Der Boss

Mein Posting Nr. 200 – das kann nur dem Boss gewidmet sein!

Inzwischen habe ich den Vergleich von drei Konzerten – 25. Juni 2003 die „The Rising“-Tour, am 5. Juli 2009 „Working On a Dream“ und jetzt die „Wrecking Ball Tour“.

Die Tourneen

Sie sind immer gigantisch, vor neun Jahren spielte er von 15. bis 27. Juli, also in knapp zwei Wochen insgesamt sieben Mal im Giants Stadium in New Jersey. Alle Konzerte restlos ausverkauft. Die Tour ging von August 2002 bis Oktober 2003 – er spielte 14 Monate.
2009 war es wieder eine Welttournee mit neuer Platte (1. April bis 22. November) und auch diesmal gibt es ein neues Album, eben „Wrecking Ball.“ Und natürlich eine Welttournee, die diesmal von 9. März bis 7. September dauern wird.

Der Boss

Wie macht er das? Der Mann wurde am 23. September 1949 geboren und ist somit immer noch älter als der Großteil seines Publikums, das auch nicht mehr das Jüngste ist. Er wird heuer 63 und spielte in Wien über 3,5 Stunden ohne eine einzige Pause. Nein, nicht eine einzige. Entweder hat er eine unglaubliche Kondition und Konstitution oder einen sensationellen Arzt, der ihm Zeug gibt, das scheinbar über Jahrzehnte keinen Schaden anrichtet.
Und er hat Freude am Spielen, große Freude sogar. Was er gestern live bot, kann man nicht simulieren. Auf seinen Ruf „Are you tired“ brüllen Tausende „Noooo“ und er spielte weiter.
Er tut und tat das auch bei den anderen Konzerten, in Madrid spielte der alte Mann 3 Stunden und 48 Minuten und somit das längste Konzert seiner 40-jährigen Karriere. Er springt ins Publikum, lässt sich angreifen, herumschubsen, bejubeln – vielleicht ist es dieses Bad in der Menge, das ihn jung hält, ein Verjüngungsbad sozusagen. Vielleicht ist er süchtig und braucht den donnernden Jubel von zigtausend Menschen, denen er für mehrere Stunden Freude gibt, er und natürlich die E-Street-Band, von der er einige Zeit getrennt war und mit der er allerdings jetzt auch schon seit über zehn Jahren wieder äußerst erfolgreich ist.

Selbstverständlich sind auch seine Auftritte durchorganisiert. Bei vielen Konzerten holt er während „Waitin on a sunny day“ einen ca. 10-jährigen Buben auf die Bühne, der dann eine Minute lang den Refrain singen darf. Ob das vorher ausgemacht ist, welcher Bub das jeweils wird, weiß ich nicht, singen tun die natürlich grottenschlecht, aber darum geht es ja nicht. Der Effekt ist vorgeplant und tritt immer ein – Rührung im Publikum, Sympathie für den Boss.

Trotzdem ist Springsteen sicher der authentischste Superstar und der einzige, der sich stets mehr als eine halbe Stunde im Publikum aufhält, das in dem Sinn nicht von Securities kontrolliert werden kann, denn im Wellenbrecher sind quasi „ganz normale Leute“ (diesmal etwa: mein Bruder mit ein paar Freunden). Laut eigenen Aussagen versucht der Boss den amerikanischen Traum, den er seit Jahrzehnten besingt, mit der amerikanischen Realität auszugleichen – Ergebnis sind etwa einige Protestsongs auf seinem neuen Album, z. B. gegen die Finanzindustrie.
Hier ein Bild von Markus Gobetzky – die waren wirklich nah dran:

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Das Konzert

17:30 Dienstbeginn – nicht für den Boss, sondern für mich. Ich sehe mir die Konzerte gerne in der Rolle des Platzanweisers an. Das hat ein paar Vorteile, etwa dass ich Geld bekomme, statt zu bezahlen, oder dass ich nette Menschen treffe. Die Arbeit hält sich in Grenzen und das Konzert genieße ich genauso wie alle anderen. Diesmal wurde ich zum „Supervisor“ befördert und bekam ein graues Poloshirt anstatt des orangen. Mehr Geld gab es dafür nicht, aber uneingeschränkte Macht und ca. 2 cm Körpergröße mehr, zumindest so lang ich das Polo trug. Hier meine Chefs in voller Autoritätsstrenge:

