Das Dilemma der Rating-Agenturen

Sie sind im Gespräch, derzeit mehr als je zuvor. Die meisten Menschen inklusive meiner Wenigkeit schüttelten schon bei der 2008er-Finanzkrise den Kopf und fragten sich, wieso diese Firmen erstens so viel Macht haben und zweitens so ungeschoren davon kommen.
Jetzt ist es wieder so weit. Die Ratingagentur Standard&Poors hat die USA von AAA auf AA+ zurückgestuft. Ganz abgesehen davon, dass das den kleinen Bürger vorerst nicht interessiert, hat das doch etwas zu bedeuten.

Wieso dürfen Rating-Agenturen eigentlich Staaten bewerten? Hier liegt meiner Ansicht nach der erste Fehler im System. Ganz abgesehen davon, dass ich auf ihre sonstigen Bewertungen genau gar nichts gebe, etwa weil sie seinerzeit Lehman Brothers in den Olymp gehoben haben und die waren kurz danach einfach pleite, sollten die Agenturen nur Firmen bewerten, und nicht Staaten. Ich glaube nämlich, dass sie das nicht können. Erstens weil sie es – auf wienerisch gesagt – nicht derheben, zweitens weil Staaten nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktionieren als Firmen. Sie können nicht pleite gehen, weil sie kein betriebswirtschaftliches Unternehmen sind. Daher macht es auch keinen Sinn, sie im gleichen Schema wie einen Autohersteller oder eine Softwarefirma zu bewerten.

Drittens sind die Rating-Agenturen selbst politisch interessiert und zwar mindestens wirtschaftspolitisch. Sie gehören jemandem und derjenige, der Eigentümer der Rating-Agentur, hat ganz bestimmte Eigeninteressen. Die Ratings richten sich daher nach den Interessen des Eigentümers, das sollte jedem klar sein. Diese Interessen sind in erster Linie pekuniärer Natur, sprich: der Eigentümer will möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen. Genau genommen hat er sonst keine weiteren Interessen. Eine Rating-Agentur ist eine betriebswirtschaftlich geführte Firma mit dem Ziel, Profit zu machen. Daher tun sie genau das, was ihre Geldgeber wollen.
Sie bewerten etwa die Firmen, denen sie gehören und von denen sie bezahlt werden. Natürlich bewerten sie diese gut, denn sonst bekommen sie vom Eigentümer eine aufs Dach. Das ist mehr als logisch.

Leider oder Gott sei Dank – je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet – leben die Rating-Agenturen auch davon, dass sich jemand für ihre Ratings interessiert, mit anderen Worten: Andere Firmen (Investmentbanken etwa) richten ihre Entscheidungen nach den Ergebnissen der Ratings. Das ist viel praktischer, als sich selbst um die Anlagen zu kümmern: man kauft, was von der Agentur für gut befunden wird, und verkauft, was herabgestuft wird. Das geht einfach und schnell und man muss sich nicht viel antun. Dass dies so ist, hat man etwa an der Lehman-Pleite gesehen, die niemandem aufgefallen ist, bevor es zu spät war. Milliarden versenkt? Das hat niemand bemerkt, weil man gebannt auf die Ratings geschaut hat – und die waren ja hervorragend, also wozu noch nachfragen, stöbern, Geld und Zeit investieren?

Nun kommen die Agenturen in ein Dilemma. Wenn sie nämlich wirklich objektiv bewerten würden (ganz abgesehen davon, dass man bezweifeln kann, ob sie das überhaupt beherrschen, die richtigen Werkzeuge dafür haben, bisher mussten sie das ja nicht), dann hätten ihre Eigentümer ein Interessenproblem. Wenn sie es nicht tun, haben sie ein Akzeptanzproblem.

Bisher konnten sie dieses Dilemma elegant umschiffen, indem sie vor der glücklichen Lage standen, dass ihnen die relevanten Kunden blind geglaubt haben, ganz egal wie viel Mist sie verzapft haben. Damit konnten sie den Widerspruch bewältigen. Bisher hat niemand von ihnen verlangt, dass sie sauber bewerten.

Warum glauben die Leute eigentlich dem, was die Rating-Agenturen so von sich geben? Der erste Grund ist oben schon angeführt, das ist die Bequemlichkeit. Man erspart sich eigene Recherche und damit Arbeit und Geld. Der zweite Grund ist schon etwas diffiziler: Menschen glauben gerne an etwas. Das ist beruhigend und angenehm und man kann damit Verantwortung abwälzen. Man glaubt gerne, dass die großen, reichen und mächtigen Agenturen mit ihren Glaspalästen sehr genau wissen, was sie tun. Man glaubt gerne, dass sie die tollen komplexen und natürlich streng geheimen Computerprogramme haben, die ihnen sagen, wie es wirklich ist. Man glaubt gerne, dass die smarten, feschen Herren in ihren teuren Anzügen Fachleute sind, redlich und ehrlich. Man glaubt gerne, dass sie unabhängig und objektiv bewerten und dass diese Bewertungen daher das ausdrücken bzw. sind, was wir alle wollen: die Wahrheit.

