Wieder in Afrika – Tag 4

Philipp behauptet, dass ich schnarchen würde. Ich wiederum behaupte, dass er schnarcht. Wahrscheinlich schnarchen wir um die Wette, zumindest manchmal. Er jedenfalls hat seine erste Nacht im Busch gut überstanden, es war so heiß, dass die dünnen Innenschlafsäcke fast zu viel waren. Ich darf anmerken, dass wir uns zwar in der Wildnis befinden, die wahre Herausforderung jedoch erst in der Maasai Mara auf Philipp wartet, da dort neben den üblichen Nachtgeräuschen (Frösche, Grillen, Affen und jede Menge Geräusche, die sich bei bestem Willen nicht zuordnen lassen) noch viele Wildtiere (Löwen, Hyänen, Nilpferde etc.) dazu kommen. Wir werden sehen, wie es ihm dann geht.

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Bild: Philipp taucht aus dem Zelt auf

Thomy zaubert ein üppiges Frühstück mit gefühlten zehn Eiern pro Person plus reichlich Paradeiser, Zwiebel und Paprika. Ich esse zusätzlich in guter alter Tradition und der längst vergangenen britischen Kolonialherrschaft geschuldet Toast mit Orangenmarmelade, dazu Tee.
Das ist jetzt nicht rasend originell, taugt mir aber sehr. Thomy macht das hingegen wahnsinnig, weil ich in Ermangelung eines Toasters die Toastscheiben in der Pfanne röste. Das funktioniert nur mittelprächtig gut und es bleibt stets ein wenig Angebranntes, das ich dann mühsam aus der Pfanne kratzen muss. Aber für einen englischen Toast tu ich fast alles.

Wir hängen noch ein wenig im Camp herum und warten auf den Game Ranger, der uns das Retourgeld bringen soll. In Afrika darf man „in der Früh“ jetzt nicht so genau nehmen, hier geht man mit Zeit und Terminen recht entspannt um.
Irgendwann taucht er dann auf und wir können ein wenig mit ihm plaudern. Ich erzähle ihm von unserem Plan eine kleine Wanderung zum alten FigTree Camp zu machen. Er meint, dass die alte Straße recht bald verschwinden würde und wir in den Busch ausweichen müssten. Dort wäre ein Pfad, der uns hin bringt. Auf die Frage, ob wir einen Führer bräuchten, lehne ich dankend ab – schließlich kenne ich den Weg gut und es gibt auch keine mir bekannte Möglichkeit sich da zu verirren. Einfach oberhalb des ehemaligen Ufers so lange dahin spazieren, bis man bei dem kleinen Wäldchen angelangt ist. Nichts leichter als das.

Also packen wir ein wenig Wasser in meinen Rucksack und machen uns auf den Weg. Ich habe vor, den Bach vom alten Camp aus hinauf bis zu seiner Quelle zu folgen – das war schon bei meinem letzten Besuch ein sehr lohnendes Abenteuer.
Es ist schon ziemlich heiß, aber die geschätzte Gehdauer von einer halben Stunde, vielleicht 45 Minuten, ist locker zu bewältigen und es wartet ja ein kühles Bad als Belohnung auf uns. Am frühen Nachmittag sind wir wieder zurück.
Der Weg führt die alte Straße entlang und wir kommen zum See, der das erwartete ziemlich schreckliche Bild abgibt: Tote Bäume, der See selbst eine stinkende Kloake, ein totes Alkali-Gewässer. Flamingos gibt es hier allerdings keine, auch keine toten.

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Bild: Abgestorbene Bäume im See

Nach einiger Zeit kommen wir an die Stelle, an der die Straße im See versinkt. An ein Weitergehen ist hier unten nicht zu denken und ich befürchte, dass auch wenn der Wasserspiegel wieder sinkt, die Straße noch eine Zeit lang nicht befahrbar sein wird. Somit ist unklar, ob wir jemals wieder an diesem unglaublich schönen Platz campen werden und das bestätigt mich in meinem Wunsch das Camp noch einmal zu sehen.

