früher, so lehrt uns die Alaska-Methode.
Der als Reservereifen aufgezogene, ältere Michelin S1 hielt übrigens bis Wien ohne sichtbare Verschleißerscheinungen.

Tipp: Reifen etc.
Ich bin selbst leider ein wenig nachlässig was die Reifenkontrolle betrifft. Ich versuche das schon seit Jahren zu ändern, aber irgendwie schaffe ich das nicht. Aber vielleicht können das ja andere, daher dieser Tipp.
Die erste Frage ist immer die nach guten Reifen. Ich persönlich bevorzuge diejenigen, die bei Regen gute Griffigkeit aufweisen, da ich meine Stürze fast ausschließlich bei nasser Fahrbahn hatte. Bei Trockenheit habe ich mit einer Vespa immer genug Haftung.
Für lange Touren empfehle ich ein Reserverad. Das ist bei manchen Modellen (GS 160, SS 180, Rally, PX) serienmäßig unter der linken Backe, bei anderen kann man es mit einer Halterung in der Schürze befestigen. Dann geht sich zwar keine Staubox mehr aus, aber ein spezieller Reservekanister kann in der Felge befestigt werden – sauteuer, aber nicht schlecht.
Ich bevorzuge die dritte Variante, das Reserverad am Gepäckträger. Es gibt eigene Ausführungen, die dafür extra Platz haben. Man gewinnt auch noch einen weiteren Stauraum zwischen Sitzbank und Reifen, den man etwa für eine weiche Tasche verwenden kann.
Das Reserverad ist dann mit einem Bügel befestigt und dafür braucht man einen großen Inbusschlüssel. Diesen sollte man nicht daheim vergessen.
Bei manchen Modellen bzw. Reifen braucht man eine Pumpe, denn sonst bekommt man zwar den alten, kaputten und somit flachen Reifen herunter, den neuen aber nicht mehr drauf. Dann muss man Luft auslassen und danach wieder hineinpumpen können.
Ich empfehle weiters einen Reserveschlauch, denn das Vespa-Format bekommt man nicht überall. Theoretisch kann man mit einem Schlauch (oder einem Pickzeug wie beim Fahrrad) eine Reifenpanne selbst beheben (natürlich keinen Platzer), doch es ist nicht immer leicht, den alten Reifen von der Felge zu gekommen. Manchmal geht das nur mit extremer Kraftanstrengung bzw. mit speziellen Werkzeugen. Ein ganzes, montierfertiges Reserverad ist allemal besser. Ratschensatz nicht vergessen!

Noch ein Wort zu den Italienern. Mit deren Hilfsbereitschaft ist es wie mit den Fahrkünsten: Es gibt Raser und Schleicher. Ich habe dort die hilfsbereitesten Menschen der Welt getroffen und die größten Ignoranten. Bei meiner Reifenpanne waren letztere gerade vor Ort. Der einzige, der auch nur die Geschwindigkeit drosselte (und sogar stehen blieb), war ein Mini-Cooper-Fahrer, der mich nach dem Weg nach Gubbio fragte. Als ich öl- und dreckverschmiert und schwitzend wie Sau wahrscheinlich nicht gerade allzu freundlich in seine Richtung blickte, fuhr er wortlos weiter. Sein Glück, dass er nicht ausgestiegen ist. Den Mini hätte ich ihm in den Arsch geschoben, mitsamt der künstlichen Blondine am Beifahrersitz.

Die Fahrt durch Umbrien

Nach erfolgreicher Reparatur stellte ich die Vespa wieder auf und packte das Gepäck. Der erste Startversuch schlug fehl, auch der zweite. Am Himmel keine Wolke, aber bei mir zogen langsam dunkle Wolken auf und Rom schien in weite Ferne zu rücken. Diesmal nutzte auch der Trick mit dem Linkskippen nichts, die Kiste sprang einfach nicht an. Die vielen Startversuche machten die Sache nicht besser und auch Anrollen funktionierte nicht. Also wieder alles ausziehen, Werkzeug auspacken, Sturzbügel runterschrauben, Backe abnehmen, Zündkerze raus, durchtreten etc.
Nach einer zusätzlichen Wartezeit konnte die Fahrt dann weiter gehen. Fazit: Die Vespa mag es nicht, wenn sie hingelegt wird. Irgendwas im Vergaser ist zickig.

Seit Urbino stand übrigens fast überall „Rom“ angeschrieben, für mich sehr beruhigend, auch wenn die Entfernung mit 262 km angegeben wird, was auf der Landstraße auf 314 km anwuchs.
Die Landschaft ist eher karg und im August natürlich nicht mehr saftig grün. Man fährt über den Appeninin, mehr oder weniger von Nordosten nach Süden, ein wenig Südwesten. Der Himmel war stahlblau und wolkenlos und die Hitze nahm von Stunde zu Stunde zu. An diesem und an den nächsten Tagen sollte es immer zwischen 35 und 40 Grad haben. Im Schatten, den ich nur selten genießen konnte.

