Sarajevo 1. Tag

„Schatzi, was sagt dir Sarajevo?“ – so rief mein Bruder seine Freundin am Strand von Kho Samui, wo sie ihre Verlobungsreise verbrachten. Er hatte nämlich gerade ein Angebot für einen Job bekommen, der ihn für zwei Jahre nach Sarajevo führen könnte.
Vanessa wusste mehr oder weniger gar nichts über diese ferne Stadt, die uns ÖsterreicherInnen doch so nah ist. Letztendlich geschah es, dass mein Bruder vor ca. einem Jahr dann seine Koffer packte und ein kleines Haus in Sarajevo mietete.

Ich wollte schon seit längerer Zeit einmal dorthin und jetzt hat es sich ergeben, dass ein Wochenende genau passt. Mit Hitzewelle, aber Sarajevo liegt auf 550 Metern Seehöhe (also der Talgrund, dazu später mehr) und hat überhaupt ein interessantes Klima.
Für Unterkunft ist gesorgt, das Ticket für den Flug mit der AUA kostet erschwingliche 270 Euro und so starte ich in ein sicher spannendes Wochenende.

Zum Flughafen fahre ich mit der Honda, denn ich habe erstens nur einen bordgepäcktauglichen Trolley ohne gefährliche Flüssigkeiten wie Zahnpasta oder Rasierschaum (ist alles im Haus meines Bruders) und zweitens ist das Parken mit einem Zweirad das einzige, was am Flughafen Schwechat gratis ist. Übrigens seit Jahren, man fährt einfach bei der Teilung Abflug-Ankunft die Straße Richtung Ankunft ein Stück weiter und biegt dann rechts ab. Nach wenigen Metern befindet sich auf der rechten Seite ein überdachter Zweiradparkplatz, von dem aus man direkt in die alte Ankunftshalle gehen kann. Alles sehr einfach und bequem. Bei der Ankunft steige ich auf den Roller und bin 25 Minuten später daheim, Staus interessieren mich nicht.

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Bild 1: Honda, gut gepackt

Da ich am Vortag bereits online eingecheckt und meine Bordkarte ausgedruckt mit habe, marschiere ich flugs Richtung Gate und bin erstaunt, dass ich meine Schuhe bei der Sicherheitskontrolle nicht ausziehen muss. Sie haben Metallösen und ich musste sie die letzten fünfzehn Jahre immer ausziehen. „Das ist ihr Glückstag“ meint der freundliche Herr beim Stargate.
Im kleinen Warteraum am Gate wird es irgendwie bosnisch: Jede Menge schreiende Kinder, eine Frau mit Kopftuch, die auf ein paar Sitzen ausgestreckt ein Nickerchen hält und die Passagiere entsprechen ungefähr der Vielfalt, die man auch an einem Mittwoch Vormittag am Brunnenmarkt sehen kann. Selbstverständlich haben die meisten eine Unmenge Handgepäck (bis zu vier Stück) mit, was eigentlich nicht erlaubt ist. Also geht ein AUA-Mitarbeiter durch und sammelt die größten Trümmer ein, nicht ohne entsprechende Diskussionen auszulösen.
Letztlich funktioniert alles irgendwie und der Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Die Maschine ist bis auf den letzten Platz ausgebucht, auf der kurzen Strecke machen mir die engen Sitze aber nichts aus. Ich schaffe es mit durchaus beachtlichem Erfolg einige Seiten eines Buchs zu lesen, was bei den schreienden Kindern vor, neben und hinter mir keine Selbstverständlichkeit ist.
Auch der Flughafen in Sarajevo ist okay – ziemlich neu und die Passkontrolle ist in wenigen Minuten erledigt. Eine Fluggastbrücke haben wir auch bekommen, was laut Aussage meines Bruders keine Selbstverständlichkeit ist.
Der wartet auch schon auf mich und wir entern seinen alten VW-Bus, um zu seinem Haus zu fahren. Der erste Eindruck: Plattenbauten, viele mit Granat- und Maschinengewehrlöchern, die auch nach 22 Jahren noch nicht repariert sind. Der Bosnien-Krieg ist hier immer noch allgegenwärtig und gehört zur Stadt untrennbar dazu. Ich bin mir sicher, dass ich die nächsten Tage noch mehr Eindrücke diesbezüglich bekommen werde.