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Bild: Ende der Ausbaustrecke

Ein kleiner Pfad führt steil nach oben in den Busch. Wir marschieren munter drauf los und freuen uns schon auf das kühle Bad im Bach. Thomy war ja auch schon vor vielen Jahren im alten FigTree-Camp, ist allerdings nicht ganz so scharf darauf in der Mittagshitze zu wandern. Für Philipp ist sowieso alles komplett neu und er folgt uns einfach.
Nach einiger Zeit stellt sich der Weg als doch nicht so bequem heraus. Es gibt ständig kleine Abzweigungen, die nach oben und nach unten führen und meist ist nicht klar, welches der Hauptpfad sein soll. Wir müssen immer wieder umkehren, weil uns mehr oder weniger dichte Dornenbüsche den Weg versperren. Dazu befinden wir uns auf einem Berghang und der Untergrund besteht aus Felsen, losem Geröll und Sand. Man muss sich ziemlich konzentrieren um nicht zu verknöcheln.
Weil manchmal kein echter Weg sichtbar ist, müssen wir auf die Knie oder ein Stück am Hosenboden hinunter rutschen, uns immer wieder durch Dornenbüsche quälen und uns vor allem alle paar Meter bücken, weil die Pfade sonst scheinbar nur von niedrigen Tieren (Ziegen wahrscheinlich, vielleicht auch Antilopen) benützt werden.
Es wird langsam beschwerlich und zunehmend immer heißer. Ein Liter Wasser pro Person stellt sich als nicht allzu üppig dimensioniert heraus, aber wir marschieren tapfer weiter, ständig auf der Suche nach einem etwas besseren Pfad.

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Bild: Noch ist der Weg gut

Nach einiger Zeit kommen wir zu einem kleinen Tal und versuchen hinunter zum See zu gelangen. Das funktioniert auch und wir können ein paar Meter auf der alten Straße gehen, die dort gerade wieder etwas höher liegt und somit nicht überflutet ist. Dann müssen wir wieder in die Büsche, die immer dichter werden.
Die Zeit vergeht, von einer halben oder einer dreiviertel Stunde kann keine Rede mehr sein, wir sind inzwischen 1,5 Stunden unterwegs und es nervt schon ein wenig, dass das Ziel immer noch nicht in Sicht ist.
Dann kommen wir zu einem weiteren Tal und müssen steil absteigen. Es gibt genau genommen keinen echten Pfad mehr, wir kämpfen uns durch die Wildnis, ziemlich zerkratzt von den Dornbüschen und durstig. Thomy wünscht sich eine Machete.

Dann endlich sieht es so aus, als würde der Weg leichter, es ist wieder so etwas wie ein Pfad zu erkennen und in einiger Entfernung hört man schon den Bach rauschen. Eine Horde Paviane verzupft sich kreischend in einen hohen Baum und wir hoffen, dass der Kampf gegen die Büsche langsam zu Ende geht. Thomy ist schon etwas mürrisch und meint, dass das eine Schnapsidee gewesen wäre dieser Wanderung zu machen.

Egal – wir sind jetzt hier und müssen weiter. Dummerweise meldet sich genau jetzt mein Kreislauf zu Wort. Zuerst spüre ich nur einen leichten Zuckersturz, dann gehe ich jedoch ziemlich ein. Genau jetzt ist aber kein großer schattiger Baum in Sicht und ich muss mit dem Halbschatten eines Busches Vorlieb nehmen.
Irgendwie geht es mir nicht wirklich gut, ich bin durstig und frustriert, weil der Bach schon ziemlich nahe rauscht, ein Weg dorthin aber nicht in Sicht ist, der scheinbare Pfad endet einfach hier und jetzt.
Ich habe keine Vorstellung, wie wir das schaffen sollen und esse erst mal einen Apfel, den ich im Rucksack habe. Dann entdecke ich plötzlich, dass sich meine Schuhe auflösen. Es sind alte Laufschuhe, die vor der Wanderung ganz in Ordnung waren. Jetzt löst sich bei beiden die Sohle, und zwar fast zur Gänze. Mir ist das aufgrund des Stresses nicht aufgefallen, den unsicheren Tritt der letzten halben Stunde habe ich auf das Terrain und die leichte Schwäche zurück geführt.

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Bild: Schuh, in Auflösung begriffen

Das ist jetzt gar nicht gut, denn ohne Sohlen kann ich den steinigen, teilweise sehr steilen und rutschigen Weg nicht zurück gehen. Ich überlege Alternativen, aber es gibt keine. Wir sind zwei Stunden oder mehr von jeder Hilfe entfernt, Mobilfunknetz gibt es keines und selbst wenn man beim Gate den Ranger findet – was soll er tun? Außerdem würde das Stunden dauern. Wenn mein Kreislauf jetzt zusammenbricht habe ich ein echtes Problem. Ich habe zwar einen Hut auf, aber die Gefahr eines Sonnenstichs ist nicht zu unterschätzen. Es hat an die 40 Grad und die Äquatorsonne kann vor allem hier im Rift Valley echt lästig sein.

Durch den Apfel und den letzten Schluck Wasser aus meiner Flasche plus der Ruhepause erhole ich mich ein wenig, aber noch ist kein Weg zum Bach in Sicht. Wir müssen ihn aber erreichen, denn wir sind auf das Wasser angewiesen, das es dort gibt.
Thomy geht weiter und versucht am Seeufer einen Weg über riesige umgestürzte Bäume zu finden. Es kann ja nicht weit sein, aber ich weiß, dass ich nicht mehr allzu viel Kraft habe, wenngleich die Krise eher eine psychische ist, sich aber nicht so anfühlt.

Dann mache ich mich auf den Weg und folge Thomy und Philipp einfach in die Richtung, in die sie gegangen sind. Glücklicherweise dauert es nicht lange und ich erreiche das offene Gelände unter den Feigenbäumen. Geschafft! Das Gefühl der Erleichterung ist unbeschreiblich und ich ziehe mich sofort aus und lege mich in den Bach. Thomy und Philipp sitzen schon drin.

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Bild: Bad im Bach

Nach einiger Zeit kühlt der überhitzte Körper ab und ich beginne mich deutlich besser zu fühlen. Dazu kommt noch die Magie dieses Ortes, die trotz der Verwüstungen noch vorhanden ist. Der glasklare Wildbach unter den riesigen Feigenbäumen ist immer wieder faszinierend, trotz der immer noch eher bescheidenen Lage, in der wir uns befinden.

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Bild: Der Wildbach vom alten FigTree-Camp

Thomy schimpft, warum ich nicht andere Schuhe genommen hätte. Das bringt mich aber jetzt auch nicht weiter, denn ich muss eine Lösung finden, wie ich die Sohlen wieder an die Schuhe bringe, sonst ist an einen Rückmarsch nicht zu denken.
Glücklicherweise habe ich eine lange Schnur im Rucksack und binde mit ihr die Sohle einfach an den Schuh. Der andere Schuh ist nicht ganz so aufgelöst und ich verwende die langen Schuhbänder um auch hier die Sohle einigermaßen gut anzubinden. Irgendwie wird das schon halten und mangels Alternative muss es einfach halten. Dass der Rückweg kein Zuckerschlecken wird ist jedoch spätestens jetzt klar.

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Bild: notdürftig reparierter Schuh

Als wir bereit sind für den Rückweg schlägt Thomy vor das Glück weiter oben zu versuchen. Uns allen ist die Vorstellung ein Graus den gleichen Weg noch einmal gehen zu müssen.
Vielleicht sind die Büsche weiter oben am Hang nicht so dicht und dornig. Das ist einen Versuch wert. Ich weiß, dass ich mir die Kräfte sehr gut einteilen und außerdem wegen meiner kaputten Schuhe höllisch aufpassen muss. Ein kaputter Knöchel wäre hier und jetzt echt nicht lustig.
Also steigen wir am Rand des Waldes den Hang hinauf und tatsächlich befindet sich oben eine Art Pfad – ebenfalls nicht eindeutig, aber einigermaßen begehbar. Wir müssen uns trotzdem ständig hinauf- und hinabsteigend bewegen und das alles in der größten Mittagshitze. Aus der lockeren Wanderung wurde ein ziemlicher Alptraum.
Ich muss zusätzlich noch darauf aufpassen jeden Schritt sehr vorsichtig zu setzen, da meine Schuhe mehr oder weniger keinen Halt bieten und von der Performance etwa mit Flip-Flops vergleichbar sind.
Nur ein Irrer würde diesen Weg mit Flip-Flops gehen. Wenn es überhaupt einen Weg gäbe.

Ich habe mir im Bach die Wasserflasche randvoll angefüllt und gehe ganz bewusst das Risiko ein verdorbenes Wasser zu trinken. Ich glaube allerdings, dass es absolute Trinkwasserqualität hat, da ich die Quelle kenne, der es entspringt. Es fließt von dort einfach ein paar hundert Meter den Berghang hinab, ist glasklar und geruchsfrei. Menschen gibt es sowieso keine, die das Wasser verschmutzen könnten.
Thomy und Philipp verzichten auf diese Option, was ich nicht verstehe, weil man könnte sich das Wasser ja auch einfach über den Kopf leeren, zwecks Abkühlung etwa.

Wir kommen einigermaßen gut voran, trotzdem dauert der Rückweg eine gefühlte Ewigkeit. Am schwierigsten ist das kleine Tal, denn der Abhang ist wirklich steil und wir rutschen etwas würdelos und teilweise am Hosenboden hinunter.
Irgendwann ist es dann geschafft und wir haben die Straße wieder erreicht. Thomy und Philipp sind auch nicht mehr ganz erntefrisch und haben irgendwann dankbar meine Wasserflasche angenommen. (Das Wasser war wirklich absolut unbedenklich, niemand von uns bekam die Scheißerei.)

Als wir wieder im Camp ankommen sind mehr als vier Stunden vergangen. Wir lassen uns erschöpft in unseren Bach fallen (es macht drei Mal „Zisch!“) und haben vor dort heute auch nicht mehr rauszukriechen.
Nach einer ausführlichen Erholungspause gönnen wir uns ein isotonisches Getränk und ich mache eine große Portion Fruchtsalat. Langsam kehren die Kräfte zurück und als es Abend wird, geht es uns allen wieder gut.
Wir (also Thomy und ich) braten uns ein Filet und es gibt eine riesige Menge Salat, wir haben alle einen Bärenhunger. Dann bricht die Nacht herein und wir gehen nach einem sehr anstrengenden Tag recht früh schlafen.

Eine Frage bleibt allerdings noch offen: Wie knapp war es wirklich? Scheinbar habe ich einige Aspekte dieses Ausflugs ziemlich unterschätzt, trotz 33 Jahren Afrikaerfahrung. Es macht einen riesigen Unterschied in welchem Terrain man sich bewegt. Wie viel Wasser braucht der Körper tatsächlich? Ich war an diesem Tag kein einziges mal pinkeln – außer am Abend. Was wäre geschehen, wenn wir den rettenden Bach nicht hätten erreichen können? Ich glaube nicht, dass ich es ohne Wasser und Abkühlung zurück geschafft hätte. Eventuell hätten wir bis zur Abenddämmerung warten können, um der großen Hitze zu entgehen. Ein paar Müsliriegel hatten wir auch noch mit, die für dringend notwendige Stärkung gesorgt hätten.

Die zerkratzten Arme sorgten an den Tagen danach jedenfalls für reichlich Amusement bei den Einheimischen:

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Bild: mein zerkratzter Unterarm

Ein Gedanke zu „Wieder in Afrika – Tag 4

  • 11. April 2017 um 18:16 Uhr
    Permalink

    Lieber Herr Schwarz!
    Mit großem Interesse verfolge ich bereits die Tage 1-4 ihrer Afrika-Safari.
    Ich lese dies schon lieber als die Tageszeitung zum Frühstück…

    Vielen Dank für tollen Reiseerzählungen!

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