Noch ein weiterer Aspekt spielt hinein: die großen vier Agenturen haben quasi ein Oligopol, denn außer ihnen bewertet niemand oder zumindest niemand, dem man glaubt. Diese Position haben sie sich über die Jahre erarbeitet und dafür entsprechendes Lobbying betrieben. Was wäre, wenn es staatliche Rating-Agenturen gäbe, mit denen sie konkurrieren müssten? Sie hätten vielleicht mehr Geld, aber sicher weniger Akzeptanz, weil sie keinerlei Unabhängigkeit vorweisen können. Daher haben sie dafür gesorgt, dass es keine staatlichen Agenturen gibt. Braucht noch irgendwer einen zusätzlichen Beweis für Macht?

Wer also irgendwelche Zahlen braucht, um vor seinem Chef das Investment rechtfertigen zu können, greift gerne bei den Rating-Agenturen zu, und zwar ganz egal, was sie liefern.

Nun fangen sie jedoch an, mit ihrem Image zu kämpfen. Je mehr Mist sie bauen und je klarer ihre Abhängigkeit und Parteilichkeit wird, desto mehr sinkt ihr Stern. Dadurch geraten sie in ein neuerliches Dilemma:
Wenn wir so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil keiner mehr unseren Ratings glaubt und daher auch nichts bezahlt.
Wenn wir nicht so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil dann kann man gleich staatliche (oder auch eine europäische…) Agenturen gründen und beauftragen.

Damit nicht genug, eröffnet sich ein weiteres Dilemma:
Wenn wir zugeben, dass wir uns für die Ratings bezahlen lassen (wie möglicherweise bei Lehman Brothers), verlieren wir an Glaubwürdigkeit.
Wenn wir es nicht zugeben, dann waren wir scheinbar zu unfähig und verlieren an Glaubwürdigkeit.

Die haben es nicht leicht, die Rating-Agenturen. Mein Mitleid hält sich trotzdem in Grenzen, und ich bin dafür sie aufzulösen und durch staatliche Agenturen zu ersetzen, die den Job unabhängig machen können. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die genauso viel Kompetenz haben.

Breivik – ein Cyber-Krimineller?

Was mir sofort aufgefallen ist: Der hat sich nicht hamdraht! Alle Amokläufer der letzten Jahre haben sich selbst erschossen. Gestern wurde mir auf die Frage danach geantwortet: Die Linken bringen sich danach um, die Rechten nicht.
Ich bezweifle das, ohne hier irgend eine Statistik zu kennen. Aber darum geht es gar nicht. In der aktuellen Sendung „Runder Tisch“ wurde es schon angesprochen: Wir leben in einem Internet-Zeitalter und das spielt eine zunehmend immer größere Rolle. Möglicherweise auch für diesen Fall.

Davor musste man (Mann – Amokläufer sind meines Wissens immer männlich) sich in die entsprechende Gesellschaft begeben, ob dies nun eine politische Partei oder ein Jugendlager war. Mann musste in der realen Welt Kontakte knüpfen und etwa irgendwo von irgendwem lernen, wie man eine Bombe baut oder auch mit einer Waffe umgeht.

Jetzt ist das nicht mehr unbedingt so. Heute kann Mann zum Amokläufer werden und alle Vorbereitungen treffen, ohne Mitglied einer Gruppe zu sein oder auch nur irgend jemand zu treffen. Anders Breivik hat sich nicht nur die notwendigen technischen Informationen aus dem Internet geholt, sondern auch die vielen hasserfüllten Manuskripte, die er scheinbar brauchte, um sich in seinen Wahn hineinzuleben. Er dürfte sich von der realen Welt entkoppelt haben. Schade, dass er nicht in seiner Welt geblieben ist, sondern leider zurückkehren musste.

Die Ballerspiele mit täuschend echter Grafik heißen nicht umsonst „Ego-Shooter“ oder auch „First-Person-Shooter“. Darin versucht man möglichst realgetreu zum Amokläufer zu werden und alles niederzuknallen, was sich bewegt. Das Skript für sein reales Massaker schrieb ihm das „Game“. Irgendwann dürften die Menschen auf der Insel für ihn auch nur mehr virtuelle Gestalten gewesen sein, die er umbringen musste. Im Spiel muss man sie ja auch umbringen.

