KI – der neue Zauberspiegel?

Mein Vater Gerhard Schwarz schrieb 1980 über die „Anthropologie des Fernsehens“ (Berichte zur Medienforschung, Band 22, anlässlich 25 Jahre Fernsehen in Österreich, Herausgeber: ORF). Das ist jetzt 45 Jahre her und inzwischen hat sich technisch und sozial einiges getan.
Was ist von seiner Grundthese noch übrig?

Gerhard Schwarz baut seine Analyse historisch auf: Von der Erfindung der Schrift über das Foto bis zum Fernsehen.
Die Schrift konnte das vergängliche Wort unsterblich machen, der Preis dafür war die Trennung des lebendigen Wortes vom Redner.
Das Foto bewirkt ähnliches, der lebendige Anblick wird getötet, das fotografierte Bild dafür unsterblich.
Der Weg zum Fernsehen führt uns über den uralten Wunschtraum der Menschen, fliegen zu können. Dadurch lassen sich ferne Orte in kurzer Zeit erreichen.
Noch schöner wäre es, wenn man ferne Orte ohne Zeitverzögerung und mühsame Reise zu sich holen könnte.
Dazu bräuchte man einen Zauberspiegel: Damit kann man gleichzeitig sehen, was sich an verschiedenen Orten abspielt. Wer einen solchen Zauberspiegel (in verschiedenen Völkern als Kristalle, Metall oder Tieraugen verwirklicht) beherrschte, war ein Magier.

Gesucht wurde in den Zauberspiegeln übrigens stets die Wahrheit. Mit ihnen konnten die Magier Diebe überführen oder Feinde erkennen. Der Spiegel selbst war dafür nur das Medium, mit dem man die Gegenwart, die Vergangenheit und auch die Zukunft sehen konnte.

Mit dem Fernseher konnte der Mensch sich diesen Wunschtraum erfüllen, er konnte fern-sehen.
Die „Dauerfernseher“ waren in allen Mythologien die Götter, die allwissend sind und daher auch alles sehen können. Christian Morgenstern hat dazu ein Gedicht geschrieben:

Ein Hase saß auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll verhaltnen Fleißes
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Doch diesen sieht hinwiederum,
ein Gott von fern an, mild und stumm.

Götter waren immer schon dazu da, menschliche Schwächen zu kompensieren.
Mit dem Fernseher ist eine dieser Schwächen – alles überall sehen und somit beherrschen zu können – kompensiert worden, wenn auch nicht zur Gänze.
Besonders beliebt sind seit jeher „Live“-Sendungen, bei denen man tatsächlich in Echtzeit ein sehr weit entferntes Ereignis beobachten kann.
Der Nachteil: Man sieht immer nur einen Ausschnitt, nämlich den, den die Kamera erfasst. Durch die Weiterentwicklung der Technik konnte das zumindest teilweise kompensiert werden: Zahlreiche Kameras erfassen heute die großen Sportereignisse dieser Welt, man kann im Split-Screen zugleich mehrere Ausschnitte betrachten und im Falle der Aufnahme (beginnend mit der Ära der Videorekorder) einer Sendung diese beliebig oft sehen, vor- und zurückspulen, also Vergangenheit und Zukunft sehen.
Ich bin dadurch dabei und auch nicht, weil ich physisch ja immer noch daheim bin. Ich habe das ganze Universum in meinem Wohnzimmer, bin aber de facto auch nur in meinem Wohnzimmer.
In unserem Kopf verschwimmen Phantasie und Wirklichkeit, etwa wenn wir uns bei Krimis fürchten oder bei Science-Fiction-Filmen in die Zukunft flüchten.

Der Fernseher hat sich im Laufe der Zeit zum Massenmedium entwickelt, es gibt ihn inzwischen in den hintersten Winkeln dieser Welt, man kann durchaus sagen, er hat die gesamte Menschheit erfasst.
Er hat sich aber auch zum Herrschaftsmedium entwickelt, denn durch die konkrete Steuerung des Gesendeten lässt sich eine eigene Wirklichkeit bzw. Wahrheit erschaffen. Deswegen versuchen Autokraten auch immer die Sender ihres jeweiligen Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Ähnlich ist es heute mit dem Internet in verschiedensten Formen.

Die nächste Stufe war die Erfindung ebendieses Internets. Im ersten World-Wide-Web konnte man noch nicht fernsehen („streamen“), dafür hat die Technik noch nicht ausgereicht.
In den ersten Jahren waren die Übertragungsgeschwindigkeiten und Bandbreiten für die enormen Bilddaten noch nicht ausreichend, das berühmte „Pixeln“ kennzeichnet diese Zeit.

Inzwischen gibt es immer mehr technische Lösungen, aber auch seltsame Veränderungen, die in gewisser Weise einen Rückschritt darstellen.
Mit einem Videorekorder konnte man Sendungen aufnehmen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ansehen. Durch die Funktion des Vorspulens konnte man die lästigen Werbeblöcke umgehen.
Heute wird „gestreamt“, d.h. man sieht sich eine Fernsehsendung nicht mehr über eine Funk- oder Kabelübertragung an, sondern über eine Internetleitung und/oder W-LAN. Die alte Fernsehantenne hat endgültig ausgedient, ebenso die SAT-Schüssel.
Die neuen Medienkonzerne beeinflussen über die Technik unsere Möglichkeiten, sie stellen die neuen Autokraten, die neuen Machthaber dar.
Viele Sender unterbinden das Vor- oder Rückspulen und so ist man gezwungen, sich die Werbeblöcke zur Gänze anzusehen. Man kann maximal auf Pause drücken um aufs WC zu gehen oder sich etwas zu Essen zu holen.
Den alten Videorekorder ersetzt die „TV-Thek“, allerdings mit einem Haken: Ich kann mir nicht mehr aussuchen, wann ich welche Sendung ansehen möchte, sondern bin auf die Speicherdauer in der TV-Thek angewiesen und auch auf eine gut funktionierende Internetverbindung.
Mit dem Videorekorder konnte ich etwas nach einer Woche oder erst nach 1,5 Jahren ansehen. Das erlauben heute nur die wenigsten Streaming-Dienste und wenn, dann nur für ausgewählte Sendungen.
Das ist in gewisser Hinsicht ein Rückschritt um ca. 40 Jahre.
Es ist erstaunlich, dass sich die Menschen diese Freiheit nehmen lassen, es gibt keinen nennenswerten Widerstand dagegen.

Ein weiterer Aspekt kennzeichnet die heutige Zeit: die Reizüberflutung.
Bis in die 1980er-Jahre gab es nur eine sehr beschränkte Anzahl an Sendern, deren Programm man sich ansehen konnte. In Österreich war das „FS1“ und „FS2“. Nur wer damals schon eine Sat-Schüssel hatte, konnte deutlich mehr Sender empfangen.
In den USA gab es auch damals schon wesentlich mehr Sender, die allerdings privat waren und somit mit Werbeblöcken vollgepumpt.
Heute gibt es auch in Europa bei den staatlichen Sendern sehr lange Werbeblöcke, im Internet-TV sind diese auch nicht überspringbar, man wird zum Ansehen gezwungen, wie vor 40 Jahren.

Durch neue, private Sender, die inzwischen ja nicht mehr klassisch „senden“, sondern TV im Internet anbieten, ist auch die Propaganda im großen Stil wiedergekehrt. Parteien bieten ihr eigenes Fernsehen an und wer einen funktionierenden Internetanschluss samt entsprechendem Datenvertrag hat, kann all das ohne Gebühren genießen. Der österr. Staat kassiert trotzdem mit, Haushalte müssen inzwischen eine Abgabe leisten, ob sie einen Fernseher besitzen oder nicht.

Dort erzeugen und verbreiten Parteien und andere Interessensgruppen ihre eigene Wahrheit. Das führt zu skurrilen und teilweise beängstigenden Phänomenen, eines darf als Beispiel dienen:
Eine gute Bekannte ist nicht sehr technik-affin und hat in der Corona-Zeit fast ausschließlich ein einziges Medium konsumiert, nämlich „Servus-TV“. Dieser Sender vertritt eine politische Linie, die sehr weit rechts angesiedelt ist. Daher propagierten sie eine eigene Kampagne: Impfen ist schlecht und gefährlich, da man einen Chip injiziert bekommt, der die Aufgabe hat einen zu töten.
Meine Bekannte glaubte das, da sie keine Gegenargumente sehen konnte, sie nütze als Informationsquelle ja nur Servus-TV. Sie bekam große Angst vor der Impfung und verlor so fast ihren Job als Stewardess. Lediglich die Flucht in eine Karenz ermöglichte ihr die Zeit zu überbrücken, bis die Fluglinie die Impfpflicht wieder aufhob.
Sie war der Meinung, dass ihr bei Servus-TV die Wahrheit vermittelt wurde und wollte daher auch von mir keine Argumente hören, da diese ja keine Wahrheit mehr enthalten konnten – sie hatte die Wahrheit ja schon. Georg Danzer hat das in seinem Lied „Der Kniera“ gut beschrieben: „I glaub ollas, was in der Zeitung steht…“
Das Fernsehen scheint noch mehr Wahrheit als die Zeitung zu vermitteln, schließlich sieht man dort Bilder, die ja stimmen müssen.

Dieser etwas seltsame Wahrheitsbegriff wird seit einiger Zeit noch deutlich mehr strapaziert. Schon seit vielen Jahrzehnten ist es möglich Bilder zu fälschen. Früher war dies ein sehr aufwändiger Vorgang und erforderte eine Menge differenzierter Fähigkeiten. Durch die Erfindung spezieller Computerprogramme (Photoshop etc.) wurde dies dann wesentlich einfacher und auch für den Hausgebrauch möglich.
Seitdem wird die Welt mit ver- oder gefälschten Bildern milliardenfach geflutet.
Doch auch dafür musste man bis vor kurzem mit den Programmen einigermaßen arbeiten können.
Durch neue Internetprogramme gibt es den nächsten Schub, den nächsten Technologiesprung.
Jetzt ist es möglich durch die Eingabe von wenigen Parametern ein Bild zur Gänze künstlich erzeugen zu lassen. Bezeichnet werden diese Programme als „KI“ also „Künstliche Intelligenz“, was auch wieder irreführend ist, weil sie nur rechnen können, allerdings sehr schnell und unter Zuhilfenahme des Scannens des Internets.
Diese Programme sind derzeit (Stand 2025) noch leicht fehlerhaft, die künstlichen Bilder sind als solche noch recht gut erkennbar, die Programme schaffen etwa die Darstellung von Händen und Fingern noch nicht sehr gut.

Wenn man jedoch Internetforen durchstöbert, fällt etwas auf: Sehr viele Menschen, oft die Mehrheit in einem Forum, glauben an die Echtheit der gefälschten Bilder, auch wenn diese offensichtlich nicht der Realität entspringen. Sie wollen die Hinweise auf die Fehler gar nicht hören, lieber glauben sie an die Illusion.
Was ist daran so faszinierend? Letztlich dürfte es funktionieren, weil den Menschen die Erfüllung ihrer Träume versprochen wird. Sie wollen daran glauben, so wie Menschen an Horoskope glauben wollen.
Sie sehen etwa Bilder von perfekt schönen Frauen. Dass es diese gar nicht gibt, wird nicht zu Kenntnis genommen. Wer die Echtheit anzweifelt, wird erbittert bekämpft, beschimpft oder ignoriert.
„D´Leit woin d´Woarheit hoid ned wissen und so wer i hochkant ausseg´schmissn“ hat Georg Danzer gesungen.

Das ist jetzt der neue Zauberspiegel: Ich kann mir von Midjourney oder ähnlichen Programmen Wünsche erfüllen lassen. In der Pornoindustrie hat das letztlich sogar einen skurrilen Vorteil, sofern dieser auch realisiert wird: Es ist nicht mehr notwendig echte Frauen zu missbrauchen, man kann sie jetzt künstlich erzeugen.
Die Faszination des neuen Zauberspiegels ist für manche Menschen fast grenzenlos, vor allem, weil er inzwischen im Handy gelandet ist. Immer mehr Menschen starren in die kleinen Bildschirme und nehmen ihre Umwelt eingeschränkt oder gar nicht mehr wahr. Wenn sie dann noch Kopfhörer tragen (das ist inzwischen überall zu beobachten), sind sie fast zur Gänze von der Umwelt entkoppelt.

Das ermöglicht auch neue Formen der Manipulation. Künstlich erzeugte Videosequenzen von Politikern, die irgendetwas Schändliches tun, werden nicht auf ihre Echtheit überprüft. Wenn die Menschen dann auch noch ihr Wahlverhalten danach ausrichten, ist die Manipulation perfekt, weil sie von den Manipulatoren direkt in die echte Welt transferiert wird.

Das funktioniert aber nur, weil sehr viele Menschen inzwischen in einer Bequemlichkeitswelt leben. Sie sitzen daheim am Computer oder Handy, lassen sich alle benötigten Waren liefern und konsumieren viele Stunden am Tag das grenzenlose Angebot im Internet.
Die technische Entwicklung ist inzwischen so rasant, dass die Sozialforschung nicht mehr nachkommt und eventuelle Gefahren nicht mehr rechtzeitig erkannt werden.
Ein Beispiel sind Videos für Kinder am Handy. Sie sind so einfach und praktisch zu handhaben, dass immer mehr Eltern ihre Kinder damit ruhigstellen, um ihren eigenen, oft sehr stressigen Alltag bewältigen zu können. Das betrifft vor allem Eltern, die selbst schon in der Bequemlichkeitswelt aufgewachsen sind und gar nichts anderes mehr kennen.

Über bestimmte Programme (YouTube, Tiktok etc.) lässt man die Kinder Videos sehen. Im Laufe der letzten Jahre sind diese Videos immer kürzer geworden, weil die Kinder ihre Aufmerksamkeitsspanne verringert haben. Noch 2023 waren die Videos zwischen fünf und zehn Sekunden lang, heute stehen wir bei ca. 1,5 Sekunden.
In dieser Zeit lassen sich keine Inhalte mehr vermitteln, es sind einfach schnell wechselnde, bunte Bilder.
Die Anbieter dieser Bilder scannen die Verweildauer, bis ein Kind zum nächsten Video weiterwischt. Dieser Vorgang ist maximal vereinfacht worden, eine kleine Bewegung mit dem Finger reicht.
Wenn die Kinder schneller wegwischen, also ein 30-Sekunden-Video nur bis zur Sekunde 15 ansehen, dann werden ihnen nach einiger Zeit nur mehr 15-Sekunden-Videos angeboten.
Wie weit diese Entwicklung noch geht, lässt sich schwer abschätzen. Vielleicht ist es in ein paar Jahren nur mehr ein flimmernder Brei, der von den Kindern mit den Augen gefressen wird.
Besonders erstaunlich wäre das wohl nicht, in anderen Lebensbereichen gibt es diese Entwicklung auch. Ein Beispiel ist das Ultra-Fast-Shopping. Jugendliche gehen in ein Bekleidungsgeschäft und kaufen sich neue Sachen. Die werden kurz anprobiert und dann bezahlt. Nach dem Kauf werden sie entweder sofort entsorgt oder – im Idealfall – mit anderen getauscht.
Danach gehen sie wieder in das Geschäft und kaufen die nächsten Sachen. Das klingt absurd, ist aber das gängige Modell und auch Ziel der Bekleidungsindustrie. Sie verdient damit unfassbare Mengen an Geld.
Die Frage, woher die Jugendlichen das Geld dafür haben, ist sinnlos. Die Bekleidung wird unter maximaler Ausbeutung von Mensch und Natur extrem billig hergestellt und kann daher auch sehr billig verkauft werden – eine Hose etwa ist um 4,90- Euro erhältlich, T-Shirts noch wesentlich billiger. Die Transportkosten sind niedrig und die Firmen müssen auch keine Entsorgungskosten zahlen, da dies auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Industrie und Handel befeuern diesen Trend noch zusätzlich, indem sie die Frequenz der neuen Kollektionen immer mehr verkürzen, ähnlich wie die Dauer der angesprochenen Videos. Wenn es früher eine jahreszeitlich gestaffelte Mode gab, bieten manche Hersteller inzwischen wöchentlich oder sogar noch öfter neue Kollektionen an.
Diese Kleidungsstücke müssen auch keinerlei Qualitätskriterien genügen, da sie sowieso nie getragen werden.
Die Ausbeutung der Menschen und der Natur spielt keine Rolle, der Trend geht derzeit sogar in die Gegenrichtung, gut gesteuert durch die Industrielobbies und in Folge durch Politik und Medien. Es sieht so aus, dass die Wegwerfgesellschaft gewonnen hat, zumindest vorübergehend.

Auf einer anderen Ebene setzt sich ein Pendant zum Zauberspiegel durch: wunscherfüllende KI-Programme, das berühmteste ist ChatGPT.
Man gibt eine Frage ein oder stellt eine Anforderung (in der Fachsprache „Prompt“) und schon bekommt man ein Ergebnis, oft binnen weniger Sekunden, in Zukunft wahrscheinlich noch kürzer.
Die Programme analysieren die Worte, durchsuchen das Internet und erstellen aufgrund von Rechenoperationen ein Ergebnis.
So kann man etwa eine Recherche durchführen oder sich eine Diplomarbeit schreiben lassen. Man muss lediglich ein wenig üben, bis man die Fragen optimal formuliert. Das ist aber auch das Einzige, was man lernen bzw. können muss.

Das ist unglaublich praktisch, vor allem weil es oft Wissenschaft simuliert. Darin liegt auch die größte Gefahr, denn es gibt genau genommen keine echte Recherche mehr, keine Überprüfung auf wahr und unwahr, denn die Rechenprogramme wissen nicht, was „wahr“ und „unwahr“ ist, auch bei „richtig“ und „falsch“ versagen sie. Sie können lediglich zählen, wie oft etwas im Internet vorkommt und dann statistisch nach Wahrscheinlichkeitsrechnung entscheiden. Aber selbst diese Entscheidung ist nur eine Rechenoperation.

In den neuen Zauberspiegeln wird nach wie vor nach der Wahrheit gesucht, allerdings unterliegt man der Herrschaft der Internetkonzerne, die für die Menschen bestimmen, was wahr und was falsch ist.
„Was du auf Google nicht findest, gibt es nicht“ heißt ein – inzwischen schon alter – Spruch. Es war zwar vor der Internetzeit auch nicht immer leicht etwas zu finden, aber damals hat man wenigsten noch verschiedene „Anbieter“ konsultiert – Bibliotheken, Fachjournale, Karteien etc. Man konnte vergleichen, sich ein Bild machen und dann differenziert entscheiden.
Heute schaut man sich die erste Seite einer Google-Recherche an und das war´s.
ChatGPT geht hier noch einen Schritt weiter, das Programm übernimmt die gesamte Suche samt Einschätzung der Ergebnisse. Es lässt keine Recherche mehr zu, keinen Blick nach links oder rechts.
Durch die gefällige Formulierung simulieren diese Programme, dass irgendwo eine Art Mensch sitzt, der das schreibt. Erstaunlich viele Menschen fallen darauf herein, eventuell weil die Bequemlichkeit keine anstrengende Suche nach Alternativen erlaubt, eventuell weil die Täuschung so gut gemacht ist: Wenn es so aussieht, als hätte es ein Mensch gemacht, dann glaubt man das auch gerne, allzu gerne.
Man vertraut der Maschine, weil sie vertrauenerweckend gebaut ist.
Man vertraut der Maschine, weil es so einfach ist.
Man vertraut der Maschine irgendwann, weil man gar nichts anderes mehr kennt.

