Die großen Lügen

Ich bin der Ansicht, dass die Bevölkerung zumindest in Österreich über einige Dinge belogen wird. Warum dies passiert, darüber müsste man diskutieren und könnte mit der Frage „Cui bono?“ beginnen.

1.) Die Wachstums-Lüge
Aus allen Medien tönt der Chor: Wir brauchen mehr Wachstum! Gemeint ist damit Wirtschaftswachstum im Sinne gesteigerter Produktion von Konsumartikeln. Das verlangt natürlich eine gesteigerte Ressourcenausbeutung von Material und Mensch plus eine Steigerung des Konsums.
Das wird aber nicht funktionieren und daher wird es nicht passieren. Und das wissen die Leute, die uns das verkaufen wollen. Also belügen sie uns.

2.) Die Trickle-down-Lüge
In den 1980ern wurde sie von Margret Thatcher und Ronald Reagan verbreitet, als diese einen neoliberalen Wirtschaftskurs einschlugen: Mehr reiche und mehr superreiche Menschen bringen Wohlstand für alle, weil der Reichtum sich quasi automatisch auch nach unten verteilt.
Das ist falsch.

3.) Die Mittelstands-Lüge
Wer hart arbeitet, wird einmal zur Elite gehören, zumindest zur finanziellen Elite.
Das ist aus mehreren Gründen falsch: Erstens ist harte Arbeit keinerlei Garant, denn es gibt ohne Ende Beispiele für sehr hart arbeitende Menschen, die gerade mal ihr Existenzminimum erwirtschaften können. Zweitens können es immer nur einige wenige schaffen. Und das gleicht einem Lotteriespiel.

4.) Die Green Economy-Lüge
Das ist eine ganz besonders perfide Lüge, denn sie schmeckt nach Wahrheit. Leider baut man auch hier auf Produktionswachstum und somit auf Ressourcenausbeutung und das ist um fast nichts besser als die Wachstumslüge. Green Economy ist gut, ändert aber nichts daran, dass das Produktionswachstum nicht mehr funktioniert. Und auch nicht funktionieren wird.

5.) Die New-Technology-Lüge
Die Menschen werden einfach neue, ganz tolle Technologien erfinden und die werden unsere Probleme alle lösen, denn das haben die Menschen in Krisen immer schon getan. Das ist gelogen – erstens haben sie oft keine neuen Technologien erfunden, zweitens sind sie gar nicht selten trotzdem untergegangen und drittens ist die Extrapolation in die Zukunft einfach unzulässig.

6.) Die Klimawandel-Lüge
Selbst die Skeptiker können nicht mehr leugnen, dass es Klimaveränderungen gibt. Aber sie lügen uns vor, das das ganz normal sei, somit auch nicht „man-made“ und somit auch kein Problem. Wenn es eh natürlich ist, brauchen wir an unserem Lebenswandel nichts verändern, denn er hat den Klimawandel ja gar nicht erzeugt. Eine äußerst dreiste Lüge, die aber der spontanen Bequemlichkeit nützt und daher gerne geglaubt wird.

7.) Die Migrations-Lüge
Wenn sich Lebensbedingungen verschlechtern, werden Menschen mobil – das ist seit Jahrhunderttausenden so und wird auch nicht aufhören. Der Grund dafür ist egal – Krieg, Erdbeben, Dürre. Migration war noch nie aufzuhalten, wenngleich wir mit der Atombombe oder chemischen Waffen heute die technische Möglichkeit dazu hätten. Sie kommen und wir werden mit ihnen leben müssen. Zu behaupten, dass dem nicht so sei – das ist eine Lüge.

Saturday Night Freezing

Ein tadelloser Abend – ich treffe mich mit Bernhard im Bettler um ein wenig über die letzten zwei Wochen zu plaudern und ein Bierchen zu trinken. Die Honda bringt mich problemlos wie immer in die Johannesgasse, abstellen, Zeug ins Topcase, rein in´s Lokal.

Moment, wo ist der Honda-Schlüssel? Ich hab ihn abgezogen und das Topcase aufgesperrt und ihn dann dort auch abgezogen und eigentlich müsste er in der Hosentasche sein, dort steck ich ihn nämlich immer ein.
Ist er aber nicht.
Wo dann?
Shit.

Im Topcase. Und das ist zu. Wie krieg ich das jetzt auf? Mit dem Schlüssel. Shit.
Allerdings lass ich mir davon den Abend nicht verderben, denn ich kann ja morgen die Honda abholen und außerdem kann ich dann heute entweder mit Car2Go heimfahren oder mit der Bim – die Öffis funktionieren ja immer vorbildlich, Dank an die rot-grüne Stadtregierung.
So muss ich auch nicht darauf achten ob ich ein Bier mehr oder weniger trinke. Fast bin ich mir selbst dankbar, dass ich den depperten Schlüssel eingesperrt habe.

Was ich allerdings noch eingesperrt habe, sind der Haus- und der Wohnungsschlüssel. Die sind nämlich in der Jacke. Und die ist im Topcase. A pro pos Jacke – es ist Dezember und ich hab grad mal ein dünnes Hemd an. Mehr brauch ich auch nicht. im Lokal.
Geh leck!

Auch davon lass ich mir den Abend nicht verderben, denn meine Nachbarin hat einen Schlüssel von meiner Wohnung und den kann ich von ihr abholen, wenn ich heim komme. Oder sie legt ihn mir im Haus irgendwo hin und ich sperre mit dem Hausschlüssel auf, der im Schlüsselsafe ist. Alles kein Problem. Außer die Nachbarin ist bei ihrem Freund in Scheibbs.
„Servus Erika. Bist du in Wien?“
„Nein, in Scheibbs.“
(Ich wollte jetzt schon „Scheiße“ schreiben, aber die Political-Correctnes-Green-App hat das verhindert und statt dessen „Scheibbse“ vorgeschlagen. Auch recht.)

Erika könnte auch in Nebraska sein – wurscht, auf jeden Fall hab ich jetzt keinen Wohnungsschlüssel, denn den anderen hat mein Vater. Der ist nicht in Scheibbs, sondern in Kenia.
Wurscht, mit so was lass ich mir den Abend nicht verderben.

Glücklicherweise gehen immer Türen auf wenn andere zu gehen. Erika meint, dass ihr Sohn Bernhard heute noch vielleicht im Haus vorbei schauen würde. Also rufe ich ihn an und tatsächlich: er fährt noch vorbei und legt mir den Schlüssel im Haus so hin, dass ich ihn finde.
Vaterland gerettet, Schlacht gewonnen, der Abend ist gerettet.

Okay, so die richtige Mörderstimmung kommt irgendwie nicht auf und um 22.30 beschließe ich den Abend abzubrechen. Mit der App am iPhone ist das nächste Car2Go einfach, bequem und schnell reserviert.
Dem Mailüfterl draußen fehlt es ein wenig an Mai, sprich an Plus-Graden. Ein ordentliches Lüfterl wäre ja vorhanden, eher ein wenig in Richtung schneidig und mit verdammt wenig Mai.
Doch der Weg zum Car2Go ist nur zwei Gassen und ich komme ein wenig unterkühlt dort an. Als ich die Karte an das Lesegerät halte, meint dieses lakonisch „Karte ungültig. Verwenden Sie die App.“

Wieso? Warum? Die Karte hat immer funktioniert! Ihr Ärsche! Was soll das? Ich friere und will heimfahren. Also rufe ich die Notrufnummer und lande in einem Callcenter irgendwo in Norddeutschland. Dort sitzt ein gelangweilter Student und klärt mich auf, dass ich jetzt eine App brauche, die Karte könnte ich mir in die Haare schmieren, sie wäre seit der Umstellung ungültig.
Okay, ich habe die neueste Version der App geladen, sonst hätte ich die Kiste ja gar nicht reservieren können. Außerdem stehe ich in einer Hausecke und friere eher doch ziemlich.
Nach einigem hin- und her meint Norddeutschland, dass ich wohl ein älteres Betriebssystem habe und die notwendige App mit der Funktion „Miete starten“ auf meinem Handy nicht funktionieren würde. Ich könnte ja ein neues Betriebssystem laden und dann die App und dann könnte ich auch Car2Go wieder nützen.
Was mir nix nützt, jetzt hier an der eisigen Hausecke im dünnen Hemd.

In diesem Augenblick hat mich Car2Go als Kunde verloren, denn ich werde mir kein neues Handy kaufen, nur um Car2Go nützen zu können. Norddeutschland bedauert das zwar, kann mir aber leider nicht helfen und ich sattle um auf Öffi-Heimtransport. Rot-grün ermöglicht mir jederzeit auf das teure Taxi zu verzichten und einen Fahrschein hab ich auch eingesteckt, für Notfälle. Also für jetzt.
Der Ring ist nicht weit und ich kann dort in die nächste Bim steigen, die mich zum Schottentor bringt. Von dort geht der 40er oder der 41er bis zum Kutschkermarkt. Dann ist es nur mehr fast so weit wie bis zum Nordpol. Also sommerhemdtauglich. Fast.

Am Ring bemerke ich, dass die einzige Bim, die hier fährt, der „2er“ ist und der fährt nach Ottakring, wo ich eher nicht hin will. Außerdem kommt er erst in 8 Minuten und bis dorthin bin ich ein durchgefrorener Eiszapfen, der umfallen und laut klirrend am Trottoir zerschellen wird.
Und ich muss Lulu. Und zwar bald. Genau genommen eher sehr bald.
Das ist jetzt irgendwie blöd, denn das nächste Beisl mit an Häusl is halt irgendwo, nur ned bei der Linie zwo… (Frei nach der Kurt Gober Band).

Ich betrete das Cafe Schwarzenberg und beschließe „schwarz“ auf´s Klo zu gehen, also ohne im Lokal was zu konsumieren. Das ist deswegen kein Problem, weil ich ja nur ein Hemd anhabe und daher wirke wie ein Gast. Außerdem heiße ich „Schwarz“ und was soll da schon passieren?
Nun, mir könnte z.B. die Brille anlaufen, weil es herinnen warm und draußen sehr kalt ist. Dann finde ich das Klo nicht, denn mit angelaufener Brille sehe ich nix und ohne Brille auch nicht. Und komisch schaut es auch aus, so als Gast, dem urplötzlich die Brille anläuft.
Warten bis die Brille de-kondensiert geht auch nicht, weil dann fährt mir die Bim davon.

Mich beschleicht der Verdacht, dass das irgendwie nicht mein Abend wird und es doch keine sooo gute Idee war den Schlüssel im Topcase einzusperren.
Aber der Klogang verläuft ohne weitere Zwischenfälle und ich erwische auch die Bim, die mich nach einer Station in Richtung U2 entlässt, mit der ich zum Schottentor komme. Es dauert zwar ein wenig, dafür ist es in den U-Bahn-Schächten nicht so eisig und ich erreiche die Umsteigstelle ganz locker und easy. Außerdem entdecke ich, dass ich von dort mit dem 40A fahren kann, der mich fast bis nach Hause bringt.

Das Schild an der Station zeigt „15 Minuten“ Wartezeit an. Shit! Das überlebe ich nicht, schließlich heiße ich weder Amundsen noch Scott und bin nicht polarmäßig ausgerüstet.
Also umdrehen, wieder hinunter zur U-Bahn und die ganze Station zurück latschen bis zum Jonas-Reindl. Dort kündigt sich ein 41er an, der in drei Minuten da sein soll. Ich wähle diese Option und werfe den Passanten böse Blicke zu, weil sie so aussehen, als würden sie sich darüber lustig machen, dass da einer frierend im Hemd steht. Es geht nichts über eine kleine, feine Privatparanoia.

Der 41er bringt mich bis zum Kutschkermarkt, von dem ich es nicht mehr weit nach Hause hab. Also, zumindest bisher war das so, im Mai oder im August. Jetzt pfeift eine steife Brise durch die kalten, grauen Häuserschluchten und ich wäre gern schon daheim.

Aber auch das geht vorbei, ich nehme den Haustorschlüssel aus dem Schlüsselsafe und hole den Wohnungsschlüssel aus dem Versteck, in dem Bernhard ihn deponiert hat. Stiegen hinauf, Gittertüre aufsperren, Wohnungstüre aufsperren und schon bin ich in meiner warmen, gemütlichen Wohnung.

Leider sperrt der Schlüssel nur das Haustor und nicht das neue Gittertor. Es gibt nämlich zwei verschiedene Haustorschlüssel und ich hab den falschen.

Oidaaaaa!
Also rufe ich meinen Nachbarn Christian an, denn der kann rauskommen und mir aufsperren. Außer er ist nicht daheim oder die Mailbox ist aktiv.
Oidaaaaa!

Während ich noch einmal Bernhard anrufe, kommt mir die Idee, dass am Schlüsselsafe-Schlüssel ja auch ein Haustorschlüssel drauf ist, und zwar der, mit dem ich gerade das Haustor aufgesperrt habe.
Jetzt wird es spannend: Sperrt er auch das Gittertor?

Er tut es. Und ich komme in meine warme, gemütliche Wohnung und kann diese Geschichte in die Tasten tippen. Schließlich lass ich mir ja nicht den Abend verderben. Saturday Night Freezing!

Der Währinger Wahlkrimi

Als letztes Jahr im Herbst die ersten Vorüberlegungen zur nahenden und doch noch so fernen Wien-Wahl auftauchten, meinten Silvia und Marcel, dass wir diesmal die Stimmenmehrheit in Währing schaffen könnten. Dieser Gedanke war elektrisierend, wagemutig, hoffnungsvoll und irgendwie geil.
Es wurde aber auch schnell klar, dass wir dazu einen wirklich guten Wahlkampf führen müssen und dass das sehr viel Arbeit bedeutet. Und natürlich ist es mit dem Risiko verbunden, dass wir es eventuell nicht schaffen. Dann wäre der gesamte Aufwand mit einem Schlag umsonst, denn für den zweiten Platz gibt es nichts, rein gar nichts – außer einen Bezirksvorsteher-Stellvertreter, na ja – okay, aber nichts, gar nichts im Vergleich zur mächtigen Bezirksvorstehung.

Es war in den internen Diskussionen auch schnell klar, dass der aktuelle Bezirksvorsteher, Karl Homole, wohl nicht leicht zu besiegen ist. Seit fast 25 Jahren im Amt, ein alter Fuchs, durchaus mit allen Wassern gewaschen und laut Silvia ein guter Wahlkämpfer.
Alles in allem eine echte Herausforderung, die wir nur mit viel Arbeit, noch mehr persönlichem Engagement und einem Quentchen Glück würden bewältigen können.

Wir beschlossen sie anzunehmen und machten uns sofort an die Arbeit. Viele Monate intensiver Vorbereitung folgten und im Frühjahr begann dann der Wahlkampf – zuerst etwas zäh, dann mit einer Sommerpause, in der wir zwar einige „Standln“ und ein paar kleinere Aktionen setzten, mehr aber auch nicht.
Was aber auch kam war die syrische Flüchtlingskrise mitsamt den bekannten Auswirkungen auf ganz Wien. Die Landesorganisation der Grünen fand darauf keine Antwort und wir wussten, dass dies unsere Chancen nicht gerade verbesserte.

September und die wenigen Tage bis zum 10. Oktober waren mit unzähligen Aktionen gepflastert, durchgeführt von einer wirklich guten, ausreichend großen und schlagkräftigen und sehr motivierten Truppe. Wir kämpften bis zum frühen Nachmittag am Samstag, um dann mit flauem Gefühl in den Wahlsonntag zu starten.
Und jetzt steigen wir hier live in den spannendsten Krimi ein, den ich je live erleben durfte.

Es ist Sonntag 16 Uhr und ich steige unter die Dusche, um rechtzeitig um 16:40 in meinem Wahllokal zu sein. Dort werde ich nicht nur wählen, sondern auch Wahlzeuge sein. Ich habe einen Eintrittsschein, der mich dazu berechtigt als Zeuge bei der Wahl und der anschließenden Auszählung in einem (übrigens auch meinem) Sprengel anwesend zu sein. Sonstige Rechte oder Pflichten habe ich nicht.
Also fülle ich meine Stimmzettel aus und melde mich dann bei der Leiterin der Wahlkommission. Diese hat mich nicht mehr erwartet und bereits als „nicht erschienen“ vermerkt. Sie ist aber sehr nett und macht das rückgängig, worauf ich auf einem Sessel Platz nehme und die letzten Wähler beobachte, die kurz vor Wahlschluss noch schnell ihre Stimme abgeben. Die Wahlbeteiligung, so erfahre ich, wäre diesmal ausgesprochen hoch und man erwarte etwa 500 Stimmen, die auszuzählen wären.
Ob die Wahlzeugen zum Auszählen eingeladen werden, liegt an der jeweiligen Leitung der Wahlkommission. Ich biete meine Dienste an (irgendwie wäre nur zuschauen fad und auch sinnlos) und schon geht es los: Urne öffnen, Kuverts schlichten, dann öffnen und mit dem Auszählen beginnen. Die anderen 6 Leute sind allesamt nett und freundlich und es rennt sogar ein guter Schmäh, zu dem ich ein wenig beitragen kann.
Als die Gemeindestimmen ausgezählt werden, wird sehr schnell deutlich, dass die SPÖ extrem vorne liegt. Ein erstes, ganz zart ungutes Gefühl stellt sich ein, aber es handelt sich um die Gemeinderatswahl und dass die an die SPÖ gehen würde, war klar. Das Scheinduell mit der FPÖ war ein ebensolches, nicht nur hier in Währing.

Wir arbeiten gut und flott und dann sind wir schon bei der Bezirksvertretungswahl. Jetzt wird es spannend, und zwar richtig. Die Stapel wachsen, die FPÖ fällt immer weiter zurück, auch die ÖVP schwächelt ein wenig, aber SPÖ und Grüne wachsen beständig. Dann werden die Stapel ausgezählt. Grün, rot, grün, rot – beide Stapel erscheinen – in Zehnerblöcke sortiert – gleich hoch. Die Auszählung ergibt eine Abweichung zur Liste, also muss noch einmal nachgezählt werden. Die Spannung bei mir steigt, ich zähle vorsichtshalber die SPÖ aus und nicht die Grünen, um jeden Unregelmäßigkeitsverdacht auszuräumen (den es eh nicht gibt, man vertraut sich hier, was sehr angenehm ist und nicht in allen Wahlkommissionen so abläuft).

Schließlich ist das Ergebnis da und ich notiere es auf einem kleinen Kartonstück:

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Stimmengleichheit mit der SPÖ. Na prack. Und das in einem Sprengel, der bei der letzten BV-Wahl 2010 grün war – ich weiß zwar nicht wie viel, aber grün. Und jetzt das.
Ich greife zum Telefon und rufe Silvia an, denn wir haben vereinbart, dass alle Wahlzeugen ihre Sprengel-Endergebisse abliefern, damit wir eine erste Einschätzung bekommen.
Andreas ist am Telefon und meint, auch in den anderen Sprengeln sei die SPÖ sehr stark, eigentlich sogar ziemlich vorne. Ich bekomme wackelige Knie und kann es nur schwer fassen. Die Roten waren im Wahlkampf nahezu nicht präsent und im Bezirk die letzten fünf Jahre auch nicht wirklich. Ich hatte schon im oben erwähnten Herbst bei den ersten Vorgesprächen meine Sorge geäußert, dass die Roten die lachenden Dritten sein könnten. Dem wurde heftig widersprochen: das würde nicht passieren, sie wären so schwach, dass da keine Gefahr vorhanden wäre.
Doch jetzt ist alles anders, der Spin der SPÖ, die Gewissheit, dass wir Stimmen an die Roten verlieren würden, und möglicherweise nicht zu knapp.
Ich wanke nach Hause und beschließe, gleich zur Wahlparty der Grünen in den Volksgarten zu fahren. Fahrrad oder Roller? Ich entscheide mich für den Roller, ich bin einfach zu müde zum Radfahren und irgendwie auch zu bequem.

Im Volksgarten erwartet mich eine seltsame Stimmung, laute Musik und ich bin so ziemlich der Einzige mit einer grünen Jacke. Alle anderen in „zivil“ und ich beginne zu ahnen, dass das nicht mein Abend wird – nicht hier, nicht heute.
Andreas und noch ein paar andere aus Währing erscheinen, überall lange Gesichter. Wir wissen zwar noch nicht wirklich was konkretes, aber es dürfte die SPÖ vorne liegen. Ich erkundige mich nach der Einschätzung von Silvia und höre, dass sie noch vorsichtig optimistisch ist. Das beruhigt mich aber nicht und auch die Tatsache, dass das kleine Bier hier um 4,80- Euro ausgeteilt wird und es auch nur ein teures Buffet gibt, bessert meine Laune nicht gerade. Hier treffen sich heute all die Kämpferinnen und Kämpfer aus 23 Bezirken, die wochen- oder sogar monatelang unbezahlt geschuftet haben, und dann gibt es nicht einmal ein paar Würstl oder einen Willkommensdrink.
Die ersten Hochrechnungen sind schon da und ich bin mit dem Ergebnis der Grünen auf Gemeindeebene gar nicht unzufrieden – interne Prognosen hatten etwas von „Abfallen bis 10%“ geraunt, nun würde es ungefähr ein Prozent Verlust geben. Das halte ich für okay, den Umständen folgend sogar für sehr okay.
Hier ist übrigens das Gemeinde-Endergebnis (Quelle alle Statistiken: wien.gv.at)

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Aber eigentlich interessiert es mich nicht sehr, denn meine Sorge gilt Währing. Dann treffen Alexander aus der Josefstadt und Barbara aus Wieden ein. Sie wissen schon, dass sie im Bezirk verloren haben. Beide waren auf Bezirksebene unsere stärksten Hoffnungsbezirke und es war irgendwie klar, dass sie die Bezirksvorstehung holen. Und jetzt ist es aus und vorbei. Für beide. Mir tut das sehr leid, denn ich mag sie und habe sehr gehofft, dass sie es schaffen.
Auch die anderen Hoffnungsbezirke würden es wohl nicht schaffen: Mariahilf und Alsergrund liegen hinten, von der Inneren Stadt ganz zu schweigen.

Meine Stimmung sinkt rapide und mich ärgert die laute Diskomusik und dass ein Haufen junger Grüner auf der Bühne stehen und eine halbe Stunde lang auf das Eintreffen der Chefin warten. Sie stehen da im Scheinwerferlicht und langweilen sich. Ich rede noch mit ein paar Freunden, aber die Stimmung wird nicht besser. Ich hasse den Volksgarten seit dreißig Jahren und jedes Mal, wenn ich herkomme, steigert sich das noch.
Ich jammere noch ein paar arme Opfer mit meinem Frust über den scheinbaren Gewinn der SPÖ in Währing an und beschließe dann nach Hause zu fahren. Marcel fragt, ob ich nicht wenigstens die erste Bezirkshochrechnung abwarten möchte, aber ich habe dazu eigentlich keine Lust mehr. Alles rund um mich herum ist irgendwie unfreundlich und ich will auch mit meiner Stimmung nicht über Gebühr abfärben.
Also steige ich auf den Roller und bekomme am Ring eine SMS von Marcel. Ich habe keine Lust sie anzusehen und beschließe eine satte Konderdependenzhandlung zu setzen und mir ein paar fette, garantiert ungrüne Burger beim Schachtelwirt zu holen.

Daheim entdecke ich, mehr oder weniger genussvoll meine Burger und Fritten lutschend, das erste Bezirksergebnis von Währing. Und auf einmal sieht die Sache ganz, ganz anders aus. Währing ist grün, die SPÖ ziemlich geschlagen und auch die ÖVP schon merkbar hinter uns.

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Das ist überraschend, das ist komplett jenseits von dem, was ich befürchtet hatte, und es ist jenseits all der Infos, die ich bis dahin hatte.
Hoffnung keimt auf – das könnten wir doch noch schaffen!
Soll ich noch einmal in den Volksgarten fahren? Nein, das ist heute dort nicht meine Party, warum auch immer. Ich beschließe hier zu bleiben und im Internet die weitere Entwicklung zu beobachten. Noch sind erst 14 von 41 Sprengel ausgezählt, und da die Ergebnisse wahlsprengelweise eintrudeln, ist hier noch überhaupt nichts entschieden, auch wenn meine Hoffnung ständig wächst.
Auf Facebook treffen die ersten Gratulationen ein, die ich nur mit „zu früh“ beantworte.

Und dann kippt es auf einmal. Mit jeder neuen Grafik wächst der Balken der ÖVP, sie zieht unaufhaltsam an uns vorbei.

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Ich bin geschockt und frage mich, was da los ist. Ein SMS an Marcel soll helfen. Der schreibt zurück „Geduld“ – aber ich habe keine Geduld. Wofür soll ich Geduld haben? Ich bin ungeduldig, wenn es um solche Dinge geht.
Der Abstand beginnt wieder zu schmelzen, aber er bleibt auf einem Niveau, das in mir keine guten und schon gar keine hoffnungsfrohen Gefühle auslöst. Warum kann das nicht noch einmal drehen, das hat doch vorher zu unseren Ungunsten auch funktioniert?

Irgendwann so gegen ein Uhr nachts beschließe ich schlafen zu gehen. Ich bin müde und heute würde sich nichts mehr verändern. Die Wahlkarten würden das Rennen morgen entscheiden. Gute Nacht!

Der nächste Morgen. Ich hab nicht gut geschlafen. Als ich den Computer aufdrehe, plötzlich die Überraschung: Wir sind vorne!

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Ich habe keinen blassen Tau, wie das funktionieren konnte. Als ich schlafen ging, waren 40 von 41 Sprengel ausgezählt. Die Frage, warum das überhaupt so unglaublich lange gedauert hat, wurde mir erst viel später beantwortet (spannend, vor allem weil wir selbst mit der Bezirksstimmenauszählung um 19 Uhr fertig waren): Es hängt vom jeweiligen Leiter der Wahlkommission ab. Manche sind locker, andere pingelig. In diesem Fall hatte ich eine sehr lockere Dame, Robert hatte in der großen Wahlkommission einen schwer überforderten Pedanten und daher mussten sie manche Arbeitsschritte mehrfach tun, sinnloserweise.
Nun keimt wieder Hoffnung auf. Das können wir schaffen. Allerdings fehlen noch die Wahlkartenstimmen und da hat uns die ÖVP das Ergebnis bei der Nationalratswahl noch umgedreht – so um ca. 90 Stimmen. Das ist nichts, das ist gar nichts für einen Bezirk mit über 30.000 EinwohnerInnen, und genau deswegen tut es umso mehr weh.
Jetzt heißt es warten und zwar ziemlich lange. Robert hat gemeint, die Auszählung würde um 12 Uhr beginnen und so ca. 2,5 bis 3 Stunden dauern. Allerdings hat er das vorgestern gesagt und da wusste er noch nix vom Wahlkommissionsleiter.
Ich hasse warten. Deswegen suche ich mir sinnvolle und weniger sinnvolle Beschäftigungen: Ein wenig Vespazangeln, Geschirrwaschen oder Bügeln. So vergeht die Zeit und Robert schickt irgendwann die Nachricht, dass sie jetzt mit der Auszählung beginnen.
Die Spannung steigt. Ich sage mir mehrfach, dass ohnehin alles schon gelaufen ist, denn das Ergebnis steht ja seit gestern 17 Uhr fest. Wir wissen es halt noch nicht, aber es gibt genau genommen überhaupt keinen Grund zur Nervosität. Das ist logisch und leuchtet mir ein.
Leider zählt Logik für den Bauch, wo die Emotionen entstehen und damit auch die Nervosität, genau original überhaupt nichts. Rein gar nichts. Daher werde ich immer nervöser, esse ein wenig, habe aber keinen Appetit und beschließe, den Sonnenschein auszunützen und einen Spaziergang zu machen. Am besten in den Türkenschanzpark, das ist nicht allzu weit und mein Handy nehme ich mit. So kann ich jederzeit die entscheidende SMS oder den entsprechenden Anruf bekommen.

Ich plane den Spaziergang auf ein bis 1,5 Stunden und marschiere los. Mit flottem Gehen müsste sich die immer stärker anwachsende Nervosität beseitigen lassen, sie kann quasi meinen schnellen Schritten nicht folgen.
Das funktioniert gar nicht so schlecht. Die Sonne scheint und ich marschiere durch das Cottage bis zum Park. Es ist ein traumhafter Herbsttag, die Luft ist kühl und klar, die Blätter auf den Bäumen beginnen sich einzufärben, nachdem sie Währing den ganzen Sommer über grün eingefärbt haben. Grün eingefärbt – da ist sie wieder, die Nervosität.
Ich erinnere mich, dass ich vor einem Jahr eine schamanische Reise durch den Türkenschanzpark gemacht habe und beschließe, das noch einmal zu tun. Man braucht dazu nur ein Eingangstor (gibt es reichlich im Park) und einen Wunsch, den man für sich formuliert.
Ich wünsche mir, dass Silvia gewinnt. Das ist ein ziemlich fetter Wunsch, aber ich will ihn nicht abschwächen. Plötzlich merke ich, dass meine schamanische Reise schon begonnen hat, obwohl ich noch gar nicht durch das Eingangstor gegangen bin. Das ist so, schamanische Reisen haben ein Eigenleben und lassen sich nur bedingt beeinflussen.
Der Park ist schön wie immer und ich lasse mich einfach treiben. Es gibt gefühlte hundert Abzweigungen, der ganze Park ist ein gestalterisches Meisterwerk mit unglaublicher Vielfalt, für mich der schönste Park in Wien.
Bei einer schamanischen Reise verändert sich die eigene Wahrnehmung. Dinge bekommen plötzlich eine Bedeutung, stechen ins Auge, lassen sich riechen oder ändern schlagartig die eigene Stimmung. Ich versuche an den Gesichtern und Typen der Menschen, die mir entgegen kommen, einen Hinweis auf unseren Wahlsieg zu erkennen. Das funktioniert eher schlecht als recht, aber die die Menschen wirken samt und sonders entspannt und freundlich. Ich beschließe, das einfach als gutes Zeichen einzustufen und marschiere weiter.
Ich bin noch nie so viele Abzweigungen und Runden gegangen, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Die Stimmung ändert sich ständig und auch die Wahrnehmungsformen, von sehen über hören bis riechen – alles ist da und mir durch die letzte schamanische Reise vor einem Jahr auch schon bekannt.

Dann komme ich zum größten Teich im Park und sehe am Springbrunnen einen Regenbogen. Das ist das Zeichen, auf das ich gewartet habe. Vielleicht ist dieser Regenbogen ja öfter zu sehen, aber für mich ist es das erste Mal. Ich zücke das Handy und mache sofort ein Foto.

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Genau genommen mache ich eher fünf oder sechs Fotos, was mein Handy damit quittiert, dass es sich spontan ausschaltet. Ich weiß, dass das am schwachen Akku liegt, der mit drei Jahren seine beste Zeit schon hinter sich hat.
Okay, dann bekomme ich die entscheidende SMS erst daheim, auch egal. Ich lasse mir die wunderschöne Reise nicht vermiesen und setze sie noch ein wenig fort. Dann ist die Zeit gekommen um nach Hause zu gehen.
Als ich daheim das Handy wieder an den Strom anstecke, bekomme ich keine Entwarnung, auch sonst keine Nachricht. Das gibt es doch nicht! Die Stimmen müssten längst ausgezählt sein!
Ich werde wieder nervös und merke, dass ich noch eine Stunde Zeit habe, bevor ich zu unserer Steuerungs-Sondersitzung muss, bei der wir das Ergebnis und die daraus entstehenden Konsequenzen diskutieren wollen. Das funktioniert übrigens nur, wenn es schon ein Ergebnis gibt und das ist noch nicht der Fall.
Also gönne ich mir eine Dusche und denke mir, dass ich ohnehin nichts außer warten tun kann.

Dann wird es Zeit in unser Lokal zu gehen – eine Pizzeria in der Schulgasse. Ich beschließe noch eine ganze Ladung meiner selbstgemachten Marmeladen mitzunehmen, damit ich im Falle eines Sieges ein Geschenk an alle meine KollegInnen habe und im Falle einer Niederlage einen kleinen Trostspender. Mit ca. 25 Gläsern im Rucksack mache ich mich auf den Weg, der ja nicht lang ist.
Dort befindet sich bereits ein Haufen nervlicher Wracks, also bin ich in guter Gesellschaft. Wir besprechen lustlos die einzelnen Programmpunkte für unser Treffen nach der Wahl und für das heutige BO-Treffen, das hier ab 19 Uhr stattfindet. Spätestens dann müssen wir ein Endergebnis haben. Wobei – was heißt „müssen“ – wir müssen genau genommen gar nichts haben, denn die Auszählung dauert so lange wie sie eben dauert.
Und wie lange dauert so eine Auszählung? Das kann doch nicht wahr sein, es wird langsam 17 Uhr und vor 24 Stunden haben die Wahllokale geschlossen, und zwar alle. Und die Sch…Wahlkarten, wie viele können das sein und wie lange kann das dauern, die einfach zu zählen? Wir pfeifen sowieso auf die unnötigen Vorzugsstimmen, es geht jetzt darum, ob wie Währing grün machen, ob wir das schaffen, ob die nächsten fünf Jahre elende Oppositionsarbeit bedeuten oder ein grünes Währing.

Ich will endlich ein Ergebnis! Dummerweise bleibt das ein frommer Wunsch und Silvia legt ihr Handy vor sich auf den Tisch, um die entscheidende SMS gleich sehen zu können. Jede Sekunde zählt. Jede Minute dauert eine Stunde. Irgendwann ruft Robert an und meint, es wären insgesamt ca. 5.500 gültige Stimmen, die ausgezählt werden müssen.
Wir diskutieren, wie viel das ist und wie lange das dauern kann. Unser Ergebnis: schon vor 2-3 Stunden oder länger hätte es nach Menschenermessen ein Ergebnis geben sollen.
Dummerweise geht es nicht nach Menschenermessen sondern nach dem Ermessen des Wahlkommissionsleiters, und der will nicht. Inzwischen ist es 19 Uhr geworden und die meisten BO-Mitglieder sind schon da, allesamt nervös bis auf die Knochen. Das gemeinsame Leid macht es dummerweise nicht besser, meine Wahlkalauer und mehr oder weniger seichten Schmähs nutzen irgendwie nicht viel.
Der Kellner bringt Pizza und Bier, ich nuckle aber an einem kleinen Apfelsaft, weil ich sonst irgendwie noch keinen Appetit auf ein gutes Bierli habe.

Minuten werden zu Stunden, Stunden werden zu Ewigkeiten. Der entscheidende Anruf von Robert kommt nicht. Dafür kommen noch mehr nervöse BO-Mitglieder, um sich mit uns gemeinsam in einen ordentlichen Thrill hineinzuhypen (ein grauenvolles Wort, aber nicht so grauenvoll wie das Warten).
Ich versuche mit kleinen Scherzen die Runde aufzulockern, was teilweise gelingt. Wir fragen uns ständig gegenseitig, warum es wohl so lange dauert. So lang kann das bitte wirklich nicht dauern. Warum ruft Robert nicht an?

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kommt eine SMS von Robert. Er schreibt, dass die Stimmen der Grünen ausgezählt sind und die der ÖVP teilweise. Und es gäbe noch einen Reststoß von geschätzten 650 Stimmen. Silvia und ich schnappen uns je einen Zettel und einen Stift und versuchen auszurechnen, wie es theoretisch ausgehen müsste. Wir kommen auf einen Unterschied von ca. 40 Stimmen, die wir noch vorne liegen. Das ist knapp, das ist sogar verdammt knapp. Wenn Robert sich verschätzt hat, ist es aus.
Jetzt wird das Warten noch einmal unglaublich spannend. Die Minuten vergehen und wir ahnen, dass auch diesmal die Zählung mehrfach durchgeführt werden könnte. Hoffentlich nicht, das stehen wir irgendwie nicht mehr durch.
Die Zeit vergeht und auch wieder nicht. Minuten werden zu Stunden, die Luft knistert vor Spannung, der Kellner traut sich schon fast nicht mehr zu uns herein. Die Scherze werden weniger.

Dann kommt der Anruf von Robert. Wir liegen nach fertiger Auszählung 117 Stimmen vorne. Doch es ist noch nicht zu Ende, denn die EU-Wahlkarten müssen noch ausgezählt werden. Wie viele sind das? Angeblich ca. 500. Aber genau wissen wir es auch nicht. Der Vorsprung könnte reichen, aber sicher ist das nicht. Es ist überhaupt nicht sicher, aber die Chance lebt, es könnte sich ausgehen. Es muss sich ausgehen. Es darf jetzt nicht mehr schief gehen. Bitte nicht!
Wir diskutieren kurz darüber, wie es denn jetzt den Leuten von der ÖVP geht. Die sitzen sicher genau so wie wir um einen Tisch herum und warten auf das Ergebnis. Und ihr Verhalten wird genau das Gegenteil von unserem sein, so viel ist sicher.

Jetzt steigt die Spannung einerseits ins Unerträgliche, andererseits breitet sich fast eine Art fatalistische Ruhe aus. Etwas von der Spannung ist quasi vor die Türe gegangen eine rauchen.
Wie lange kann die Auszählung von nebbichen 500 Stimmen dauern? Das mach ich mit einer Hand in 15 Minuten, locker. Und dazwischen ess ich noch was. Dummerweise zähle ich aber nicht aus, sondern irgendwelche Schleicher in der Kommission. Ich beginne ihre Langsamkeit zu hassen, ich will endlich ein Ergebnis, mehr als 24 Stunden nach der Wahl, das muss doch möglich sein.

Wieder kommen Anrufe, jedes Mal schrecken wir hoch, ein lauter Schrei wird im Ansatz erstickt, es ist nur Ute, die schon bei der Landeskonferenz ist. Oder irgendwer, der gratulieren will. Wir beginnen die Anrufer zu hassen. Und jetzt steigt auch wieder die Spannung.

Dann eine kurze SMS. Was Silvia genau sagt, höre ich nicht mehr, denn es geht unter in einer wahnwitzigen Kaskade an ca. 25 Jubelschreien, die genau genommen Brüller sind, verdammt laute Brüller. Wer in der Nachbarschaft noch nicht wusste, wie die Wahl ausgegangen ist, der weiß es jetzt. Einige fallen sich um den Hals, andere sitzen einfach da und grinsen, einige packen es gar nicht.
Ich gehöre irgendwie zu allen Fraktionen, aber die pure Freude überwiegt. Es ist interessanterweise keinerlei Triumph über den Sieg gegen einen starken Gegner dabei, sondern nur die reine Freude für Silvia. Sie ist das größte Risiko eingegangen, für sie haben wir wochenlang gekämpft, eigentlich monatelang.

Dann wird es wieder ruhiger, denn das Ergebnis ist noch nicht offiziell. Leichtes Bangen macht sich breit: haben wir zu früh gejubelt? Wir alle wollen jetzt die Bestätigung, doch Robert schreibt, dass das noch ein wenig dauern wird.
Wie fix ist es? Ist es wirklich fix? Robert, sag was!

Er sagt kurz nix, doch dann kommt irgendwie schon die Bestätigung, dass nichts mehr schief gehen kann. Wir liegen mit 212 Stimmen vorne. Das ist nicht anfechtbar, das ist deutlich genug, da kann sich auch bei 100x auszählen nichts mehr verändern.

Wenn im TV irgend ein Sportler meint, er könne es noch gar nicht fassen, lächle ich immer mitleidig. Jetzt weiß ich selbst, wie das ist, denn ich kann es auch noch nicht fassen. Es sind so Erkenntnisfragmente, die unzusammenhängend im Raum schweben und keine gemeinsame, ganze Gewissheit ergeben.
Das ist aber auch irgendwie egal, denn jetzt ist es Zeit für ein großes, kühles Bier als Belohnung. Angelika teilt Cupcakes aus, die sie am Nachmittag selbst gebacken hat. Dazu gibt es Schaumwein auf Haus (also eigentlich nicht auf Haus, sondern von der Silvia) und ich teile Marmeladen aus: für jede(n) hier gibt es ein Glas selbst gemachter Marmelade, sozusagen als Versüßung des Ergebnisses. Ich habe ordentlich geschleppt an den schweren Gläsern, aber das war es wert.
Hier sieht man meine Berechnungen:

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Schließlich ist jeder jedem einmal um den Hals gefallen und die Szenerie wird wieder ruhiger. Nach einiger Zeit kommt auch unser erschöpfter Held Robert aus der Wahlkommission und wird mit richtig viel Applaus empfangen. Wir sind jetzt unter uns, das wahlkämpfende Kernteam, und wir haben uns das Feiern redlich verdient.
Auf den nächsten beiden Bildern sieht man Silvia, die eine Gratulations-SMS empfängt sowie einige von uns, entspannt herumfacebookend oder twitternd.

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So geht der spannendste Real-Life-Krimi zu Ende, den ich je erlebt habe.

NACHTRAG

Der alte Bezirksvorsteher Karl Homole ist Geschichte und darf seine wohlverdiente Pension mit 74 endlich antreten. Hier ist sein faires Abschiedsstatement (Quelle: Facebook)

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Es gibt zum ersten Mal seit über 60 Jahren eine nicht-schwarze Bezirksvorstehung, noch dazu eine Frau und eine Grüne. Die Grünen haben mit Währing als einzigen Bezirk eine grüne Bezirksvorstehung erobert, die schon existierende und verteidigte in Neubau nicht mitgezählt.
Hier sieht man, wie die Bezirke aussehen:

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Auf der nächsten Grafik (alle: wien.gv.at) sieht man das knappe Ergebnis der Währinger Bezirkswahl.

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Spannend ist noch der Unterschied zur Gemeindewahl in Währing. Manche Bezirke – wie Ottakring – haben hier ein fast deckungsgleiches Ergebnis zur Bezirkswahl, bei uns ist es sehr verschieden:

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So funktioniert propagandistische Hetze

Auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen, aber genau darum geht es ja.

Seit einigen Tagen kreist ein Spruch auf Facebook, der von manchen Menschen gerne „geteilt“ wird. (Für alle, die sich mit Facebook nicht auskennen: Das ist eine Social-Media-Plattform, bei der man sich mit Freunden online vernetzen kann. Dort kann man etwas „posten“ also ein Bild einstellen oder eine Nachricht oder eine Statusmeldung. Wenn man ein hochgeladenes Bild sieht, kann man es „teilen“ und dann sehen es alle Leute, mit denen man selbst vernetzt ist.)

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Dieser Spruch sieht auf den ersten Blick irgendwie stimmig aus, das Problem liegt im Detail und daher müssen wir uns das auch detailliert ansehen.

1.) Die Verstärkung
Propaganda erzeugt keine Stimmung, sie verstärkt eine schon vorhandene. Sie schmarotzt sozusagen. Wo nichts ist, kann sie auch nicht viel ausrichten. Wo aber ein Nährboden da ist, kann sie sich prächtig entfalten und zwar in Form von Vermehrung. Oben angesprochenes „Teilen“ in einem sozialen Medium ist so eine Art der Vermehrung.
Der Nährboden für diesen Spruch ist die Debatte rund um „Asylanten“, Wirtschaftsflüchtlinge und Schwarzafrikaner, die man auf dem Bild auch gut sehen kann.

2.) Das Spiel mit der Angst
Wahrscheinlich seit Beginn der Menschheit bzw. auf jeden Fall seit Beginn der Sesshaftigkeit haben Menschen Angst vor Fremden. Diese Angst ist evolutionsbiologisch auch sinnvoll, denn das Fremde kennt man nicht und kann es daher auch nicht einschätzen, es ist unbekannt und man weiß nicht, ob von ihm Gefahr ausgeht oder nicht.
Die Propaganda nützt diese Angst indem sie verstärkend wirkt. Besondere Angst haben in unseren Breiten viele Menschen vor „Negern“, die man heute „Schwarzafrikaner“ nennt. Dazu eine kleine Anekdote, die mir mein lieber Freund Gerhard Ziegler erzählt hat:
Kurz nach dem zweiten Weltkrieg hatte seine Oma in Oberösterreich einen Unfall. Das nächst gelegene Krankenhaus war ein US-Militärhospital, in das sie gebracht wurde. Als sie aufwachte, sah sie einen amerikanischen Arzt mit schwarzer Hautfarbe, der sich gerade über sie beugte. Voller Entsetzen rief sie aus „Jessas, der Teufel!“
Das ist die Urangst vor dem „schwarzen Mann“, die in erster Linie daraus entsteht, dass man erstens den schwarzen Mann nicht kennt – selbst wenn man mit Neckermann in Mombasa Strandurlaub gemacht hat – und zweitens „Neger“ aufgrund der Hautfarbe ganz besonders fremd wirken, anders, als man selbst ist oder zu sein glaubt.
In diesem Spruch verwendet die Propaganda ganz bewusst diese Angst und zeigt „schwarze Männer“.
Dies wird noch dadurch verstärkt, dass nur junge Männer gezeigt werden, also keine alten Frauen oder etwa kleine Kinder. Die Flüchtlinge sind aber nicht nur junge Männer, wenngleich es verstärkt so ist.
Das ist einerseits logisch, weil kleine Kinder oder alte Menschen selten Revolutionäre und somit auch keine Regimegegner sind. Die Jugend demonstriert bzw. entwickelt Widerstand, in der Nazi-Zeit waren die meisten Widerstandskämpfer auch junge Männer und nicht Babies oder Greise.
In allen Kulturen dieser Welt und in allen Zeiten waren und sind die Kämpfer einer Bevölkerung die jungen Männer, weil sie jung und stark sind. Fast immer werden sie von alten Männern in den Krieg geschickt, deren Manneskraft schon erlahmt ist.
Diese alte „Regel“ macht sich hier die Propaganda zunutze und zeigt junge, starke Männer. Damit weckt sie die Assoziation, dass es Krieger sind, die zu uns geschickt werden. Es kommt sozusagen eine ganze Armee und fällt in unser schönes Land ein. Eine riesige Armee schwarzer Männer – wenn das kein Grund zur Angst ist!
„Angst essen Seele auf“ heißt ein berühmter Film und genau das benützt die Propaganda. Die Seele ist der Sitz des Gewissens und wenn sie aufgegessen wurde, fehlt ebendieses. Dann sind die Menschen bereit grausame Dinge zu tun oder zumindest wegzuschauen. Wer also grausame Dinge tun will, isst vorher die Seelen der Menschen auf. Die Propaganda bereitet genau das vor.

3.) Die Umdeutung von Begriffen
Propaganda spielt mit Worten und meist tut sie das sehr clever. Der hier diskutierte Spruch ist so ein typischer Fall. Das erste Wort, das hier umgedeutet wird, ist „Asylanten“. Das sind Menschen, die von irgendwo flüchten, weil dort ihr Leben bedroht ist. Sie können dorthin nicht zurückkehren und beantragen daher woanders Asyl. Im Idealfall dort, wo genau diese Bedrohung nicht vorhanden ist.
Alle Länder, die die Charta der Menschenrechte unterschrieben haben, müssen Asyl gewähren. Das ist keine Gnade, sondern ein Menschenrecht, und somit außerhalb der Diskussion: Asyl MUSS gewährt werden, wenn es sich um jemand handelt, dessen Leben dort bedroht ist, wo er/sie herkommt.
Das Wort „Asylant“ ist genau genommen ein künstlich geschaffenes, das ungefähr so viel bedeutet wie „Mensch, dessen Wesen (ev. sogar Beruf) darin besteht Asyl zu suchen bzw. zu verlangen“. Das ist aber nicht das Wesen eines Menschen, sondern eine Situation, in die er gerät. Das ist eine Ausnahmesituation, die nur durch die österr. Bürokratie für manche Menschen zur Dauersituation wird, wenn sie nämlich bis zu zehn Jahre warten müssen und sich in dieser Zeit in einer Grauzone befinden.
Der berühmteste österr. Flüchtling war Bruno Kreisky. „Wenn Sie mich jetzt zurückschicken, liefern Sie mich den Leuten aus, denen ich gerade entkommen bin.“ – Kreisky appellierte 1938 an die dänischen Behörden, ihn nicht ins an Nazi-Deutschland angeschlossene Österreich zurückzuschicken, sondern nach Schweden weiterreisen zu lassen.
Eine andere Zeit? Nicht vergleichbar? Kreisky ist ja kein Neger? Die Nazis waren Mörder, eine verbrecherische Kultur sozusagen? Aber Kreisky war Teil dieser Kultur, so wie die Schwarzafrikaner Teil ihrer Kultur sind. Und natürlich nehmen sie diese mit, genauso wie Kreisky die Nazi-Kultur nach Dänemark exportiert hätte.
Ja, das ist vergleichbar, denn jeder Mensch ist natürlich irgendwie Teil der Kultur, in der er lebt. Und hat sie irgendwie „in sich“. Aber genau hier ist das Problem mit der Propaganda. Sie nimmt etwas scheinbar Wahres und verdreht es, bis es wie ein genau passender Baustein in das erwünschte Konzept passt.
Kreisky hat natürlich keine Nazi-Kultur exportiert, denn er war ja Gegner dieser Kultur. Er war Teil der Gegen-Kultur sozusagen und genau deswegen musste er ja flüchten.
Hier passiert sehr schnell die Vermischung von Kultur und Politik. Am besten können wir das auseinander halten, wenn wir „Kultur“ richtig definieren, nämlich als „die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen“. Politik hingegen ist die „Kunst des Interessenausgleichs in einer Gesellschaft zum Zwecke des friedlichen Miteinanders.“
Beides kann man missbrauchen, so wie vieles auf dieser Welt.

4.) Die Bildsprache und die Phantasie
Der Spruch wird durch ein Bild verstärkt, das sehr genau ausgewählt ist. Als erste Person springt einem der „Neger“ leicht rechts der Mitte ins Auge. Es handelt sich um einen mehr oder weniger jungen Mann in dunkler Kleidung. Die Mütze, die er am Kopf trägt, verwenden manchmal auch Einbrecher, ebenso die neutralen, dunklen Jacken. Das Bild dürfte im Winter aufgenommen worden sein, deswegen tragen viele der Menschen eine Kopfbedeckung. Es befinden sich ausschließlich Männer auf dem Bild, die eher jung erscheinen. Was tun die da? Sie stehen herum und unterhalten sich. Worüber reden sie? Besprechen sie gerade, wie sie in Zukunft Drogen an Kinder vor unseren Schulen verkaufen werden, um damit steinreich zu werden? Oder checken sie Informationen für die nächste Einbruchserie? Vielleicht planen sie ja einen terroristischen Anschlag bei uns, ein paar von den Typen sehen arabisch aus. Die Gesichter sind unscharf, die Menschen sind schwer als Menschen zu erkennen. Es wird auch nicht erklärt, woher das Bild stammt und wer hier tatsächlich zu sehen ist. Die Information zu dem Bild ist der Spruch darunter.
Die fehlende Information über das Bild ist Teil der Propaganda. Sie zwingt uns die einzige Informationsquelle anzuzapfen, die uns immer und überall uneingeschränkt zur Verfügung steht: die Phantasie. Diese wiederum wird gesteuert durch unsere Erfahrungen, mehr aber noch durch die Informationen, die wir bekommen. Das ist übrigens der nächste Wirkmechanismus der Propaganda.

5.) Die selbstreferentielle Verstärkung
Wir hören, lesen, sehen etwas und nehmen die Information, die darin enthalten ist, selektiv auf. Damit ist gemeint, dass wir auswählen, was wir wichtiger finden (und uns daher besser merken) und was nicht. Weil es einfacher ist, tendieren wir dazu diejenigen Informationen als wichtiger zu erachten, die in unser bisheriges Bild passen. Dieses Bild ist immer das, bei dem wir uns am wohlsten fühlen. Damit ist aber nicht gemeint, dass es ein positives Bild ist, manchmal fühlen wir uns bei negativen Bilder wohl, etwa wenn sie eine gerne gepflegte und geliebte Angst widerspiegeln oder verstärken. Das ist der Grund, warum sich viele Menschen gerne Horrorfilme ansehen bzw. Thriller. Der „Thrill“ ist übersetzt die „Angstlust“ und gehört zu unserem Menschsein dazu. Einzig und allein die Dosierung macht es hier aus.

Bei unserem Bild werden bereits vorhandene Vorurteile bestärkt und geschürt und genau das ist das Ziel. Es macht aus keinem angstfreien Menschen einen ängstlichen, sondern es macht aus einem ängstlichen einen noch ängstlicheren. Das funktioniert über die darin enthaltenen Halbwahrheiten. Es ist nie ganz falsch, denn es könnte ja tatsächlich den einen oder anderen Drogendealer oder Einbrecher unter diesen Menschen geben. Sie sind auch nicht alle ehrlich und fleißig, genauso wie wir alle. Propaganda, die komplett auf Lügen aufbaut, funktioniert nicht oder nicht gut – mit einer Einschränkung: Wenn der Nährboden bereits sehr fruchtbar ist, dann kann die Propaganda mit frei erfundenen Informationen und Bildern arbeiten, dann sind alle Dämme hinweggespült und dann geht es sprichwörtlich den Bach runter.
Das ist dann der Schritt zum eigentlich geplanten Ziel, nämlich die Zerstörung eines differenzierten (z.B. demokratischen) Systems zugunsten eines autoritären Systems.

UPDATE 15. September 2015

Die derzeitige Flüchtlingsdebatte reisst nicht ab und im Gegenzug dazu nimmt die Hetzpropaganda zu. Besonders gefährlich getarnt kommt sie als „Erlebnisbericht“ – also scheinbar aus erster Hand, tatsächlich vor Ort erlebt und scheinbar objektiv. Wie sie funktioniert kann man erkennen, wenn man die Semantik zu Hilfe ruft. Hier ein gutes Beispiel:

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Ein junger Mann berichtet von seiner Zeit am Hauptbahnhof (wahrscheinlich als Polizist, was der ganzen Sache noch einen prekären Touch gibt). Dieses Posting müssen wir uns genauer ansehen. Vorher aber noch die Bemerkung, dass dieser junge Mann wahrscheinlich die genauen Regeln und Werkzeuge der Propaganda gar nicht kennt. Das ist aber auch nicht notwendig, um eine solche zu machen.
Er schreibt „es gab erste Rangeleien unter den Flüchtlingen“. Was bedeutet das und wieso schreibt er es? Dort haben sich auch Menschen umarmt, wieso schreibt er darüber nichts?
Hier finden wir ein Werkzeug der Propaganda: Mach Angst!
In diesem Fall werden die Flüchtlinge als gewalttätig dargestellt. Man weiß, dass sie Fremde sind, allein das ist für viele Menschen schon ein Grund Angst zu haben. Und gewalttätige Fremde – das will man dann schon gar nicht.
Dann schreibt er von als Flüchtlinge verkleideten Caritas-Helfern, die zusammenräumen bevor das Fernsehteam zu drehen beginnt. Damit unterstellt er der Caritas Unredlichkeit und wir haben hier ein weiteres Werkzeug der Propaganda: Diffamiere deinen Gegner als unehrlich und unredlich.
Beweise dafür bleibt er schuldig, aber das ist egal, denn diejenigen Menschen, auf die die Propaganda wirken soll, erwarten genau das und wollen es gar nicht hinterfragen. Damit sind wir bei einer weiteren, sehr allgemeinen Propagandaregel: Gieße Wasser auf deine Mühlen.
Der nächste Satz gehört auch in diese Kategorie: „Selbst Caritas Mitarbeiter sehen ein, dass mindestens 70% junge Männer sind.“
Dies ist nur verständlich, wenn man weiß, dass frühere Propaganda schon Angst vor jungen Männern gemacht hat: Diese sind jung und kräftig und risikobereiter als andere und – so wird gerne argumentiert – auch krimineller und gewaltbereiter als z.B. alte Frauen oder Babies.
Hier zeigt sich das nächste Propaganda-Werkzeug: Nimm das Körnchen Wahrheit und blase es auf.
Und zwar muss es so aufgeblasen werden, dass es den anderen, größeren Teil vollständig verdeckt. Jeder, der dann auf die anderen Aspekte hinweist, kann als Lügner oder Irrer hingestellt werden.
Dieser Satz ist aber doppelt propagandabehaftet. Es wird behauptet, dass der Gegner seine Meinung bereits geändert hat, weil die scheinbaren Fakten ihn überzeugt haben – und zwar sieht sogar der schärfste Gegner es bereits ein, ausgedrückt durch das Wort „Selbst“.
Genau genommen ist noch ein drittes Element dabei, denn es wird von „mindestens 70%“ gesprochen. Damit wird behauptet, dass es eher mehr sein könnten und der Phantasie des Lesers bleibt es überlassen sich die „wahre“ Zahl zu überlegen. Wenn man nun schon auf den Propaganda-Zug aufgesprungen ist, dann liegt es nahe, diesen Prozentsatz möglichst hoch anzusetzen, also eher bei 80 oder 90 Prozent. Damit ist das Ziel der Propaganda erreicht: Fast alle (oder vielleicht doch eher alle) Flüchtlinge sind junge, gewalttätige oder gewaltbereite Männer.
Das soll vor allem Frauen Angst machen, denn vor solchen Männern hat man eher Angst, dass sie Frauen vergewaltigen als es andere tun. Männer haben wiederum Angst um ihre Potenz – entweder tatsächlich oder wirtschaftlich. Junge Männer nehmen alten Männern irgendwann die Frauen weg, nämlich dann, wenn die alten Männer impotent geworden sind. Und wer in seinem Innersten weiß, dass er eigentlich eher faul ist und irgendwie ohne eigene Leistung wie die Made im Speck lebt, der wird Angst vor jungen, kräftigen Männern haben, die eine anstrengende, riskante Reise geschafft haben.

Beim nächsten Satz sticht das erste Wort heraus: Hassprediger.
Hier sind wir beim nächsten Propaganda-Werkzeug: Wirf das, was du selbst machst, deinem Gegner vor.
Also wer selbst Hass predigt, wirft anderen vor Hassprediger zu sein. Vielleicht funktioniert es ja, auf jeden Fall wirkt es ablenkend von der eigenen Hasspredigt. Wenn man jemandem ins Auto hinein gefahren ist, dann steigt man aus und schreit „Warum sind sie mir ins Auto hinein gefahren??!!“ Selber Mechanismus.

Dass die Hassprediger „augenscheinlich ihre Schützlinge suchen“ ist ein weiteres Element. Es spielt mit der Angst vor radikal-islamistischen Menschen, die zu uns kommen, um a.) ihre radikale Religion auszubreiten und b.) irgendwelche sonstigen bösen Dinge zu planen und durchzuführen. Vielleicht sogar Terroranschläge?
Diese Hassprediger suchen also ihre Schützlinge. Es sind also scheinbar mehrere da, die alle zu den Hasspredigern gehören. Eine Art geheime Organisation? Wie viele von den Flüchtlingen gehören dazu? Sehr viele vielleicht?
Auch hier wird viel der Phantasie überlassen, die generell eher verstärkend wirkt, vor allem bei Menschen, die sowieso schon Angst haben und für die eine Verstärkung ihrer bisherigen Linie gerade recht kommt, denn es zeigt, dass man selbst die „richtige“ Meinung hat.
Interessant ist auch das Wort „augenscheinlich“ – es suggeriert, dass sich die Hassprediger gar nicht mehr verstecken müssen, sie können bereits ganz offen ihre Strukturen zeigen. Scheinbar sind sie sich ihrer Sache sehr sicher und scheinbar unternimmt bei uns niemand was dagegen. Stecken die mit denen unter einer Decke? Alles wird offen gelassen und scheint möglich.
Dahinter steckt gut sichtbar der Ruf nach jemandem, der etwas dagegen unternimmt.

Dieses Werkzeug wird gleich recycled, denn angeblich hat der Poster von einem Caritas-Helfer erfahren, dass die Flüchtlinge aus „allen Ecken dieser Welt“ kommen. Das nächste Propaganda-Werkzeug ist die Übertreibung: „alle“ Ecken sind es nämlich nicht, aber es soll suggerieren, dass die Flüchtlinge gar nicht aus Gebieten kommen, aus denen man flüchten muss. Sie sind daher gar keine Flüchtlinge, sondern Migranten.
Im nächsten Absatz finden wir bereits ein weiteres Werkzeug, das besonders gern verwendet wird: die Nachrichtenquellen werden als unseriös bzw. tendenziös und einseitig dargestellt – in diesem Fall der ORF. Im Idealfall kann man sich selbst dann noch in die Opferrolle begeben – man ist so arm, weil die Medien ja falsch berichten. Das ist ausgesprochen praktisch, denn man kann dann selbst ungestört falsch berichten. Wenn das auffliegt, kann man sich jederzeit auf die Medien ausreden, die ja falsch berichtet hätten.

Wenig später wird es noch viel subtiler: Der Poster berichtet von „seltsamen Konstellationen“ der Familien, die scheinbar anders sind als unsere Familien. Das „Seltsame“ ist das Unbekannte, das abgelehnt wird. Im Hintergrund schwingt jedoch noch etwas anderes mit: da sind sicher irgendwelche Inzucht-Sauereien im Spiel! Fazit: Die sind nicht normal, also abnormal, pervers – oder sie täuschen die Familienstrukturen nur vor, dann sind sie Lügner und Betrüger. Die Propaganda gelangt langsam an ihr Ziel, denn die Flüchtlingen haben jetzt nur mehr zwei Möglichkeiten: pervers zu sein oder betrügerisch.
Das ist übrigens auch ein aus der Nazi-Zeit gut bekanntes Propaganda-Mittel, nämlich die Sexualität und die Familienstruktur der Gegner als abartig darzustellen. Hier wird es allerdings nur sehr subtil angedeutet.

Nun kommt allerdings der Kern des Postings: Die Exekutive „steht quasi nur Zentimeter von den Flüchtlingen, welche Krankheit aus allen Ländern mitbringen, ohne Schutz.“
Das ist eines der kräftigsten Propaganda-Werkzeuge von Joseph Goebbels, der im Nazi-Reich oberster Propagandaminister war. Damals wurden die Juden angeklagt, die Überträger aller gefährlichen Krankheiten zu sein.
In diesem Posting läuft es exakt nach diesem Muster, fast wie aus der Maschinerie des Dritten Reichs übernommen. Die Flüchtlinge bringen nicht nur eine Krankheit mit, sondern viele, weil aus „allen Ländern“. Sie sind quasi Gefäße für alle gefährlichen Krankheiten, die es auf dieser Welt gibt. Und sie bringen sie nicht nur mit in unsere „gesunde“ Gesellschaft zu unseren „gesunden“ Menschen, sondern übertragen sie auch noch – deswegen bräuchten wir Schutz, der aber nicht vorhanden ist.
Die Flüchtlinge sind quasi mobile Bio-Waffen, die jederzeit unsere gesunde, saubere Gesellschaft infizieren und töten können – töten deswegen, weil unter Krankheiten aus allen Ländern auch die gefährlichen dabei sind. Sie sind es übrigens alle, denn es sind „die Flüchtlinge“ und nicht nur einige – sie sind es quasi als Art, also von ihrem Wesen her.

Was kann man dagegen tun? Eine Bio-Waffe muss man vernichten, und zwar am besten aus der Ferne und mit großer Hitze, weil da die Überträger und Keime absterben. In Filmen wird so etwas üblicherweise mit Flammenwerfern gemacht. Bio-Bomben sind übrigens keine Menschen mehr und genau das soll die Propaganda bewirken: die Flüchtlinge sollen als entmenschlicht dargestellt werden – wie Zombies, die man vernichten muss, damit man selbst nicht vernichtet wird. Vielleicht waren die Flüchtlinge ja einmal Menschen (daheim nämlich) – so wie Zombies einmal Menschen waren, aber jetzt sind sie es nicht mehr.
Dieses Propaganda-Phänomen kann man übrigens auch bei einem der meistgelesenen Autoren des 20. Jhd. finden, nämlich bei J.R.R. Tolkien. In seiner Mythologie sind die Orks auch ehemals edle Elben gewesen, bevor sie entartet wurden. Auch bei ihm kommen die Krankheiten aus dem Südosten seiner Welt.

Jetzt habe ich auch endlich die Erklärung für ein Phänomen, das mir lange Kopfzerbrechen gemacht hat. Im Sommer gab es den Fall der kleinen Dunja – ein Flüchtlingsmädchen, das von einem Fotografen im Zustand großer Freude abgelichtet wurde. Es entstand bei einer Aktion einer freiwilligen Feuerwehr in Oberösterreich, die an einem besonders heißen Tag ausrückte und in einem Flüchtlingsheim mit Spritzen und Wasserwänden den Flüchtlingen Spaß und Abkühlung brachte.
Daraufhin postete ein junger Welser Lehrling (17 Jahre alt), dass man statt Wasserwerfern wohl besser Flammenwerfer hätte benützen sollen. Das löste einen Sturm der Entrüstung aus und der junge Mann wurde von seinem Arbeitgeber rausgeschmissen.

Hier ist das Bild, das für den jungen Welser Lehrling der Auslöser für seinen Hass war:

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Wer dieses Bild sieht stellt sich normalerweise die Frage: wie kann man dieses kleine Mädchen so hassen, dass man ihr den qualvollen Tod durch einen Flammenwerfer wünscht?
Mich hat diese Frage nicht losgelassen und die Erklärung, dass das einfach aus Gedankenlosigkeit geschehen ist, war mir überhaupt nicht ausreichend. Jetzt weiß ich, dass es aufgrund der ausgefeilten Propaganda entstanden sein könnte. Wenn alle Flüchtlinge Bio-Bomben sind, dann muss man sie mit Flammenwerfern aus der Ferne vernichten, auch die kleinen Bio-Bomben, also die Kinder. Da sie ja keine Menschen mehr sind, darf man sie ruhig töten.

So verheerende Wirkung kann Propaganda haben und leider gehen ihr scheinbar viele Menschen auf den Leim.
Der Poster hat sein Ziel fast schon erreicht, er legt am Schluss noch einmal eins drauf und agiert mit einem der wirkungsvollsten Propaganda-Werkzeuge, die es gibt, nämlich der Angst vor Überflutung. Das ist in der Faschismus-Theorie ein bestens bekanntes Phänomen, dass vor allem Männer Angst vor der großen Flut haben, die ihre gepanzerten Körperdämme durchbricht.
Der Poster nützt dies geschickt (wenn auch nicht unbedingt bewusst) und berichtet von so einer Flut, die laut seiner einfachen Rechnung zu erwarten ist. Damit ruft er indirekt auf Dämme zu bauen, um die Flut aufzuhalten, was an unseren Grenzen Mauer, Zaun und Stacheldraht entspricht.

Genau das passiert derzeit in Europa. