Schwarzes Gold

Vor vielen Jahren, eigentlich Jahrzehnten hat Peter Alexander einen Schlager gedichtet, der Kohle besingt. Der Text klingt ein wenig altbacken, zeigt aber in der Analyse gut auf, gegen welche mächtigen Geister wir heute kämpfen, wenn wir etwas gegen den Wahnsinn der Verbrennung fossiler Rohstoffe unternehmen wollen:

„Unter den Nägeln noch Kohlenstaub
so kam er von der Arbeit nach Haus,
müde und von all dem Lärm fast taub
und so ging es tagein und tagaus.
Unten im Berg
da war immer Nacht
und er bracht dort die Kohle raus.
Doch wenn man fragte
warum er’s macht
sah er stolz und auch glücklich aus –
und er sprach:

Schwarzes Gold
ist das Herz der Nacht
und solang es schlägt
wird die Welt sich dreh’n
wird es weitergeh’n.

Schwarzes Gold
ist wie ein Edelstein,
der im Dunkel liegt,
doch im Feuer glüht
und die Menschen wärmt.“

So lange es schlägt wird die Welt sich weiterdreh´n, wird es weitergeh´n – das sagt auch aus, dass im Umkehrschluss die Welt stehenbleibt, wenn keine Kohle mehr gefördert wird. Diese Angst sitzt vor allem der Generation, die Peter Alexander-Publikum war, scheinbar noch tief in den Knochen. Es ist wertvoll wie ein Edelstein, daher kann es nur gut sein, so viel wie möglich davon zu fördern und es wärmt die Menschen. Hier wird das archaische Bedürfnis angesprochen, in einer Umwelt „jenseits von Afrika“ sich gegen das Erfrieren schützen zu müssen. Diese Grundbedürfniserfüllung darf nie in Frage gestellt werden, denn sonst müsste man sich fragen: was machen wir außerhalb der Warmzonen dieser Erde?
Es zeigt aber auch, wie selbstverständlich es für uns ist, Kohle (und Öl) zu verbrennen. Feuer zu haben war über zigtausend Jahre DIE Überlebensgarantie schlechthin und das sitzt uns tief in den Knochen. Dass Kohle und Öl zu wertvoll sind, um sie zu verbrennen, dieser Gedanke kommt uns nur sehr selten: Was sollen wir denn sonst damit machen? Kohle = Wärme = Überleben. Es gilt aber auch: Kohle/Öl = Energie = Maschinen = weniger manuelle Hacke = Wohlbefinden/Fortschritt/Zivilisation.

Weiter im Text:

„Mit seinem Mädchen da lebte er
in dem Reihenhaus dort im Revier.
Frühmorgens ging er und kam erst spät.
doch die Nächte gehörten nur ihr.
Manchmal da war ihre Sehnsucht groß
und sie haßte den Alltagstrott.
Wenn sie dann weinte,
dann sprach er bloß: wir sind die Kinder vom Kohlenpott, ich und du.“

Schnell noch eine schnulzige Liebesgeschichte hinein und fertig ist der echte Peter Alexander, adrett auf einer sauberen Bühne vor versammelter Pensionistenschar, mit Frack und fesch und lieb.
Spannend ist das Ende der Strophe: wir sind Kinder vom Kohlenpott – das heißt natürlich, dass der Vater nicht der Vater ist, sondern der Kohlenpott, also die Firma, für die man arbeitet, eingebettet in eine große Maschinerie. Wir sind Kinder der großen Maschine, die aus viel Eisen und Kohle und Feuer und sich rund um die Uhr drehenden Zahnrädern besteht, ein Bild wie aus dem Film Metropolis. Wir sind aber auch Kinder (vor allem Söhne) des Patriarchen.
Auch hier finden wir ein interessantes Muster, das uns noch stärker in das Patriarchat hineinführt, denn das Bild ist ein extrem männliches, allerdings männlich pervertiertes, mit gut erkennbarer Unterdrückung des Archetyps der Großen Mutter (C.G. Jung, für Interessierte), die durch den Maschinenvater ersetzt wird. Die Frau darf sich sehnen und sie darf weinen, es wird aber schnell klar gestellt: das nutzt nix, das nutzt gar nix, der allmächtige Maschinenvater lässt ein schnelles Vergnügen nur in der Nacht zu, heimlich dürfen sich seine Söhne für eine kurze Zeit in die Welt der Weiblichkeit begeben, bei Sonnenaufgang müssen sie zurück sein in der Welt der Maschinen und der dreckigen Arbeit und des Stahls, und auch in der Welt, in der sie uneingeschränkt zu gehorchen haben und das tun müssen, was der große Vater (Boss) will.

Noch eine Strophe gefällig? Hier erst der Rest des Refrains:

„Schwarzes Gold
tief im Berg versteckt
und wer nach dir sucht,
hat dich oft verflucht
denn dein Preis ist hoch.

Schwarzes Gold
Millionen Jahre alt
ist so kalt wie Eis,
doch es brennt so heiß
wie der Sonnenschein.“

Der Preis, der da so hoch ist, wird von den Kindern bezahlt, die in einer kaputten Welt leben müssen. Hier wird auch den Männern in einem kurzen Moment der Erleuchtung klar, dass da irgendwas möglicherweise falsch läuft. Kurz taucht die Frage auf, ob man nicht doch dem falschen Götzen nacheifert und man die Früchte der harten Arbeit im Bergwerk nicht vielleicht doch keineswegs selbst genießen kann. Diejenigen, die das können, wohnen im Grünen und fahren gerne mit ihrem Drittporsche mal kurz vorbei.
Der zweite Teil des Refrains ist auch interessant, denn das schwarze Gold brennt so heiß wie der Sonnenschein. Es wird noch einmal klar gestellt, dass die Erlösung im Verbrennen liegt, dass die Männer mit jedem Feuer eine kleine Sonne entzünden, also immer ein klein wenig Minischöpfung betreiben. Das Feuer hat über Jahrhunderttausende die wilden Tiere verscheucht und Sicherheit geboten. Mittels Kohle und Öl kann man dies nun selbst herstellen und beherrschen – eine Verlockung, der Mann nur schwer widerstehen kann. Übrigens: wer zündet heute den Griller an? Alles klar?

Jetzt der Rest:

„Und jeden Morgen da zog er los
in die endlose Nacht unter Tag.
Sie hat gewußt
die Gefahr ist groß
auch wenn er mit ihr nie davon sprach.
Und eines Tages stand die Zeche still
und er kam nicht mehr zu ihr heim.
Sie sagte sich
daß es Gott so will
und nur heimlich hat sie geweint und gedacht:

Schwarzes Gold
ist das Herz der Nacht
und solang es schlägt
wird die Welt sich dreh’n
wird es weitergeh’n.“
(Refrain bis zum Ende)

Welcher Gott hat das so gewollt? Letztlich der Chef seiner Firma, denn der hat ihn dort hinunter geschickt. Sonst ist daran eigentlich kein Gott beteiligt. Dieser Gott muss sehr männlich sein, wenn das Weinen nur heimlich erlaubt ist, sogar den Frauen, und er muss auch sehr mächtig sein. Auch das Denken gibt der Chef vor, denn sie denkt weiterhin, dass man sogar sein Leben für die Kohle opfern muss. Das ist wahre Sklaverei im Kopf!
Zu hinterfragen ist die gesamte Ideologie, die hinter diesem Modell steht. Wie sieht das eigentlich mit uns aus, Jahrzehnte später? Opfern wir nach wie vor dem selben Gott unsere Arbeitskraft, unsere Gesundheit, unser Leben? Vielleicht in modernerer Verpackung? Gerade eben hat mir ein Freund erzählt, dass der sonntägliche Besuch bei Freunden abgesagt wurde, weil der Gastgeber unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben ist, mit 37 Jahren: „Er hat sehr viel gearbeitet…“

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