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Bild: Umbrien und der Appenin

Sehr originell sind auch die Entfernungsangaben der Italiener. Man kommt zu einem Hinweisschild, auf dem steht „Foligno 75 km“. Nach ein paar Kilometern kommt das nächste Schild, darauf steht „Foligno 82 km“. Man entfernt sich, obwohl man in die richtige Richtung fährt. Dieses Spiel kann man fast überall beobachten und ich bin noch nicht hinter seinen Sinn gekommen.
Dafür habe ich einen neue Sportart gefunden: Schwarzfahren auf der Schnellstraße. Das hat seinen Reiz und mit meinem Namen liegt das fast auf der Hand. Zu Anfang war noch die Angst vor der Polizei zu groß, aber je weiter ich in den Süden kam, desto wurschtiger wurde mir das. Ich konnte einfach nicht mehr alle fünf Minuten stehen bleiben und die Karte hervorkramen, um nach dem richtigen Weg zu suchen. Die Italiener teilen ihre Schnellstraßen in kleine Abschnitte, die noch dazu ungleich lang sind. Man kann sich eine Menge Zeit sparen, wenn man so ein verbotenes Stück einfach durchfährt. Ich hatte noch dazu den taktischen Vorteil, dass ich diese Strecken immer irgendwie in der Mittagszeit zu fahren hatte, und da hält die Polizei genauso Siesta wie die meisten Autofahrer. So fuhr ich durch eine leer wirkende, trockene und heiße Landschaft auf der Flaminia Richtung Rom. Der Motor lief gut und hielt auch die große Hitze aus, vielleicht auch weil ich ihn nicht quälte.

Kurz vor dem Ort Spoleto dann ein Umleitungsschild. Ich konnte zwar nicht entziffern, was da genau los war, aber die Straße nach Terni schien gesperrt und man wurde nach links auf eine andere Straße geschickt. Kurz vor einem Tunnel war rechts ein Parkplatz mit einem Stand, der Kebab und Getränke verkaufte. Der Mann hinter der Theke war nicht sehr gesprächig, ein vorbeikommender Motorradfahrer auf einer alten Suzuki 450 war es auch nicht. Immerhin fand ich heraus, dass die S3 wegen eines Feuers („Fuoco“ – so heißt meine Gilera) gesperrt war.
Vielleicht war das ja sogar die schönere Strecke, wenn auch ein wenig länger. Ich startete die Vespa und fuhr Richtung Tunnel. Dann auf einmal – sie spuckt und nimmt kein Gas mehr an. Ich bleibe sofort rechts stehen – der Tunnel ist 4,5 Kilometer lang und hat keinen Pannenstreifen. Wenn mir die Vespa drinnen verendet, habe ich ein Problem.
Was nun? Unerlaubterweise über die doppelte Sperrlinie zurück zum Essensstandl? Aber was mache ich dort, der Motorradfahrer war schon weg und der mürrische Standler kann mir auch nicht helfen. Sollte ich nach Spoleto fahren und mir dort Hilfe suchen? Oder einfach weiterfahren? Was mache ich in Spoleto? Ich könnte versuchen eine Werkstatt aufzutreiben, die in der Ferienzeit am Freitag nach der Siesta noch offen hat. Dann müsste ich das Wochenende auf jeden Fall in Spoleto verbringen und nicht in Rom. Diese Aussicht war nicht gerade sehr reizvoll.
Also wieder die Alaska-Methode: Einfach weiterfahren, bis nichts mehr geht.
Ich startete und beschleunigte in den Tunnel. Vorsichtshalber fuhr ich mit Halbgas und musste mir wilde Fernlichtorgien von eiligen Italienern gefallen lassen. Aber ich schaffte es und auch danach lief der Motor eigentlich ganz gut. Vielleicht hatte er sich nur verschluckt. Aber ganz konnte ich das auch nicht glauben.

Hinter der Schnellstraße mit dem Tunnel ging es dann durch ein Tal auf einer schönen, sehr kurvigen Straße mit ein paar Schleichern vor mir. Ich durchfuhr den „Parco Fluviale del Nera“, konnte ihn aber nicht gebührend würdigen, weil Verkehr und Vespa die volle Konzentration verlangten. Langsam wurde eines klar: Der Weg war diesmal nicht das Ziel, denn das hätte nur mit einer problemlos laufenden Vespa funktionieren können. Dann hätte ich Lust auf kleine Abstecher in malerische Bergdörfer gehabt. Aber die Aussicht, jedes Mal mit einem nicht startenden oder kein Gas annehmenden Motor konfrontiert zu sein, raubten sämtliche Gelüste auf italienische Romantik.
Es war Rom, wo ich hin wollte. Das Ziel war klar und ich würde versuchen, dorthin zu gelangen.
Vorerst musste ich aber Terni durchqueren. Eine Industriestadt mit wenig Reizen, und ich musste mitten durch. Es war aber halb so schlimm und hinter Terni war es Zeit für eine Klopause. Ich hätte diese gerne an einem schattigen Plätzchen verbracht, aber es war irgendwie keines zu finden. Also blieb ich bei einer Einfahrt eines Betriebes stehen, irgend eine Metallfabrik, wo gerade Dienstschluss war. Die Arbeiter stiegen in ihre Autos und fuhren zum Abschied hupend ins Wochenende. Ihre Autos funktionierten.
Aber auch die Sprint sprang gut an und ich machte mich auf den Weg nach Rom.
Zuerst war ein Tankstopp angesagt. Da es früher Nachmittag war, hatten die Tankstellen geschlossen und ich musste mit den Automaten zurecht kommen. Ich habe zwar einen Doktortitel und bin ein durchaus praktisch veranlagter Mensch, aber eine italienische Automatentankstelle war eine echte Herausforderung. Auf einem Schild wurde deutlich erwähnt, dass man hier nicht mit Karten zahlen könne, sondern nur mit Bargeld. Da 10 Euro in etwa stimmen würden, tauschte ich in der offenen Bar einen Zwanziger und ging zum Automat. Dort schiebt man den Geldschein in einen Schlitz und sieht zu, wie er nach einiger Zeit und einigem Rattern wieder ausgespuckt wird. Scheinbar hat der Maschine der Schein nicht gefallen. Aber dafür nahm sie den zweiten Schein. Ich wählte die Zapfsäule aus und marschierte zur Vespa. Doch die Anzeige dort zeigte Null Euro, obwohl ich doch gerade einen Zehner eingeschoben hatte.
Entnervt ging ich zu einem Typen, der dort in einem Sessel saß und bat ihn um Hilfe. Er war nicht gerade erfreut, erbarmte sich aber meiner und ging mit zur Vespa an der Zapfsäule. Er nahm einfach den Hahn, steckte ihn in die Tanköffnung und tankte.
So ist das in Italien.