Um die Stadt zu verstehen, muss man ihre Geschichte, aber auch ihre Topographie kennen. Man kann sich das wie einen kurzen Kochlöffel vorstellen, der am Ende des Stiels den Flughafen hat. Der Stiel selbst ist ein Tal, durch das ein Fluss fließt. Der eigentliche Löffel ist die Altstadt, das alles ist von Hügeln umgeben, die auf einer Seite am Anfang des Stiels durchbrochen sind. Dort geht es quasi links weg in ein Nebental.
Diese Topographie beherrscht die Stadt wie ich es noch bei keiner anderen Stadt gesehen habe. Sie formt sie nicht nur, sondern war auch für die Art und Weise des Krieges und der damit verbundenen 3,5jährigen Belagerung der Stadt verantwortlich.
Ich wusste das alles nicht, bis ich vor ca. 1,5 Jahren eine ausführliche Doku gesehen habe, die von der Zeit der Belagerung berichtet hat. Seitdem war mein Wunsch diesen faszinierenden Ort zu besuchen noch größer.
Rechts vom unteren Teil des Stiels liegt hinter der Hügelkette Nova Sarajevo, also der serbische, neu erbaute Teil. Im Krieg war Sarajevo von der serbischen Armee eingekesselt, nur am Ende des Stiels war ein schmaler Korridor in den Landesteil, der von der bosnischen Föderation beherrscht wurde.

Die Hügel sind zerhüttelt und diese Zerhüttelung schreitet auch oder gerade jetzt munter voran. Was früher noch Wald und Wiese war, ist jetzt Bauland und man braucht dafür keine komplizierten Genehmigungen wie bei uns. Grundstück kaufen, Haus bauen – so einfach ist das.
Nicht so einfach funktioniert das Zusammenleben der drei Ethnien (Kroaten, Bosnier, Serben), deren Differenz genauso künstlich geschaffen wurde wie die zwischen Tutsi und Hutu in Ruanda.
Erkennbar ist das daran, dass sie sich nicht nur äußerlich nicht unterscheiden, sondern in allen drei Gruppen die meisten Namen auf „-ic“ enden. Es finden sich leider immer wieder Menschen, die Spaß daran haben andere Menschen zu entzweien, was ebenso leider immer wieder zu Kriegen führt. Danach ist viel kaputt, auf allen Ebenen und es ist schwierig und teuer, das wieder einigermaßen zu reparieren.
Mein Bruder ist einer von denen, die den Auftrag haben hier ein kleines Stückchen mitzuwirken. Er organisiert den Ausbau der bosnischen Polizeiakademien, die vom ziemlich deutlichen Chaos in eine einigermaßen sinnvolle Struktur mit erkennbaren Qualitätsmaßstäben gebracht werden sollen. Kein leichter Job in diesem Land und es wird sich erst herausstellen, wie erfolgreich das Projekt ist.

Sein Haus ist jedenfalls sehr schön und gehört Mirela, die es an meinen Bruder vermietet hat. Ihr Mann ist aus Innsbruck, ihr Bruder Tarek hilft das Haus und das ebenfalls ihnen gehörende Nachbarhaus zu verwalten. Der Vater der beiden wurde im Krieg von einem „Sniper“, also einem Scharfschützen erschossen. Mirela war damals 13 und ihr Bruder 10 Jahre alt. Die meisten dieser Scharfschützen gab es bei der „Sniper Alley“, dem großen Boulevard entlang des Flusses. Wer ihn überqueren wollte, hatte über mehrere Jahre eine gute Chance erschossen zu werden. Brot kaufen gehen oder den Schwager besuchen war eine lebensgefährliche Angelegenheit.
Mirela erzählt uns ein bisschen was aus dieser Zeit, etwa als sie von serbischen Panzerfahrern Zuckerl und Schokolade bekam und drei Tage später miterleben musste, wie genau diese Panzer die Stadt beschossen.
Sie erzählt aber auch von den Menschen, die im Krieg flohen, in Deutschland Karriere machten, jetzt mit dem fetten Mercedes zurück kommen und großmäulig damit prahlen, wie toll sie sind. Das kommt nicht gut an bei denen, die damals geblieben sind und heute mit mehr oder weniger Armut kämpfen, meint sie.