Das lässt sich gut beim Wandern in der Natur zeigen. Früher musste man sich mit Karten orientieren, heute verwendet man ein Programm am Handy („bergfex“ ist eines davon). Das hat enorme Vorteile, denn am Handy kann ich ständig sehen, wo ich bin. Die Ortung ist auf wenige Meter genau, ich kann damit kleine Pfade und Abzweigungen finden, was äußerst praktisch ist. Es ist auch leichter sich nicht zu verirren, wenngleich dafür Restfähigkeiten von früher durchaus hilfreich sind.
Die Nachteile sehen wir erst, wenn es zu einer Störung kommt. Das Handy fällt runter und ist kaputt. Dann finden wir den Weg nicht mehr und können auch keine Hilfe holen, zumindest wenn wir alleine unterwegs sind oder kein Zweithandy dabeihaben.
Oder der Akku ist leer, oder es gibt keinen Empfang – in all diesen Fällen ergibt sich eine sofortige, manchmal ernste Krise. Die Bergrettungen können Lieder davon singen.
Eine Landkarte braucht keinen Strom und kein Internet. Wer einmal versucht hat im strömenden Regen den Touchscreen seines Handys zu bedienen, kennt die Schwächen des Systems. Eine Karte funktioniert immer, sofern man sie nicht verliert und lesen kann.

Es gibt auch Menschen, die nicht für die Bequemlichkeitsmaschine anfällig sind, aber es werden immer weniger und sind inzwischen so weit, dass sie keine Rolle mehr spielen, weil das Geld mit der Mehrheit verdient wird.
Das Geld, das die Maschinen am Laufen hält.

D´Leut wolln d´Woahrheit hoid ned wissen…

…und so wer I hochkant ausseg´schmissn.

Das sang Georg Danzer in seinem Lied „Der Danzer“, wie so oft seiner Zeit voraus. Aber vielleicht war es auch schon immer so. Menschen wollen belogen werden, wenn es ihren Interessen dient.
Das derzeit aktuellste Beispiel findet sich bei künstlich von einem Computerprogramm generierten Bildern, die von den Menschen als echt eingestuft werden, auch wenn klar erkennbar ist, dass dem nicht so ist.
Die künstlich generierten Bilder werden von Programmen erzeugt, die als Rechenzeilen keine Schnittstelle zur Realität haben und daher nur Daten verarbeiten können, die ihnen eingespielt werden.
Die von solchen Programmen erzeugten Bilder haben daher nicht das, was wir als „Wissen“ bezeichnen. Sie haben z.B. keine Ahnung, dass Menschen fünf Finger haben und somit sehen viele dieser Bilder aus, als hätten die dort generierten Menschen verkrüppelte Hände, mit viel zu langen Fingern oder seltsam verbogenen. Manche Finger haben viel zu dicke Knöchel und manche Hände nur vier oder auch sechs Finger.

Trotzdem glauben viele Menschen, erschreckend viele, dass diese Bilder echte Fotos sind. Und wenn man sie auf die verkrüppelten Finger oder andere seltsame Teile dieser Bilder hinweist, werden sie aggressiv und wollen das nicht hören bzw. lesen.
In letzter Zeit tritt dieses Phänomen gehäuft auf sozialen Medienplattformen auf wie etwa Facebook. Dort gibt es unzählige Gruppen, die eine Vergangenheit verherrlichen, die es in der Form nie gab.
Das ist insofern verständlich, als die 1950er bis 1980er tatsächlich eine Zeit waren, in der es viel Fortschritt und Wohlstandswachstum gab, aber noch keine bekannten Umweltprobleme, wenig Kriege, die unser Leben irgendwie beeinflusst haben und durch das ständige Wirtschaftswachstum auch eine gewisse Stabilität.
Es war eine Zeit, auf die viele Menschen gerne zurückblicken und im Extremfall verherrlichen. Dann war dort alles gut, im Vergleich zu heute. Diese nach hinten gewandte Weltsicht macht natürlich den Blick nach vorne schwer bis unmöglich. Das ist vor allem dann schlecht, wenn dieser Blick dringend notwendig wäre, etwa weil schnelle Maßnahmen notwendig sind. Aus der Blickrichtung nach hinten sind solche Maßnahmen nicht zu sehen und werden somit auch nicht als wichtig empfunden, meistens sogar als störend, weil sie die derzeitige Bequemlichkeit angreifen würden.

Auch hier ist eine steigende Aggressivität zu beobachten. In den sozialen Medien toben sich diese Menschen dann aus und zeigen so etwas wie ihr wahres Gesicht, indem sie entsprechende Aussagen machen. Sie sind dort anonym, zeigen weder ihr Gesicht noch ihren Namen und fühlen sich unangreifbar.
Dann werden die guten, alten Zeiten beschworen, etwa so: „Yes the young ones these days will never know or enjoy the good times we had back then. Women were women and men were men.“
Ein anderer schreibt: „NATURAL BEAUTIES – NO purple hair, tattoos, piercings in nose, fat flabby, or black lip stick.“

Das ist interessant, weil er nennt künstlich erzeugte Frauenbilder „natural beauties“ – obwohl sie das exakte Gegenteil von natürlich sind. Noch deutlicher wird es bei diesem Kommentar: „Real women not the fake one’s we have today.“
Dieser Mann empfindet künstlich erzeugte Frauenbilder für realer als echte Frauen. Die bisher einzige Erklärung für dieses seltsame Phänomen habe ich bisher bei Klaus Theweleit in seinem Buch „Männerphantasien“ gefunden.
Als ich den Typen auf das gefakte Bild aufmerksam gemacht habe, dass nämlich die Gesichter der Frauen alle gleich aussehen, antwortete er „Drillinge“.
Die Wahrheit ist oft unbequem, deswegen wird man auch hochkant hinausgeschmissen, wenn man die Bequemlichkeit der Menschen stört. Das haben viele Umweltaktivistinnen und -aktivisten schmerzlich zu spüren bekommen, als sie den Autoverkehr behinderten, indem sie sich auf die Fahrbahn klebten.

Theweleit zeigt, wie Männer sich ganz bestimmte Frauenbilder erschaffen und dann versuchen, die Realität nach diesen Bildern zu gestalten. Alle Frauen, die nicht so sind wie die Wunschbilder, werden bekämpft. Derzeit erleben wir möglicherweise den Beginn einer Renaissance dieser künstlichen Frauenbilder, etwa im US-amerikanischen Trend der „Trad-Wifes“. Das sind Frauen, die versuchen einem traditionellen Frauenbild jenseits des Feminismus zu entsprechen: Sie machen sich für den Mann hübsch, damit er etwas Nettes zu sehen bekommt, wenn er vom harten Arbeitstag nach Hause kommt. Sie putzen, kochen und kümmern sich um die Kinder. Einen eigenen Beruf haben sie nicht und brauchen sie auch nicht, denn der Mann verdient genug, um das Leben der gesamten Familie finanzieren zu können. Sie sind in gewisser Weise Teil des Haushalts und tun das, was der Mann von ihnen verlangt – wie die Mikrowelle oder der Staubsauger. Sie hassen Feminismus und Emanzipation und empfinden dies als unnatürlich. Frauen, die diesem Bild nicht entsprechen, können und dürfen nicht real sein – deswegen bezeichnet sie der Facebook-Held oben auch als „fake ones“. Die Trad-Wifes sehen auch aus wie Frauen aus der Zeit, die sie bevorzugen. Sie sind weiß, blond, schlank und haben auf keinen Fall Tattoos oder Piercings.
Wer erinnert sich noch an die Austro-Pop-Gruppe STS? In ihrem Lied „Fürstenfeld“ besingen sie den Steirer vom Land, der in die Großstadt nach Wien kommt und dort auf einmal ganz andere Frauen sieht als er es gewohnt ist: „Schwarze Lippen – grüne Hoar, da kannst ja Angst kriagn, wirklich woar.“
Das dürfte auch das Angstbild des Posters sein, wenn er von lila Haaren und schwarzen Lippen spricht und beides als unnatürlich empfindet. Roter Lippenstift dürfte okay sein, blondierte Haare auch – das entspricht dem klassischen Schönheitsbild, das auch genormt sein muss. Jede Abweichung macht Angst, daher wird „Diversity“ auch abgelehnt und bekämpft.

Die Gefahr entsteht in den Echoräumen, die diese Menschen im Internet finden und wo sie sich wohlfühlen. Dort sind sie in ihrer Blase und verstärken sich gegenseitig. Je geschlossener diese Blasen sind, desto verdichteter, desto radikaler, extremer die dortigen Meinungen. Ab einem gewissen Zeitpunkt bzw. einer gewissen Intensität stecken die Menschen in der Blase so fest, dass sich ihre Identität dorthin verlagert. Ihre bisher vielfältig gestaltete Identität wird einseitig bzw. das, was man als „einfältig“ erkennt. Wir können hier eine Parallele zur Sektenbildung erkennen. Sekten leben auch davon, dass sie die Menschen von der Realität trennen (und natürlich auch von den sozialen Beziehungen dieser Realität) und dadurch in eine Abhängigkeit von einer ganz bestimmten Realität zwingen.

Das ist gruppendynamisch kein neues Phänomen, es tritt normalerweise aber nicht in dieser Stärke, in dieser Intensität auf. Es gibt meistens noch einen Realitätsbezug, etwa wenn die Menschen aus ihrer Blase hinaus ins echte Leben müssen – um einzukaufen oder ihrer Arbeit nachzugehen.
Wer jedoch arbeitslos ist und sich alles nach Hause liefern lässt, muss aus seiner Blase gar nicht mehr hinaus. Irgendwann beginnt dann die Realität Angst zu machen, weil sich die Menschen dort nicht mehr zurechtfinden. Sie flüchten sich so komplett wie möglich in die Scheinwelt ihrer Social-Media-Blase. Die echte Welt wird als gefährlich, bedrohlich empfunden und die Menschen bekommen Angst davor. Damit sie mit dieser Angst zurechtkommen können, müssen sie die echte Welt als unecht einstufen. Die Frauen dort sind dann nicht echt, sie sind „fake“.

Das ist ein relativ neues Phänomen, das es früher nicht gab. Der Unterschied liegt in der Gemeinschaft, die diese Menschen heute finden können. „Es gab immer schon in jedem Dorf einen Trottel, aber heute hat er Internet“ heißt der passende Spruch. Heute können sich die Dorftrottel zusammentun und sich eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen, in der sie zumindest virtuell wirken können.
Wenn diese Menschen dann aus ihrer Blase ausbrechen (freiwillig oder nicht), dann stößt ihre Wirklichkeit auf die Realität. Das führt im besten Fall zu einer Rückführung dieser Menschen in die Realität, im schlechtesten Fall zum Amoklauf. Dann wird alles bekämpft, was nicht dem virtuellen Idealbild entspricht, im Extremfall die gesamte Welt, als deren Opfer sich diese Menschen – in der Logik fast immer Männer – empfinden. Wenn sie in der echten Welt kommunizieren, dann mit den Worten ihrer Blase. Wenn das klarerweise als schräg oder verrückt abgelehnt wird, empfinden die Menschen, dass man „nichts mehr sagen darf“.

Wohin führt das? Werden in Zukunft noch mehr Menschen in diesen Blasen leben? Und was passiert, wenn diese Blasen platzen? Wenn die Menschen raus müssen aus ihren Bunkern in die reale Welt, könnte das zu Problemen führen. Mir fällt eine gute Doku über Gated Communities ein, sozusagen die Blasen der realen Welt. Dort leben Menschen hinter hohen Mauern, gut durch Stacheldraht und mehr von der Außenwelt abgeschirmt. Sie wohnen in sauberen Einfamilienhäusern mit Garage und kleinem Vorgarten mit gestutzten Bäumchen und Plastikrasen. Ihre Kinder gehen in Schulen, die sich innerhalb dieser Areale befinden. Die größte dieser Gated Communities befindet sich in Sao Paulo in Brasilien. Dort zeigen sich seit ein paar Jahren die negativen Auswirkungen: Jugendliche, die aus diesem Areal kommen, finden in der echten Welt keine Jobs, weil sie unter einem Glassturz aufgewachsen sind und sich in der realen Welt nicht zurechtfinden. Wenn sie sich um einen Job bewerben, dann nützen ihnen die makellosen Zeugnisse ihrer Eliteschule nichts, weil sie damit in der Realität überhaupt nichts anfangen können. Sie sind am Arbeitsmarkt unbrauchbar.

Welcher Gegentrend wird uns wieder zurückführen in die Realität? Noch habe ich auch keine gute Antwort auf diese Frage.

Künstliche Intelligenz in der Diskussion

Das Thema ist zu komplex um es umfassend erörtern zu können. Angefangen habe ich damit bereits in dem Blog-Artikel „Künstliche Intelligenz oder die Rechenleistung einer Maschine?“, jetzt geht es in die Tiefe und Breite.
Auslöser ist für mich eine Diskussion in der TV-Serie „Philosophisches Forum“ (2023), die von Konrad Paul Liessmann geleitet und von Barbara Stöckl moderiert wird.
Hier möchte ich einige Aspekte beleuchten. Wie immer sind auch meine eigenen Gedanken und Schlüsse integriert.

Vorweg: Ich bin selbst als Lektor an einer Fachhochschule vom Thema direkt betroffen, weil anzunehmen ist, dass meine Student:innen da und dort „KI“ benützen, um ihre Arbeiten zu verbessern oder gar erstellen zu lassen.
Ich bin mit diesem Problem natürlich nicht allein, muss aber für mich einen Weg finden. Die FH gibt drei Möglichkeiten vor:

1.) Verbieten. Dann ist es in dieser Lehrveranstaltung (LV) nicht erlaubt, KI zu verwenden.
Das ist problematisch, weil schwer zu beweisen. Konkret meine ich es zu erkennen, wenn Formulierungen so geschliffen sind, dass ich selbst zu staunen beginne, vor allem, wenn der jeweilige Student/die Studentin solche verbalen Fähigkeiten sonst nicht erbringt.
Konkret geht es aber darum, dass die Verwendung ja Schummeln bedeutet und den Versuch, sich ohne Leistung eine Note zu erschleichen.
Das finde ich nicht gut, weil ich sowieso keine Prüfungen mache und meinen Studierenden viele Freiheiten gebe, um den Aufwand zu reduzieren. Ich will aber nicht, dass sie ihn auf Null reduzieren, weil wozu soll die Lehrveranstaltung dann dienen?
Die FH hat hier einen pragmatischen Ansatz: Was sich sowieso nicht verbieten lässt, sollte auch nicht verboten werden.
Das ist zu diskutieren.

2.) Erlaubnis für bestimmte Teile einer LV
Dieser Ansatz ist ebenfalls interessant, vor allem wenn er noch durch eine Sonderleistung ergänzt wird: Die Studierenden müssen selbst über den Einsatz der KI reflektieren und erklären, was sie gebracht hat und was nicht.
Das ist bei uns zwar nicht vorgesehen, könnte aber eine gute Ergänzung sein.
Ach ja: Auch in dieser Variante ist es nicht erlaubt eine ganze Arbeit einfach durch die KI erstellen zu lassen.

3.) Erlaubnis, sofern der Einsatz dem Lernzweck dient
Das ist ja ganz nett, aber so wie ich meine Pappenheimer kenne, dient dann jeder Einsatz der KI halt dem Lernzweck.
In Variante 2+3 muss der Einsatz übrigens dokumentiert, also in Form von Quellenangabe offengelegt werden.

So weit, so gut. Spannend wird es dann, wenn Masterarbeiten von der KI erstellt werden. Das ist nämlich nicht leicht überprüfbar. Wir werden sehen, in welche Richtung sich das entwickelt.

Zurück zum Thema, in dem wir natürlich schon drin sind. Ich selbst habe KI noch nie verwendet, schreibe derzeit aber mit zwei Kolleginnen ein Buch, wo wir das lange diskutiert haben, übrigens mit dem Ergebnis, dass wir keinerlei Passagen durch KI erstellen lassen. Es geht auch ohne, wenngleich die Vorteile da und dort natürlich offensichtlich sind.

Die Sendung reißt gleich zu Beginn eine Vielzahl an Themen auf, die Bandbreite ist enorm, die Ebenen sind vielfältig.
Trotzdem sticht ein Punkt aus philosophischer Hinsicht gleich hervor: Was ist überhaupt Intelligenz? Es fällt uns schon schwer das beim Menschen zu definieren, in der Diskussion wird das Wort derzeit äußerst leichtfertig verwendet. Das ist wichtig, denn es gilt in gewisser Weise der alte Spruch „was liegt, das pickt“: Wenn sich der Begriff einmal durchgesetzt hat, ist er schwerer zu hinterfragen. Wenn wo Intelligenz draufsteht, dann wird sie wohl auch drin sein – so der Trugschluss.
Dabei rutschen wir sehr schnell in die Themen Bewusstsein und Moral, gemischt mit Entscheidungsfindung und in Folge mit Grenzsetzung: Was soll KI dürfen und was nicht?
Jetzt taucht sofort die Frage nach der Beherrschbarkeit auf und wird mit der uralten Diskussion um den Golem verknüpft: Ein geschaffenes Wesen, das sich selbständig macht. Dieser Begriff macht tendenziell Angst, weil wir die Gefahr vermuten, dass der Selbständige auch gerne autonom wäre, also von uns nicht mehr zu kontrollieren, und dass er in Folge irgendwann auf die Idee kommt uns zu kontrollieren.
In zahlreichen Filmen (z.B. Terminator) wurde dieses Thema durchgespielt.

Um die Kirche im Dorf zu lassen: Bisher ergeben seriöse Diskussionen stets, dass der Begriff „Künstliche Intelligenz“ als nicht zutreffend einzustufen ist. Es handelt sich um Rechenoperationen eines Computers, die uns aufgrund ihrer Komplexität, Geschwindigkeit und Erscheinungsform als intelligent erscheinen.
Daraus folgt aber, dass diese Rechner nur das berechnen können, was wir ihnen eingeben. Wenn wir in die Eingaben Fehler einbauen, arbeitet die KI mit diesen Fehlern und produziert selbst Fehler.
Die Gegner dieses Standpunktes behaupten, dass die Computer aus den Eingaben plus dem, was sie sich selbst aus dem Internet holen, lernfähig sind. Das suggeriert, dass sie von sich aus eine höhere Abstraktionsebene erreichen können und das ist zu diskutieren.
Dazu zwei Geschichten:

Das Militär hat einen dieser neuen Computer gekauft, der strategische Entscheidungen besonders clever und besser als Menschen treffen können soll. Der gesamte Generalstab steht gespannt vor dem Riesending (die Geschichte ist schon ein paar Jahrzehnte alt) und der Programmierer gibt die Frage ein:
„Offense or Defense?“
Die Maschine beginnt zu arbeiten, rattert, es vergehen einige Minuten, dann spuckt sie das Ergebnis aus:
„Yes“.
Die Militärs sind aufgeregt, mit der Antwort natürlich nicht zufrieden und der Programmierer gibt eine neue Frage ein:
„Yes what?“
Wieder arbeitet der Rechner, diesmal fast doppelt so lang. Dann spuckt er das neue Ergebnis aus:
„Yes, Sir!“

Computer können uns maximal spiegeln, nicht aber übertreffen – das wäre die Conclusio aus diesem alten Witz.
Emotionale oder soziale Intelligenz haben Computer sowieso nicht, ganz zu schweigen von einem Bewusstsein ihrer selbst. Die Diskutierenden sind sich auch einig, dass die KI nicht einmal das Potenzial dazu hat.
Maximal in der Logik können sie punkten, wobei sie diese auch nicht selbst finden, sondern ihrer Programmierung folgen.
Das können sie hervorragend, so wie viele andere Dinge – etwa im Bereich der Medizin können sie große Sprünge in der Diagnostik bewirken und dadurch Menschenleben retten.

Weil viele Menschen die Frage nach der wirklichen Intelligenz gar nicht stellen, weckt die KI sowohl Hoffnungen als auch Ängste – Liessmann betont, dass beides wohl übertrieben sei.
Es ist die Kombination aus sehr schneller Rechenleistung plus Big Data plus den programmierten Vorgängen (Algorithmen), die das Ergebnis aussehen lassen, als wäre eine Intelligenz dahinter.
Wahrscheinlich, weil die meisten Menschen nicht verstehen, was dahinter verborgen ist. Und wohl auch, weil die mediale Berichterstattung stets auf Sensationsgier aus ist und die Debatte entsprechend steuert.
Verloren geht dabei die wichtige Frage, wie wir das alles nützen wollen und sollen. Wir erleben, dass KI einfach „passiert“, dass ChatGPT von Menschen genützt wird, weil es da ist und von daheim am Laptop mit einem Knopfdruck gestartet und verwendet werden kann, kostenfrei oder mit sehr geringen Kosten.
Wir leben immer noch in einem „technikgeilen“ Zeitalter und erhoffen uns von der Technik Lösungen für Probleme, die wir selbst nicht anpacken wollen oder können. Jede Zeit schafft ihre Erlösungsphantasien samt Erlösern, die irgendwann in Mode kommen und nach einer gewissen Zeit von etwas anderem, neuem abgelöst werden: A new kid in town!
Das war lange die Religion, später kamen die Naturwissenschaften etwa in Form der Genetik, der Biotechnologie und noch einiges mehr. Dann tauchten die Computer auf und jetzt ist es gerade die KI, die als Revolution, als neues Zeitalter gefeiert wird. Das war aber bei der Dampfmaschine auch schon so. Und beim Computer.

Um zu verstehen, was da vorgeht, müssen wir der Spur des Geldes folgen – eh wie immer, sozusagen. Sie führt uns zu den großen Technologiekonzernen, die ein enormes Interesse daran haben, die Debatte zu steuern, wie die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack erklärt: Sie treiben die Ethikdebatte gerne vor sich her, um der Frage nach der Regulierung zu entkommen, denn das ist wiederum ihre größte Angst: Dass wir uns die Freiheit nehmen, die KI zu kontrollieren.
Dahinter steckt das Prinzip, dass Konzerne (samt den dort tätigen Menschen an der Hierarchiespitze) stets auf eine Maximierung des Gewinns aus sind und sich dabei ungern stören lassen. Da die dahintersteckende Gier immer unendlich ist, setzen sie sich selbst keine Grenzen, auch wenn sie nach außen hin anders auftreten.
Wenn die Menschen über ihr Ordnungsprinzip (genannt „Staat“) eingreifen wollen, wirken ihnen starke Kräfte in vielfältiger Form entgegen, die stärksten sind die Bequemlichkeit und die Neugier.
Daher bekommen sie Spiele (und Brot in Form von Zucker, das ist aber eine andere Geschichte) und nützen diese intensiv bis pervers. Im Idealfall machen wir uns von diesen Spielen – wir alle kennen sie als „Handys“ – so abhängig, dass wir ohne nicht mehr sein wollen und können.
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht (und nicht gerade auf sein Handy starrt), kann das jeden Tag fast überall gut erkennen.
Das führt zu Phänomenen, etwa dass Menschen rund um sich herum alles egal ist, wenn sie auf ihr Handy (Computer, Fernseher etc.) fokussiert sind. Da stört am Weltuntergang nur, dass dann das Internet nicht mehr geht und das „Device“ nicht mehr geladen werden kann. Immerhin, dann sind die Menschen bereit aufzublicken, letztlich aber auch nur, weil sie dazu gezwungen werden.
Wir sind hier sehr schnell in einer politischen Diskussion, denn es ist die Verantwortung der Politik, die wesentlichen Fragen des menschlichen Daseins zu behandeln und im Sinne des Wohles der Gesellschaft zu steuern.
Die Technologiekonzerne werden sich um Fragen des Umweltschutzes, der Demokratie oder der Menschenwürde nur kümmern, wenn sie ihnen schnellen Profit bringen oder wenn sie dazu gezwungen werden. Da es in unserer Welt aber letztlich nur mehr zwei Dinge gibt, die man gefahrlos zum Zwecke der Profitmaximierung ausbeuten kann, wird dies auch getan: Menschen (die meisten zumindest) und Natur können sich nicht oder nur schwer wehren, zumindest nicht schnell genug, um die kapitalistische Wirtschaft zu bewegen. Hier gilt der Spruch „the king said to the priest: you keep them stupid, i keep them poor”.
Daher wird die KI auch in diesem Sinne verwendet, wenn wir dies zulassen. Die erste Bastion, die derzeit gerade massiv angegriffen wird, ist die Demokratie. Sie erschwert die schon angesprochene Profitmaximierung. Die Diktatur ist für die Konzerne viel praktischer: Ich besteche den Diktator und bekomme alle Rechte und Freiheiten, um Mensch und Natur maximal ausbeuten zu können. Das lässt sich an vielen Orten bzw. in vielen Ländern unserer schönen Welt trefflich beobachten.

Peter Kirchschläger wirft die Frage des Vertrauens auf: Dieses müssten sich die Technologiekonzerne erst erarbeiten. Liessmann entgegnet, dass sie (Günter Anders folgend) bereits einen Vertrauensvorschuss bekommen haben, der enorm groß ist – wie das bei neuen Technologien immer geschieht.
Sie erwecken Neugier und Hoffnung und bekommen in Folge Vertrauen, das erstaunlich lange anhält, bevor es bei Missbrauch in sich zusammenstürzt.
Dazu kommt noch die Pikanterie, dass die entsprechenden Konzerne ja darauf hinarbeiten, genau das Vertrauen nicht mehr zu brauchen. Wenn ich von etwas abhängig bin, muss ich ihm nicht vertrauen, weil ich sowieso keine Wahl, keine andere Handlungsoption habe. Deswegen suchen ja auch alle Wirtschaftsunternehmen die Monopolstellung, weil man ihnen und ihren Produkten dann nicht mehr vertrauen muss. Den Schmäh mit der „gesunden Konkurrenz“ muss man ja nicht unbedingt glauben, finde ich. Sie ist nicht mehr als ein Feigenblatt.

Auf die Frage, wie denn die Konzerne das anstellen, antwortet Kirchschläger: Mit Manipulation. Ihr großer Hebel liegt in der Unmenge an Daten, die gesammelt und verwertet werden. Die meisten Menschen, die Geld haben, haben auch Internet und stellen ihre eigenen Daten den Technologiekonzernen dort gratis zur Verfügung. Sie schreien zwar ständig nach Datenschutz, handeln selbst aber gegenteilig, indem sie ihre privatesten Daten jedem geben, der sie haben will. Der Köder ist die Gratis-Benützung der Programme (Facebook, Instagram, TikTok etc.) plus der Mehrwert der Teilnahme an einer Gemeinschaft – deswegen tut es auch weh, wenn man „entfreundet“ wird. Aber auch hier gilt die Regel: Wenn du für etwas nichts bezahlen musst, dann bist du nicht Kunde, sondern Produkt.
Diese Daten werden dann dazu verwendet, um uns zu manipulieren, etwa in unserem Konsum- oder in unserem Wahlverhalten. Nicht ohne Grund steckt die Politik Unsummen in Social-Media-Kampagnen und ebenfalls nicht ohne Grund geben die meisten Konzerne Unsummen für Werbung im Internet aus.
Selbstverständlich kann man sich dagegen wehren, den totalen Nicht-Konsum schafft aber wohl niemand ohne zu verhungern. Das Leben als selbstversorgender Eremit in der einsamen Hütte im Wald ist zwar möglich, allerdings nur für ganz wenige Menschen.
Alle anderen, also fast alle, brauchen soziale Kontakte, sind von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Haus, Supermarkt, Arbeitsplatz etc.) abhängig und müssen somit den gesellschaftlichen Normen folgen. Diese wiederum geben etwa vor, dass Menschen ein Smartphone brauchen. Ohne kann man heute vieles gar nicht mehr machen, das Leben wird sozusagen immer enger und schwieriger ohne Handy.
Im Gegenzug bietet es uns eine fast grenzenlose Welt der Unterhaltung, schon kleine Kinder bekommen heute von ihren Eltern ein Smartphone und werden damit ruhiggestellt. Die Gefahren werden nur höchst selten thematisiert und noch seltener diskutiert, möglicherweise weil auch die Politik am Smartphone hängt und diesen neuen Götzen nicht in der Kritik sehen will.

Eine nächste wichtige Frage ist die nach der Moral der KI. Kirchschläger führt aus, dass zur Moral die Freiheit gehört: Nur wer frei entscheiden kann, ist dazu fähig moralisch zu entscheiden. Ein Beispiel ist das autonom steuernde Fahrzeug. Wenn diesem einprogrammiert wird, den Fahrgast so schnell wie möglich von A nach B zu bringen, dann wird es diese Anweisung ausführen. Es gibt keine moralische Instanz, die es davon abhalten könnte. Das spielende Kind auf der Straße, das dabei überfahren wird, spielt für die so programmierte KI keine Rolle.
Wenn man einem Menschen diese Anweisung gibt, dann hat er das Potenzial diese moralisch abzuwägen und entsprechend zu handeln.

Der Informatiker Peter Reichel erläutert, dass Algorithmen nicht ethisch sind und daher auch nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Das obliegt einzig und allein dem Käufer eines autonomen Fahrzeugs. Ethik und Moral sind keine binären, digitalen Systeme – wenn jemand einen Schaden verursacht, dann wird er/sie als Mensch das Gefühl haben, dass es ihm bzw. ihr leid tut. Ein Computer kann so etwas nicht und wird es nie können.
Der Philosoph und Soziologe Christian Dries ergänzt, dass wir derzeit auf dem Weg sind Computern bzw. dem Internet mehr zu vertrauen als Menschen. Diese Entwicklung sollte so nicht weitergehen, auch wenn Computer manche Dinge schneller und sauberer ausrechnen können. Urteilskraft im Kant´schen Sinne lässt sich aber auf Computersysteme nicht übertragen.
Das Problem läge darin, dass wir seit Jahrzehnten Computer in unser Leben integriert haben und inzwischen der Annahme sind, dass sie uns insofern überlegen sind, als wir durch unsere Körperlichkeit und Emotionen nicht so scharf und klar rechnen können – wir werden dadurch sozusagen zu fehlerhaften KI-Systemen. Das überträgt sich dann auf unsere Entscheidungskraft, die in Folge ebenfalls als fehlerhaft angesehen wird. Dann vertrauen wir in immer mehr Lebensbereichen dem Computer, was wiederum dazu führt, dass dieser immer mehr Macht und in Folge noch mehr Vertrauen bekommt.

Dries greift auch noch die ökologische Frage auf: Die KI ist unglaublich energieintensiv und schöpft Ressourcen ab, die wir dringend für andere, oft lebenserhaltende Systeme brauchen – was wiederum großteils arme Menschen trifft. Wir kennen diese Thematik schon von den Blockchain-Währungen wie Bitcoin, die inzwischen unfassbare Mengen an Energie verbrauchen, was jedoch nahezu nirgends diskutiert wird.

Liessmann betont, dass die KI gar nicht in der Lage ist zu verstehen, was „Mensch sein“ überhaupt bedeutet. Es ist nicht möglich einer KI die Regel „schädige keinen Menschen“ mitzugeben, weil sie nicht wissen kann, was „Mensch“ bedeutet und was „schädigen“ ist.

Wir sehen also Chancen und Risiken, die dringend notwendige Diskussion auf gesellschaftlicher und politischer Ebene fehlt jedoch. Somit bleibt auch offen, wie es weitergeht.

Kornaten 2025 – ein Bubenwochenende

Bei unserem heurigen, runden Maturatreffen waren wir 28 Personen. Das finde ich 40 Jahren nach der Matura doch recht beachtlich.
Daher mussten wir das nachfeiern, bei einem guten Bier beim Grünspan. Und da kam Hubert die Idee uns auf ein Wochenende auf sein Boot einzuladen. Georg, Walter und Schmidl sagten sofort zu, Heini konnte leider nicht, dafür sprang mein Bruder Peter ein.
Als Termin wurde Mitte August gewählt: Donnerstag Abend mit Huberts Bus bis Zadar und am Montag wieder zurück – kein schlechter Plan.

Leider starb Schmidls Mutter und statt dem Burschenwochenende gab es für ihn ein Begräbnis.
So blieben wir zu fünft, was sich platzmäßig als optimal herausstellte. Einer mehr wäre noch gegangen, wobei es da in erster Linie um die Schlafplätze am Boot geht. Die Princess 330 ist – wie der Name schon sagt – 33 Fuß lang, das sind ca. 11 Meter. Zwei Kabinen mit Doppelbetten stehen zur Verfügung, wobei man sich da schon recht gut mögen sollte. Weitere Gäste können sich den Salon, das Heck oder die Flybridge aussuchen, was in heißen Sommernächten und einer luftigen Brise am Meer recht reizvoll ist. Weniger lässig ist es bei spürbarem Gelsen- oder Taueinfall, was je nach Ort, Wetter und Jahreszeit variiert.

Geht´s los? Es geht los!

Wir treffen uns am Bahnhof in Hütteldorf, wobei Georg traditionsgemäß zu spät kommt. Wir haben es aber nicht super eilig, Huberts Bus ist gemütlich und mit Kühlbox perfekt ausgestattet.
Die Fahrt ist kurzweilig und besteht bis auf die letzten fünf Kilometer nur aus Autobahn. Die Geschwindigkeit wird in erster Linie durch Baustellen und Staus bestimmt, die wir beide glücklicherweise nur in geringem Ausmaß erleben müssen. Die beiden Grenzen nach Slowenien und Kroatien haben auch ihren Schrecken verloren und bei Sonnenuntergang sind wir bereits tief am Balkan, was auch Zeit für ein Bier bedeutet.

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Bild: Die Rast ist kurz, aber notwendig

Gegen 23 Uhr kommen wir in der Marina Dalmacija in Sukosan an, die sich als riesig herausstellt, es gibt in Summe 1.700 Liegeplätze für alle Größen von Yachten.
Sofort leicht erkennbar ist, dass hier das Geld daheim ist. Vor allem wohlhabende Menschen aus Deutschland, Österreich und Kroatien haben hier ihre Motorboote oder Segelschiffe geparkt, die monatliche Miete für ein Boot der 10-Meter-Klasse beträgt ca. 800 Euro im Monat. Die hervorragenden Sanitäranlagen sind hier schon inbegriffen, Strom und Wasser auch oder kosten nicht sehr viel extra. An den dort geparkten Autos lässt sich der Geldadel gut erkennen, die meisten Kosten verursacht aber die Instandhaltung der Yachten. Sie müssen oft gewartet werden, müssen regelmäßig aufs Trockendock und brauchen generell viel Liebe und Pflege. Wer das nicht will, kann sich auch ein Boot chartern, was auch viele tun.
Beim Motorboot kommt noch der Sprit dazu, hier gibt es nach oben keine Grenze.

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Bild: Die Motorboote sind nach Größen geordnet und liegen dicht nebeneinander

Die erste Nacht schlafe ich in einer der Kabinen, mein Bruder zieht es vor oben im Salon zu übernachten, Hubert ebenfalls, Georg und Walter teilen sich die Bugkabine.

Am Freitag früh fahren wir in den Ort frühstücken und einkaufen. Wir haben keine Eile und die Gemeinschaftskasse wird nicht wirklich strapaziert, Wasser, Brot, Früchte und Käse stehen auf der Liste, am Abend werden wir jeweils ein nettes Lokal aufsuchen, Hubert hat keinen Herd an Bord.

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Bild: Einkauf im Supermarkt neben der Marina

Huberts Boot hat einen Steuerstand im Salon und eine Flybridge mit einem weiteren Steuerstand. Meistens wird von dort oben gesteuert. Alle modernen Geräte, die für eine sichere Fahrt notwendig sind, hat er an Bord, auch einen Autopilot, was die Sache sehr entspannt.

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Bild: Steuerstand

Das Boot hat zwei Volvo Penta Turbodieselmotore mit je ca. 330 PS. Sie sind sehr zuverlässig und brauchen im Verdrängerbetrieb nicht viel Diesel, im Gleitbetrieb natürlich wesentlich mehr. Wir sind bis auf zwei Mal zehn Minuten ausschließlich Verdränger gefahren, da wir es nicht eilig hatten und das Boot dadurch wenig verbrauchte.
Durch die vier Betten ist die ältere Princess natürlich für vier Personen ideal, dafür gibt es auch genügend Platz im Salon, wobei auf so einem Motorboot naturgemäß alles sehr eng ist und man ständig aufpassen muss – auf den Kopf, auf die Zehen etc.

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Bild: Salon, dahinter weiter unten die Küche, die Bugkabine, eine Toilette, die notfalls auch als Dusche verwendet werden kann und die zweite Kabine.
Die Toilette wird mit einer Pumpe betrieben – zuerst pumpt man ab und dann frisches Seewasser hinein. Das funktioniert tadellos und wer das Leben auf einem Schiff gewohnt ist, gewöhnt sich auch daran, dass das WC-Papier nicht ins WC geworfen werden darf.
Die Vorbereitungen zum Auslaufen gehen zügig voran, am Boot muss alles verstaut und in Ordnung gebracht werden. Hubert kontrolliert noch die Motoren, in Summe ist eine ganze Menge zu tun.

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Bild: Hubert bei der Ölkontrolle

Überall gibt es Klappen und jede Menge Herumhantieren mit Seilen und sonstigem Zeug. Georg und Walter werden als Leichtmatrosen eingeteilt und müssen lernen Mouringleinen einzuholen und Seilknoten zustande zu bringen.

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Bild: Walter ist für die Seile beim Ablegen verantwortlich.

Dann geht es los, wir laufen aus und nehmen Kurs auf die Kornaten. Diese Inselgruppe habe ich das erste Mal 1995 bei einer Tauchkreuzfahrt kennengelernt. Sie sind das beste Tauchrevier im ganzen Mittelmeer und ich war dort schon seit fast dreißig Jahren nicht mehr tauchen – was heute auch nicht mehr so einfach geht, es gibt nur ganz wenige Schiffe, die eine Sondererlaubnis bekommen. Damals war ich auf der „Vranjak“ unterwegs, heute gibt es die „Vranjak 2“, die vom Sohn des ehemaligen Betreibers Jani betrieben wird.

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Bild: Jani in den 1990ern, so wie ich ihn kennengelernt habe

Vielleicht ergibt es sich ja wieder einmal, reizen würde es mich schon sehr, ich habe dort – gemeinsam mit Hubert übrigens – ein paar meiner tollsten Tauchgänge erleben dürfen.

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Bild: Die alte Vranjak. Die beiden Masten sind reine Zierde, segeln kann man damit nicht.

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Bild: Georg darf ans Steuer. Die Princess 330 hat kein Bugstrahlruder und keine Gondeln, muss also über das Ruder bzw. die beiden Motoren gesteuert werden, was gar nicht so einfach ist, vor allem wegen der Trägheit muss man ziemlich vorausdenken. Das kleine, schwarze Kästchen mit den beiden roten Knöpfen ist der Autopilot. Damit hält das Boot den eingegebenen Kurs und mit den beiden Knöpfen kann man ein paar Grad nach links bzw. rechts korrigieren. Das hat man nach kurzer Zeit heraus.

An Bord ist es gemütlich, wir fahren mit 1.500 Umdrehungen langsam durch die Bucht zu einer Meeresenge mit einer Brücke und nehmen dann Kurs Richtung Süden, zu den Kornaten.

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Bild: Entspannt genieße ich die Fahrt, hinter mir die gerade durchfahrene Brücke.

Die erste Insel, an der wir vorbeifahren, ist Mrtovac, dort habe ich mit Hubert meinen bisher tiefsten Tauchgang (65 Meter) gemacht, vor langer Zeit. Die Erinnerung ist trotzdem noch sehr intensiv, ich kann mich an eine feuerrote Schmuckkoralle am Meeresgrund erinnern und an das Licht, das da unten dank des sehr klaren Wassers noch ausreichend vorhanden ist.

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Bild: Mrtovac – die Steilwand setzt sich unter Wasser fort, sie ist ab ca. 25 Metern Tiefe voll von Höhlen, in denen auf weißem Sand Langusten und Hummer hocken. Dazu gibt es tiefviolette Gorgonienwälder und noch einiges mehr. Ober Wasser ist das ein kahler Steinhaufen, unter Wasser befindet sich ein Paradies.

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Bild: Rote Gorgonie vor weißem Sandgrund auf Mrtovac

Wir fahren daran vorbei und weiter zu unserem Ziel, der Insel Levrnaka. Auch dort waren wir bei einer Dalmatienkreuzfahrt 1996. Ich erinnere mich noch gut an einen Abend, an dem wir mit einem schrägen Typen bei Rotwein, Brot und Oliven die tolle Atmosphäre dieser ruhigen Insel genossen haben.
Damals erzählte uns eine alte Frau von Kriegszeiten, als Partisanen einen Trupp deutscher Soldaten angriffen und die jungen Männer auf die Insel verschleppten. „Man hat ihnen dann die Beine gebrochen und sie in eine Doline (das sind tiefe Löcher im Kalkgestein, die meistens bis zum Wasser hinunterreichen) geworfen, wo sie langsam verreckt sind“ erzählte die alte Frau.
Mein alter Freund Gabor und ein paar andere fragten, ob sie wüsste, welche Doline das damals war und ob die Toten jemals geborgen wurden.
Natürlich wisse sie das und nein, die hat nie wer raufgeholt, meinte die Frau.
Also schnappten sich meine Tauchkollegen ein Seil und Ivan führte sie zur besagten Doline. Sie kletterten hinunter und fand die Überreste einer Handvoll junger Männer, vor allem Schuhsohlen, Gürtel und etliche Erkennungsmarken. Ich erinnere mich noch an eine Marke eines 19jährigen Deutschen eines Aufklärungsbataillons, einige waren durch das Leichengift zerfressen, viele aber noch gut lesbar.
Meine Kollegen haben sie dann ans Schwarze Kreuz geschickt, damit ihre Verwandten erfahren konnten, wo ihre Väter oder Brüder oder Ehegatten liegen – mit gut fünfzig Jahren Verspätung, aber besser als nie.

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Bild: Ein altes Bild von Levrnaka. Gut ist die Landbrücke mit dem Weg zwischen den beiden Buchten zu erkennen. Die Dolinen befinden sich in dem sonnenbeschienenen Teil hinter dem Hügel.

Die Insel besteht aus zwei Hügeln, die durch eine schmale Landbrücke verbunden sind. Seeseitig gibt es eine schöne Bucht, in der wir ankern. Laut Hubert lebt Ivan immer noch da und wir können ihn besuchen. Georg und ich beschließen zum Strand zu schwimmen, sehr weit schaut das nicht aus.
Da ich eine kleine Wanderung in Erwägung ziehe, borge ich mir einen Schwimmbeutel aus – garantiert wasserdicht, um mein Handy, ein T-Shirt (Sonnenbrandgefahr) und mein Bandana trocken transportieren zu können.
Die Strecke stellt sich dann als gar nicht soo kurz heraus und ich bin froh, am Strand angelangt zu sein.
Das mit dem Schwimmbeutel war keine gute Idee, er ist leider garantiert nicht wasserdicht und alles darin ist nass. Glücklicherweise funktioniert mein Handy noch und das nasse T-Shirt stört auch nicht wirklich, es ist ohnehin heiß.
Wir suchen einen Weg hinauf zu dem Haus und finden einen – den falschen, wie sich herausstellt. Georg und ich klettern über Felsen und an Büschen vorbei hinauf zum höchsten Punkt der Landbrücke – nur um festzustellen, dass es auf der anderen Seite des abgesperrten Camping-Geländes einen breiten, guten Weg gibt. Wir hatten uns ohnehin gewundert, wie all die Badegäste in der Bucht dorthin gekommen sind – egal, jetzt ist es eh zu spät.

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Bild: Blick in die Bucht, wo unser Boot vor Anker liegt. Es ist das letzte rechts hinten.

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Bild: Blick von der Höhe hinunter zum Anlegesteg auf der Innenseite von Levrnaka. Dort, wo die Ausflugsboote anlegen. Gut zu erkennen ist die Hauptinsel der Kornaten, Kornat. Dahinter ist dann das Festland. Und vor uns ein steiniger Weg (ohne Weg) hinunter zu dem Anleger.

Also klettern wir auf der anderen Seite hinunter, um vom Anleger den Weg zu dem gesuchten Haus zu gehen. Als wir dann den breiten Weg zu dem ehemaligen Haus gehen, finden wir uns in einem Camp wieder. Von einem Ivan hat hier niemand gehört, es gibt ihn wohl doch nicht mehr und wir wandern wieder die restlichen Meter zum Strand.
Georg und ich versuchen das Handy diesmal noch besser in dem Beutel zu verpacken und sind damit auch erfolgreich. Dann kommen wieder die anstrengenden paar hundert Meter zurück zum Boot, aber auch das geht vorbei.
Nach einem kleinen Snack starten wir wieder hinaus Richtung Piskera, wo unsere nächste Marina liegt.

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Bild: Kleines Mittagessen an Bord

Vorbei geht es an der schroffen Steilküste weiter in den Süden der Kornaten. Wir kommen an der Insel Balun vorbei, wo ich vor vielen Jahren an einer Kante in die falsche Richtung getaucht bin und meinen Buddy verloren habe.

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Bild: Balun

So schroff die Kornaten auch wirken, irgendwie ist die Landschaft auch schön. Weniger schön sind die unzähligen Steinmauern auf den größeren Inseln, vor allem auf Kornat. Bei einer kleinen Recherche erfahre ich, dass sie von Sträflingen gebaut wurden und viele dabei umgekommen sind. Das war vor fast hundert Jahren, so lange stehen diese Mauern schon. Sie erfüllen keinen wirklichen Zweck, angeblich wurden sie gebaut, um die vom Wind davongetragene Erde aufzufangen, haben diese Aufgabe aber nie wirklich erfüllt. Sie sind steinerne Merkmale menschlicher Grausamkeit, bleiben letztlich aber stumm, da es wohl nur wenige Menschen gibt, die ihren Sinn hinterfragen.

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Bild: Sinnlose Steinmauern

Wenig später sind wir in der kleinen Marina angelangt. Sie unterscheidet sich deutlich von der riesigen in Sukosan und liegt malerisch in einer kleinen Bucht. Auch hier sind die Sanitäranlagen tadellos, der Liegeplatz kostet für das Boot 70 Euro und ich komme drauf, dass ich meinen Rasierer daheim vergessen habe – zumindest die Klingen. Da die anderen auch keine dabeihaben, bleiben wir alle unrasiert. Soll nichts Schlimmeres passieren.

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Bild: Unser Boot in der Marina von Piskera

Dafür freuen wir uns auf ein gutes Abendessen im Restaurant der Marina. Die Preise sind stolz, 100 Euro für ein Steak keine Kleinigkeit.
Zu dritt essen wir einen großen Fisch, der mit Beilagen ebenfalls 100 Euro kostet, letztlich aber ausreichend ist und preislich somit okay. Das Bier schmeckt gut, lediglich die Gelsen trüben den wunderbaren Abend.

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Bild: Walter kämpft mit der Garnele in seiner Fischsuppe

Am nächsten Tag mache ich einen kleinen Spaziergang auf den Hügel neben der Marina, um mir die Beine ein wenig zu vertreten und weil die anderen eh noch schlafen. Es ist schon warm, aber noch nicht heiß und ich erhasche einen Blick auf die Kornaten in der Morgensonne.

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Bild: Kornaten im Morgenlicht. Rechts unten ist die Marina, die schmale Durchfahrt hinaus ins Meer verleitet dazu eine Abkürzung zu nehmen – sonst muss man nämlich um die ganze Insel herumfahren.
Das hat aber seinen Grund. Als ich darauf warte, dass die anderen aufwachen, fährt ein Segelschiff mit seinem Flautenschieber auf die Durchfahrt zu. Es macht einen Kracher und das Schiff läuft auf Grund. Jetzt haben alle erste Reihe fußfrei und können sich anschauen, wie die verzweifelte Mannschaft versucht das Schiff wieder freizubekommen. Sie scheitern mit mehreren Versuchen, dann kommt der Hafenmeister und versucht den Segler mit seinem Schlauchboot rückwärts zu ziehen, scheitert aber ebenfalls.
Erst ein herbeigeholter Fischer mit seinem kleinen, aber kräftigen Boot macht ein Seil an der Mastspitze fest und schafft es dann den Segler wieder ins tiefere Wasser zu ziehen. Er fährt dann sofort wieder raus aus der Marina, den Spott der vielen Skipper rundherum will er sich nicht geben.

Es ist Samstag und wir fahren zurück Richtung Zadar. Unser nächstes Ziel ist eine nette Bucht auf Dugi Otok, die wir nach ein paar Stunden Fahrt auch gut erreichen. Dort gibt es keine Marina, jedoch einen Hafen für Ausflugsboote und auch ein gutes, günstiges Lokal mit hervorragenden Grillplatten, wie Hubert uns versichert.
In der Bucht ankern jede Menge Motorboote und auch etliche Segelschiffe. Eines ist ganz besonders schön, ein alter Zweimaster, sicher älter als 70 Jahre, dessen Restaurierung nicht ganz billig war. Diese traumhafte Segelyacht gehört Italienern und heißt „Isabella“.

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Bild: Wunderschönes, altes Holzsegelboot in klassischer Form. Davor der Bug eines modernen Kevlarseglers.
Weil wir keine Mole haben, müssen wir mit einem kleinen Schlauchboot zum Ufer fahren. Mit einem wirklich kleinen Schlauchboot.

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Bild: Georg, Walter und Hubert im Schlauchboot

Gerudert wird, weil der kleine Außenbordmotor nicht funktioniert. Die Strecke ist aber nicht weit und wir verbringen den Nachmittag sowieso noch mit Faulenzen und auch das eine oder andere Bier muss daran glauben. Ich packe meine Schnorchelausrüstung aus, das Ergebnis ist aber mau, es gibt dort in der Bucht genau gar nichts zu sehen, absolut gar nichts. Das Gewicht und die Herumwurschtelei hätte ich mir sparen können, genauso wie den starken Sonnenbrand, den ich mir an diesem Tag hole. Ich schwöre, dass ich nur wenige Minuten in der Sonne war. Erst viel später werde ich erfahren, dass der Schatten an Bord nahezu nichts bringt, da das Wasser die UV-Strahlen so stark reflektiert, dass nur ein ordentlicher Sunblocker mich hätte bewahren können. So lernt man auch mit 58 Jahren noch was dazu, immerhin.

Nach einem kleinen Fußmarsch auf der Insel hinauf zu einer spektakulären Klippe (die dann doch nicht wirklich so spektakulär ist) sind wir bereit für die tolle Grillplatte.

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Bild: Peter vor der Klippe

Leider gibt es das Lokal nicht mehr bzw. es wurde umgebaut und ist jetzt ein mehr oder weniger nobles Restaurant. Die Karte spiegelt das wider.

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Bild: Speisekarte

Ähnlich wie auf Piskera zielen die Lokalbesitzer auf das betuchte Bootspublikum ab und liegen damit scheinbar goldrichtig. Wir gönnen uns trotzdem ein gutes Essen, schließlich ist das ein feines Wochenende und wir wollen unseren Spaß haben.
Am nächsten Tag in der Früh sehen wir die Ausflugsboote, wie sie in die Bucht einfallen, etwa ein knappes Dutzend, jedes voll mit Tagesausflüglern, die auf die Insel gebracht werden. Ich konnte nicht herausfinden, was sie dort den ganzen Tag tun und wir fahren ab Richtung Marina.

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Bild: Zwei der vollen Ausflugsboote

Davor treffen wir noch einen alten Bekannten von Hubert, der in der Marina mit seinem Boot den Nachbarplatz hat. Er ist so etwas wie das Marinafaktotum, kennt jeden und jeder kennt ihn. Wenn Du etwas brauchst, etwa einen schnellen Trockendocktermin, dann ist er der richtige Mann.
Gemeinsam gehen wir Mittagessen und finden endlich das, worauf ich mich schon die ganze Zeit freue: Ein kleines kroatisches Lokal (Ciao Ciao) direkt am Hafen von Kukljica mit gutem, bodenständigem Essen. Ich bestelle Oktopus und bereue es nicht, aber auch alle anderen Speisen sind gut und reichlich – so reichlich, dass wir nicht wissen, ob wir am Abend wirklich noch groß Essen gehen.

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Bild: Bereit für ein gutes Essen

Danach geht es heim in die Marina und gegen Abend bekommen wir doch noch Hunger und fahren in ein nettes Restaurant (Stari Most) zwischen Sukosan und Zadar, wo ich endlich die ersehnten Pleskjavica bekomme. Schließlich bin ich in Kroatien. Mit diesem Essen hoch über dem Meer geht der Urlaub auch fast schon wieder zu Ende. Wir haben am frühen Abend das Boot noch gesäubert und alles aufgeräumt und auf Vordermann gebracht, schließlich kommt morgen die Schwiegermutter von Hubert mit einer Freundin aufs Boot.

Am nächsten Tag fahren wir zurück nach Wien. Die Fahrt verläuft störungsfrei und nach guten sieben Stunden sind wir gesund und munter wieder daheim. Es bleibt ein großes Dankeschön an Hubert und eine wunderbare Erinnerung an ein tolles Bubenwochenende – auch wenn diese Buben schon rasant den 60er ansteuern, es war so lustig wie zu Zeiten der Matura.

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Bild: Die Buben sind froh

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Bild: Sonnenuntergang auf Dugi Otok

Was vom zweiten Weltkrieg übrig blieb

80-jährige haben den zweiten Weltkrieg nicht mehr miterlebt, 90-jährige können sich noch dunkel daran erinnern, in ca. zehn Jahren wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Und doch ist noch einiges vorhanden, das hier einmal aufgezählt werden darf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Mir hat der WK2 drei meiner vier Großeltern genommen. Sie sind komplett sinnlos gestorben, so wie die anderen 60 Millionen Toten. Warum? Letztlich weil ein paar alte Männer ihren Machtrausch ausleben wollten. Das erinnert mich doch an was – wie ist das heute, was hat sich geändert?
Und was sollten wir tun, damit das nicht wieder passiert?
Um diese Diskussion nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, ist es notwendig sich daran zu erinnern, was geschehen ist und wie es geschehen konnte.

Der Fokus liegt auf Wien, dessen komplette Zerstörung glücklicherweise verhindert werden konnte. Selbstverständlich gab es auch im restlichen Österreich viel, was heute längst weggeräumt, überbaut, instandgesetzt oder abgerissen wurde.

1.) Schrift, Bild und Ton
Schon vom WK1 gibt es Filme, die auch heute noch ausgestrahlt werden, der WK2 ist umfassend erfasst, samt den Gräueltaten, teilweise sogar schon in Farbe.
Dieser Punkt steht in der Aufzählung nicht ohne Grund an erster Stelle, weil er aus meiner Sicht die größte Auswirkung hat. Einerseits mahnen die Schriftstücke, Ton- und Bilddokumente vor der Schrecklichkeit des Krieges, andererseits dienen sie auch der Rechtfertigung und tw. der Verherrlichung. Es gibt inzwischen leider immer mehr Menschen, die wieder vom Krieg schwärmen und dass einmal wieder ordentlich aufgeräumt werden sollte etc.

2.) Flaktürme
Sie sind unübersehbar, die drei Zwillinge – im 6. Bezirk das Haus des Meeres sowie der Turm in der Stiftskaserne, im zweiten Bezirk im Augarten und im dritten Bezirk die restlichen beiden. Sie werden noch lange herumstehen, Betongiganten, so dunkel wie die Zeit, aus der sie stammen.

3.) Geglättete Gründerzeithäuser
Es gab tausende Bombenschäden, jede Menge komplett zerstörte Häuser und auch solche, die renoviert werden konnten. Weil damals der Fokus auf schnelle Bewohnbarkeit gelegt wurde, mussten die schönen Fassaden daran glauben und wurden einfach gerade heruntergeputzt. Von diesen Häusern gibt es in Wien noch unzählige.
Die inneren Beschädigungen wurden im Laufe der Jahre natürlich auch beseitigt, ich erinnere mich noch gut an das Haus meiner Großeltern in der Zirkusgasse, bei dem der Aufzug aufgrund von Bombenschäden kaputt ging. Ich habe mich immer gefragt, warum er nie instandgesetzt wurde, schließlich wäre er gebraucht worden. Das geschah dann erst, als das Haus verkauft und generalsaniert wurde, ca. 50 Jahre nach Kriegsende.
Die Baulücken, die in meiner Kindheit noch in großer Zahl vorhanden waren, sind inzwischen alle geschlossen.

4.) Mahnmale, Denkmale und Tafeln
Das Russendenkmal am Schwarzenbergplatz ist wahrscheinlich das bekannteste Bauwerk, es gibt aber unzählige andere, in diesem Fall sogar mehr in ländlichen Regionen. Sie weisen meist auf die ermordeten Soldaten hin, die bis heute meistens als „Gefallene“ bezeichnet werden, als ob sie aus Unachtsamkeit hingefallen wären und sich das Genick gebrochen hätten. Als ob es keine Täter gäbe und es sich um einen Unfall handeln würde, wenn jemand erschossen, verbrannt oder zerfetzt wird.
In den meisten Ortschaften finden sich solche Kriegsdenkmäler, oft als Kombi aus WK1 und WK2. In Wien sind sie seltener, hier finden wir vor allem die Messingtafeln am Boden, die an die vertriebenen und in Konzentrationslagern ermordeten jüdischen Menschen erinnern.

5.) Luftschutzkeller
Es gibt sie noch und in manchen findet man heute noch alte Schilder oder aufgemalte Schriftzüge, die Fluchtwege markieren oder ähnliches. Hier sind wir aber bereits bei den versteckten Relikten.

6.) Schützengräben und Bombenkrater im Wienerwald
Auch hier muss man schon genau hinschauen, aber rund um Wien sind die alten Gräben immer noch sichtbar, auch einige Krater sind bis heute nicht zugewachsen oder aufgefüllt.

7.) Waffen
Auch sie sind im öffentlichen Raum nicht sichtbar, es gibt aber unzählige Sammler, die immer noch Waffen aus dem WK2 bei sich daheim haben.
Als Kinder spielten wir in Dornbach (Bezirksteil von Hernals) in dem Waldstück, das an unsere Siedlung angrenzte. Eines Tages fanden wir Waffen und Munition, für uns eine großartige Sache. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir Gewehrpatronen zerlegten und das darin enthaltene Schwarzpulver anzündeten. Irgendwann kamen Eltern der Sache auf die Schliche und dann wurden Profis geholt, die das ganze Zeug fanden und entsorgten. Wir waren uns der Gefährlichkeit nicht wirklich bewusst.

8.) Fliegerbomben
Inzwischen sind sie selten geworden, aber die tausenden Blindgänger sind bis heute ein Problem. Bei einem Fund werden ganze Straßenzüge evakuiert, damit die teilweise noch immer scharfen und somit gefährlichen Bomben entschärft werden können.

ich erinnere mich noch gut an eine Fernsehdoku, in der eine alte Frau gefragt wurde, welche Botschaft sie aus ihrem Leben gerne an die Jugend weitergeben möchte. Sie dachte nach und dann meinte sie „Egal was passiert, Finger weg vom Krieg!“
Leider interessiert das die heutigen Kriegstreiber herzlich wenig. Sie suchen und finden Gründe, um andere Gruppen, Völker, Gesellschaften oder Länder anzugreifen. Es sind immer alte Männer, die junge Männer in den Tod schicken.
Somit ist es das Patriarchat, also die Herrschaft der Väter, die das erst ermöglicht. Es ist höchste Zeit diese zu beenden.