Wieder in Afrika – Tag 9

Auch in dieser Nacht gab es wieder extrem starken Tau, der jedoch durch die ersten Sonnenstrahlen sofort auftrocknet. Als ich gähnend die Fahrertüre vom Toyota öffne, entdecke ich Kacke auf der Motorhaube. Da in der Nacht keine Paviane unterwegs sind, die Kacke aber sehr nach Affenscheiße aussieht, bleibt es ein Rätsel, welches Tier in der Nacht unser Fäkalgast war.
Thomy kocht uns ein ordentliches Power-Frühstück mit geschätzten 100 Eiern, ich koste ihn dafür seinen letzten Nerv mit meiner Toastbrotbraterei. Noch bevor wir fahren taucht plötzlich Salomon auf. Er hat eine alte klapprige Geländewagenkiste, deren Motor er nie abstellt, weil der Starter kaputt ist. Ich bilde mir ein, dass das vor zwei Jahren auch schon war, bin aber nicht allzu erstaunt. So ist Afrika.
Salomon kassiert Länge mal Breite, er ist sicher der bestverdienende Maasai in der Mara, Dank der verrückten Schwarz-Familie. Trotzdem ist uns dieser unglaublich schöne Platz in der Wildnis das Geld wert.

Heute geht es wieder über die Plains zum Talek, wo wir unser Glück bei einer Furt versuchen wollen, die wir gestern schon besichtigt haben. Das mit den Furten ist so eine Sache, denn es bleibt immer ein gewisses Restrisiko, weil der Fluss kein statisches Flussbett hat. Es kann passieren, dass er eine Vertiefung auswäscht, in die man mit dem Auto einfach hineinfällt, weil das Wasser ist braun und somit undurchsichtig. Deswegen sind die meisten Furten auch dort angelegt, wo es felsigen Untergrund gibt und die Gefahr des Ausschwemmens geringer ist. Wir schauen auch meistens darauf, dass bereits Spuren von anderen Fahrzeugen vorhanden sind. Das ist auch keine Garantie, macht die Sache aber einen Deut sicherer.

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Bild: Eine der Furten durch den Talek

Wo es viel Wild zu sehen gibt lässt sich nicht vorhersagen. An diesem Tag sehen wir enorm viele Tiere schon auf unserer Seite des Talek. Wir bleiben einfach stehen, schalten den Motor ab und genießen eine Viertelstunde lang die Szenerie. Rund um uns sind friedlich grasende Tiere, hin und wieder blökt eine Antilope, ansonsten hört man nur den Wind, der durch das Gras pfeift. Das sind genau die Momente, die mich und andere dazu bringen immer wieder hierher zu kommen. Vergleichbares habe ich noch nie woanders erlebt.

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Bild: Eine Maasai-Giraffe. Sie hat handförmige Flecken und sieht anders aus als die Netzgiraffe, die es im Nakuru-Park gibt.

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Bild: Sie gehören zwar nicht zu den „Big Five“, sind aber trotzdem sehr beeindruckende Tiere.

Der Talek ist noch ein wenig gesunken und wir befinden, dass eine gefahrlose Überquerung möglich ist. Auf der anderen Seite verändert sich die Landschaft, die Hügel sehen anders aus und wir sind enttäuscht, dass sich hier wesentlich weniger Wild befindet. Salomon hat uns erzählt, dass es herüben jede Menge Löwen gäbe und natürlich wollen wir welche sehen, vor allem wegen Philipp, der noch nie in seinem Leben einen Löwen gesehen hat.
Wir fahren auf einen langgezogenen Hügel hinauf, auf dem ich selbst auch noch nie war. Auf der anderen Seite kann man die Parkgrenze erblicken und dahinter quasi die Zivilisation. Glasscheiben und Wellblechdächer blinken im Sonnenlicht und der Unterschied zum Park ist auf den ersten Blick klar zu erkennen. Gäbe es die Nationalparks nicht, wären bereits alle Wildtiere aus Afrika verschwunden.
Auf einem Ast eines großen Baumes sehen wir die Reste einer Antilope – eine typische Leopardenbeute. Den Leopard selbst bekommen wir nicht zu Gesicht, dieses Glück hat man leider extrem selten.
Dann kommen sie uns entgegen – Mr. und Mrs. Großwildjäger. Sie sitzen in einem umgebauten Landrover und lassen sich von einem Fahrer durch die Gegend kutschieren. Sie sitzen jeder in einer Art Sofa, das in Summe den gesamten Fahrgastraum einnimmt, ein Art Landaulet, mit einem Baldachin darüber, während der Fahrer im Freien sitzt.
Wir sind so baff, dass wir vergessen sie zu fotografieren. Ich habe so etwas in 33 Jahren Gamedrive hier in der Mara noch nie gesehen. Leider konnte ich auch den Namen der Lodge nicht lesen, von der sie kamen. Wir fragen den Fahrer nach Löwen, aber er hat auch noch keine gesehen.
Also fahren wir weiter durch die Savanne Richtung Governors Camp. Alles ist wie ausgestorben, aber wir haben ja auch schon wieder Mittag und es ist sehr heiß.
Wir rasten unter einem der riesigen Solo-Bäume, die hier herumstehen. Sie faszinieren mich schon seit Anbeginn, denn Bäume sind genau genommen soziale Wesen, denen es alleine nicht gut geht. Trotzdem gibt es hier einige Kämpfer, die sich gegen alle Unbilden zur Wehr setzen: Elefanten, Giraffen, Wind und Wetter und noch einiges mehr.

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Bild: Einer der Kämpfer

Exkurs: Die Solo-Bäume, Kämpfer in der Savanne
Hin und wieder gibt einer dieser Kämpfer auf und beendet sein Leben. Dann steht er meist noch eine Zeit als kahles Gerippe herum, bevor er umfällt. Danach liegt er noch etliche Jahre als alter Baumstamm herum bis er vermodert. Diese Bäume sind immer aus hartem Holz geschnitzt und haben meine vollste Bewunderung.
Unter so einem Riesen machen wir jetzt eine kleine Pause. Ein Teil von ihm wurde vom Blitz getroffen und ist abgestorben, er ist aber immer noch sehr beeindruckend und bietet einer Vielzahl von Lebewesen eine Behausung: Bienen, diverse Vögel und eine Unzahl an Insekten. Dazu spendet er Schatten und unter seinem Dach wachsen noch ein paar andere Pflanzen.
Seit ich die Mara besuche nimmt die Anzahl dieser Solo-Bäume nicht mehr zu und ich frage mich, wie es sein wird, wenn der letzte dieser Kämpfer gestorben ist. Es gibt keinen Nachwuchs. Sind die Solo-Bäume die Reste eines Waldes? Die Savanne ist hier seit Jahrtausenden so wie sie jetzt ist, da gab es keine dichten Wälder. Wie also funktioniert das mit den Kämpfern? Vielleicht werde ich es einmal herausfinden.

Wir treffen zwei Landrover und fragen nach Löwen. Diesmal haben wir Glück, denn sie haben zwei Gruppen gesehen: eine kleine mitten in der Savanne ein paar hundert Meter entfernt und ein paar andere Löwen, die einen Büffel gerissen haben. Wir lassen uns den Weg dorthin beschreiben und geben Gas.
Die erste Gruppe finden wir tatsächlich und sind verwundert, wie die Fahrer sie finden konnten. Löwen liegen meist zu Mittag im Schatten eines Baumes oder unter Büschen. Diese Gruppe von Löwinnen liegt jedoch völlig frei in der Savanne, es sind fünf Stück, zwei davon in einer kleinen Kuhle mit niedrigen Büschen.

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Bild: Mitten im Grasland – die erste Löwin

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Bild: Sie lassen sich von uns sicher nicht stören.

Wie üblich lassen sie sich von uns nicht stören und wir sind hoch zufrieden, weil wir endlich Löwen für Philipp gefunden haben. Und ich finde es immer noch erstaunlich, dass uns die Fahrer den Tipp gegeben haben. Sie haben nichts davon – ganz im Gegenteil, wir sind auf eigene Faust unterwegs und sie verdienen dadurch nichts an uns. Trotzdem waren alle Fahrer in diesen vier Tagen Mara äußerst hilfsbereit.

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Bild: Eine friedliche Szene mit einem gefährlichen Raubtier – oder einem Schmusekätzchen, ganz wie man will.

Nach einiger Zeit fahren wir weiter um das Löwenrudel mit dem gerissenenen Büffel zu finden. Die Beschreibung war gut und schien präzise zu sein, trotzdem scheitern wir grandios. Wir drehen mehrere Schleifen über die Plains hinunter bis zum Fluss, finden aber keine Löwen. Das ist ärgerlich, denn sie können nicht weit weg sein. Wir suchen weiter, aber irgendwann wird es fad und wir geben auf. Nach einem kurzen Besuch bei der Mara und einem der Hippo-Pools fahren wir zurück zur Furt, um wieder auf unsere Seite des Talek zu kommen.

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Bild: Philipp an der Mara mit Hippos.

Die Bilanz ist trotzdem gut, denn wir haben die ersehnten Löwen gefunden. Am Weg zurück bleibt noch ein Fahrer stehen und erzählt uns, dass ein wenig weiter ein Gepard mit einem Riss zu sehen wäre. Wir starten durch und tatsächlich sehen wir bald zwei Landrover stehen, was ein eindeutiges Zeichen ist, dass es hier etwas zu sehen gibt.
So kommt Philipp an einem Tag nicht nur zu seinem Löwen, sondern darf auch noch sehen, wie ein Gepard mit seiner frisch gerissenenen Thompson-Gazelle (Wer sich daran erinnert: das Foto am ersten Tag…) umgeht.

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Bild: Gepard mit gerissener Thompsongazelle beim Fressen. Im Hintergrund die ersten Geier.

Geparde haben ein Problem: Sie sind extrem schnelle und gute Jäger, aber sie sind nicht sehr schwer und nicht sehr stark. Das wissen auch andere Fleischfresser und versuchen daher jedem Gepard seine Beute möglichst schnell abzujagen. Auch der Gepard weiß das und hat gelernt möglichst viel Fleisch in möglichst kurzer Zeit hinunterzuschlingen. Das ist deswegen schwierig, weil er nach der anstrengenden Sprint-Jagd völlig fix und fertig ist. Er hat aber nie viel Zeit, weil hoch oben in der Luft gibt es immer einen Geier, der die Jagd beobachtet hat. Er beginnt sofort mit dem Sinkflug, was andere Geier aufmerksam macht. Wenn die dann angeflogen kommen und über der Beute kreisen, sehen das andere Jäger wie Hyänen oder Schakale und machen sich sofort auf den Weg.
Genauso ist es auch jetzt und wir können die gesamte Abfolge erste Reihe fußfrei beobachten. Die Fahrer der Minibusse und Geländeautos haben die strikte Anweisung nicht so nahe an einen Gepard heran zu fahren, dass sie ihn stören könnten. Die Touristen wollen aber möglichst nahe heran und winken mit fetten Trinkgeldern. Also sind die Fahrer im Stress, weil sie sich entscheiden müssen.
Die Fahrer der beiden Fahrzeuge fahren nicht zu nahe heran, auch weitere, sehr schnell eintreffende Autos halten Abstand. Dafür zückt einer ein großes Teleobjektiv. Der nächste ein noch größeres und wieder ein anderer holt ein wahres Monster an Tele heraus. Wir halten mit unseren Kompaktkameras dagegen und punkten mit wesentlich coolerem Gehabe.
Die Japaner sind die ärgsten. Manchmal ist das Teleobjektiv größer als sein Besitzer, das sieht sehr lustig aus.

Als die ersten beiden Hyänen eintreffen, räumt der Gepard freiwillig das Feld. Sofort streiten sich die zwei Hyänen um die Gazelle und reißen sie in zwei Teile. Eine Hyäne ist der anderen ihren Teil neidig und versucht ihn ihr abzujagen. Dabei vergisst sie auf die andere Hälfte, die in der Sekunde von den Geiern zerlegt wird. Es ist faszinierend wie schnell das geht, nach geschätzten zwei Minuten (maximal!) sind nur mehr ein paar ärmliche Knochenreste übrig, die von zwei Schakalen beansprucht werden, die sich mutig der Schar der Geier entgegenstellen.

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Bild: Mehr Geier sind da und breiten ihre Flügel aus – ich habe aber keine Ahnung warum.

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Bild: Der Gepard räumt das Feld.

Dann ist es ganz plötzlich vorbei. Der Gepard ist schon ein ganzes Stück weggetrottet und sucht sich jetzt einen schattigen Platz um zu verdauen. Die Geier streiten sich um die letzen Fleischfetzen und die Hyänen um ihr Beutestück.

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Bild: Die Hyäne hat einen Großteil der Gazelle erwischt und versucht nun abzuhauen und ihre Beute in Sicherheit zu bringen.

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Bild: Ein Schakal versucht einer Hyäne etwas abzuluchsen.

Wir fahren zurück zu unserem Camp, glücklich über dieses seltene Ereignis. Ich fabriziere wieder einen Fruchtsalat und auch ein gut gekühltes Bier darf durch unsere Kehlen wandern.
Dabei entdecke ich, dass eine unserer Bananen aufgegessen wurde. Fein säuberlich wurde ein Stück herausgenagt und wir rätseln, wer das getan haben könnte. Eine Maus, die sich im Toyota eingenistet hat? Diese Erkenntnis habe ich allerdings erst am dritten Tag, denn bei der ersten Banane dachte ich noch, dass ich eine kaputte gekauft hätte. Am nächsten Tag war dann klar, dass wir einen uneingeladenen Gast haben. (Wir haben nie herausgefunden wer oder was das war, auch bei der gründlichen Innenreinigung des Toyota fanden wir keine Spuren.)

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Bild: Die ausgenagte Banane

Der Rest des Nachmittags besteht aus Ausruhen und Nichtstun. Am Abend gibt es Bohnen und Salat und wir erwarten eine nächtliche Blähungsorgie (die dann nicht stattfindet).
Am folgenden Bild sieht man unseren (bzw. meinen) Waschplatz. Ein paar Meter vom Zeltplatz entfernt gibt es einen kleinen Teich unter einem umgestürzten Baumstamm. Man nimmt einen Kübel und holt sich frisches, klares Wasser aus dem Teich und leert es sich über den Kopf. Danach einseifen, noch ein paar Kübel und schon ist man erfrischt und sauber. Kein Mensch braucht hier ein Haus mit Dusche, oder besser gesagt: Ich brauche das nicht. Thomy und Philipp bevorzugen die Dusche vom Toyota, dessen Wassertank genügend Vorrat hat und zwar bis zum letzten Tag.

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Bild: Unser Waschplatz

Heute ist Vollmond und es gibt nur ganz wenige Wolken, die sich auch langsam auflösen. Dies wird eine ganz spezielle Nacht und als die anderen schon schlafen gegangen sind, nehme ich mir einen Sessel und marschiere hundert Meter in die Savanne. Dort setze ich mich einfach hin und genieße die afrikanische Nacht im Busch. Es gibt eine Unzahl an Geräuschen, viele kenne ich, andere sind mir vollkommen rätselhaft. Die Szene ist in helles silbernes Mondlicht getaucht – so hell, dass man problemlos ein Buch lesen könnte. Hin und wieder zieht ein kleiner Wolkenfetzen vor dem Mond vorbei, aber sonst ist es fast schon magisch. Ich sitze einfach da und genieße diese Augenblicke, die ich in dieser Intensität auch in den vergangenen dreißig Jahren nicht oder zumindest nicht oft hatte. Das ist jetzt Afrika pur, genau hier entstand die Menschheit und hat vor hunderttausenden von Jahren den gleichen Vollmond beobachtet. Die Landschaft sah auch damals genau gleich aus und auch die Geräusche waren die gleichen, wenngleich es seinerzeit sicher noch mehr Wildtiere gab.
Diese Momente sind alle Strapazen wert und mit Geld nicht bezahlbar. Ich bin dankbar, dass ich das erleben darf und gehe zufrieden zum Zelt, wo der friedlich schnarchende Philipp die afrikanische Nacht um ein weiteres Geräusch bereichert.

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