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Das Publikum

Es war irgendwie klar, dass die Sache eher stressfrei abgehen wird. Ältere Herrschaften sind schon ein wenig außer Atem, wenn sie bei uns am dritten Rang ankommen und machen wenig Stress. Sie wollen ihren Sitzplatz, vorher noch aufs Klo und ev. ein Bier. Mein Vorrat an Ohrenstöpseln wurde durch ein paar weitere von Markus ergänzt und von einigen Leuten dankbar angenommen. Nur einmal wurde es etwas mühsam, als sich einige beschwerten, dass man am Juchhee eine grottenschlechte Akustik hätte. Wir konnte etwa 30 Leute umsiedeln und alles lief bestens.

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Der pünktliche Beginn verschob sich um 40 Minuten und so begann das Konzert um 20:10 Uhr. Da war es noch taghell und es wollte noch keine echte Stimmung aufkommen – zumindest wenn man Stimmung mit lautem Gebrüll und Armewacheln gleichsetzt. Der Boss spielte zuerst einige Nummern seiner neuen Platte, die niemand kannte und die daher auch niemand interessierten.
Spannend wurde es ab der 12. Nummer – es wurde finster und der Boss spielte seine alten Hits – Badlands, gefolgt von Darlington County und dann kam bald auch schon Waitin on a sunny day – mit dem obligaten Buben.

Hier die Setlist:

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Für die 31 Lieder brauchte er 3:35 und konnte das mit 51.000 Gästen ausverkaufte Wiener Ernst Happel-Stadion absolut begeistern. Da kamen auch die Showeffekte nicht zu kurz, etwa die Ruheminute für Clarence Clemons, den im Juni 2011 an einem Schlaganfall verstorbenen Saxophonisten, bekannt als „Mr. Big“ und seit Anfang der 1970er-Jahre treuer Begleiter der E-Street-Band.
„Ruheminute“ bedeutete, dass der Ton der Lautsprecher abgeschaltet wurde und man sah ein Videoclip, einen Zusammenschnitt aus Szenen mit Mr. Big. Das Publikum klatschte derweilen. Übrigens spielte sein Neffe, Jake Clemons, die meisten Sax-Soli, ein witziger Typ mit unglaublicher Afro-Krause. Die Mutter dürfte eher weiße Hautfarbe haben. (Bild: Markus Gobetzky)

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Sehr nett auch die Rockabilly-Nummer Seven Nights to Rock und natürlich Glory Days – wie immer blieb dem Boss jede Menge Spielraum für Soli, Interpretationen und sonstigen Unfug. Er war diesen Abend ausgesprochen gut gelaunt und genoss das Wiener Konzert sichtlich. Vielleicht war ihm ja auch der großartige Auftritt 2009 noch in Erinnerung, für mich das bessere Konzert, auch wenn es diesmal sehr gut war.
Seltsam war nur die Beleuchtung – während des gesamten Konzerts waren die Ränge beleuchtet und während der gesamten Zugabe wurde das komplette Stadion-Flutlicht eingeschaltet – warum weiß ich nicht. Wenigstens konnte ich dadurch ein brauchbares Foto machen:

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Ganz zum Schluss noch eine nette Showeinlage: Der Boss ist am Ende, er winkt ab, kann keine Nummer mehr spielen und lässt sich zu Boden fallen, gefilmt mit 3 Kameras und perfekt geschnitten. Die Nr. 2 der E-Street-Band, der Gitarrist Steven Van Zandt, nimmt einen wassergetränkten Schwamm und quetscht ihn über dem Kopf von Bruce aus – dieser steht erfrischt auf und spielt noch die letzten zwei Nummern.
Twist And Shout als Schlussnummer erlebe ich bereits am Weg aus dem Stadion, als alter Profi bleibe ich immer nur bis zur letzten Nummer, die Heimfahrt wird dann wesentlich entspannter und krönt einen durchaus genialen Abend.

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Mein neues Leben

Zugegeben – der Titel wird nicht halten, was er verspricht. Aber ich bemühe mich.

