Saturday Night Freezing

Ein tadelloser Abend – ich treffe mich mit Bernhard im Bettler um ein wenig über die letzten zwei Wochen zu plaudern und ein Bierchen zu trinken. Die Honda bringt mich problemlos wie immer in die Johannesgasse, abstellen, Zeug ins Topcase, rein in´s Lokal.

Moment, wo ist der Honda-Schlüssel? Ich hab ihn abgezogen und das Topcase aufgesperrt und ihn dann dort auch abgezogen und eigentlich müsste er in der Hosentasche sein, dort steck ich ihn nämlich immer ein.
Ist er aber nicht.
Wo dann?
Shit.

Im Topcase. Und das ist zu. Wie krieg ich das jetzt auf? Mit dem Schlüssel. Shit.
Allerdings lass ich mir davon den Abend nicht verderben, denn ich kann ja morgen die Honda abholen und außerdem kann ich dann heute entweder mit Car2Go heimfahren oder mit der Bim – die Öffis funktionieren ja immer vorbildlich, Dank an die rot-grüne Stadtregierung.
So muss ich auch nicht darauf achten ob ich ein Bier mehr oder weniger trinke. Fast bin ich mir selbst dankbar, dass ich den depperten Schlüssel eingesperrt habe.

Was ich allerdings noch eingesperrt habe, sind der Haus- und der Wohnungsschlüssel. Die sind nämlich in der Jacke. Und die ist im Topcase. A pro pos Jacke – es ist Dezember und ich hab grad mal ein dünnes Hemd an. Mehr brauch ich auch nicht. im Lokal.
Geh leck!

Auch davon lass ich mir den Abend nicht verderben, denn meine Nachbarin hat einen Schlüssel von meiner Wohnung und den kann ich von ihr abholen, wenn ich heim komme. Oder sie legt ihn mir im Haus irgendwo hin und ich sperre mit dem Hausschlüssel auf, der im Schlüsselsafe ist. Alles kein Problem. Außer die Nachbarin ist bei ihrem Freund in Scheibbs.
„Servus Erika. Bist du in Wien?“
„Nein, in Scheibbs.“
(Ich wollte jetzt schon „Scheiße“ schreiben, aber die Political-Correctnes-Green-App hat das verhindert und statt dessen „Scheibbse“ vorgeschlagen. Auch recht.)

Erika könnte auch in Nebraska sein – wurscht, auf jeden Fall hab ich jetzt keinen Wohnungsschlüssel, denn den anderen hat mein Vater. Der ist nicht in Scheibbs, sondern in Kenia.
Wurscht, mit so was lass ich mir den Abend nicht verderben.

Glücklicherweise gehen immer Türen auf wenn andere zu gehen. Erika meint, dass ihr Sohn Bernhard heute noch vielleicht im Haus vorbei schauen würde. Also rufe ich ihn an und tatsächlich: er fährt noch vorbei und legt mir den Schlüssel im Haus so hin, dass ich ihn finde.
Vaterland gerettet, Schlacht gewonnen, der Abend ist gerettet.

Okay, so die richtige Mörderstimmung kommt irgendwie nicht auf und um 22.30 beschließe ich den Abend abzubrechen. Mit der App am iPhone ist das nächste Car2Go einfach, bequem und schnell reserviert.
Dem Mailüfterl draußen fehlt es ein wenig an Mai, sprich an Plus-Graden. Ein ordentliches Lüfterl wäre ja vorhanden, eher ein wenig in Richtung schneidig und mit verdammt wenig Mai.
Doch der Weg zum Car2Go ist nur zwei Gassen und ich komme ein wenig unterkühlt dort an. Als ich die Karte an das Lesegerät halte, meint dieses lakonisch „Karte ungültig. Verwenden Sie die App.“

Wieso? Warum? Die Karte hat immer funktioniert! Ihr Ärsche! Was soll das? Ich friere und will heimfahren. Also rufe ich die Notrufnummer und lande in einem Callcenter irgendwo in Norddeutschland. Dort sitzt ein gelangweilter Student und klärt mich auf, dass ich jetzt eine App brauche, die Karte könnte ich mir in die Haare schmieren, sie wäre seit der Umstellung ungültig.
Okay, ich habe die neueste Version der App geladen, sonst hätte ich die Kiste ja gar nicht reservieren können. Außerdem stehe ich in einer Hausecke und friere eher doch ziemlich.
Nach einigem hin- und her meint Norddeutschland, dass ich wohl ein älteres Betriebssystem habe und die notwendige App mit der Funktion „Miete starten“ auf meinem Handy nicht funktionieren würde. Ich könnte ja ein neues Betriebssystem laden und dann die App und dann könnte ich auch Car2Go wieder nützen.
Was mir nix nützt, jetzt hier an der eisigen Hausecke im dünnen Hemd.

In diesem Augenblick hat mich Car2Go als Kunde verloren, denn ich werde mir kein neues Handy kaufen, nur um Car2Go nützen zu können. Norddeutschland bedauert das zwar, kann mir aber leider nicht helfen und ich sattle um auf Öffi-Heimtransport. Rot-grün ermöglicht mir jederzeit auf das teure Taxi zu verzichten und einen Fahrschein hab ich auch eingesteckt, für Notfälle. Also für jetzt.
Der Ring ist nicht weit und ich kann dort in die nächste Bim steigen, die mich zum Schottentor bringt. Von dort geht der 40er oder der 41er bis zum Kutschkermarkt. Dann ist es nur mehr fast so weit wie bis zum Nordpol. Also sommerhemdtauglich. Fast.

Am Ring bemerke ich, dass die einzige Bim, die hier fährt, der „2er“ ist und der fährt nach Ottakring, wo ich eher nicht hin will. Außerdem kommt er erst in 8 Minuten und bis dorthin bin ich ein durchgefrorener Eiszapfen, der umfallen und laut klirrend am Trottoir zerschellen wird.
Und ich muss Lulu. Und zwar bald. Genau genommen eher sehr bald.
Das ist jetzt irgendwie blöd, denn das nächste Beisl mit an Häusl is halt irgendwo, nur ned bei der Linie zwo… (Frei nach der Kurt Gober Band).

Ich betrete das Cafe Schwarzenberg und beschließe „schwarz“ auf´s Klo zu gehen, also ohne im Lokal was zu konsumieren. Das ist deswegen kein Problem, weil ich ja nur ein Hemd anhabe und daher wirke wie ein Gast. Außerdem heiße ich „Schwarz“ und was soll da schon passieren?
Nun, mir könnte z.B. die Brille anlaufen, weil es herinnen warm und draußen sehr kalt ist. Dann finde ich das Klo nicht, denn mit angelaufener Brille sehe ich nix und ohne Brille auch nicht. Und komisch schaut es auch aus, so als Gast, dem urplötzlich die Brille anläuft.
Warten bis die Brille de-kondensiert geht auch nicht, weil dann fährt mir die Bim davon.

Mich beschleicht der Verdacht, dass das irgendwie nicht mein Abend wird und es doch keine sooo gute Idee war den Schlüssel im Topcase einzusperren.
Aber der Klogang verläuft ohne weitere Zwischenfälle und ich erwische auch die Bim, die mich nach einer Station in Richtung U2 entlässt, mit der ich zum Schottentor komme. Es dauert zwar ein wenig, dafür ist es in den U-Bahn-Schächten nicht so eisig und ich erreiche die Umsteigstelle ganz locker und easy. Außerdem entdecke ich, dass ich von dort mit dem 40A fahren kann, der mich fast bis nach Hause bringt.

Das Schild an der Station zeigt „15 Minuten“ Wartezeit an. Shit! Das überlebe ich nicht, schließlich heiße ich weder Amundsen noch Scott und bin nicht polarmäßig ausgerüstet.
Also umdrehen, wieder hinunter zur U-Bahn und die ganze Station zurück latschen bis zum Jonas-Reindl. Dort kündigt sich ein 41er an, der in drei Minuten da sein soll. Ich wähle diese Option und werfe den Passanten böse Blicke zu, weil sie so aussehen, als würden sie sich darüber lustig machen, dass da einer frierend im Hemd steht. Es geht nichts über eine kleine, feine Privatparanoia.

Der 41er bringt mich bis zum Kutschkermarkt, von dem ich es nicht mehr weit nach Hause hab. Also, zumindest bisher war das so, im Mai oder im August. Jetzt pfeift eine steife Brise durch die kalten, grauen Häuserschluchten und ich wäre gern schon daheim.

Aber auch das geht vorbei, ich nehme den Haustorschlüssel aus dem Schlüsselsafe und hole den Wohnungsschlüssel aus dem Versteck, in dem Bernhard ihn deponiert hat. Stiegen hinauf, Gittertüre aufsperren, Wohnungstüre aufsperren und schon bin ich in meiner warmen, gemütlichen Wohnung.

Leider sperrt der Schlüssel nur das Haustor und nicht das neue Gittertor. Es gibt nämlich zwei verschiedene Haustorschlüssel und ich hab den falschen.

Oidaaaaa!
Also rufe ich meinen Nachbarn Christian an, denn der kann rauskommen und mir aufsperren. Außer er ist nicht daheim oder die Mailbox ist aktiv.
Oidaaaaa!

Während ich noch einmal Bernhard anrufe, kommt mir die Idee, dass am Schlüsselsafe-Schlüssel ja auch ein Haustorschlüssel drauf ist, und zwar der, mit dem ich gerade das Haustor aufgesperrt habe.
Jetzt wird es spannend: Sperrt er auch das Gittertor?

Er tut es. Und ich komme in meine warme, gemütliche Wohnung und kann diese Geschichte in die Tasten tippen. Schließlich lass ich mir ja nicht den Abend verderben. Saturday Night Freezing!

2 Gedanken zu „Saturday Night Freezing

  • 6. Dezember 2015 um 13:20 Uhr
    Permalink

    Sehr geil…. aber zu Deiner Beruhigung: nur noch ein paar Jährchen und Du kannst sicher zusammen mit meinem Bruder direkt vom Altersheim in den Bettler fahr’n… Und wenn Ihr beide aufgrund der zunehmenden Demenz Eure Schüssel verlegt, dann kann Euch die Stationsschwester sicher weiter helfen… -:)

  • 10. Dezember 2015 um 10:35 Uhr
    Permalink

    Du hättest auch einfach einen Freund anrufen können …
    Das wäre zwar lange nicht so spektakulär, dafür aber eindeutig ohne Frieren und wesentlich bequemer ausgegangen. #Masochist

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert