Die Knallerei

Aufgrund der steigenden Gewalt hat die Regierung beschlossen, dass einmal im Jahr eine Nacht zum Morden freigegeben wird. Die restlichen 364 Tage bzw. Nächte ist es verboten, aber in dieser Nacht darf sich jede und jeder eine Waffe nehmen und umbringen wen er/sie will.
Am nächsten Morgen werden dann die Leichen aus den Häusern bzw. von den Straßen weggeräumt und das normale Leben nimmt wieder seinen Lauf.

Das ist der Inhalt von „The Purge“, einem USA-Film, der bisher in das Genre „Science Fiction“ eingereiht wurde. Ich bin mir seit gestern nicht mehr sicher, ob so etwas ähnliches nicht in Zukunft Realität werden könnte.
In dem Film werden übrigens mehrheitlich Afro-Amerikaner umgebracht, das ist aber eher ein Nebenthema.
Eigentlich geht es um die Aufhebung der Gesetze. Im alten Griechenland waren das die dionysischen Spiele, bei denen man sich dem Rausch, dem Laster und der Gewalt hingeben konnte. Auch sie waren zeitlich beschränkt und dem Gott Dionysos gewidmet. Im alten Rom waren das die Bacchanalen, gewidmet Bacchus, dem Gott des Weins.

Wein und andere Rauschgetränke wurden gestern zu Silvester ebenfalls in Unmengen genossen. Und es war „erlaubt“ Lärm und Dreck zu machen ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Als ich heute durch die Gassen ging, glichen sie einem Schlachtfeld. Überall Kisten mit abgebrannten Raketenresten, die Gehsteige, Fahrbahnen und vor allem die Parks übersät mit den Resten der gestrigen Knaller-Orgie.

Mir wäre das nicht so bewusst geworden, wenn ich nicht das hässliche Erlebnis vor dem Lokal gehabt hätte, in dem ich gestern bei einer dezenten Silvesterfeier war. Davor ist ein winziger Park und dort saß eine Familie mit einem kleinen Mädchen, vielleicht drei oder vier Jahre alt. Sie zündete die ganze Zeit irgendwelche Knallkörper und kleine Leuchtkugeln. Als eine vor meinen Füßen landete (ich telefonierte gerade), rief ich ihnen zu, dass sie doch gefälligst aufhören sollten.
Mehr hab ich nicht gebraucht. Die Frau fing an mich wüst zu beschimpfen: Sie würden hier leben und es wäre Silvesternacht und alle würden knallen. Jedes dritte Wort war „fuck“ (sie sprach Englisch) und sie brüllte so lange auf mich ein, bis ich die Sinnlosigkeit jeder Intervention einsah und wieder in das Lokal zurück ging.

Zu Silvester darf jeder mehr oder weniger enthemmt tun was er oder sie will, zumindest was Lärmnachen und Dreckmachen betrifft. Ob andere darunter leiden ist vollkommen egal, und zwar – so traue ich mich zu behaupten – so ziemlich allen Menschen, die gestern ihre Raketen abgeschossen und ihre Knaller gezündet haben.
Umweltschutz? Gibt es nicht, interessiert niemand, nicht einmal ein bisschen. Verstörte Tiere? Pech gehabt!
Es ist eine Nacht der Rücksichtslosigkeit unter dem Deckmantel des Jahreswechsels. Der Pöbel darf, was er sonst nicht darf. Die Polizei müsste das eigentlich ahnden, die Menschen können sich aber in der Masse verstecken – deswegen schrie auch die Frau gestern, dass das erlaubt wäre, weil es alle tun.

Hier sind wir am Kern des Problems und wieder bei „The Purge“ angelangt. Wenn es alle machen, dann ist es erlaubt. Ich erinnere mich noch an den FPÖ-Politiker Uwe Scheuch, der mit einem Gesichtsausdruck nach seiner Verurteilung aus dem Gerichtssaal kam, der eindeutig sagte (und er hat es dann auch noch mit Worten gesagt): Was wollt ihr von mir? Das machen doch alle!

Der Fachbegriff dafür ist „Ochlokratie“, die „Herrschaft des Pöbels“. Wenn Gesetz ist, was die Masse macht, führt das irgendwann zu Gewaltorgien. Wer darüber besser Bescheid wissen will, dem schicke ich gerne meine Diplomarbeit („Der Mensch und die Gewalt“), bei der ich anhand der Thesen von René Girard die ständige, latente Gewaltbereitschaft der Menschen diskutiert habe, die im Gegensatz zu den Tieren nicht durch Instinkthemmungen gesteuert wird, sondern für die es soziale Steuerung (Gesetze und die Überwachung ihrer Einhaltung) braucht. Diese Gesetze werden im Krieg außer Kraft gesetzt, wo Soldaten auch alles tun dürfen, was sie wollen – im Nachhinein wird es meistens legitimiert bzw. darauf hingewiesen, dass ja Krieg war und die Gewalt außerdem provoziert.
Gut beobachten kann man es auch bei Plünderungen nach Naturkatastrophen, wo Menschen spontan ihre Hemmungen verlieren. Im kleinen Maßstab kann man das bei verunfallten Autos beobachten, die auch bei uns gerne ausgeplündert werden.

Gesetze sind nur so gut wie ihre Überwachung. Deswegen gelten sie auch de facto nicht, wenn sie nicht überwacht oder so gering bestraft werden, dass es niemanden stört. Das lässt sich gut bei den sogenannten „Kavaliersdelikten“ beobachten, wie etwa Telefonieren im Auto. Wie ich seit einer Massenarbeit weiß, die ich betreut habe, ist das vergleichbar mit einer Alkoholisierung von ca. 0,8 Promille. Wenn man dabei erwischt wird, ist der Führerschein weg. Wer beim Telefonieren erwischt wird, zahlt ein paar Euro und das war´s, obwohl die Gefährdung der Mitmenschen nachweislich die gleiche ist. Bei Unfällen, die durch das Telefonieren verursacht werden, wird dies im Gegensatz zu Alkoholunfällen übrigens nie dazu gesagt.

Hoffentlich werde ich nie ein Kavalier.

Der derzeitige Trend – vielleicht weltweit, zumindest bei uns – geht dahin, dass es als „Schikane“ empfunden wird, wenn man dafür bestraft wird, dass man ein Gesetz nicht einhält. Das ist zwar eine perverse Auslegung des liberalen Gedankens, ich erlebe es aber immer häufiger, dass so argumentiert wird. Unser neuer Innenminister will der Polizei verbieten mit Radargeräten die Geschwindigkeitsübertretungen zu messen. (Quelle: Kleine Zeitung, 1. Jänner 2018) Er empfindet das als Schikane.
Ob es möglich ist die Menschen durch das zeitweise Aussetzen von Gesetzen zu deren Einhaltung zu bringen, wird die Zukunft zeigen.
Und ob „The Purge“ in irgend einer Form Realität wird, ebenfalls.

„Kann ich hinein?“

Ich marschiere gerade aus den Räumlichkeiten der Bezirksvorstehung hinaus, als ich sehe, dass gerade jemand hinein will. Also öffne ich die nach außen aufgehende Türe ganz langsam, damit die Person draußen reagieren und zurück treten kann. Es ist eine nette Dame, die mich überrascht anschaut, als ich ihr die Türe aufhalte, und meint: „Kann ich hinein?“
Meine normale Reaktion wäre gewesen „Ich weiß nicht, ob Sie können, aber dürfen tun sie natürlich.“
Ich habe sie aber nur freundlich angelächelt und gemeint „Selbstverständlich“ – unter anderem, weil mir das so selbstverständlich ist.
Die spannende Frage ist aber, warum es für sie nicht selbstverständlich ist. Der Eingangsbereich wurde neu gestaltet, es ist hell und freundlich und es handelt sich um eine Glastüre. Während der Bürozeiten braucht man sie nur aufmachen und kann eintreten. Zu dem Zeitpunkt war auch drinnen alles hell erleuchtet.

Vielleicht wäre mir das sonst nicht aufgefallen, aber als Philosoph wurde ich auch ausgebildet auf Sprache zu achten. Und die Dame hat nicht etwa „Darf ich hinein?“ gesagt, sondern „Kann ich hinein?“
„Können“ ist ja eine körperliche oder psychische Eigenschaft. Sie war sich also nicht sicher, ob sie dazu überhaupt befähigt ist. Da sie kräftig genug wirkte, um die Türe problemlos aufzubekommen, finden wir hier keine Antwort auf die Frage.
Und doch hat es mit dem Körper zu tun.
Meine Hypothese dazu: Gesellschaften formen die Menschen und autoritäre Gesellschaften nehmen den Menschen die Kraft – durchaus körperlich gemeint – um sich gegen die Autorität aufzulehnen. Sie greifen also sehr tief in unser Wesen ein.

Wenn an einer Türe ein Verbotsschild hängt oder sonst irgendwie angedeutet wird, dass hier nur Berechtigte eintreten dürfen, dann ist es nicht verwunderlich, wenn Menschen sich daran halten.
Weshalb jedoch reagieren Menschen bei der frei zugänglichen Türe zur Bezirksvorstehung so, als ob es so unglaublich verboten wäre einzutreten, so dass sie sich sogar körperlich nicht mehr dazu in der Lage sehen?

Ich glaube, dass wir hier die österreichische Seele sehen, die ein seltsames Verhältnis zur Autorität haben dürfte. Der Kaiser ist zwar schon lange tot, lässt aber irgendwie immer noch grüßen. Es gab in Österreich nie so etwas wie eine gesellschaftliche Revolution gegen autoritäre Regime. Selbst das autoritärste war uns genau genommen nicht suspekt und Hitler war schließlich Österreicher, auch wenn wir das nicht mehr ganz so gerne hören wie unsere Großeltern (nein, natürlich nicht alle, aber doch die meisten).
Wer sich gegen Autorität nicht auflehnt, muss sich mit ihr arrangieren. Das funktioniert am besten indem man das tut, was die Autorität möchte. Um dem Problem zu entgehen, dass die Autorität etwas will, das man selbst nicht will, verändert man seinen Willen so, dass er mit der Autorität konform geht. Wenn ich das will, was die Autorität will, habe ich es bequem. Österreicherinnen und Österreicher haben es gerne bequem und daher funktioniert das gut.
Da die Autorität aber vorgibt, was ich wollen soll, muss ich wollen können was ich wollen soll. Zu diesem Zweck muss ich eigenen, abweichenden Willen unterdrücken, verleugnen oder empört ablehnen. Dabei ist es hilfreich, wenn mich niemand in meinem Wollen-sollen stört, also anspricht, dass ich das doch auch anders wollen könnte, etwa weil er es auch anders will.
Solchen Menschen weicht man besser aus und umgibt sich mit denen, die das gleiche wollen sollen.
Besonders schwierig ist das dann, wenn der andere, der Umbequeme, das andere Wollende, damit mehr Erfolg hat als ich. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Ich definiere den Erfolg um, und zwar so, dass sein Erfolg eigentlich ein Misserfolg ist. Dabei hilft mir die Unterstützung anderer, Gleichgesinnter (eigentlich: Gleichgeschalteter).
Das ist z.B. überall dort erforderlich, wo die eigene Bequemlichkeit durch das autoritätskonforme Verhalten leidet und jemand anderer, der sich der Autorität widersetzt, es eigentlich bequemer hat. Dann muss ich entweder meine eigene Bequemlichkeit modifizieren oder seine Bequemlichkeit verringern.
Das funktioniert durch die Zuhilfenahme des Internets viel einfacher als noch vor einigen Jahren, da ich für alles, was ich glauben möchte, irgendwo in den unendlichen Weiten des Netzes jemand finde, der das bestätigt.
Realität, Wirklichkeit, Wahrheit werden dann zu leeren Begriffen, die man genau genommen entsorgen kann. Schwieriger wird es, wenn jemand die Quelle meiner Information hinterfragt. Dann kann man aber immer noch so antworten, wie das ein Bekannter getan hat, als ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass seine Quelle unseriös ist:

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Bild: Ausschnitt aus einer Facebook-Diskussion. Es ging um einen Bericht, der angeblich von der Polizei stammt und in dem geschildert wird, dass eine Mutter angeblich mit einem Messer drei Bösewichte erstochen hätte.

So einfach ist das und schon kann man glauben, was man gerne glauben möchte.
Im nächsten Schritt wird es noch etwas spannender, denn in der heutigen Zeit kann man sich die Autoritäten aussuchen, zumindest auf der virtuellen Ebene. Das ist ausgesprochen praktisch, denn jetzt kann man sich genau die Autorität aussuchen, die das verspricht, was meine Bequemlichkeit maximiert. Man wird im Internet immer jemand finden, der die gleich Meinung hat und so kann man sich auf diese virtuelle Gemeinschaft berufen. Die vermeintliche Freiheit besteht nun darin, die Autoritäten, denen man glaubt, jederzeit wechseln zu können.

An der Autoritätshörigkeit ändert das freilich nichts und so können sich die echten Autoritäten, die uns genau so mögen, wie wir sind, beruhigt zurücklehnen. So lange wir in unserer Bequemlichkeit nicht gestört sind, reicht ein wenig panem et circenses und schon tun wir, was verlangt wird.

Das Phänomen Macron und was das mit den Grünen zu tun hat

Politische Themen sind immer heikel, denn ich bin nicht für alles ein Experte. Diesmal schildere ich einfach meine Gedanken zu den letzten französischen Wahlen, also zur Präsidentschaftswahl und der danach abgeschlossenen Wahl der Nationalversammlung. Und was das mit der derzeitigen Lage der österr. Grünen zu tun hat. Aber der Reihe nach:

Macron hat einen Erdrutschsieg eingefahren und somit die absolute Mehrheit plus das starke Präsidentenamt. Die Konservativen sind extrem geschrumpft und die Sozialisten nur mehr eine Kleinpartei, obwohl sie mit Hollande noch den letzten Präsidenten hatten. Auch die Front National mit Le Pen ist winzig geworden.
Die Wahlbeteiligung liegt bei nur mehr ca. 43% und auch wenn ein sehr schönes Wetter war, ist das doch erstaunlich.

Die wirklich spannende Frage für mich lautet: Was bedeutet das für uns? Ich versuche eine Antwort.
Nicht nur in Frankreich ist zu beobachten, dass die großen, oder besser: ehemals großen Parteien massiv schrumpfen und teilweise in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Das betrifft links wie rechts und dürfte eher mit der Etabliertheit zu tun haben als mit Größe oder ideologischer Ausrichtung.
Ich glaube, dass den Menschen genau das auf die Nerven geht, was ihnen (bzw. ihren Eltern) früher getaugt hat, nämlich die Machtansammlung, die dazu geführt hat, dass die Parteien Angebote machen konnten. Über die Partei bekam man eine gewisse Form von Sicherheit wie z.B. einen Job bei der Gemeinde oder beim Bund, eine Gemeindewohnung, aber auch einfach die Sicherheit einer gewissen Stabilität und Planbarkeit.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Karten großteils neu gemischt, vor allem die Wirtschaft wurde zum Wunder und es gab einfach viel zu verteilen. Die Parteien beherrschten diese Verteilung gut und taten sich im Proporz nicht weh. Die Zukunft war sichtbar, ein wenig kleinbürgerlich, aber gut.

Heute ist das anders. Nichts, aber auch gar nichts an der Zukunft ist sicher. Wir stehen de facto vor großen weltpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen und viele Menschen haben den Verdacht, dass sie dadurch betroffen sein werden oder es jetzt schon sind. Kaputte Pensionssysteme, unsichere Jobaussichten, Klimawandel, Scheidungsrate und noch viel mehr.
Die Altparteien (wozu tw. auch die Grünen inzwischen gehören) haben keinerlei Antwort oder nur eine konservative, also den Versuch, alles irgendwie zu bewahren und die Menschen glauben zu lassen, dass das funktioniert.
Viele sind aber nicht dumm genug um das zu glauben.
Vor allem aber versuchen die Parteien ihre Machtstrukturen zu erhalten und sind bereit alles dafür über Bord zu werfen, dessen sie sich früher gerühmt hatten. Die Konservativen entledigen sich konservativer Werte schneller als man schauen kann und die Sozialisten pfeifen in der gleichen Sekunde auf Menschenrechte und alles, was dazu gehört.
Auch die Grünen in Österreich müssen sich hier Kritik gefallen lassen. Sie vertreten zwar ihre alten Werte, kommen damit aber intern immer schlechter zurecht, etwa mit der Basisdemokratie oder dem Widerspruch zwischen Opposition und Regierung. Dass sie noch dazu wenig bis nichts zu verteilen haben, ist auch nicht gerade ein Vorteil und so bleibt ihnen zwar eine solide WählerInnenbasis, die ist aber nicht sehr groß.

Die Bürgerinnen und Bürger suchen sich etwas Neues. Davon konnten in Österreich die NEOS profitieren, die bei der letzten Nationalratswahl neu waren. Neu wird gewählt, weil es neu ist und weil man die Hoffnung hat, das Neue könnte anders sein und im Idealfall besser.
Sie suchen aber auch nach neuen Formen der Politik und wählen „Bewegungen“, auch wenn hinter diesen etablierte Politiker wie Macron oder bei uns Kurz oder Pilz stecken. Macrons Denken ist nicht neu, sein Wirtschaftsprogramm neoliberal und er strebt wahrscheinlich genauso nach Macht wie die etablierten Parteien. Aber er verspricht anders zu sein und der Wunsch nach dem Anderen ist offensichtlich so groß, dass es funktioniert hat.
Macron hat die klassischen Wahlzuckerln verteilt und die Franzosen haben sie gelutscht, weil sie unter dem Deckmantel des Neuen verteilt wurden. Darin kann man durchaus einen Protest gegen die etablierten Strukturen sehen, von denen immer mehr Menschen nicht mehr profitieren können.

Und dann ist da noch der Wunsch nach dem starken Mann. Es ist übrigens tatsächlich immer ein Mann, nach dem gerufen wird, niemals nach einer starken Frau. Da auch die meisten Frauen nach einem Mann rufen, haben die Grünen noch ein weiteres Problem.
Dieser Ruf ertönt immer, wenn etablierte Strukturen keine Sicherheit mehr bieten oder – und das ist meiner Ansicht nach doppelt gefährlich – die aufgrund des Wohlstands errungenen Dinge als gefährdet dargestellt werden. Dann wird der alte starke Mann durch einen neuen ersetzt oder die Demokratie durch ein autoritäres System. Trump ist ein gutes Beispiel, Erdogan ein zweites, Orban ein drittes, Macron ein viertes und Mama Merkel kann als Ausnahme durchgehen, die die Regel bestätigt.
Wahrscheinlich werden in den nächsten Jahren andere Länder nachziehen und überall werden die neuen, starken Männer von niedrigen Wahlbeteiligungen profitieren.
Das ist ein interessantes Phänomen, das sich wahrscheinlich nur durch die Summe einiger Ursachen erklären lässt:

1.) Panem et circenses. Die Menschen haben Brot (Pizza, Pommes, Burger, Kebab – die ganze Palette an Convenience-Food), dazu ein Auto, einen Flachbildfernseher und ein Smartphone. Bequeme Menschen gehen nicht wählen, sondern schauen die Barbara-Karlich-Show. Und wenn sie wählen gehen, dann entscheiden sie sich meist für den Kandidaten, der ihnen am glaubwürdigsten verspricht, dass ihre Privilegien erstens wohlverdient, zweitens gerecht und drittens unantastbar sind.

2.) Die Parteien haben über viele Jahrzehnte erfolgreich versucht die Menschen von der Politik fernzuhalten. Sich damit zu beschäftigen war ihrer Meinung nach nicht notwendig, weil man ja ohnehin gute Politik für die Bürger macht und politische Bildung somit verschwendete Zeit ist. Daher gibt es auch in der Schule keinen Politikunterricht und das Studium der Politikwissenschaft bringt eine Handvoll antiautoritär denkende Protestierer hervor, die man leicht in den Griff bekommt.
Die meisten Menschen haben somit keine politische Bildung und können A von B nicht unterscheiden, weil sie es nicht gelernt haben. Sie glauben somit, dass sie durch Nicht-Wählen eine Proteststimme abgeben. Da aber nur Parteien gewählt werden und nicht der „Protest“, funktioniert das nicht, sondern es tritt das Gegenteil von dem ein, was sie erreichen wollen: Die Parteien (oder auch die Bewegungen, das ist egal) werden gestärkt. Da diese Menschen aber wenig bis keine politische Bildung haben, fällt ihnen das nicht auf und die Parteien werden ihnen das sicher nicht erklären.
Viele Menschen haben es satt, wie sie regiert werden, ihnen fällt aber keine andere Lösung ein als nicht wählen zu gehen.

3.) Ein für mich bisher neues Phänomen ist die „starke Reziprozität“ (vom Ökonom Ernst Fehr, Standard-Interview vom 2.9.2017). Michel Reimon hat das gut zusammengefasst: „Wenn ein politisches System von einem Menschen nicht als fair empfunden wird, dann ist diese Person bereit, dafür zu bezahlen, dass dieses System bestraft wird. Sie ist also bereit, sich selbst zu schädigen und weniger als zu Beginn zu haben, wenn sie nur die Unfairness des Systems sanktionieren kann. Und die rationale Argumentation, dass es ihr besser geht, das System zu akzeptieren, geht ins Leere.“ (Aus einem Facebook-Beitrag ebenfalls 2.9.2017)
Nicht wählen gehen wird ebenfalls als Bestrafungsinstrument eingestuft, genauso wie eine Protestpartei zu wählen oder einfach nur eine, die neu ist und somit eine sichtbare Alternative zum Bestehenden.
Auch hier haben die Grünen das Problem, dass sie zu den etablierten Parteien gezählt werden und das in vielen Bereichen wohl völlig zu Recht. Ein Phänomen dieser Etabliertheit ist in den Interviews der SpitzenpolitikerInnen zu erkennen, nämlich darin, dass sie auf Fragen jeglicher Art nicht mehr antworten. Sie bringen vorbereitete Sätze und Satzgruppen, die sich meist gar nicht auf die Frage beziehen. Sie bekommen von ihren BeraterInnen eingetrichtert, ja nichts anderes zu sagen als diese Sätze, denn alles andere könnte gegen sie verwendet werden. Nicht ohne Grund erinnert das an eine Gerichtsverhandlung, obwohl es genau das nicht sein sollte.
Ein weiteres Merkmal für die Etabliertheit ist die Beteiligung an Regierungen. Vorher war man solidarisch mit Bürgerinitiativen, jetzt bekämpft man sie. Das mag inhaltlich sinnvoll und sachpolitisch notwendig sein, für das Image ist es katastrophal. Spätestens seit die Grünen irgendwo in einer Regierung sitzen, sind sie für manche Menschen nicht mehr die Protestierer aus der Hainburger Au.
Auch hier finden wir die starke Reziprozität – ich bekomme von altgedienten GrünwählerInnen immer öfter an den Kopf geworfen, dass wir leider nicht mehr die sind, die damals in der Au noch ehrlich gegen alles waren. Das stimmt durchaus. Erstaunlich ist die Reaktion, nämlich jetzt nicht mehr die Grünen wählen zu können. Das bedeutet ja, dass diese Menschen entweder nicht zur Wahl gehen und damit eine der besonders etablierten Parteien stärken – bei der kommenden Nationalratswahl wird das möglicherweise der erklärte ideologische Gegner sein, also ÖVP oder FPÖ, oder sie wählen doch. Das bedeutet aber, dass sie eine Partei wählen, die bisher für sie unwählbar war. Jetzt wird diese gewählt und, sofern man/frau vorher wirklich grün war, wählt man jetzt gegen die eigenen Interessen – das ist genau das, was Michel Reimon mit „sich selbst schädigen“ meint.
Die Alternative ist „Neue“ zu wählen. Ob das funktioniert, wird sich erst nach der Wahl zeigen.
Das „starke“ an dieser Reziprozität (man könnte auch das psychologische Modell der Reaktanz verwenden) ist die Übertreibung, die hier zu beobachten ist. Eine „jetzt ehemalige“ Grünwählerin hat das so erklärt: Weil ihr ein Bauprojekt in der Nachbarschaft nicht gefällt, wählt sie bei der Nationalratswahl nicht mehr grün. Die beiden Dinge haben auch bei genauester Betrachtung nichts miteinander zu tun, denn die Bundespartei hat keinerlei Einfluss auf Wiener Bauprojekte, aber das ist ihr vollkommen egal. Sie konstruiert sich eine eigene Wirklichkeit, in der sie sich die Wahlentscheidung legitimiert. Von etwas wegzukommen, dem man lange Zeit verbunden war, verlangt einen besonders großen ersten Schritt, quasi wie eine Rakete, die zu Beginn besonders viel Energie braucht, um die Erdanziehungskraft zu verlassen.
Daher sammelt die ehemalige Grünwählerin jede Menge Anlässe, die ihr in Summe kräftig genug sind. Sie ist dabei nicht wählerisch – alles, was irgendwie passt, wird in den Topf geworfen, siehe obiges Beispiel. Auf meine Frage, was das eine mit dem anderen zu tun hat, ist sie einfach nicht eingegangen.

Ich finde es nur schade, dass sie sich die Konsequenzen nicht vorher überlegt. Nach der letzten Wiener Wahl hat mich ein älterer Herr angerufen um mir zu sagen, dass er diesmal rot statt grün gewählt hat, um den Strache zu verhindern. Als ich ihn gefragt habe, was er denn auf Bezirksebene gewählt hat, wo dieses Problem ja gar nicht zur Debatte stand, wurde es ruhig am Telefon. Er hatte im Bezirk auch rot gewählt. „Das war wahrscheinlich ein Fehler“ meinte er dann kleinlaut.
Ich habe das Gefühl, dass sich viele Menschen nicht mehr die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie das System funktioniert und welche Konsequenzen ihre oft spontan und aus einer Emotion getroffenen Entscheidungen haben. Das macht sie auch extrem leicht beeinflussbar. Es gewinnt dann derjenige, der am lautesten schreit, optisch am auffälligsten oder ganz einfach nur neu ist oder zumindest neu erscheint.
Die Gesellschaft wird sich dadurch wahrscheinlich massiv verändern.

Das werden wir wahrscheinlich auch am 15. Oktober beobachten können.

Warum mich die Wahl Trumps nicht überrascht (eine Analyse)

Schon in den letzten Wochen spürte ich den Keim der Unsicherheit. Dann sah ich mehrere TV-Dokus über die USA und dort wurde immer wieder recht deutlich gezeigt, dass eine gewisse Menge an Menschen für Donald Trump stimmen wird – aber nicht aus Trotz oder zumindest nicht nur aus Trotz, sondern weil sie ihn als Lösung ihrer Probleme sehen.
Die einzige Frage, die bis zum Schluss übrig blieb, war: Wie groß ist diese Menge?

Das konnte niemand wissen und auch die Meinungsumfragen können das mit ihren Methoden nicht erfassen. Insofern war bis zum Schluss unklar, wie die Wahl ausgeht.
Dann der gestrige Abend – als mein Kollege Volker Plass ein Posting auf Facebook brachte, das etwas widersprüchlich auf Trump einging, hatte ich plötzlich ein sehr klares Bauchgefühl und es sagte „Trump gewinnt“.
Danach ging ich schlafen und war heute in der Früh nicht wirklich überrascht, dass er es geschafft hat die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Der Sieg ist eindeutig und klar und wird auch nicht angefochten werden.

Jetzt stellt sich die Frage, was da passiert ist und wie es weitergeht. Dazu eine Analyse:

1.) Die Wähler haben gewählt.
Dieser Satz wirkt banal und ich habe ganz bewusst die Wählerinnen weggelassen. Es waren die weißen Männer, die Trump den Wahlsieg gebracht haben – auch weil sehr viele weiße Frauen es ihnen nachgemacht haben. In einer Demokratie haben nun einmal alle eine Stimme und das ist gut so.
Der Satz ist auch deswegen nicht banal, weil ich oft höre „Wenn Wahlen was verändern könnten, wären sie längst abgeschafft“. Das stimmt nur zum Teil, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Aber hier hat wirklich „das Volk“ gewählt, denn auch ohne dem seltsamen Wahlmänner-System (da sind auch Frauen unter diesen Männern, aber diese Form der political correctness hat wohl nach dem Sieg Trumps keine echte Konjunktur mehr) wäre die Wahl nicht anders ausgegangen.
Es ist ein Sieg der Demokratie, auch wenn ironischerweise die Demokraten verloren haben. Hier darf ich jedoch anmerken, dass mir die demokratische Partei in den USA nicht demokratischer erscheint als die republikanische.
Ob die Wähler schlau gewählt haben? Das wird sich erst herausstellen und niemand weiß genau, wie es jetzt in den USA und in der Weltpolitik weiter geht.

2.) Warum Trump?
Die Wähler haben eine Hoffnung gewählt, kein Programm.
Sie haben eine Person gewählt und keine Partei.
Es wurde die Authentizität gewählt und nicht die Schauspielerei.

Das ist deswegen so wichtig, weil es einem Trend folgt, den es in den USA schon seit Jahrzehnten und inzwischen auch bei uns in ähnlicher Form gibt. Je mehr Angst die Menschen haben, umso wichtiger ist ihnen eine greifbare, starke Führerfigur und die hat Donald Trump ihnen geboten.
Obama wurde unter anderem gewählt, weil er die Hoffnung für viele AfroamerikanerInnen und andere Gruppen verkörpert hat. Das wurde enttäuscht, es geht diesen Bevölkerungsgruppen heute schlechter als vor acht Jahren. Guantanamo ist auch nach acht Jahren nicht geschlossen und wird wohl noch viele Jahre existieren. Der Friedensnobelpreisträger Obama hat mehrere Kriege begonnen – außerhalb der USA und somit automatisch als Aggressor bzw. Unterstützer von Aggressoren.
Er hat sich nach außen als liebevoller Ehemann, Vater und Sonstnochwas gegeben und hat dahinter als Marionette der verschiedenen mächtigen Industrien agiert.
Hillary Clinton hat im Wahlkampf auf mich ebenfalls nicht authentisch gewirkt – weder ihr Lächeln noch ihre Botschaften, das alles noch verknüpft mit einer beinharten Politik. Die Jubelei bei ihren Reden wirkte gekauft, die bei Trump nicht.
Dieser Wunsch nach Authentizität ist für mich sehr verständlich. Trump widerspricht sich, er lügt, äußert sich frauenfeindlich und ist trotzdem von schönen Frauen umgeben, poltert, droht und ist so politisch unkorrekt wie es nur geht. „Wenn ich auf der Straße vor den Augen aller jemand erschieße, verliere ich keine einzige Wählerstimme“ hat er gesagt.
Ich glaube ihm das, auch wenn es nicht stimmt, da er möglicherweise die Wählerstimme desjenigen verliert, den er erschossen hat. Für den Präsident reicht es dennoch locker, wie er beweisen konnte.