Ist es ein Glück, dass er bis zu seiner Verhaftung nicht mehr in die Realität zurück gefunden hat? So wird sich zumindest die Möglichkeit ergeben, diesen Menschen (auch wenn das hart klingt: er ist ein Mensch und kein Tier, denn Tiere machen so etwas nicht) genau zu studieren. Die Frage ist nur, ob das was hilft. Den Toten hilft es nichts. Kann wenigstens die Gesellschaft daraus lernen?

Bisher hatten die meisten Amokläufer noch einen gewissen Bezug zur realen Welt. Das ist für mich die beste Erklärung, warum sie sich selbst aus ebendieser entfernten. Anders Breivik hat sich eine komplett virtuelle Welt aufgebaut, mit einer virtuellen Gefahr (Islam), mit Guten und Bösen. Diese klare, eigentlich schon radikale Einteilung in Gut und Böse macht ihn zum Psychopath der gefährlichsten Sorte: vorher nicht erkennbar, extrem gefährlich, kaltblütig, ohne Reue und ohne Emotionen. So stellen sich die meisten Militärs den idealen Soldaten vor: ohne Familie und daher ohne Bindungen und ohne Kontrolle durch andere Menschen.

Er sieht aus wie einer von uns. Er ist auch einer von uns, und das macht ihn so gefährlich. Er gehört zur Generation Internet – einem Typ Mensch, der sich lieber am Bildschirm einen Sonnenuntergang ansieht als hinauszugehen und sich selbst einen anzusehen. Er hat Beziehungen geknüpft, aber diese waren auch in erster Linie virtuell, also über das Internet.
Warum ist er nicht vor dem Bildschirm geblieben? Das wird sicher das größte Rätsel sein, das es zu klären gilt. Was hat ihn dazu bewogen, zumindest in einem gewissen Maß in die Realität zurückzukehren?
Er mag einer gewisse Veranlagung dazu haben, aber in welchem Ausmaß hat das Internet diese Anlagen verstärkt, heraustreten lassen, gefördert? Ob er ohne Internet auch zum Massenmörder geworden wäre, steht nicht zur Debatte, denn das Internet ist nun einmal da und scheinbar nicht nur ein Segen. Die wirre Sammlung an Ideologien und Verrückheiten, die sich in seinem 1500 Seiten starken Pamphlet findet, ist ein gutes Zeugnis für die Art und Weise, wie uns das Internet beeinflusst: Wir können uns jederzeit einen Cocktail aus allen möglichen Ideen brauen. Eine Doktorarbeit ist genauso schnell geschrieben wie eine Bombe gebaut ist.

Entgleitet uns das Internet? Ist die derzeitige Internet-Generation der 30 bis 40jährigen noch nicht so gut darauf eingestellt, dass sie die schädlichen Seiten abwehren kann?

Jedenfalls ist es gerade in Norwegen leicht, sich automatische Waffen zu besorgen, mit denen man die Computerspiele möglichst realistisch in die Tat umsetzen kann. Wofür brauchen eigentlich Privatpersonen diese Schnellfeuer-Maschinenpistolen, außer um damit Amokläufe zu begehen? Zur Jagd? Zur Selbstverteidigung? Aber gegen wen? Gegen andere Amokläufer?
Hoffentlich gibt es wenigstens eine Waffendebatte im schönen Norwegen. Den Herrn Breivik würde ich die Gräber für all seine Opfer schaufeln lassen. Nicht virtuell, sondern real. Und bitte, gebt ihm im Gefängnis keinen Internet-Anschluss. Zumindest das Recht auf die virtuelle Welt sollte er sich in der Realität verspielt haben.

Warum uns Afrika was angeht

Der ORF verschweigt es beharrlich und müllt uns stattdessen mit Habsburger-Begräbnis zu: In Ostafrika herrscht die schlimmste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren. Nur – was geht uns das an?

Wer hier eine ehrliche und die Realität erfassende Analyse machen will, muss einiges an Komplexität bewältigen. Ich werde es versuchen und wahrscheinlich mehrere Teile benötigen.

Im ersten Schritt gehe ich autobiographisch vor: Was ist mein eigenes Bild von Afrika?
Es stammt aus der Kindheit und hat mein Bild genau genommen so lange geprägt, bis ich selbst das erste Mal in Afrika war, und zwar mit jugendlichen 17 Jahren. Davor machte ich mir über Afrika keine Gedanken. Ich hatte ein noch recht kindliches Bild, das war durch Kinderbücher geprägt war, da wir in der Schule auch nie sehr viel über Afrika lernten. Dieses Bild sieht folgendermaßen aus:

Afrika ist ein Kontinent, aber was genau ein Kontinent ist und wie ich ihn mir vorzustellen habe, war nicht so klar, vor allem im Volksschulalter. In Afrika leben die Neger im Urwald. Sie sind nackt bis auf ein paar Bananen, die sie um ihre Hüften tragen. Sie wohnen in Negerkrals (Strohhütten) am Rande des Urwalds. Sie sind pechschwarz, haben wulstige Lippen, lustige rosa Hand- und Fußflächen sowie gekräuselte Haare, in denen ein Knochen steckt. Sie heißen Hotten-Totten, Aschanti-Neger oder sonst wie und sind wild. Sie haben hin und wieder Speere und tanzen herum. Der Urwald hinter ihnen ist hoch und dicht und es schwingen sich lustige Äffchen von Baum zu Baum.

Man beachte: Das ist das Bild, das ein Kind Anfang der 1970er-Jahre hatte, nicht 1870 oder 1770. Dieses Bild veränderte sich aus mehreren Gründen lange Zeit nicht: Erstens weil ich mich nicht mit Afrika beschäftigte – Amerika oder Europa, auch Asien waren spannender. Zweitens hatte ich lange Zeit keine Gelegenheit hinzufahren, obwohl mein Vater bereits seit 1975 dorthin fuhr, aber er redete nie viel darüber und es interessierte mich und meine Geschwister auch nicht sehr. Also dauerte es bis 1984.
Davor war zwar schon klar, dass Afrika sehr groß ist, aus vielen verschiedenen Ländern besteht und auch in sich sehr vielfältig ist. Ägypten, die Sahara, die Sahelzone mit ihren verhungerten Kindern oder auch Südafrika waren mir bekannt, aber trotzdem änderte sich das Bild vom Urwald mit den wilden Negern nicht.
Bis heute vermitteln die Medien durchgängig ein Bild eines Landes namens Afrika, nicht eines Kontinents mit ca. 54 Staaten (seit ein paar Tagen ist ja der Südsudan ein eigener Staat).
Drittens gab es bei uns zu dieser Zeit noch keine Afrikaner, nicht einmal in Ausnahmefällen. Vielleicht sah ich einmal im Jahr einen auf der Straße gehen. Das reichte bei weitem nicht aus, um mein Afrika-Bild zu verändern.

Afrika war so unbekannt wie Atlantis. Und es hatte noch etwas mit Atlantis gemein: Es war wunderbar und geheimnisvoll. Das lässt sich am Urwald am besten erklären. Der Urwald (genauer: der tropische Regenwald Zentralafrikas, also rund um den Äquator) war in meinem kindlichen Bild ein magischer Ort: unendlich groß und undurchdringlich, in diesem Sinne mächtig, weil unerfassbar, ähnlich wie das Meer. Ein grüner Schlund, der einen verschlingen kann. In ihm lebt eine Unzahl an Tieren in einer nicht fassbaren Menge. Der Urwald ist unendlich groß und beherbergt unendlich viele Ressourcen.

Dieses Bild kann man ein wenig mit der psychologischen Brille betrachten und dann entdecken, dass es ein Urmutter-Bild ist. Die Ur-Mutter (als C.G. Jung´scher Archetyp wäre das die Große Mutter) ist unbegreifbar, allmächtig und geheimnisvoll – genauso wie der Urwald. Damit war er aber auch unangreifbar und unzerstörbar, da unendlich groß.

Bis heute ist es fast unvorstellbar, dass der tropische Regenwald in Afrika und im Amazonas gerodet werden könnte. Wir wissen zwar, dass die Menschheit am besten Weg dorthin ist, aber irgendwie erscheint es uns doch nicht wirklich real. Vielleicht spielt uns da das Bild der Urmutter einen Streich. Es ist daher auch nicht notwendig, den Urwald zu schützen, so wie ein kleines Baby die Mutter nicht schützen muss, weil es das auch nicht kann.

Wir können jedoch sehr wohl, und es handelt sich eher um eine Frage des Wollens. Aber auch die „Neger“ haben unser Bild von Afrika geprägt. Manfred Deix hat dies in einem seiner genialsten Cartoons dargestellt: Auf dem linken Bild ein blonder junger Mann mit akkuratem Scheitel, weißem Hemd, Anzug und Krawatte. Daneben ein Neger mit wulstigen Lippen und Knochen in den Haaren, der in der Sprechblase das Wort „Uga-Uga“ von sich gibt. Darunter stand in etwa der Text: „Mit welchem von den beiden wollen Sie einen spannenden Diskussionsabend beim Dinner verbringen?“

Deix hatte immer schon ein gutes Gespür, worum es eigentlich geht. Wer so ein Bild von den Schwarzafrikanern hat, der darf sich nicht wundern, wenn die eigentlichen Geschichten aus der Realität nicht bis über seinen Wahrnehmungshorizont kommen. Wir leben in einer langen Historie mit einem sehr seltsamen Afrika-Bild, das sich von dem über 200 Jahre alten Bild des eigentlich sehr gescheiten Philosophen nicht sehr stark unterscheidet:

„Man kann sagen, daß es nur in Afrika und Neuguinea wahre Neger gibt. Nicht allein die gleichsam geräucherte schwarze Farbe, sondern auch die schwarzen wollichten Haare, das breite Gesicht. die platte Nase, die aufgeworfenen Lippen, machen das Merkmahl derselben aus, ingleichen plumpe und große Knochen. In Asien haben diese Schwarzen weder die hohe Schwärze, noch wollichtes Haar, es sey denn, daß sie von solchen abstammen, die aus Afrika herübergebracht worden. In Amerika ist kein Nationalschwarzer, die Gesichtsfarbe ist kupferfarbig, das Haar ist glatt; es sind aber große Geschlechter, die von afrikanischen Mohrensklaven abstammen. In Afrika nennt man Mohren solche Braune, die von den Mauren abstammen. Die eigentlich Schwarzen aber sind Neger. Diese erwähnten Mohren erstrecken sich längst der barbarischen Küste bis zum Senegal. Dagegen sind von da aus bis zum Gambia die schwärzesten Mohren, aber
auch die schönsten von der Welt, vornehmlich die Ialofs. Die Fulier sind schwarzbraun. An der Goldküste sind sie nicht so schwarz und haben sehr dicke Wurstlippen. Die von Congo und Angola bis Cap Negro sind es etwas weniger. Die Hottentotten sind nur schwarzbraun, doch haben sie sonst eine ziemlich mohrische Gestalt – Auf der andern Seite, nähmlich der östlichen, sind die Caffern keine wahren Neger. Ingleichen die Abyssinier.“ (Immanuel Kant, Physische Geographie, Zweyter Band, Königsberg. 1802)

Bei diesem Bild darf es uns nicht wundern, wenn wir tief in uns drinnen die Afrikaner nicht als gleichwertige Menschen ansehen. Wir wissen nicht, dass sie auch bluten, wenn sie sich schneiden, weil wir haben so etwas noch nie gesehen.
Wie schwierig ist es eigentlich, so ein Bild zu verändern? Ich behaupte einmal, je früher in der Jugend bzw. Kindheit das Bild entsteht, desto schwieriger ist seine Veränderung. Das gefährlichste an diesen Bilder ist, dass sie unsere Wahrnehmung einfärben und somit verändern. Uns fallen bestimmte Dinge, Phänomene, Aussagen, Meinungen dann gar nicht auf oder sie bekommen eine gänzlich andere Bedeutung. Möglicherweise ist es nicht einmal ausreichend, eine Zeit in Schwarzafrika zu leben. Ich kenne eine große Zahl von Österreichern, die seit vielen Jahren in Kenia leben und deren Bild der „Neger“ sich nicht wesentlich verändert, oft sogar ins Negative entwickelt hat. Der größte Brocken dieses „Negativen“ besteht darin, dass wir die „Neger“ für dümmer als andere Menschen halten, ihnen daher viele Dinge nicht zutrauen und sie außerdem nicht als gleichwertige Menschen oder Geschäftspartner ansehen. Das passiert – so meine Beobachtungen – nahezu allen Europäern, die länger in Afrika leben. Sie halten – wenn auch hinter hervorgehaltener Hand – die Afrikaner für dumm bzw. zumindest für dümmer als sie selbst.
In bestimmten Bereichen mag dies da und dort sogar stimmen, aber es stellt sich die Frage, wie es dazu kommt. Ein Schimpanse hat nicht die anatomischen Voraussetzungen um sprechen zu können. Er kann es auch nicht lernen, das ist bei ihm einfach nicht vorgesehen.
Bei den „Negern“ ist das anders. In ihren Erbanlagen ist genau das gleiche vorgesehen wie in unseren, zumindest was ihre Intellektualität und ihre Kulturkomplexität angeht.
Das würde heißen: Dummheit in Form von Nichtwissen und Unvermögen komplexe Zusammenhänge zu erkennen – aufgrund von mangelnder Bildung ja. Dummheit in Form fehlender Grundvoraussetzungen: nein. Und noch etwas: Wer hier noch ein wenig weiter denken möchte, dem darf ich hier eine weitere Definition von Dummheit anbieten: Dummheit heißt, das Wesentliche nicht leben.
Auch die Kulturarmut ist eine Fehlannahme. Es stimmt zwar, dass kein Afrikaner bisher eine Beethoven-Sonate komponiert hat, aber bis auf Beethoven haben das auch bei uns nicht viele getan.
Es geht aber um etwas anderes: Wir glauben fest daran, dass wir die reichere, komplexere, modernere und letztlich bessere Kultur haben. Daher ist es notwenig und moralisch sogar wünschenswert, den Afrikanern unser – besseres – System zu geben. Wenn sie es nicht wollen, dann bezeichnen wir das einfach als Dummheit, Primitivität und Unwissen und sehen gnädig darüber hinweg, anstatt uns mit ihnen und ihrer Kultur und ihrem Denken zu beschäftigen. Und wir zwingen ihnen unser System trotzdem auf, denn wir nehmen ja an, dass es das bessere ist und somit auch der Feind des guten. Wir nehmen ihnen die Rohstoffe weg und reden uns hinaus, dass sie damit ohnehin nicht viel anfangen könnten und wir ihnen besser die komplexen, aus ihren Materialien gefertigten Werkstücke bringen sollten.
Das funktionierte in der ursprünglichen Kolonialzeit gut, um Ausreden war man nie verlegen wenn es darum ging, ein Gebiet zu erobern.

to be continued

Glück und Leid – beim Vespafahren immer in der Kombi zu haben

Mein letzter Zusammenbruch mit einer Vespa – schon drei Tage her. So geht das nicht. Also startete ich einen neuen Versuch, mit der frisch restaurierten GS, bei der ich den Tacho zum Laufen gebracht habe, so als Sonntag-Vormittagsarbeit.

Das Ziel war Rekawinkel, wo wir den 18. Geburtstag meines Neffen Matthias feiern wollten. Die GS lief prächtig, leider nur bis kurz vor Rekawinkel. Kurz vor der Bahnunterführung ein seltsames Stottern, leider bei genau diesem Motor nur allzu bekannt.

Bitte nicht! Nicht dieser Defekt! Nicht schon wieder ein undefinierbarer Schaden, der von der Zündspule, der Zündgrundplatte, dem Kondensator, dem Polrad, dem Vergaser, den Vergaserdüsen, der Schwimmerkammer, der Benzinzufuhr, dem Tank, den Simmerringen, dem Zylinderkopf, der Batterie, dem Kabelbaum, dem Gleichrichter oder von sonstwo kommen kann.

Einen halben Kilometer weiter dann die Klarheit: sie nimmt kein Gas mehr an, ich rette mich über den Rekawinkler Berg bis zum Haus meiner Schwester und ihrer Familie.

Irgendwie mochte bei mir keine rechte Feierlaune aufkommen und ich entschloss mich, die Heimreise noch bei Tageslicht anzutreten. Die GS sprang tadellos an und hatte wieder ihre Leistung. Bis zum Kreisverkehr in Pressbaum. Dann war es wieder da, das Problem. Ich rief bei meiner Schwester an und bat meine Mutter noch etwas zu warten, ich käme wieder zurück. Da sie auf ihrem Heimweg ohnehin bei mir vorbeifährt, könnte sie mir quasi Schützenhilfe leisten.

Ich schaffte es auch bis Rekawinkel, langsam, aber doch.

Aber vielleicht war das Problem ja auch zu beheben. Es könnte z.B. daran liegen, dass die Entlüftung des Tankdeckels nicht ordentlich funktioniert. Dann entsteht ein Unterdruck und der Vergaser bekommt nicht mehr genug Sprit – das würde das Phänomen erklären und auch, warum sie nach einiger Zeit wieder läuft.

Also versuchte ich mit Hilfe meines Schwagers und meiner beiden Neffen das Entlüftungsloch freizubohren. Das gelang und wir bohrten zur Sicherheit noch ein zweites hinein. Leider war es inzwischen sehr dämmrig und ich musste noch den Sicherungssplint für den Tankdeckel wieder hineinklopfen. Also griff ich zu meiner Jacke und wollte mein Handy herausholen, das ist nämlich ein Outdoor-Modell und nicht nur wasserfest und stoßfest und staubdicht, sondern hat auch noch eine famose Taschenlampe.

Doch mein Schwager Andi winkte ab und bat meinen Neffen die große, fette Mag-Lite zu holen. So war der Splint schnell eingebaut und ich machte mich frohen Mutes auf den Heimweg. Meine Mutter fuhr zur Sicherheit hinter mir her, und so kamen wir bis zu besagtem Kreisverkehr bei der Autobahnauffahrt. Ich blieb stehen und ging zu meiner Mutter, um ihr zu sagen, dass alles wunderbar läuft und ich jetzt wohl gut nach Hause kommen würde – Schaden erkannt, behoben, alles bestens!

Ich fuhr die Bundesstraße und tuckerte durch Pressbaum. Dann wurde aus dem Tuckern ein Stottern. Ich fuhr rechts ran und bemerkte zu meiner Freude, dass meine Mutter doch nicht die Autobahn genommen hatte, sondern aufgrund einer Vorahnung hinter mir hergefahren war. Gemeinsam überlegten wir, wo ich die Kiste abstellen könnte. So eine frisch lackierte GS Baujahr 1960 findet schnell neue Freunde.

Dann kam mir die Idee, noch ein Stückchen weiter zu fahren. Vielleicht ging es ja, langsam und mit der einen oder anderen Pause. Im unteren Drehzahlbereich nahm sie ja Gas an.

So kamen wir bis Hadersdorf-Weidlingau (dem berühmten HaWei), wo ich eine Woche zuvor den Kabelbrand hatte. Dort war es dann endgültig aus. Mit einem letzten Seufzer, garniert mit einer feschen Fehlzündung, verreckte der Motor.

Als ich die Vespa am Straßenrand parken wollte, bemerkte ich, dass mein Handy nicht in der dafür vorgesehenen Jackentasche war. Und leider auch in keiner anderen Tasche. Also rief meine Mutter in Rekawinkel an und rief die Familie auf den Plan, um eine lustige Spätabend-Handysuche zu beginnen. Ich müsste es dort verloren haben, wo wir die Reparatur vorgenommen hatten. Oder auf der Veranda. Oder sonstwo im Garten.

Nach etwa einer halben Stunde war klar: kein Handy. Mein Tagesfazit war somit ein eher durchmischtes mit lustigen Aussichten: eine lange Fehlersuche bei der Vespa, gefolgt von einer mühsamen Reparatur eines gerade erst frisch aufgebauten Motors, garniert mit der Frage, ob die Vespa bis zu ihrer Abholung noch dort stehen würde, wo ich sie abgestellt hatte sowie der Frage, wo ich ein geeignetes Transportmittel zu ihrem Heimtransport herbekommen könnte.
Und natürlich die nette Aussicht die Sim-Karte sperren zu müssen plus Handykauf plus dem Eintippen von ca. 600 Namen plus Telefonnummern etc.

An dieser Stelle gilt mein Dank meiner geduldigen Mutter, die ihren vollkommen entnervten Sohn noch nach Hause chauffieren durfte. Ich kann gar trefflich jammern, wenn mir danach ist!

Am nächsten Tag wurde mein nächtlich entworfener Schlachtplan umgesetzt: Trotz fetter Regenwolken Gilera satteln, Handy von Oliver ausborgen und meine Schwester anrufen, damit sie weiß, dass ich mich jetzt selbst auf die Handysuche mache. Dann die Strecke abfahren und schauen, ob irgendwo ein Handy liegt. In der Nacht hatte es stark geregnet, aber mein Handy ist ein Outdoor-Modell (sagte ich das schon?) und wasserfest. Und stoßfest, also würde es auch ein Herausfallen überlebt haben, ganz abgesehen davon, dass mir vollkommen schleierhaft war, wie das Ding überhaupt herausfallen konnte. Und wieso ich die Jackentasche nicht zugemacht hatte. Und wieso ich überhaupt so deppat bin.

An der Stelle in Pressbaum, an der aus dem Tuckern ein Stottern geworden war und ich meine Mutter hinter mir bemerkte, suchte ich ganz besonders genau.
Und genau da kam der Anruf meines Schwagers: Meine Mutter wurde angerufen, ein ehrlicher Mensch hätte mein Handy gefunden. Also rief ich meine Mutter und danach den ehrlichen Menschen (Danke Herr Strausky aus Dürrwien!) an und erfuhr, dass ich nur 3 Minuten entfernt wäre. Also hinfahren und Handy abholen. Ich erfuhr, dass er es an der Bushaltestelle vor dem Kreisverkehr gefunden hätte, heute früh. Dann hatte er die letzte angerufene Nummer gewählt (bezeichnet mit „Mutti Handy“ und so nahmen die Dinge ihren Lauf.
Es war mir wohl aus der Tasche gefallen, als ich mich zu meiner im Auto sitzenden Mutter runtergebeugt hatte, um ihr zu sagen, dass alles bestens wäre und ich ab jetzt allein gut nach Wien kommen würde. Die Jackentasche war offen, weil ich sie auf-, aber nicht mehr zugemacht hatte, als mein Neffe blitzschnell mit der Mag-Lite daher kam.

Herr Strausky ist ein alter Vespa-Fahrer und gab mir noch ein paar Tipps für die Fehlersuche und die Reparatur mit auf den Weg – übrigens welche, die ich noch nicht kannte. Das Handy selbst stellte sich als doch nicht wasserfest heraus, das Display funktioniert zwar noch, hat aber einige Macken. Nokia 3720 hält nicht, was es verspricht.
Glücklicherweise hatte ich eines meiner Bücher einstecken und konnte es Herrn Strausky verehren. So freudig hab ich noch nie eine Widmung wo hineingeschrieben!

Am nächsten Tag half mir Ronny mit dem Bus die GS abzuholen, die glücklicherweise noch da war.

Fazit: eine kaputte Vespa, ein wiedergefundenes Handy und einen netten Menschen kennen gelernt. Wer weiß, wozu das alles gut ist.

Die Tschernobyl-Vespa

Endlich, letzten Freitag war es soweit, Thomy hatte Zeit, um mir beim Vergasereindüsen zu helfen. Ich knatterte nach Greifenstein und wir versuchten unser bestes, das aus mir unerfindlichen Gründen leider nicht gut genug war. Nach einigen erfolglosen Proberunden inkl. entsprechender Schieberei war es Abend und ich fuhr nach Wien zurück.
Das Motto war „Vursicht“ und so fuhr ich gemächlich und möglichst motorschonend. Da sie im Standgas zu hoch blieb, keimte in mir schon der Verdacht, dass da was nicht in Ordnung war.
Bei der Kreuzung Kahlenbergerdorf war es dann soweit: Im Leerlauf drehte der Motor plötzlich quasi von alleine hoch und ich schob die Kiste ohne Zögern rechts auf den Gehsteig und betätigte den kleinen Totmach-Knopf (Der heißt offiziell nicht so, aber er unterbricht die Zündung und damit stellt man auch den Motor ab.) Irgendwie wollte der Knopf aber gerade nicht und die Vespa drehte weiter hoch.

Schwerere Geschütze mussten ran und ich nahm mit einiger Hast die Seitenbacke runter und zog den Kerzenstecker ab. Dann bekommt die Kerze keinen Strom mehr, es gibt keinen Zündfunken und der Motor bleibt stehen. Theoretisch.
Mein Motor wollte aber nicht stehenbleiben und lief einfach weiter, immer noch in schwindelerregende Höhen drehend. Seit diesem Moment weiß ich, wie sich die Leute im Kontrollraum von Tschernobyl (und wahrscheinlich auch ihre Kollegen in Fukushima) fühlten, als sie den Notfallknopf drückten und nichts passierte. Außerdem nenne ich meinen Motor ab jetzt HAL 7000, das war der Computer aus Stanley Kubricks Film „Odysee 2001“, der auch die Abschaltung einfach verweigerte.

Leider war klar, dass diese verrückten Drehzahlen nicht lange gut gehen würden und ich ein ähnliches Ergebnis wie in Tschernobyl, nämlich eine fette Explosion, zu erwarten hätte, und zwar in Kürze. Das schmerzt bei einem gerade neu aufgebauten Motor, in den ich viel Zeit und viel Geld investiert habe.

Dummerweise kommt so ein Phänomen eigentlich nie vor und daher ist es auch nicht ganz leicht, die richtigen Maßnahmen zu setzen. Die erste Möglichkeit wäre gewesen, den Luftbalg zusammenzuquetschen und dem Motor sozusagen an die Gurgel zu gehen: Luft weg, Atmen beendet, Motor stirbt.
Das fiel mir nicht ein.

Die zweite Variante besteht darin, den Choke zu ziehen, fest auf die Hinterbremse zu steigen und zugleich den zweiten Gang einzulegen, damit kann man den Motor auch abwürgen. Das fiel mir zum Teil ein, aber die Umsetzung war irgendwie nicht erfolgreich.

Die dritte Variante besteht im blitzschnellen Abdrehen des Benzinhahns, um ihm den Nachschub abzuschneiden. Das fiel mir ein und das funktionierte auch, glücklicherweise noch bevor der Motor explodierte.

Vollkommen am Ende waren jedoch meine Nerven, und ich bin heilfroh, dass ich die Kiste nach einer entsprechenden Abkühlungsphase wieder starten und mit dem neuen Motto „Vursicht, mehr Vursicht, noch mehr Vursicht“ sowie fetteren Düsen im Vergaser (ich kann die Düsen inzwischen fast so schnell tauschen wie ein paar Socken) gut nach Hause kommen konnte.

Eines ist mir jetzt klar: Wer Vespa-Fahren übersteht, den kann nicht mehr viel erschüttern.