Das Ende?

Auf einer steilen Straße mit Serpentinen ging es hinauf in die 2.600 Jahre alte Stadt Narni. Ich war mitten in Umbrien und Narni (www.narnia.it/pronarni_de/htm) ist die geographische Mitte von Italien. Ich fuhr einfach nur durch, allerdings mit Bedauern. Aber vielleicht würde ich ja eines Tages wieder kommen und hier eine Pause einlegen können.
Kurvenreich zog sich die S3 durch die wilde Landschaft, es ging bergauf und bergab, dann in eine Ebene hinein in Richtung Civita Castellana. Und da war es wieder, das Stottern. Und es wurde stärker, im dritten Gang konnte ich nicht mehr hochdrehen, weil der Motor kein Gas mehr annahm. In der Vierten untertourig ging es. Aber langsam stellte sich die Frage, ob ich so nach Rom kommen würde.
Bei einer Tankstelle fuhr ich ab und parkte die Vespa unter einem Flugdach bei einem Seitengebäude, das für die Innenreinigung von Autos vorgesehen war. Es war gerade nichts zu tun und ich hoffte, dort eine Zeit lang stehen bleiben zu können. Ich setzte mich auf eine Stufe, trank ein wenig Wasser und überlegte, was ich tun könnte. Ich kam Rom immer näher und zugleich rückte es in immer weitere Ferne. Ich hatte vielleicht noch 60 Kilometer, aber es hätten in diesem Moment auch 600 sein können, ich würde es nur mit einem funktionierenden Motor schaffen.
Hätte ich mir in Narni ein Quartier suchen sollen oder in Terni? Ich war an zwei oder drei Herbergen vorbei gefahren. Wäre das die gescheitere Lösung gewesen?
Die eigentliche Frage war ja: Warum funktioniert die Kiste nicht?
Nach einiger Zeit konnte ich mich motivieren mit den Zerlegungsarbeiten zu beginnen. Vorher musste ich die Vespa noch wegschieben, weil ein Mitarbeiter der Tankstelle ein Auto aussaugen musste.
Ich studierte die Zündkerze und den Vergaser, konnte jedoch nichts entdecken. Mir dämmerte langsam, dass ich mit meinem Zanglerlatein am Ende war. Der Luftfilter war ein erster Verdacht, aber der schien frei zu sein. Er ist nie ganz trocken, weil bei jeder Vespa ein wenig Blowback vorhanden ist und das Benzin-Luftgemisch nach oben in den Filter bläst. Er wirkte auch nicht verstopft.
Und was war dieses Scheppern, das mich schon seit Tagen begleitete und seit gestern immer lauter wurde? Es klang wie ein loses Blech, irgend etwas, das sich gelockert hatte. Ich konnte aber noch nicht feststellen, wo es entstand. Die Blechteile einer Vespa samt Motor sind ja mit einander verbunden und die Geräusche übertragen sich, manchmal von vorne nach hinten oder umgekehrt. Oft ist ihre Quelle nur schwer zu orten. Ich wusste daher auch nicht, ob das Scheppern mit meinen Motorproblemen zu tun hatte, es veränderte sich je nach Drehzahl, aber das konnte auch wegen der Schwingungen sein, die sich in Form von Resonanzen ständig verändern.

Die Tankstelle lag direkt an der Bahn und über mir donnerten in regelmäßigen Abständen die Eurostars vorbei, das ist so etwas wie der italienische ICE. Ich stellte mir vor, wie drinnen entspannte Businessmenschen in bequemen Sitzen und bei angenehmer Temperatur Richtung Rom reisen und wissen, dass sie in zwanzig Minuten gemütlich in Statione Termini aussteigen. Eine Handvoll Rucksackreisende freuen sich auf ein paar Tage Rom und niemand, absolut niemand hat Sorgen wegen eines stotternden Motors. Sie sind ganz sicher bald in Rom, im Gegensatz zu mir.
Leider half mir das auch nicht weiter. Ich betrachtete die ölverschmierte Sauerei hinter der Vergaserwanne und wunderte mich ein wenig über den gestiegenen Benzinverbrauch. War ich flotter unterwegs gewesen? Ich hatte um 1,2 Liter mehr verbraucht.
Irgendwie brachte mich das Nachdenken darüber auf keine ordentliche Lösung. Eigentlich auf gar keine, außer dass mir klar wurde, dass ich nicht viel anderes machen konnte als einfach weiter zu fahren. Oder sollte ich einfach aufgeben und in Wien beim ÖAMTC anrufen? Schließlich hatte ich für genau solche Fälle den Schutzbrief und ein wenig Schutz könnte ich jetzt gut gebrauchen. Hilfe wäre noch besser gewesen, aber die war an dieser seelenlosen Automatentankstelle nicht zu bekommen.
Ich malte mir aus, wie der Rücktransport verlaufen könnte. Wie lange würde ich warten müssen, bis der Abschleppwagen kommt? Mir dämmerte auch, dass das hier mitten in Italien vielleicht gar nicht so einfach wäre. Müsste ich mir ein Quartier für die Nacht suchen? Was sollte ich mit der Vespa samt Gepäck machen? Hier stehen lassen? Keine angenehmen Aussichten, aber der Gedanke, mich einfach in die Rettungsmaschinerie des ÖAMTC einzuklinken und die Verantwortung abgeben zu können, war ziemlich verlockend.
Ich entschied mich in diesem Moment, es noch einmal zu versuchen.
Aber ich brauchte noch eine Motivation. Ich wollte mir ein Ziel geben, einen Ort, an den ich gelangen konnte. Rom ist riesig groß und ich hatte ja noch keine Idee, wo ich hinfahren wollte.
In meinem groben Reiseplan war vorgesehen, dass ich mir in Frattochie ein Quartier suche. Ich hatte mir den Ort, an dem die Via Appia Antica sich mit der Appia Nuova vereinigt, auf Google Earth angesehen und wusste, dass es dort das „One Park Hotel“ gab. Es war kein besonders reizvoller Ort und so hatte ich mich auch noch in der näheren Umgebung umgesehen. Quasi in der Nachbarschaft liegt der Ort Ciampino samt dem dazu gehörigen Flughafen. In diesem Ort sind mehrere Bed & Breakfast Quartiere eingezeichnet und ich hatte mir schon in Wien in aller Ruhe einige herausgesucht. Sie waren alle noch in Fußmarschentfernung zum Ende der Via Appia Antica und sahen irgendwie sympathischer aus als das One Park Hotel.
Das netteste Bild samt einer Website gab es von der „Casagianna“ (www.bbcasagianna.it) und ich hatte mir die Telefonnummern herausgeschrieben. Eine männliche Stimme meldete sich und ich erklärte zuerst einmal auf Italienisch wer ich war und was ich wollte. Michele spricht auch ein wenig Englisch und in einer Mischung beider Sprachen konnte ich vermitteln, dass ich gerade mit einer Vespa 60 Kilometer vor Rom war und eine Panne hatte, die ich hoffentlich reparieren konnte. Er meinte, ein Zimmer hätte er noch frei, das andere wäre belegt und das Bad wäre zur gemeinsamen Benützung. Wir vereinbarten, dass ich ihn anrufen würde, wenn ich es bis Ciampino schaffe. Er versprach, mir das Zimmer frei zu halten und ich solle mich doch melden, wenn ich am Bahnhof in Ciampino wäre, dort hätte er ein Geschäft und dort könnten wir uns treffen. Er würde mich dann zum Quartier geleiten.

Seine nette Stimme und die Aussicht auf ein Quartier halfen mir weiter. Ich hatte auch einfach jemand gebraucht, der mit mir redet, mit dem ich ein paar Worte wechseln kann und nicht nur zwanzig Euro auf zwei Zehner.
Vielleicht war dem Motor einfach nur zu heiß geworden? Ich glaubte das zwar selbst nicht, aber in diesem Moment war mir jede Erklärung recht, die mich nach der Abkühlpause weiterfahren ließ.
Sie startete gut – das war schon einmal erfreulich. Langsam beschleunigte ich und die Vespa lief. Allerdings nicht lang. Nach drei oder vier Kilometern wurde es immer schlimmer – zuerst nahm sie im dritten Gang kein Gas mehr an, dann auch im zweiten, bis zum Vierten kam ich schon gar nicht mehr und wurde immer langsamer.
Am Ende einer Geraden war es dann vorbei. Der Motor starb einfach ab und ich wusste: es ist aus.
Das Gefühl der Bitterkeit mischte sich mit einer gewissen Erleichterung, so als wäre ein längerer Leidensweg endlich zu Ende.
Ich stand jetzt an einer heißen, menschenleeren Landstraße und Rom war sehr weit weg. Meine Kräfte waren aufgebraucht und ich wusste nicht mehr weiter. Was ich wusste war, dass sich bald Schatten brauche.
Ich sah mich um und entdeckte, dass ein paar Meter weiter ein steiler Schotterweg zu einem Haus hinauf führt. Irgendwie habe ich aber keine Lust dort hinauf zu gehen. Die Vespa würde ich ohnehin nicht bis dort hinauf schieben können. Aber wohin dann? Mir fiel ein, dass ich vor kurzem an einem nett aussehenden Bauernhaus vorbei gefahren war, mit einer Art Flugdach und einem Auto davor. Mein Bauchgefühl riet mir zu diesem Weg.

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Bild: Das alte Bauernhaus

Das Bauchgefühl

Es ist an der Zeit darüber ein paar Worte zu schreiben, denn es hat auch mit Vespafahren zu tun.
Das Bauchgefühl wird auch „Instinkt“ genannt und ist eine alternative Möglichkeit Entscheidungen zu treffen. Normalerweise machen wir das mit dem Kopf und in vielen Fällen ist das auch gut so. Es gibt zwar Gehirnforscher, die sind der Ansicht, dass Menschen überhaupt keine bewussten Entscheidungen treffen können, sondern dass unser Hirn das quasi unbewusst und unbeeinflussbar durch unser Bewusstsein, unser „Ich“, immer schon vorher erledigt – angeblich acht Sekunden vor dem, was scheinbar unsere Entscheidungsillusion ist.
Ich weiß nicht, ob diese Forscher recht haben oder nicht. Ich möchte über etwas anderes schreiben. Neben unserem Hirn gibt es noch eine weitere große Ansammlung von Nervenzellen, und die befinden sich in unserem Darm. Dieser ist wiederum im Bauch und daher kommt der Begriff des „Bauchgefühls“. Es meldet sich oft zu Wort, allerdings haben wir gelernt, ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich habe aber aus Erfahrung gelernt, dass das schlecht ist. Man kann nämlich das Bauchgefühl zu Hilfe nehmen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Das ist nicht immer einfach, denn es meldet sich immer nur ganz kurz und sehr „leise“. Der Kopf ist lauter, stärker, drängender. Das Bauchgefühl, den Instinkt muss man trainieren. Eine Möglichkeit geht so: Immer wenn man an eine Straßenkreuzung kommt, versucht man das erste Gefühl zu erhaschen, das einem sagt, in welche Richtung man fahren sollte. Das funktioniert am besten im innerstädtischen Bereich, wenn man etwa zwei gleich gut erscheinende Alternativen hat – links über die große Straße, rechts über die drei kleinen – oder so ähnlich.
Natürlich entsteht hier ein Evalulierungsproblem, denn wie kann ich im nachhinein feststellen, ob ich die bessere Entscheidung getroffen habe, so ganz auf meinen Instinkt hörend? Wenn nicht am Abend im Fernsehen ein Bericht über einen schweren Unfall oder eine Feuersbrunst gebracht wird, die genau zu dem Zeitpunkt auf der Alternativroute stattgefunden haben, werde ich es nie erfahren.
Aber darum geht es nicht, sondern darum, den kurzen Moment zu erfassen, in dem das Bauchgefühl sich meldet und mir quasi eine Botschaft schickt. Der Kopf setzt sich sofort und kurz danach auf jeden Fall durch, man hat also nur eine kurze Chance, den Instinkt entscheiden zu lassen.
Ich weiß auf jeden Fall, dass die Bauchentscheidungen meist eine für mich positive, vorteilhafte Auswirkung haben. Der im nachhinein betrachtete Weg war stets ein guter, und zwar fast ausnahmslos.
Also habe ich vor einiger Zeit beschlossen, das Bauchgefühl zu trainieren und noch mehr darauf zu achten – sowohl privat als auch beruflich. Auch in diesem Fall sollte es mir den richtigen Weg weisen, hin zu dem alten Bauernhaus. Ich konnte es evaluieren, indem ich sagen kann: „Was für ein Glück, dass ich diese Variante gewählt habe.“ Das rechtfertigt die Entscheidung allemal.
Wie das genau funktioniert und woher mein Darmhirn weiß, was es mir raten soll, weiß ich nicht. Vielleicht zapft es andere, ergänzende Informationsquellen an. Natürlich hatte ich das Bauernhaus schon bei der Vorbeifahrt gesehen und wer weiß, welche Informationen auf welchen Ebenen hier geliefert wurden, durch welche „Schwingungen“ ich hindurch gefahren war. Ich habe keine Ahnung von den Kräften, die hier walten, aber das macht nicht – Hauptsache, ich kann sie zu meinen Gunsten nutzen.
Instinktgefühle sind Schwachstrom, im Gegensatz zu den Kopfgedanken, die eher dem Starkstrom zuzuordnen sind. Das macht es so schwierig, dem Schwachstrom seinen Wert zu geben und seine Kräfte zwischen den starken der Vernunft und der Gedanken herauszufiltern. Dazu kommt noch, dass das Bauchgefühl nach „Kairos“ funktioniert, also nach der „Qualität der Zeit“ auch „richtiger Augenblick“ genannt, ganz im Gegenteil zu „Chronos“, der Quantität der Zeit, die unser heutiges Leben so stark bestimmt und die wir ständig mit Chronometern messen.

Also zum Bauernhaus. Vielleicht war ja jemand da, der mir helfen konnte, auf welche Art auch immer. Ich konnte von dort immerhin Hilfe holen, denn mein Handy funktionierte und ich hatte ja die Notfallnummer des ÖAMTC. Dort könnte ich auch eine Adresse angeben, denn „irgendwo auf der S3 ca. 55 km vor Rom“ wäre möglicherweise zu ungenau.

Antonio

Also schob ich die Vespa zu dem Haus und nach ein paar hundert Metern in der flirrenden Hitze hatte ich es geschafft.

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Bild: Endlich Schatten

Ich stand da und sah mich um, als plötzlich ein älterer Mann auftauchte, mit einer Handvoll gerade geernteter Melanzani im Arm, die er in einen Korb legte. Das war Antonio, ein umbrischer Bauer in Pension, und er sah mich skeptisch-neugierig an. Ich muss ein seltsamer Anblick gewesen sein, schwitzend mit meinem weißen Klapphelm und der schwarzen Jacke, mit der chromblitzenden Vespa und irgendwie völlig fertig.
„Vespa kaputt“ meinte ich und er fragte, ob mir nur das Benzin ausgegangen wäre. Ich erklärte, dass dem leider nicht so wäre, sondern dass der Motor streiken würde.
Antonio ging ins Haus und holte erst mal eine Flasche Wasser und einen Becher. Dann erzählte ich ihm ein wenig von meinen Problemen und er meinte, ich solle die Vespa einmal starten.
Sie sprang auch an und lief etwas röchelnd im Leerlauf. Beim Hochdrehen stotterte sie und ich stellte sie wieder ab. Antonio hatte genug gehört und griff sich an den Hals mit Würgebewegungen. „Aero“ meinte er und deutete auf den Vergaser: „Filtro“. Natürlich konnte er kein Wort Englisch aber mit Händen, Füßen, meinen Italienisch-Brocken und mit Hinzeigen auf die jeweiligen Teile konnten wir uns ziemlich gut verständigen.
Antonio ist klein, vom Alter her nicht leicht schätzbar, er ist quirlig und zugleich Ruhe ausstrahlend, in sich ruhend, sehr bestimmt und ein wenig bestimmend, immer mit einer gewissen Distanz zu sich selbst, sehr freundlich und liebenswert.

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Bild: Antonio

Irgendwas hatte mich zu ihm geführt und es war gut. Antonio versteht nämlich was von alten Zweitaktmotoren. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er früher auch eine Vespa und er erzählte mir auch, das sein Sohn früher als Vespa-Mechaniker gearbeitet hatte. Ich zerlegte also wieder einmal das Fahrzeug und Antonio beobachtete mich dabei. Seine Diagnose: der Luftfilter wäre verstopft und müsse durchgeblasen werden, denn so bekäme die Vespa keine Luft.
Ich war mir noch nicht ganz sicher, ob wir das Problem damit gefunden hatten, aber ich beschloss, Antonio zu glauben und ihm zu vertrauen. Er ließ mich noch die Zündkerze ausbauen und betrachtete sie eingehend. Als ich die Kerzenbürste hervorkramte, lehnte er ab und verschwand noch einmal im Haus. Nach einiger Zeit kam er wieder und hatte eine Küchenrolle und eine dicke Nadel von einer Spritze dabei. Damit reinigte er die Kerze in dem Bereich, den ich noch nie in meinem Leben betrachtet hatte, nämlich in dem Loch, aus dem der Dorn herausragt. Ich dachte stets, nur die Spitzen wären interessant und müssten halt entsprechend sauber und in der richtigen Farbe sein.
Antonio wusste scheinbar mehr und holte eine Menge Öl-Ruß-Schlamm hervor. Dann baute ich die Kerze wieder ein und die ganze Vespa zusammen, um zur nächsten Tankstelle zu fahren. Das war genau die, an der ich schon einige Zeit verbracht hatte. Dort, so meinte Antonio, hätten sie Pressluft und würden mir den Luftfilter reinigen.
Ich bedankte mich und startete das Fahrzeug. Leider nahm sie auch mit ausgebautem Filter (Für kurze Strecken kann man das riskieren, längere Zeit sollte man nicht ohne Luftfilter fahren, denn Dreck kann ungehindert durch den Luftschieber direkt in das Kurbelwellengehäuse gelangen. Das führt dann im schlechtesten Fall zu einem kapitalen Motorschaden.) nur schlecht bis gar nicht Gas an. Ich meinte zu Antonio, dass ich es so nicht einmal bis zur Tankstelle schaffen würde. Außerdem könne es nicht am Luftfilter liegen, weil sonst müsste sie ja jetzt hochdrehen.
Sie bekäme keinen Sprit. Ich zog ich mich wieder aus und zerlegte noch einmal alles. Als ich schon den Tank ausbauen wollte, um den Benzinschlauch zu kontrollieren, stoppte mich Antonio und rief: „Carburatore“. Also noch einmal der Vergaser.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch wieder Hoffnung geschöpft und das lag an Antonio. Er war genau die Hilfe, die ich zu diesem Zeitpunkt dringend brauchte. Er hatte eine andere Sicht auf die Dinge und so kam auch ich auf neue Gedanken. Es erschien mir auf einmal gar nicht mehr so unmöglich, dass wir den Fehler finden und reparieren konnten. Und ich war nicht mehr so alleine mit meinem Problem. Seine ruhige und sichere Art färbte auf mich ab, ich war nicht mehr nur der verzweifelte Gestrandete, sondern hatte wieder mehr Kraft und eine Perspektive. Ich war nicht mehr irgendwo auf der Landstraße und die Autos zischten an mir vorbei und die LKW hupten mich an. Ich war wo hin gekommen, an einem Ort, an dem ich als Wildfremder und doch als Gast verweilen konnte.
Antonio meinte, ich solle in Zukunft nur zu AGIP Tankstellen fahren, alle anderen wären Gauner und würden Diesel in den Benzin mischen. Auch das könnte eine Ursache für meine Motorprobleme sein.
Ich war zwar skeptisch, aber Antonio war sich seiner Sache sehr sicher. Doch was war wirklich mein Motorproblem? Als ich den Vergaserwannendeckel plus Luftfilter demontiert hatte, sah ich auf einmal die Bescherung: Der Schwimmerkammerdeckel hatte sich gelöst und hing nur mehr locker an den beiden Schrauben.
Damit war alles klar. An der Unterseite des Deckels ist der Schwimmer befestigt und der Deckel selbst ist mit zwei Schrauben am Vergaser befestigt. Dazwischen ist eine Papierdichtung, die auch dringend notwendig ist, weil der gesamte Sprit in eine kleine Kammer ganz oben am Schwimmerkammerdeckel gesaugt wird und erst von dort in die Düsen geht.
Wenn der Deckel lose ist, funktioniert das gesamte Vergasermanagement nicht mehr. Es war überhaupt nicht verwunderlich, dass sie kein Gas mehr annahm – ganz im Gegenteil, es war ein Wunder, dass ich überhaupt so weit gekommen war. Das erklärte natürlich auch die Öl-Sauerei, die sich hinten am Motor und innen an der Karosserie gebildet hatte. Und auch den gestiegenen Verbrauch. Es hatte einfach durch den losen Deckel jede Menge Benzin in die Vergaserwanne geblasen und von dort durch das Einstellschraubenloch nach hinten ins Freie. Antonios Verdacht mit dem Luftfilter war natürlich auch nicht falsch, denn diese Spritmengen sind weit mehr als der Blowback und kommen noch dazu von außen auf den Filter.

Nun hatte ich eine realistische Chance, doch noch nach Rom zu kommen. Ich schraubte den Schwimmerkammerdeckel wieder drauf, die beiden Schrauben waren glücklicherweise noch vorhanden. Eine davon ließ sich nicht mehr wirklich festziehen, der Deckel würde wohl mit der anderen halten müssen. Die kaputte Schraube hatte es samt dem Gewinde nach oben gerissen und auch die andere, noch bessere Schraube war nicht mehr wirklich taufrisch.

Ich plauderte noch ein wenig mit Antonio, während ich alles wieder an- und festschraubte. Er erzählte mir, dass er seit über zwanzig Jahren einen Rechtsstreit mit den Italienischen Behörden führe und dass alle, aber wirklich alle Politiker korrupt bis in die Knochen wären. Er nannte die „Magistratura“ die ganze Zeit nur „Hydra“ und führte mich zu einem alten Feigenbaum, um mir zu zeigen, dass die Hydra genauso viele Arme wie der Baum hätte. Man hätte ihm ein Patent gestohlen und viele Leute wären damit reich geworden. Er hätte auf ganzer Linie verloren, weil die Beteiligten alle korrupt wären.
Dann lud er mich noch kurz in sein Haus ein und zeigte mir ein dickes Buch, in das er seit zwanzig Jahren die gesamte Geschichte eingetragen hatte. Er wäre schon fast fertig, so meinte Antonio, und es stünde alles, aber auch wirklich alles drin, was in der Geschichte des Streits passiert wäre. Inklusive aller Namen der Beteiligten.
Wenn die Geschichte fertig wäre, würde er sich ein großes Gewehr organisieren und alle korrupten Schweine erschießen und am Schluss sich selbst. Er wäre alt und sie würden ihm nicht zutrauen, dass er das noch schafft und sich traut. Antonio baute sich vor mir auf und rief: „Ich bin alt, aber ich bin ein starker und ehrlicher Italiener. Die werden sich noch wundern!“
Dann schenkte ich Antonio die Flasche Wein, die ich von Helga bekommen hatte, denn sonst hatte ich nichts, was ich ihm schenken konnte. Ich war ihm überaus dankbar, denn er ist ohne Übertreibung als mein Retter in der Not zu bezeichnen.
Antonio verschwand und kam ebenfalls mit einer Flasche Wein wieder. Er bestand darauf, dass ich sie annehme und mir wurde klar, dass ich mich gegen einen umbrischen Bauern nicht zur Wehr setzen konnte und wollte.
Antonio kam ins Plaudern und zeigte mir noch die Sammlung seiner Familienbilder und erklärte, dass er ein „Poeta“ wäre und auch viele Gedichte geschrieben hätte.
Er wohnte scheinbar allein in dem alten, aber schönen Bauernhaus, das auch innen so typisch italienisch aussah, mit warmen Farben und dunklem Holz.

Für mich wurde es langsam Zeit mich zu verabschieden und Richtung Rom weiterzufahren. Jetzt hatte ich eine gute Chance, mein Ziel doch noch zu erreichen.
Ich verabschiedete mich von Antonio, startete die Vespa und Antonio schaute noch darauf, dass ich sicher wieder auf die Hauptstraße kam. Langsam wurde er im Rückspiegel kleiner und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
Ich werde Antonio nicht so schnell vergessen. Er war meine wichtigste Begegnung auf dieser doch recht einsamen Reise. Seine Weisheit bestand darin, mir genau das zu geben, was ich brauchte. In diesem Punkt ist er ein sehr weiser Mann und ich wünsche ihm noch ein gutes und langes Leben, in seinem alten Bauernhaus, das nur ca. 3 km neben dem Tiber steht.

Die Vespa ging wie noch nie und ich zog durch die Hügel Umbriens. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen verstand ich eher als freundliche Empfehlungen, die Landschaft war wunderschön und nach der langen Pause tat mir mein Nacken auch nicht so weh.
Langsam kehrten die Lebensgeister wieder und die Hoffnung überwog. Alle paar Kilometer stand nun klar und deutlich das Schild „Rom“ und ich folgte der S3, die mich bis ins Herz der ewigen Stadt führen sollte. Nur das Scheppern war noch da und wurde langsam immer stärker. Aber darauf achtete ich jetzt nicht, ich würde es reparieren, wenn es mich zum Stehen brächte.

Rom

Nach einer knappen Stunde Fahrzeit erreichte ich Rom und die S3 wurde zu einer Art Stadtautobahn. Ich wusste, dass ich sie fast bis zum Ende fahren musste, aber wie weit tatsächlich, das konnte ich noch nicht herausfinden. Theoretisch immer geradeaus, aber es gab so viele Abzweigungen, Schleifen, Einmündungen, Auf- und Abfahrten, dass ich wieder einmal nicht wusste, wohin ich wirklich fahren sollte.
An einer Kreuzung blieb neben mir ein Rollerfahrer stehen und ich fragte ihn nach der Via Appia Nuova. Er überlegte kurz und bat mich dann ihm zu folgen. Er scherte rechts aus und fuhr über eine Rampe auf eine Hochstraße, wo er rechts stehen blieb. Dann meinte er, das wäre die „Tangentiale est“ und ich solle sie einfach fahren bis zur Abfahrt „San Giovanni“. Dort wäre dann fast der Beginn der Appia Nuova.
Ich fragte ihn noch, wie das mit der 125ccm-Beschränkung wäre und er schaute mich mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck an: „Egal, fahr einfach, das passt schon“ meinte er und gab mir auch da die Zuversicht, die ich gerade brauchte.
Danke an diesen unbekannten Rollerfahrer – Du hast mir sehr geholfen.

Auf der Tangentiale est spielt es sich an einem Freitag Abend ordentlich ab. Der Verkehr ist gewaltig, man kann sich das wie die Südost-Tangente vorstellen, etwa in dem Ausmaß, nur mit viel mehr Ab- und Zufahrten und viel kurviger. Links und rechts zischen Rollerfahrer vorbei und auch die Autos sind sehr schnell unterwegs. Ich fahre nun mit einer Mischung aus Angst und Wurschtigkeit, ich hatte heute schon so viel erlebt, da war schon alles egal.

Ich fand die Abfahrt San Giovanni und weil es sich heute schon bewährt hatte, fragte ich wieder einen Rollerfahrer an einer Kreuzung um die Via Appia Nuova. Er war sehr nett und meinte, er führe in die Richtung und wo ich denn genau hin wollte. Bei meiner Antwort, dass ich zur Bahnstation in Ciampino wollte, rief seine Beifahrerin „Da müssen wir auch hin, ich wohne genau gegenüber vom Bahnhof.“
Also meinte er, ich solle ihm einfach nachfahren.
Einem Römer. Mit einem starken Roller. Am Freitag Abend, auf einer der großen Ausfallstraßen Roms. Wer das macht, ist danach entweder ein Held oder tot.
Da mir nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen, verdrängte ich alle Gedanken an ein Hängenbleiben mit meiner breiten Gepäckrolle zwischen zwei Autos und ähnliches. Ich gab einfach Gas und wechselte in den „Italienermodus“. Das bedeutet, dass man sich einfach immer und überall vorschlängelt, egal ob die Kolonne gerade steht oder fährt. Man wechselt einfach zwischen den Spuren und schaut, dass man an der Kreuzung weit vorne steht. Der nette Italiener fuhr wie ein Irrer, aber ich schaffte es zu folgen – wie weiß ich nicht, aber glücklicherweise hatte die Vespa wieder ihre volle Kraft.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, aber in Wahrheit waren wir in ca. zwanzig Minuten in Ciampino. Der Vorteil am römischen Verkehr besteht darin, dass so enorm viele Zweiräder unterwegs sind. Die Autofahrer haben gelernt, ihnen den Weg nicht zuzumachen und auf sie zu achten. Das verringert das Unfallrisiko enorm.

Dann waren wir da, am Bahnhof in Ciampino. Ich bedankte mich bei meinen Helfern und konnte noch ein Foto machen:

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Bild: mein Wegweiser und seine süße Freundin

Einen Anruf später war Michele da und begrüßte mich freudig. Ich folgte ihm durch Ciampino bis in die kleine Gasse, wo das Haus lag. Wie immer gab es hier auch kein Sicherheitsproblem und ich konnte die Vespa in die gut versperrte Garage stellen. Dort sollte sie bis zu meiner Abreise stehen bleiben. Ich hatte keine wie auch immer geartete Lust die nächsten Tage aufzusteigen. Bus und Bahn sowie meine Füße waren jetzt gefragt.
Allerdings nicht mehr heute. Es war 18 Uhr 45 und somit der bisher längste Tag auf der Straße. Ich bezog mein Zimmer und lernte noch das nette brasilianische Pärchen kennen, das auch dort für eine Nacht blieb. Michele meinte, ich könnte drei Nächte bleiben, danach müsste ich aber raus, weil neue Gäste reserviert hätten.

Nach einer Entspannungsphase erklärte mir Michele, dass es drei empfehlenswerte Restaurants für den Abend gäbe und ich doch heute gleich in die Trattoria ums Eck gehen könnte. Dort gäbe es gutes Essen.
Da ich den ganzen Tag nichts als einen Apfel gegessen hatte, knurrte jetzt schon der Magen. Bei Sonnenuntergang machte ich mich auf den kurzen Fußweg und durfte erleben, dass es in Italien tatsächlich noch eine fantastische Essenskultur gibt.
Von dieser Trattoria erzähle ich morgen mehr. Für heute ist einfach Schluss.

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