Wenn ich unsere Politiker im TV sehe, wünsche ich mir fast immer das, was sich scheinbar die Amerikaner auch gewünscht haben: Klare, ehrliche Aussagen. Ich bekomme sie nie oder fast nie, auch nicht von den PolitikerInnen meiner eigenen Partei. Ich sage seit Jahren: Sobald einmal einer kommt, der offen zu ihnen spricht und (selbst wenn es nicht stimmt, das ist ja das Interessante daran) die Wahrheit sagt, gewinnt er die Wahl.
Trump hat ihnen solche Sager geboten, selbst wenn er gelogen hat. Er war er selbst und brauchte daher auch keine Berater.

In den seit Jahrzehnten neoliberal gesteuerten USA bot Hillary gerade mal „more of the same“ – das gab maximal den Gewinnern des bisherigen Systems eine gewisse Hoffnung. Neoliberale Wirtschaftspolitik dient immer ausschließlich den schon Starken, schon Besitzenden – in der heutigen Nachwahldiskussion bis zum Erbrechen oft „Establishment“ genannt. Es macht die Reichen reicher und die Armen ärmer, und zwar mit Garantie. Da Reiche erstens nie etwas von ihrem Reichtum freiwillig hergeben und zweitens vom bisherigen System geschützt wurden, entstand Widerstand.
Dieser Widerstand ist nicht intellektuell, er ist nicht logisch, nicht vernünftig und er schert sich einen Dreck um die Folgen. Das ist eine mögliche Erklärung warum Menschen eine Person wählen, die ihnen vorhersehbar schaden und ihr Leben verschlechtern wird.
Was bleibt, ist die Hoffnung, und die wird gewählt.
Diese Hoffnung ruhte ausschließlich auf Donald Trump und er konnte sie erfüllen – zwar nur in Form seiner Person, aber immerhin.
Deswegen wählten Frauen einen sexistischen Macho und arme Leute einen Milliardär – weil es egal ist, weil es darum nicht geht. Weil sie jemand wollen, der ihnen eine Geschichte erzählt, die ihren Sorgen ein Ventil bietet.

Ist das bei uns wirklich anders? Die FPÖ tut genau nichts für die Menschen, die sie wählen. Das muss sie auch nicht, zumindest nach der Trump-Logik.

Es geht sogar noch weiter: Je deutlicher die Figur hervortritt, desto attraktiver wird sie. Jede Art von Programm stört da nur und lenkt ab. Und sie muss genau auf die Bedürfnisse passen, die gerade vorhanden sind – in diesem Fall war das der Kampf gegen die Mächtigen, ideal verkörpert von einem wilden Rabauken, der nichts auf Konventionen gibt und darüber hinaus noch reich ist.
Trump ist ein Pleitier? Das wären viele Amerikaner auch gerne, weil das würde bedeuten, dass sie vor der Pleite vermögend waren.
Er zahlt keine Steuern und darf das ohne Konsequenzen? Das würden viele Amerikaner auch gerne können.
Er ist das dritte Mal verheiratet und jede Frau ist jünger und schöner als die davor? Der Amerikaner wirft einen Blick von der Couch in die Küche und weiß, wen er wählen wird.

Hillary kann da mit ein paar möglicherweise staatsgefährdenden Emails nicht mithalten. Ihre Verfehlungen sind die Verfehlungen einer mächtigen Frau aus einer Familie, die seit Jahrzehnten zu den Mächtigen des Staates gehört.
Das neoliberale System hat das Land in seiner Struktur ruiniert, weil private Unternehmen die Struktur ausbeuten und nicht erhalten, sofern sie selbst nicht dafür bezahlen müssen. Deswegen hat Trump in seiner Dankesrede davon gesprochen, dass er die kaputte Infrastruktur wieder aufbauen und dass das viele Millionen Arbeitsplätze bringen wird.
Das ist kein dummes Gerede, das ist taktisch sehr klug, denn das sehen die Menschen dort jeden Tag und bisher bekamen sie keine Antwort von den Mächtigen.
Trump ist in Zukunft wahrscheinlich genauso neoliberal, aber das interessierte vor der Wahl niemanden: ihn nicht und seine Wähler auch nicht.

Diesen Wählern vorzuwerfen, dass sie nur einfach zu ungebildet sind, ist zu wenig. Da ist sicher was dran, aber auch sehr gebildete Menschen haben Trump gewählt, weil es um etwas anderes geht. Die meisten haben auch genug zu essen und ein Dach über dem Kopf sowie ein Auto, einen Flatscreen und ein Smartphone.
Genau hier liegt jedoch eine der Ursachen: Die meisten Menschen dürften spüren, dass die Zeit des ungebremsten Wirtschaftswachstums vorbei ist. Und jetzt bekommen sie Angst das Erreichte zu verlieren – übrigens egal woher sie es haben. So sind die Menschen nun einmal – was man hat, das hat man zu Recht, auch wenn man sich dieses Recht zusammenphantasieren muss.
Jetzt kommt einer und meint: Da will dir wer was wegnehmen! Mehr ist gar nicht notwendig, vielleicht noch ein paar düstere Bilder einer vermeintlichen Bedrohung und schon tut die verängstigte Masse alles, was dieser Mensch will.
Das passiert übrigens nicht, weil die Menschen blöd, sondern weil sie in erster Linie bequem sind. Diese Bequemlichkeit haben sie Jahrzehnte lang gelernt und die US-Amerikaner sind Weltmeister darin, was man oft sogar an ihren Körpermaßen erkennen kann.
Doch auch das reicht nicht, daher muss man noch ein Schäufelchen drauf legen und die Masse emotionalisieren. Da bei emotionalem Stress der Körper die Gehirnteile in gegenläufiger Reihenfolge zu ihrer Entstehung wegschaltet, verlieren wir zuerst den frontalen Kortex, der für das rationale Denken zuständig ist.
Wenn man in die wütenden Gesichter der amerikanischen „angry white men“ blickt, dann ist diese Theorie möglicherweise gar nicht weit hergeholt.

All das hat es Donald Trump recht leicht gemacht und so ist er jetzt der 45. US-Präsident.

3.) Was passieren wird
Trump wird seine Rolle wechseln, er wird – so gut er kann – staatsmännisch agieren und wahrscheinlich schnell lernen. Sein rabaukenhaftes Auftreten wird ein Vorteil sein (nicht immer, aber wahrscheinlich recht oft), vor allem wenn er mit Diktatoren verhandelt oder mit schwachen Herrschern. Er wird sich selbstverständlich beraten lassen, weil er ohne seine Stäbe und ohne seine Regierung genau gar nichts machen kann.
Diese Stäbe und alle seine Minister kommen von dort, wo sie seit Jahrzehnten herkommen, und zwar auch unter Obama: ausschließlich aus der Banken-, Pharma-, Öl-, Agro- und Waffenindustrie.
Die haben alleinig die Aufgabe ihre jeweiligen Industrien entsprechend zu vertreten und das werden sie auch tun. Trump wird wissen, dass er sich mit ihnen nicht anlegen darf, weil sonst ein kleiner Unfall passieren könnte. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihm das sehr direkt sagen werden und es wird eine Sprache sein, die er gut versteht.

Insofern wird er die Politik seiner Vorgänger fortsetzen mit ein paar anderen Akzenten – gerade mal so viele, wie ihm seine Leute gestatten. Er wird sich einen feuchten Dreck um die Armen und Bedürftigen scheren, die ihn übrigens auch nicht gewählt haben. Aber auch die Mittelschicht ist ihm egal, das Problem löst er mit Panem et Circenses.

Für die Umweltpolitik bedeutet das wahrscheinlich nichts Gutes – das wäre aber auch nicht anders, wenn Clinton gewonnen hätte. Und es hat nicht einmal nur mit den USA zu tun, denn hier ist globales Handeln angesagt und die meisten Wirtschaftssysteme dieser Erde sind so aufgestellt, dass die Natur ein auszubeutender Faktor ist. So lange sich das nicht ändert, ist es ziemlich egal, was Trump macht. Erst wenn man mit Umweltschutz viel verdienen kann, wird sich hier etwas ändern. Leider.

4.) Die Hoffnung
Der massive Rechtsruck in vielen Teilen der Welt führt naturgemäß auch zu einer Gegenbewegung. Mit anderen Worten: Die Linke hat ihre Kraft verloren und sich großteils selbst verloren. Die Sozialdemokratie hat ihr Ziel (jeder brave Arbeiter ein Auto und einen Fernseher) erreicht, Der Feminismus kämpft teilweise gegen sich selbst (und erreicht die meisten Frauen gar nicht), die Grünen sind auch ratlos bei der Betrachtung der derzeitigen Dynamik und die wenigen verbliebenen Kommunisten gefallen sich als Feindbilder der Rechten.
Wie sieht daher so eine Gegenbewegung aus? Entsteht sie aus der viel gepriesenen „Zivilgesellschaft“? Wird sie eine soziokratische Gemeinwohlbewegung oder eher ein dezentes Netzwerk der Sharing Economy?

Werden wir in Österreich am 4. Dezember der Weltentwicklung folgen oder ein Gegenbeispiel setzen?

Was auch immer geschieht, es ist kein Grund zu klagen oder zu verzweifeln. Die Welt dreht sich weiter und heute war ein sonniger Tag.

Die jungen Männer

Die geneigten Leserinnen und Leser mögen sich auf einen längeren Artikel einstellen, da ich die Problematik von mehreren Seiten beleuchten muss, in guter philosophisch-kritischer Tradition.
Dies ist kein wissenschaftlicher Artikel, sondern ein Weblog-Beitrag und soll auch als solcher verstanden werden: als Anreiz zu diskutieren und sich seine eigene Meinung zu bilden.

Die Ideen dazu habe ich schon seit Jahren, bekam aber erst durch einen Artikel den Fokus darauf. Ein weiterer Auslöser war eine Diskussion mit meinem lieben Freund Allan, der meinte, der Islam per se sei eine echte Bedrohung für unsere Kultur – ein bisschen übertrieben könnte man sagen: In ein paar Jahren gibt es keine Kirchen mehr, sondern nur mehr Moscheen und wir werden alle gezwungen zum Islam zu konvertieren.

Ich habe da so meine Zweifel und war eher instinktiv der Meinung, dass da etwas ganz anderes dahinter steckt. Und dann kam der Artikel, der vieles, wenn auch nicht alles recht brauchbar zusammenfasst. Hier ist der Link dazu:

http://www.nzz.ch/articleeo5x7-1.76650

Zusätzlich habe ich den Artikel (er ist eigentlich ein Interview) ans Ende dieses Beitrags gehängt (u.a. weil ich nicht weiß, wie lange der Artikel online bleibt) und empfehle, nach dem akademischen Prinzip (zuerst lesen, dann mitreden) vorzugehen und ihn jetzt gleich zu lesen (also einfach runterscrollen bis zur Überschrift).
Für alle, die das nicht gleich lesen wollen, hier eine Zusammenfassung:

Heinsohns These zu Krieg und Gewalt

Sind in einer Gesellschaft mehr als 30 Prozent aller Männer zwischen 15 und 29 Jahre alt, so kommt es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Gewalt, in Form von Bandenkriminalität, Revolutionen, Bürgerkriegen, Genoziden oder Eroberungskriegen. So lautet die These des deutschen Völkermordforschers Gunnar Heinsohn. «Youth Bulge» nennt er das Phänomen. Das englische Wort bulge steht für die entsprechende Beule in der Bevölkerungspyramide.
Heinsohn wendet die These auch historisch an: Europas Mütter hätten zwischen 1500 und 1914 so viele Söhne gehabt wie heute die Mütter Afrikas. Deshalb hätten sich die Europäer neben ihren Kriegen daheim auch noch gewalttätig 90 Prozent der Erde geholt. Ein Youth Bulge sei auch die Ursache gewesen für die Phase der Diktaturen und Guerillas in Lateinamerika. Die überschüssigen Söhne hätten sich damals weggetötet – als Guerilleros für die Freiheit oder Soldaten für das Gesetz. Und zur Situation in den islamischen Ländern sagt Heinsohn: «Seit 1950 haben Mütter in islamischen Ländern drei bis vier Söhne, die oft als Islamisten für einen noch reineren Glauben vorwiegend andere Muslime töten, aber – wie zuvor die Europäer – auch Imperien aufbauen wollen.»

Grob zusammengefasst enthält der Artikel folgende These: Der Islam ist nur ein Vehikel zur Radikalisierung junger Männer. Sie sind das eigentliche Problem, wenn sie in zu großer Zahl auftreten – egal wo, wann und warum.

Zu Beginn möchte ich meinen eigenen Zugang darstellen. Er setzt sich aus einer Vielzahl von Beobachtungen zusammen, die ich in den letzten Jahren beruflich und privat gemacht habe.

1.) Die Betriebsübergabe von Familienunternehmen
Ein Betrieb wurde aufgebaut und es kommt der Zeitpunkt der Übergabe. Drei Söhne und zwei Töchter sind vorhanden, alle haben das gleiche Recht auf ein Erbe. Wenn es neben dem Betrieb noch entsprechend viel Vermögen gibt, ist eine Einigung meistens möglich. Wenn dies nicht der Fall ist, müsste der (unteilbare) Betrieb verkauft und der (teilbare) Erlös aufgeteilt werden. Dann ist aber die bisherige Ernährungsgrundlage fort.
Töchter kann man oft noch verheiraten, Söhne bleiben da, außer man kann für sie eine Alternative finden, bei der sie nichts erben. Früher hat man sie z.B. in ein Kloster geschickt oder eben in den Krieg.
Auf dieses Problem stoße ich immer wieder und es hat schon oft zum Scheitern der Betriebsübergabe geführt.

2.) Die Grundwidersprüche
Es gibt für uns Menschen vier Grundwidersprüche, die nicht auflösbar sind und unser Leben beeinflussen: männlich-weiblich, Eines-Vieles, Leben-Tod und alt-jung.
Alle vier spielen in unserem Thema eine Rolle: Es geht um junge Männer, die im Gegensatz zu Frauen ein spezielles Problem darstellen, es geht um Individuum versus Gemeinschaft, denn die jungen Männer sind nur ein Problem, wenn sie in einer Vielzahl auftreten, und es geht auch fast immer um die Existenz, also um den Grundwiderspruch zwischen Leben und Tod.
Vor allem aber geht es um das Thema alt – jung. Als ich vor vielen Jahren in Niederösterreich am Begräbnis eines Onkels war, konnte ich zwei Schilder entdecken, die links und rechts vom Friedhofseingang angebracht waren. Auf einem stand geschrieben „Ihr seid, was wir waren“ und am anderen „Wir sind, was ihr werdet.“
Mich haben diese Sprüche berührt und zum Nachdenken gebracht. Das Junge und das Alte können nicht miteinander, sie sind einander in ewiger Feindschaft zugetan. Die Jungen beneiden die Alten für das, was sie haben (Geld, Macht, Recht, Erfahrung) und die Alten können den Gedanken schwer ertragen, dass den Jungen die Zukunft gehört. Dieser Widerspruch ist aus meiner Wahrnehmung umso stärker, je patriarchaler eine Gesellschaft ist. Mit anderen Worten: Je mehr Macht alte Männer haben, desto mehr Angst gibt es vor jungen Männern.
Wenn dann die Eigentumsschere noch stark auseinander klafft, so wirkt dies noch als zusätzlicher Verstärker: Es gibt wenige, sehr reiche alte Männer und sehr viele arme, junge Männer. Wobei – das stimmt nicht ganz, sie sind auch reich: an Zukunft, an Potenz, an Energie und an Veränderungsbereitschaft – all das haben die alten Männer nicht mehr.
Das führt dazu, dass die alten Männer ihre Macht noch weiter absichern wollen. Am besten gelingt das, wenn sie möglichst viele junge Männer töten. Da sie das nicht selbst tun können, erschaffen sie Strukturen, um sie gegeneinander aufzuhetzen, bis sie sich gegenseitig umbringen. So ziemlich alle Kriege der letzten 10.000 Jahre haben so funktioniert. Es geht dabei oft überhaupt nur mehr darum, die jungen Männer loszuwerden. Das beste Beispiel ist die „Blutpumpe von Verdun“. Auf dem Schlachtfeld von Verdun starben im 1. Weltkrieg im Zeitraum von 1,5 Jahren täglich im Schnitt 1.000 junge Männer, ohne dass dies auch nur irgendeinen anderen Effekt hatte – kein Schlachtensieg, kein Land- oder Territoriumsgewinn, kein Strategievorteil für irgendeine Seite – gar nichts, absolut nichts, außer junge, tote Männer.
Irgendwo, stets hinter den Linien in Sicherheit entscheiden ausschließlich alte Männer über das Schicksal der jungen Männer – da kann ich nur schwer an Zufall glauben. Mir fällt immer der alte Löwe ein, dessen letztes Stündlein naht, wenn er den Kampf gegen einen jungen Rivalen verliert. Hier wie dort geht es um die Weibchen/Frauen.
Der alte Löwe hat nicht die Möglichkeit zu verstehen, dass er sich bereits erfolgreich fortgepflanzt hat und dass es jetzt sinnvoll wäre, einem jungen Platz zu machen. Er versucht so lange an der Macht zu bleiben, bis es nicht mehr geht. Alte Männer verhalten sich hier meistens genauso, obwohl sie die Fähigkeit hätten, diese Muster zu verstehen und ihrem Alter einen anderen Sinn zu geben.
Also versuchen sie ihre Potenz zu erhalten so lange es geht – entweder mit Viagra oder mit der von ihnen erschaffenen Ersatzpotenz, dem Geld. Damit können sie sich – vorausgesetzt, sie besitzen genug davon – jede Menge junge Frauen kaufen und sich mit diesen umgeben. Das bringt ihnen zwar keine Potenz zurück, sehr wohl jedoch gesellschaftliche Bewunderung und somit Status bzw. Macht.

3.) Die Flüchtlingskrise 2015
Im Sommer 2015 kamen ziemlich viele Menschen aus Krisengebieten in Afrika und dem Nahen Osten. Darunter waren viele Familien, der Großteil bestand jedoch aus jungen, kräftigen Männern. Die schwachen waren schon irgendwo am Weg nach Europa zugrunde gegangen oder gar nicht erst losgezogen. Die Medien erklärten sogleich die jungen Männer zur Gefahr und versuchten die Angst vor ihnen zu schüren. Das funktionierte hervorragend, ein Freund erzählte mir etwa, dass er Angst hätte mit seinen Kindern auf die Straße zu gehen. Wir reden hier nicht von den Slums in Sao Paolo, sondern vom friedlichen Aumannplatz in Wien Währing. Und er hatte auch keine Angst vor jungen Männern auf ebendiesem Aumannplatz (die gab und gibt es da nämlich gar nicht), sondern vor denen, die angeblich zu Silvester in Köln Frauen begrapscht hatten. Er hatte also Angst vor etwas, was angeblich 1.000 Kilometer weit weg stattgefunden hatte. Später stellte sich übrigens heraus, dass das meiste davon frei erfunden war.
Das spielt für ihn aber keine Rolle, er fürchtet sich seit über einem Jahr vor diesen jungen Männern, die irgendwann kommen könnten. Er ist selbst ein sportlicher, kräftiger Riese von über zwei Metern, beruflich erfolgreich und abgesichert und kein Flüchtling wird ihm voraussichtlich jemals irgend einen Nachteil bringen oder Schaden zufügen. Die Angst ist also komplett irreal und doch hat er sie. Vielleicht erwachen hier archaische Muster, die seit Jahrzehntausenden in uns schlummern – das ist meines Wissens noch nicht wirklich erforscht.

4.) Die realen Ereignisse
Sämtliche Attentäter und Amokläufer sind ohne Ausnahme junge Männer oder zumindest solche im besten Alter (damit ist übrigens das beste Alter zur Fortpflanzung gemeint). Meist sind sie jedoch zwischen 17 und 35. Das lässt sich nicht leugnen und muss einen Grund haben. Übrigens werden auch sie von alten Männern in den Tod geschickt, meines Wissens auch hier ohne Ausnahme.
Diese Fakten sind bekannt und auch wenn sich die Frage der Fortpflanzung bei diesen Männern nicht mehr stellt, so eignen sie sich bestens als Angstverstärker. Plötzlich erscheint jeder junge Mann mit arabischem Aussehen wie ein potenzieller Attentäter. Diese Angst schleicht sich sehr subtil ein und ich kann hier sogar ein eigenes Erlebnis beisteuern. Als ich letztes Jahr eine Nacht lang in einer Erstaufnahmestelle in einem Pavillon der Baumgartner Höhe aushalf, gab es auch dort einige junge Männer. Einer davon fiel mir besonders auf, ein hagerer Typ mit finsterem Gesicht. Ich versuchte zu ihm besonders freundlich zu sein, doch er wirkte misstrauisch und abweisend.
Mein Gedanke war plötzlich: Was will der überhaupt hier? Alle wollen ihm helfen und er schaut finster drein. Und vor allem: Sind seine Ziele so finster wie sein Gehabe?
Ich werde nie erfahren, was in ihm vorgegangen ist, all diese Flüchtlinge wollten nur möglichst schnell nach Deutschland weiterreisen, aber in mir blieben zwei mulmige Gefühle zurück: eines ihn betreffend und ein zweites mich selbst betreffend: Wie konnte ich so schnell der Propaganda anheim fallen? Wie muss es erst Menschen gehen, die in einer viel engeren Welt als der meinen leben? Die wenig Bildung und noch weniger interkulturelle Erfahrungen haben. Die in einer xenophoben Umgebung leben und vielleicht selbst Existenzängste haben, etwa durch Armut und Arbeitslosigkeit.
Dass diese Menschen für die Demagogen leichte Beute sind, ist nicht schwer zu verstehen.

5.) Der Umgang mit den jungen Männern
Derzeit werden sie als Asylwerber in Lagern interniert und dürfen nicht arbeiten und sich auch nicht weiterbilden. Meiner Meinung nach ist das einer der schwersten Fehler, den wir derzeit begehen. Man zwingt diese jungen Männer dazu den ganzen Tag lang herumzusitzen und nichts zu tun. Sie sind aber jung, kräftig, voller Energie und halten das nicht lange durch. Zumindest ein Teil von ihnen bricht aus dieser Gefangenschaft aus und dann kommt es zu genau den Szenen, vor denen die Menschen Angst haben, nämlich zu kriminellen Taten aller Art. Wahrscheinlich ließe sich deren Zahl sogar ausrechnen, wenn sich jemand die Mühe antun würde.
Wer also in Österreich Angst und Sorge schüren will, etwa um seine eigenen Ziele durchzusetzen, braucht nur dafür sorgen, dass viele junge Männer auf engem Raum zum Nichtstun gezwungen werden und braucht dann nur darauf warten, bis das Pulverfass explodiert.
Diese jungen Männer sind irgendwann nach einigen Wochen oder Monaten der Internierung für jeden Strohhalm dankbar, der sich ihnen bietet. Dies kann nun ein guter oder ein schlechter sein und genau hier liegt das Problem.
Wir dürfen nicht vergessen, dass sie nahezu alle eine schlimme Zeit hinter sich haben. Entweder mussten sie Krieg, Elend und Terror oder Hunger und Repressalien erdulden, viele flohen vor Bomben, andere vor der völligen Perspektivenlosigkeit, die Heinsohn in seinem Artikel beschreibt und die viele Millionen junger Männer in den bevölkerungsreichen Staaten Afrikas betrifft. Das ist wahrscheinlich das größte Pulverfass, das es derzeit auf dieser Welt gibt.
Dazu kommt noch, dass sie aus ihren Kulturen herausgerissen wurden und mit der Kultur des neuen Landes wenig anfangen können. Viele haben einen geringen Bildungsgrad und sehr viele von ihnen sind in muslimischem Glauben aufgewachsen. Ich möchte einmal behaupten, dass die meisten dieser jungen Männer daheim mit ihrer Religion nicht sehr viel mehr anfangen konnten als es die jungen Männer bei uns können.
Wenn aber jetzt in dieser aussichtslosen Situation jemand kommt und ein Heilsversprechen abgibt, wenn er ihnen geistigen Halt und eine Perspektive bietet, dann ist der Schritt, den sie gehen müssen, möglicherweise nur ein ganz kleiner.
Dies kann nun a.) ein islamischer Hassprediger sein oder b.) eine Patenfamilie. Diese Wahl haben wir und derzeit sieht es nicht aus, als ob unsere Politik die Variante b.) unterstützen würde.

Zum Artikel von Gunnar Heinsohn:

Was Heinsohn in seinen Ausführungen nicht anspricht ist die Frage, was mit den vielen jungen Frauen passiert, die es bei starker Geburtenrate natürlich auch gibt – nämlich genauso viele wie junge Männer.
In vielen Gesellschaften wurde das in der Vergangenheit so geregelt, dass Mädchen verschiedene Karrieremöglichkeiten hatten: als Sklavin, Magd oder in einem Harem. All das setzt natürlich voraus, dass es die dafür notwendigen Ressourcen gibt. Alle drei „Berufe“ sind einkommensfrei, der Patriarch brauchte also die Arbeitskraft nur mit Kost und Logis vergelten und das war meist ökonomisch möglich.
In manchen Gesellschaften wurden die Mädchen auch einfach getötet, unauffällig gleich nach der Geburt, weil sie dort als „Schande“ galten, schließlich wollte der Vater einen gesunden Sohn und Mädchen waren teuer, weil man sie zuerst großziehen und dann mit großem Aufwand verheiraten musste. Diese Überbleibsel dieses kulturellen Drucks merken wir heute auch bei uns noch (wenngleich auch selten), wenn sich Paare ein ganz bestimmtes Geschlecht wünschen und bitter enttäuscht sind, wenn das nicht funktioniert („Jetzt haben wir schon drei Mädchen und hätten total gerne noch einen Buben“- oder umgekehrt.).

DER LÖSUNGSANSATZ

Genau genommen gibt es keine triviale Lösung, außer der, die Heinsohn vorschlägt: Lasst sie sich einfach umbringen, das Problem löst sich von selbst. Das war in Zeiten nicht vorhandener Mobilität möglich, wird aber in Zukunft nicht mehr funktionieren. So lange es Menschen gibt, die mit Motorbooten gutes Geld verdienen können, werden Kriege und deren Folgen zu uns kommen, zumindest nach Europa, die USA ist hier wesentlich besser geschützt. Wir werden daher fast die gesamte Migration aus Afrika abbekommen und einen Großteil des Nahen Ostens.
In vergangenen Jahrhunderten kannten die Menschen dort Europa gar nicht und hatten auch keinerlei Möglichkeit dorthin zu gelangen. Jetzt gibt es Internet, Fernsehen, Handy, LKWs und Motorboote. Und deswegen werden sie kommen, einfach weil es möglich ist. Menschen sind Fluchtwesen, sie hauen ab, wenn es brenzlig wird. Und die ersten, die abhauen, sind die jungen Männer – wer sonst?
Die Menschen sind seit ihrer Entstehung migriert und haben schon vor 500.000 Jahren fast die ganze Welt erobert – warum soll es plötzlich anders sein? Das dürfte als archaisches Gesellschaftsmuster ganz tief in uns stecken.
Es ist jetzt egal, welche Lösungen wir hier für die Flüchtlinge finden – wenn zu viele nachkommen, dann funktioniert es irgendwann nicht mehr, und zwar nicht wegen des Islam, sondern weil die fehlende Logistik und die dann noch mehr aufgeheizte Stimmung gute Lösungen verhindern werden.

Somit ergeben sich logische notwendige Schritte:

a.) Stopp der Ausbeutung
Speziell die afrikanischen Länder werden von Europa derzeit immer stärker ausgebeutet. Wir nehmen ihnen ohne Gegenleistung die Rohstoffe weg und zwingen sie für uns Produkte zu erzeugen – es ist schlimmer als im Kolonialismus, weil zu dieser Zeit wurde dort wenigstens Infrastruktur aufgebaut, die den Menschen zumindest teilweise zugute kam.
Heute drücken wir Freihandelsabkommen durch, die ihnen jede Entwicklungsmöglichkeit nehmen. Dabei nehmen wir ihnen die Rohstoffe weg und verwenden dann ihre Länder als Exportmärkte für unseren Müll. Dass auch Indien und China das so machen, entschuldigt gar nichts von dem, was wir als EU tun.
Wir müssten mit dieser Politik radikal aufhören und die afrikanischen Länder schlicht und einfach in Ruhe lassen bzw. Handel auf Augenhöhe treiben. Derzeit fördern wir dort nur die korrupten Eliten und holen uns was möglich ist. Österreich zahlt meines Wissen nach immer noch Budgethilfe, das ist die finanzielle Unterstützung korrupter afrikanischer Regime ohne jede Kontrolle, was mit dem Geld geschieht.

b.) Weltweite Waffenexportregelung
Derzeit verdienen vor allem die USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland hervorragend am Waffenexport in Krisenregionen. Das ist ein unglaublich lukratives Geschäft, denn im Gegensatz zu friedlichen Regionen werden die Waffen dort schnell verbraucht und es besteht somit ständige Nachfrage.
Auch Österreich mischt hier fleißig mit. Hier ein Link dazu:

https://netzfrauen.org/2016/07/04/die-maerkte-des-todes-handel-mit-henkern-milliarden-ruestungsdeal-mit-saudi-arabien-und-katar-2

Das größte Problem sind hier die USA und China, weil die verdienen nicht nur am meisten, sondern haben auch keinerlei Interesse damit aufzuhören, da sie von den Folgen nicht direkt betroffen sind.
Würde man der Argumentation von Heinsohn folgen, dann wäre diese Politik sogar logisch: je mehr Waffen man ihnen schickt, desto schneller werden sie sich gegenseitig umgebracht haben und das Problem ist gelöst. Ich persönlich glaube nicht, dass diese Rechnung aufgeht, denn die dazu notwendige Abschottung Europas wird nicht funktionieren. Mir ist dabei ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview mit einem Westafrikaner in guter Erinnerung, der vor weit über zehn Jahren gesagt hat, dass er uns viel Glück beim Bau einer zigtausend Kilometer langen Mauer rund um Europa wünscht, dass uns diese aber auch nichts nützen würde. Die sonst noch denkbare Alternative (systematisches Bombardement aller Flüchtlingsboote) würde uns wohl endgültig in die Barbarei zurückwerfen, und zwar genau dorthin, wo wir derzeit den Islam so gerne vermuten.

c.) Aufnahme der Flüchtlinge
In einer durchökonomisierten Welt, in der die Politik weltweit von der Wirtschaft gesteuert wird, ist jeder Flüchtling ein Wirtschaftsflüchtling – so einfach ist das. Wir werden wohl keine Alternative haben, als die Menschen, die zu uns kommen, ordentlich aufzunehmen. Platz haben wir in Europa genug, ganze Landstriche sind schon halb entvölkert, ich denke dabei nicht nur an Thüringen oder Sachsen-Anhalt, sondern auch an das Waldviertel.
Je besser wir ihnen Perspektiven und Lebensmöglichkeiten geben, desto eher werden sie friedlich bleiben und wahrscheinlich sogar zu unserem Wohlstand beitragen. Wer ein sinnerfülltes Leben führt, braucht keine radikale Religion.

DER ARTIKEL AUS DER NZZ:

«Wo es zu viele junge Männer gibt, wird getötet»

Nicht Religionen oder Hunger sind die Ursachen für Kriege. Zu Gewalt komme es dort, wo es einen Überschuss an jungen Männern gebe, sagt der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn. So gesehen bleiben die islamischen Länder auch ohne Islam noch einige Zeit brandgefährlich.

Interview 19.11.2006, 09:01 Uhr

NZZ am Sonntag: Sie haben eine Art Weltformel der Geschichte entwickelt. «Youth Bulge» heisst die Theorie, die Sie auch zur Analyse der Gegenwart benutzen. Wie lautet sie?

Gunnar Heinsohn: Ich habe den Versuch einer Weltformel aufgegriffen, die der Franzose Gaston Bouthoul 1970 vorgelegt hat. Ich habe sie weiterentwickelt und an über 70 Ländern empirisch überprüft. Das Resultat: Immer dort, wo Mütter über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte im Schnitt 6 bis 8 Kinder haben, also 3 bis 4 Söhne, da wird es brenzlig. Nur ein, höchstens zwei Söhne können mit gesellschaftlichen Positionen versorgt werden. Die überschüssigen dritten und vierten Brüder, ehrgeizig und im besten Kampfesalter, emigrieren – oder holen sich ihre Position mit Gewalt. Wo es zu viele junge Männer gibt, wird getötet. Das führt zu Kriminalität, zu Bürgerkriegen, zu Genoziden an Minderheiten, Revolutionen, internationalen Kriegen oder Kolonisierungen. So lange, bis der Überschuss an Jünglingen weggetötet ist und die Geburtenzahl sinkt.

Wieso heisst die Theorie Youth Bulge?

Wenn von allen Männern einer Gesellschaft mindestens 30 Prozent der Altersgruppe zwischen 15 und 29 Jahren oder mindestens 20 Prozent der Altersgruppe von 15 bis 25 Jahren angehören, dann ist das ein Youth Bulge. Bulge bedeutet auf Englisch Ausbuchtung, gemeint ist die Beule in der Bevölkerungspyramide. Europa wies von 1500 an vier Jahrhunderte lang fortwährend einen Youth Bulge auf. Nachdem die Pest die Bevölkerung dramatisch reduziert hatte, wurde in Europa demographisch aufgerüstet. Die beginnende Hexenverfolgung rottete Hebammen und so das meiste Wissen über Verhütung aus. Die Geburtenrate stieg von 2 bis 3 Kindern pro Frau im Mittelalter auf konstant 7 bis 8 Kinder.

Mit welchen Folgen?

Europas Geschichte wurde ungemein blutig. Der Sohnesüberschuss erklärt, wieso jährlich in den Krieg gezogen wurde, wieso es ohne Unterlass zu Bürgerkriegen, Revolutionen, Ausrottungen kam und wieso Europa in dieser Zeit die Welt eroberte und christlich motiviert in 400 Jahren 90 Prozent der Erde ausmordete und unterwarf. In Spanien wurden Kolonisatoren sogar «secundones» genannt, Zweitgeborene. Gemeint waren auch dritte oder vierte überschüssige Brüder, die in Südamerika Gemetzel und Genozid veranstalteten. Die Schweiz wiederum exportierte überschüssige Söhne als Söldner nach halb Europa.

Und was tun die Töchter?

Überzählige Töchter haben sich erstmals im 20. Jahrhundert an Gewalt beteiligt. Als Lateinamerika seine Phase von Diktaturen und Guerillas durchlief, von 1950 bis 2000, und so seinen Youth Bulge abtrug, da haben zum ersten Mal auch Mädchen als Guerilleras mitgetötet. Quantifiziert man ihren Tötungsanteil, so betrug der aber nicht mehr als 5 Prozent. Das deckt sich etwa mit dem Frauenanteil an den wegen Tötungen verurteilten Häftlingen in den Gefängnissen.

Friedensforscher sehen die Ursache von Krieg eher in Hunger und Elend.

Das wäre schön, weil wir dann mit Sättigung eine Lösung hätten. Aber die von einem Youth Bulge befeuerte Gewalt hat nichts mit Hunger zu tun. Im Gegenteil: Wer sich an Tötungen beteiligt, ist meist gut genährt. Um Brot wird gebettelt, um gesellschaftliche Positionen wird geschossen.

Es geht also bloss um Testosteron?

Überschüssiges Testosteron hat auch der einzige Sohn, wenn er in die Pubertät kommt, die Eltern verachtet und mit dem Vater streitet. Und Wettbewerb gibt es auch in vergreisenden Ländern wie in Deutschland oder der Schweiz, um den besseren Job, den besseren Gedanken, das schönere Bild – aber: Er wird unblutig ausgetragen. Neben Testosteron und Konkurrenz braucht es für einen gewalttätigen Youth Bulge zusätzlich die Situation, dass es für zehn junge Männer nur eine Position gibt. Auch sexuelle Frustration kann eine Rolle spielen, wenn es in der betreffenden Gesellschaft Sex nur als Fortpflanzungsakt in der Ehe zu haben gibt, für eine Eheschliessung aber zuerst eine gesellschaftliche Position errungen werden muss.

Und irgendwelche Ideen sind Ihrer Ansicht nach für politische Bewegungen und Konflikte völlig irrelevant?

Zunächst kommen junge Männer in Bewegung, es treibt sie mächtig voran. Sie wollen an Positionen ran, und das geht nur, wenn andere weggeschafft werden. Im Zweifelsfall mit Töten. Das macht ihnen Angst. Denn es sind junge Leute mit einem normalen moralischen Gerüst. Die wissen, was gut und was böse ist. Sie brauchen für ihr Tun – unbewusst – eine Idee, einen Vorwand, im Englischen pretext genannt. Und passende Texte und Ideen finden sich immer. Sei es die Bibel, der Koran, sei es Marx. Ideologien und Religionen lösen das Problem, weil sie sagen: Du tötest nicht, du richtest. Da ist etwas Böses, Ungläubiges, das ausgetilgt werden muss. Und die jungen Männer töten für ein frommes Land, für ein gerechtes Land, für ein grosses Land.

Islamismus, Sozialismus – das ist, marxistisch gesprochen, der Überbau? Die alles gestaltende Triebkraft ist die demographische Situation?

So ist es. Eine passende Idee für die Gewalt junger Männer hat sich noch immer gefunden. Auch die Bibel taugt dazu. Als die Spanier damals für Gold, Ruhm und Evangelium nach Südamerika gingen, hielten sie dem Inka-Führer Atahualpa die Bibel hin und sagten: Das ist das Wort Gottes, nimm es an, sonst stehst du im Krieg mit dem Hause Habsburg. Er horcht am Buch und schmeisst es in den Staub, worauf 180 Spanier ziemlich selbstmörderisch 5000 Inkas niedermetzeln. Ja glauben Sie denn, wenn Atahualpa übergetreten wäre zum Katholizismus, wären die Spanier mit seligem Lächeln über die Bekehrung nach Hause gesegelt?

Und heute sind es nicht Bibel-, sondern Koran-Schändungen, die als Anlass für Youth-Bulge-motivierte Gewalt und Tötungen dienen?

Hier ist die Parallele sehr auffällig. Als damals über Koran-Schändungen berichtet wurde, hat ja die gesamte westliche Presse sofort gesagt: Wenn ein heiliges Buch so geschändet wird, dann müssen die im Irak und in Afghanistan natürlich nochmals verschärft Attentate und Morde begehen, das ist ja selbstverständlich. Es wird einfach nicht erkannt, dass der Islamismus nur Vorwand ist.

Sie glauben also, der heutige Nahe Osten wäre auch ohne Öl, ohne Islam und ohne koloniale Vergangenheit eine unruhige Gegend?

Natürlich. Usama bin Ladin erwähnt ja neuerdings nur noch die Jugend Allahs. Er hat auch mitgekriegt, dass die Muslime sich von 1,5 Millionen auf 1,5 Milliarden verzehnfacht haben – innerhalb von 100 Jahren. In der islamischen Welt gab es etwa um 1950 herum durchschnittlich 6 bis 8 Kinder pro Frau. Das heisst, 3 bis 4 Söhne pro Frau. Wenn die 1950 geboren worden sind, sind sie 1970 zwanzig Jahre alt. In diesem Zeitraum, zwischen 1970 und 1990, da beginnen in diesen Ländern die grossen internen Unruhen, da beginnt das Töten in den islamischen Ländern. Libanon zeigt dies geradezu klassisch: Da gibt es zwischen 1975 und 1990 einen Bürgerkrieg mit 150 000 Toten in einem Land mit 3 Millionen Einwohnern. Klar existieren dort rund sechs verschiedene Religionsgruppen, welche die Jungmännerwut noch zusätzlich zugespitzt haben. Aber die gab es vorher, und die gibt es nachher. Wieso kommt das Töten 1990 an ein Ende? Die hohen Sohneszahlen gingen zurück. Die Geburtenrate ist von fast 6 auf heute 1,95 Kinder pro Frau gesunken. Es ist kein Personal mehr da zum Toben und Kriegen.

In den palästinensischen Gebieten ist dagegen das Personal weiterhin da?

Der palästinensische Youth Bulge ist einer der heftigsten überhaupt. Aus einem Sondergrund: Alle Palästinenser, die in Lagern wohnen, sind Flüchtlinge. Und alle ihre Kinder, die dort geboren werden, ein erstes oder ein zehntes, sind automatisch auch Flüchtlinge und werden vom Flüchtlingswerk der Weltgemeinschaft gefüttert, ausgebildet und medizinisch versorgt. Aber was der Westen bei seiner freundlichen Haltung nicht bedenkt: Dass er zwar die Entbindungskliniken bezahlt, aber keine Strukturen besorgen kann, wo die jungen Männer unterkommen können. Das heisst, es stehen dort junge Männer bereit, gut gebildet und genährt, die in einer aussichtslosen Lage sind. Der interne Konflikt blieb bis jetzt relativ unblutig, weil das Gewaltpotenzial zwar gegen Israel gelenkt werden kann, Israel aber nicht wahllos draufschlägt, sondern einigermassen gezielt. Mit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen gibt es bereits Anzeichen, dass die Gewalt sich künftig vermehrt intern in einem Bürgerkrieg unter Palästinensern entladen könnte.

Kann ein Youth Bulge nicht einfach auch unblutig absorbiert werden, etwa wenn durch Wirtschaftswachstum genügend neue Positionen entstehen?

Meist geht es umgekehrt. Die wirtschaftliche Entwicklung führt zu einem Rückgang der Geburtenrate. Es gibt kein effektiveres Verhütungsmittel als die Verlohnarbeiterung – der Männer, aber auch der Frauen.

Sie sprechen kommende Woche vor britischen Militärspitzen zu den strategischen Herausforderungen bis 2020. Was werden Sie ihnen sagen?

In den islamischen Ländern gibt es heute 300 Millionen Söhne, die unter 15 sind. Die sind alle schon geboren, das ist keine Prognose. Die werden in den nächsten 15 Jahren 15 bis 30 Jahre alt. Von denen werden im besten Fall 100 Millionen zu Hause unterkommen. 200 Millionen bilden aber ein Gewaltpotenzial. Höchstwahrscheinlich in den Ländern selbst, eventuell aber auch international. Das ist die Lage in den nächsten 15 Jahren. Danach wird sich die Lage entspannen.

Wenn die Geburtenrate sinkt.

Natürlich, dafür gibt es Anzeichen. Ein säkularer Trend hat die Geburtenrate auch in einigen islamischen Ländern gedrückt. In Tunesien etwa. Oder in Algerien, wo die Rate von 7 auf 2 Kinder pro Frau gesunken ist – übrigens ein Grund dafür, wieso der Youth-Bulge-befeuerte Bürgerkrieg in Algerien zwischen Islamisten und Militärregierung zu Ende ging. Auch in Iran ist die Geburtenrate von 7 auf 2 gesunken. Im Irak noch nicht. Da liegt sie bei 5, in Afghanistan bei 7, in Pakistan bei knapp 5 Kindern pro Frau. Diese Länder bleiben neben Jemen und Saudiarabien vorderhand die heissen Gebiete.

Was raten Sie den britischen Generälen denn konkret?

Sich ja nicht einzumischen, wenn irgendwo ein Youth-Bulge-Konflikt abgeht. Das tut der Westen ja bereits. In Darfur etwa, wo viele meinen, es laufe ein Rassenkrieg, Schwarz gegen Arabisch. Die Trennungen in Rassen und Religionen sind jedoch Vorwand. Auch aus Liberia und Sierra Leone hat man sich eisern rausgehalten. In einem Youth-Bulge-Konflikt können die Guten von heute schnell die Bösen von morgen sein. Man müsste zur Beruhigung der Lage dauerhaft sehr viele Soldaten hinstellen – und die hat der Westen nicht. Er hat pro Familie maximal einen Sohn, und den kann er überhaupt nicht, nicht eine Sekunde, entbehren. Wenn der stirbt, hat er keinen mehr. Aber die Dritte Welt erwartet, dass die Erste Welt ihren einzigen Sohn schickt, um dort dritte und vierte Brüder vom Töten abzuhalten. Eine kühne Forderung.

Das klingt ziemlich zynisch.

Das klingt nicht nur zynisch. Es ist sogar gefährlich, weil die Menschheit seit 1948 ein internationales Gesetz gegen Völkermord kennt, das jede einzelne Nation verpflichtet, einen Völkermord zu verhindern. Ein Abseitsstehen ist streng genommen sogar eine Rechtsverletzung. Deshalb werden Genozide lieber als Bürgerkriege bezeichnet und laut, aber folgenlos verurteilt.

Im Irak und in Afghanistan ist der Westen einmarschiert. Es sollten auch Staaten repariert und Demokratien errichtet werden. Bis heute sieht es danach aus, als ob das scheitern würde. Warum?

Man hatte die schöne Politik des runden Tisches vor Augen, so wie in der Ukraine, in Georgien oder in andern osteuropäischen Ländern. Dort gab es ermutigende Fortschritte, und man dachte: Mensch, wir brauchen nur einen deutschen Philosophen wie Habermas mit seiner Dialog-Theorie, dann geht das. Es lag aber nicht an Habermas und auch nicht an der Mentalität oder der Klugheit der Osteuropäer. Es lag daran, dass dies implodierende und vergreisende Völker sind. Jeder, der dort an den runden Tisch kam, der hatte später auch einen Spitzenjob im Land. Im Irak oder in Afghanistan kämpfen aber schon fünf junge Männer darum, überhaupt am runden Tisch zu sitzen. Hat sich ein Youth Bulge aber einmal abgebaut, dann kommt die Demokratie fast wie von selbst. Das hat man gut in Lateinamerika gesehen, nachdem sich Marxisten und Faschisten gegenseitig dezimiert hatten und die Geburtenrate wieder gesunken war.

Wie sieht es denn in Europa aus? Ist Europa derzeit nur so friedlich, weil es so wenige junge Männer gibt?

Wenn wir uns in Deutschland vermehrt hätten wie die Palästinenser im Gazastreifen, gäbe es heute 550 Millionen Deutsche. Und es wären 80 Millionen Jünglinge zwischen 15 und 30 Jahren. Glauben Sie denn, die 80 Millionen jungen deutschen Männer wären zehnmal so pazifistisch wie die 7 Millionen, die wir heute haben? Oder würden die nicht viel eher in Prag und Danzig und Breslau Bomben werfen und – ähnlich wie die Palästinenser – sagen: Das ist doch unser Gebiet, das hat man uns weggenommen wegen historischer Ereignisse, für die wir nichts können?

Dann haben Sie also keine Angst vor deutschen Neonazis?

Nein, gar nicht. Die sorgen zwar für Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Aber das liegt daran, dass man den alten Faschismus schon nicht verstanden hat. Man meinte, der sei durch böse Gedanken entstanden. Obwohl es der letzte deutsche Youth Bulge von 1900 bis 1914 war, der die Ereignisse auf den Strassen der Weimarer Republik befeuerte. Heute gibt es in Deutschland etwa 7000 aktive Neonazis und 270 000 Mann bei der Polizei, da kann nicht mehr viel passieren.

Sie haben den letzten deutschen Youth Bulge von 1900 bis 1914 erwähnt. Gab es denn nicht noch später einen Youth Bulge, der die 1968 ausgelöst hat?

Natürlich waren es 1968 auch junge Männer, die auf Positionen vorrücken wollten. Und ein kleines bisschen wurde auch getötet, etwa bei den Baader-Meinhof-Leuten. Aber es war ein Babyboom, nur ein ganz kleiner Youth Bulge. Die zornigen jungen Männer von 1968 haben schnell gemerkt, dass es für alle genügend akzeptable Positionen im gesellschaftlichen Geflecht gibt. Sie haben das Kämpfen eingestellt – und das Töten erst recht.

Ende

Gunnar Heinsohn, 63, promovierte mit Bestnote sowohl in Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. 1984 wurde er für eine Professur auf Lebenszeit an die Universität Bremen berufen, wo er 1993 mit dem Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie- und Genozidforschung die vergleichende Völkermordforschung in Europa etablierte. Heinsohn beschäftigt sich mit Theorie und Geschichte der Zivilisation, in neuerer Zeit vor allem mit dem Phänomen des Youth Bulge. Der Franzose Gaston Bouthoul (1970), der Amerikaner Jack Goldstone (1991) und der Deutsche Hartmut Diessenbacher (1998) waren Pioniere dieser Denkrichtung. Heinsohn hat sie mit reichem empirischem Material weiterentwickelt.
Gunnar Heinsohns Buch «Söhne und Weltmacht» (bei Orell Füssli) von 2003 gewinnt an Schuss. Es hat jüngst in sechs Wochen vier neue Auflagen erfahren. Heinsohns Auftritt vom Oktober in der TV-Sendung «Das philosophische Quartett» mit Peter Sloterdijk dürfte da mitgeholfen haben. (tis.)