Neulich im Vorfeld unserer Veranstaltung „Besser statt mehr – Perspektiven und Chancen einer Postwachstums-Ökonomie (PWÖ)“ hatte ich ein Gespräch mit meinem Kollegen Stefan und wie üblich kamen wir auch auf das Thema Vespa-Basteln.
Sein Kommentar: „Du machst eigentlich schon das, was wir vielleicht in Zukunft alle machen werden: Du arbeitest da und dort, für verschiedene Auftraggeber, hast kein oder nur ein geringes regelmäßiges Einkommen und bist in vielen verschiedenen Bereichen tätig: Motivforschung, Training, Organisationsentwicklung, Vespas Restaurieren, bei der Grünen Wirtschaft, Bücher schreiben etc.“

Aufgrund dieses Gesprächs habe ich begonnen nachzudenken und das mündet manchmal in einem Vordenken. Das Ergebnis deckt sich mit den Annahmen der PWÖ und geht darüber hinaus, als Philosoph darf ich noch etwas freier denken als die Ökonomen und Naturwissenschafter:

1.) Unsere Wirtschaft wird sich verändern und damit unser Leben. Das gilt für fast alle Mitglieder einer Gesellschaft.

Wirtschaft hat sich immer verändert, aber es wird einen Paradigmenwechsel geben und er wird ein recht radikales Umdenken notwendig machen. Das wird alle wichtigen Bereiche unseres Lebens betreffen und fast alle Menschen. Selbst diejenigen, die jetzt schon in einer Art PWÖ und somit „modern“ leben (auch wenn uns das derzeit noch als veraltet vorkommt) werden nicht unberührt bleiben. Die Aussage meiner Freunde, „Du und die Grünen, ihr wollt ja nur, dass wir in Zukunft alle wieder in Lehmhütten leben“ lässt mich kalt, Lehm ist ein sensationeller, umweltfreundlicher, klimaaktiver, billiger und stets vorhandener Baustoff und hat sicher Zukunft.

2.) Die Veränderung wird global sein.

Randgebiete und die dort lebenden Menschen werden etwas weniger betroffen sein, am stärksten wird man es in den großen Städten merken, denn die sind erstens nicht direkt an den notwendigen Ressourcen (deswegen entstehen gerade in New York City gerade so viele Projekte im Community Gardening) und zweitens brauchen sie besonders viel davon.

3.) Sie kommt entweder schnell und heftig oder etwas langsamer.

Alle, auch die Postwachstumsökonomen haben Angst vor einem großen Knall, der weder in seiner Quantität (Ausmaß) noch in seiner Qualität (von Ölkrise bis Weltkrieg) vorhersehbar ist. Von der Theorie, dass die Krise vor allem dann kommt, wenn man sie „herbeiredet“, halte ich nichts. Diese Ansicht wirkt pervers angesichts der hemmungslosen Ressourcenverschwendung, die fast global zu spüren ist. Das einzige Argument, das hier noch zu hören ist, lautet: „Die Technik wird sich so schnell weiterentwickeln und wir (wer eigentlich?) werden so tolle Dinge und Techniken und Verfahren entwickeln, dass es ohne Bruch gut weitergehen wird.“
Wie diese Techniken aussehen, kann von den Anhängern der Theorie „Der (Technik-)Papa wird´s scho richten“ auch niemand sagen. Man vertraut auf mögliche Erfindungen, die uns retten – das ist mir zu wenig.

4.) Es geht um Energie

Wie auch immer man es betrachtet, das Thema Energie steht immer im Vordergrund, sowohl bei den Ressourcen als auch bei der Umweltverschmutzung, dem Verkehr, der industriellen Produktion, der Landwirtschaft, dem Klima etc. Letztlich ist alles eine Energiefrage, vielleicht wurde ja deswegen der Heilsversprechung der Atomenergie so viel Geld in den Rachen geworfen – sie haben eine endgültige Lösung der Energiefrage versprochen. Den Preis dafür haben sie uns nicht verraten, aber inzwischen kennen wir ihn.

5.) Durch die richtigen Schritte können wir die Veränderung weder aufhalten noch verhindern, wir können nur den Weg frei räumen bzw. den Fall dämpfen. Das ist auch das Fazit der Postwachstumsökonomie, vor allem der Spezialisten aus Oldenburg. Daher müssen wir uns überlegen, wie es danach weiter geht, gut weiter geht.

Mein Idealszenario: Ein Weltwährung, die den globalen Handel sowie die Vernetzung ermöglicht. Dazu lokale Komplementärwährungen, die zueinander unabhängig sind und den Handel vor Ort gewährleisten. Die Verwaltungen sind ebenfalls national-global und regional-lokal. In Österreich kann man die Bundesländer weitgehend abschaffen, offiziell können sie aus sentimentalem Lokalkolorit und für den Tourismus erhalten bleiben. Landeshauptleute sind Repräsentationsfiguren ohne jede Macht, Bierzeltclowns, das reicht.
Weltweite Vernetzungen werden auf weit höherem Niveau stattfinden als jetzt, der Lokalbürger wird zugleich Weltbürger sein, wenngleich mehr auf virtueller Ebene, weil den derzeitigen Flugverkehr wird es nicht mehr geben. Wer nach Afrika reisen will, braucht eben mehr Zeit. Die haben wir dann auch, weil der wahnsinnige Druck wegfällt, den wir uns mit dem derzeitigen Produktionsirrsinn selbst schaffen. Druck ist immer Zeitdruck, oder fast immer. Hier folge ich den Ideen der PWÖ, die neue Arbeitsmodelle proklamiert: 20 Stunden klassische Erwerbsarbeit, etwa als Angestellter in einer Firma, der Rest für andere Tätigkeiten, die meist auch Arbeit sind. Hier erfolgt dann die Bezahlung in der Komplementärwährung, etwa in Zeitaustauschmodellen oder ähnlichem.

Wir werden weit weniger Produkte produzieren als jetzt und auch hier habe ich ein Idealszenario: Es werden genau die Produkte wegfallen, die wir jetzt schon nicht brauchen, sondern nur kaufen, weil sie der Nachbar auch hat oder weil uns fad ist oder Konsumrausch es uns ermöglicht, den Kopf so vollzubrummen, dass wir über nichts anderes nachdenken können und daher auch nicht müssen. Es gibt auf jeden Fall genügend Ressourcen auf dieser Welt, um alle Menschen zu ernähren und ihnen ein durchaus gutes Leben auf hohem Niveau zu ermöglichen. Mag sein, dass dann nicht mehr vier Leute mit fünf Autos auf den Golfplatz fahren können. Diesen Preis werden wir bezahlen können, auch wenn einige jammern werden.

Ja, es wird gravierende soziale Veränderungen geben. Die derzeit sich immer noch stark öffnende Schere arm-reich wird sich wieder schließen, schließen müssen. Die Reichen können sich aussuchen, wie das geschieht, diese Wahl haben sie. Ich erinnere mich an die alte Gerechtigkeitsgeschichte, bei der die Mutter einen Kuchen zwischen zwei Kindern aufteilen muss. Sie lässt das erste Kind teilen und das zweite aussuchen. Genau so wird es aussehen, die Reichen werden teilen dürfen und die Armen aussuchen.

Wie immer wird es Gewinner und Verlierer geben und es ist nicht klar, wer wo dabei sein wird. Das erinnert mich ein wenig an die „Theorie der Gerechtigkeit“ des amerikanischen Philosophen John Rawls, der das Modell des „Schleier des Nichtwissens“ erschaffen hat: In einer Art virtuellem Raum treffen Menschen vor ihrer Geburt aufeinander und müssen gemeinsam (und dann natürlich jeder für sich) entscheiden, wer in welcher Rolle geboren wird. Sie wissen aber nicht, was jeder sein wird – wie schnapsen sich die ein Modell aus? Rawls meint, dann wäre es ein gerechtes Modell. Er hat eine gute Theorie erschaffen, allerdings nicht mit einer menschlichen Eigenschaft gerechnet: dem Hasardieren („Ich werde möglicherweise ein armer Schlucker, aber das Risiko geh ich ein, vielleicht werde ich ja Millionär.“)

Sicherheit wird hauptsächlich definiert durch Vielfalt und Vernetzung. Das ist übrigens jetzt schon so, da die klassischen Sicherheiten ohnehin schon weggebröckelt sind (Kirche, Familie, Job, Geld, Energie, Rohstoffe…), nur merken es noch nicht viele. Ich habe aber das Gefühl, dass es viele schon spüren und dass sich ein Hauch von Panik durch die Gesellschaften zieht, wie ein dumpfer, noch recht weit entfernter Donner. Wenn ich die Menschen in meiner Umgebung frage, dann sagen die meisten, dass sie schon Donner gehört haben (bis auf die, die ständig ihre Kopfhörer aufhaben). Viele versuchen auch, sich vor dem kommenden Regen ins Trockene zu flüchten und kaufen Immobilien bzw. versuchen ihr Eigentum auf irgend eine Art zu schützen. Für einige wird das funktionieren, für andere nicht. Blöderweise wissen wir noch nicht, wer durch die Flut wohin gespült wird. Reichtum wird möglicherweise keinen Schutz bieten, zumindest nicht materieller Reichtum.

Ich kann somit nur hoffen, dass dann die Stunde der Philosophen schlägt, der ruhigen Vor- und Nachdenker, die sich jetzt schon Modelle und Techniken überlegen, die uns dann weiter helfen, so dass es möglichst vielen Menschen möglichst gut geht. Übrigens ein gänzlich anderes Modell, als es in unserer Gesellschaft derzeit in Mode ist.

Die neuen Sicherheiten

In Zeiten der Krise (ein Wort, das aus dem Griechischen kommt…) gehen Sicherheiten flöten. Und das ist schlimm für die Menschen, die viel Energie dazu verwenden, sich ein sicheres Leben zu organisieren. Planbarkeit ist etwa ein Faktor und genau die geht ziemlich verloren. Das gilt vor allem für berufliche Karrieren, aber auch für private Beziehungen. Früher (wann war das genau?) konnte man nach der Matura einen Job etwa in einer Bank annehmen und wusste: da bleib ich bis zur Pension, stehle keine goldenen Löffel, mein Gehalt steigt und ich komme gut aus. Daneben konnte man heiraten und Kinder bekommen und viele Ehen hielten bis zu ihrem Planungsende, nämlich dem Tod als einzigen Scheidungsgrund.

Das hat sich alles deutlich geändert. Das mit den lebenslangen Partnerschaften ist zum Wunschtraum verkommen und in manchen Branchen wechselt man jährlich den Arbeitgeber. Das hat alles Vor- und Nachteile, aber die Sicherheit der Planbarkeit ist verloren gegangen.

Daher suchen sich die Menschen neue Sicherheiten und hier finden wir die wirklich echten Trends:

1.) Hunde bzw. Haustiere
Da gelernte ÖsterreicherInnen Hunde haben und lieben, ist die Basis schon gelegt. Dieser Trend gilt interessanterweise auch für die USA, also einem Land, von dem wir glauben, dass die Menschen viel freier und flexibler sind als wir, ständig umherziehen und nicht so viel Sicherheit brauchen. Mag sein, dass wir unser Bild ein wenig korrigieren müssen.
Hunde statt Beziehungen. Alten Weiblein sagt man es ja schon lange nach, dass sie ihren Hund mehr lieben als etwa schreiende Kinder in der Straßenbahn. Wissenschaftliche Untersuchungen untermauern das nun: In manchen Familien (sozusagen den Trendsettern) wird mehr für Hundefutter ausgegeben als für das Essen der Kinder (Deutschland: 2,6 Mrd. Euro – dreimal so viel wie für Babynahrung). Sinkende Geburtenraten korrelieren indirekt proportional zur Anzahl der Hunde. Die Viecher haben einen eigenen Fitnesstrainer, Frisör, in natürlich eher seltenen Fällen sogar einen Koch, werden modisch gekleidet und angeblich bezeichnen 80 % der Amerikaner ihren Hund als echtes Mitglied der Familie (haha, da lachen wir doch nur hier in Österreich, wir erreichen in diesem Fall 100 %).
Hunde werden in Hochzeiten als wichtiger Bestandteil integriert („Wedding Dogs“) und werden wie selbstverständlich zum Kinderersatz. Natürlich bekommen sie dann auch Menschennamen, die alten Hundenamen haben ausgedient.
36 % der Amerikaner schenken ihrem Hund etwas zum Geburtstag und bezeichnen sich selbst als „Hundeeltern“ und die Köter bekommen das zu (fr)essen, was sie selbst auch gerne essen.

Eine Bekannte hat mir vor einiger Zeit erzählt, dass die Tierarztbesuche ihres Hundes in Summe mehr gekostet haben als ihr VW Golf, der nun schon in die Jahre gekommen ist, aber mangels Geld keinem Neuwagen weichen muss. Hunde besuchen Wellnesscenter, bekommen Diabetes und Übergewicht und dürfen/müssen im Hundefitnesscenter in den Fernseher gaffen. Dafür bekommen sie Massagen und Aromatherapie, das Gassigehen kommt aus der Mode, ähnlich wie bei den BesitzerInnen, die sich auch nur mehr im Fitnesscenter bewegen und die freie Natur als unbequem ablehnen.

Pervers? Das ist noch lange nicht alles: Inzwischen gibt es Tourismusbüros für Hunde, denen man Sightseeingtouren anbietet, „Pet Airways“ transportiert ausschließlich Tiere.

Was passiert da? In einer Zeit steigender Unsicherheit suchen Menschen nach neuen Sicherheiten – vor allem in Beziehungen. Ein Hund redet nicht zurück, denn Bellen sind keine Worte, auf die man sich eine Antwort überlegen muss. „Hör sofort auf damit“ funktioniert seit 10.000 Jahren weder bei Hunden noch bei kleinen Kindern, genauso wie „Aus, Ausss!“
Und trotzdem: Bei einem Hund kann man sich zumindest einbilden, dass er einem gehorcht. Man kann ihn abrichten und sich als „Herrl“ oder „Frauerl“ fühlen – auch wenn man sonst auf der sozialen Leiter schon ganz unten steht. Das halten Menschen nicht gut aus, daher schimpfen eingesessene Einwanderer auf neue, Yugos auf Türken, Türken auf Usbeken, Usbeken auf irgendwen etc. Einen Hund kann man immer tiefer als man selbst ansiedeln. Er ist persönlicher Besitz, was Menschen seit einiger Zeit nicht mehr sind und manchmal sagen sie das auch, dann zerplatzen die letzten Illusionen. Das kann mit Hunden nicht passieren. Wenn ein Hund nicht gehorcht, dann kann man zumindest so tun, als ob das nicht so wäre und er „eigentlich“ eh tut, was man will.
Hunde lieben ihre Besitzer oder tun zumindest so, das ist bei Kindern nicht immer der Fall. Hunde kann man füttern und sie sind dafür dankbar oder tun zumindest so. Kurz: Hunde geben Sicherheit.

2.) Vereinzelung
Der „Vereinzelte“ ist übersetzt der „Idiot“. Viele von uns werden zu Idioten, zumindest was Paarbeziehungen betrifft. Das kann in gewisser Weise durch andere soziale Beziehungen kompensiert werden, aber es bleibt stets die Tatsache, dass Singles eben keine klassische Beziehung haben. Ob sie darunter leiden? Das hängt wahrscheinlich ganz vom Typ ab. Unter meinen Freunden und Bekannten (und auch bei mir) beobachte ich, dass man (frau) immer mehr auf der Suche nach „der/dem Richtigen“ ist. Hypothese dazu: Wenn andere Sicherheiten flöten gehen (Job, Umwelt, Statussymbole etc.), dann bekommt die Partnerbeziehung einen ungleich höheren Stellenwert. Ich weiß natürlich nicht, ob das früher wirklich so anders war und vor hundert oder noch vor fünfzig Jahren man halt einfach geheiratet und Kinder bekommen hat, große Liebe hin oder her. Aber irgendwie erscheint das heute komplizierter, man möchte Kinder in einer sicheren Umwelt zur Welt bringen und aufziehen – und die scheint nicht vorhanden. Also soll zumindest die Partnerschaft sicher und stabil sein und das geht nur mit der „richtigen“ Frau oder dem „richtigen“ Mann.