Glücklicherweise sind Mirela und Tarek sehr lebensfroh und organisieren an diesem Abend eine Grillerei, zu der auch noch drei Kollegen meines Bruders eingeladen sind.
Zuvor fahren wir jedoch noch einmal Richtung Flughafen um einzukaufen. In Sarajevo gibt es eine Menge Einkaufscenter und wie bei uns liegen die meisten davon am Rande der Stadt. In einem davon kaufe ich die ersten Converse meines Lebens, die sich als exzellenter Kauf herausstellen und mich die nächsten Tage gut durch die Stadt tragen.
Auch eine unglaublich gute Zuckermelone und Gemüse können wir bei einem kleinen Stand neben dem Supermarkt erstehen, denn ich möchte heute Abend den Salat zum Grillfleisch zubereiten.

In unserem Nachbarhaus wohnen arabische Familien, die aber nur für kurze Zeit in Sarajevo sind. Die meisten fahren durch die Stadt bzw. das Umland und kaufen Häuser, manchmal sogar ganze Siedlungen. Ein guter Teil der Flugzeuge kommt aus dem arabischen Raum, speziell aus Dubai.
Den Bosniern gefällt das gar nicht, aber die Araber zahlen gut und das Geld kann man sehr gut gebrauchen.
Sollte Bosnien einmal zur EU kommen, dann sind die Araber automatisch drin. Daher meinen einige Experten, dass man das immer noch unterentwickelte Bosnien schnellstens in die EU holen sollte, um das Tor nicht zu weit aufzumachen.

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Bild 2: Der Blick von der Terrasse hinunter in das Tal mit dem Fluss. Zwischen zwei der Plattenbau-Hochhäusern steht ein Schornstein einer Heizungsanlage. Das rosa Haus rechts gehört Bosniern, die vor dreißig Jahren nach Deutschland ausgewandert sind. Mit dem dort verdienten Geld haben sie sich ein wirklich schönes und großes Haus hingestellt, ein Stock davon ist innen bereits ausgebaut und wird von ihnen ein paar Wochen im Jahr bewohnt. Sie sind schon in Pension und leben den Großteil des Jahres in Deutschland. Das ist für hier gar nicht einmal untypisch.
Das teilweise rostige Dach gehört zu einem Supermarkt, der sich direkt neben dem Haus befindet, klein ist aber 24/7-Öffnungszeiten hat. Das funktioniert hier deswegen so gut, weil Arbeitskraft sehr billig ist. Hundert Meter weiter unten an der Transit-Straße ist die „Pekara Ass“, eine hier bekannte Backwaren-Kette, die ebenfalls rund um die Uhr offen hat. Bei ihr treffen sich die Menschen ähnlich wie bei uns des nächtens in einer Bar.

Die Grillerei am Abend ist ein voller Erfolg. Tarek hat bei einem speziellen lokalen Fleischhauer eingekauft und es gibt bosnische Würstel, Pleskjavica, Cevapcici und Huhn. Dazu ein hervorragendes Fladenbrot (Pita), Ajvar und meinen Salat. Wir essen bis wir fast platzen und wissen: vegetarisch ist nicht bosnisch, ganz und gar nicht.

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Bild 3: Das hervorragende Essen

Das Bier ist aus Sarajevo, die Brauerei liegt fast am Fluss in der Altstadt und erinnert ein klein wenig an die Guinness-Brauerei in Dublin, nur ist sie viel kleiner. Ein guter Slivovic rundet das Gelage ab und wir plaudern noch weit in den Abend hinein. Mein erster Tag zeigt eine sehr positive Bilanz.

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Bild 4: Mein Salat und eine Dose vom leichten, aber trinkbaren Bier

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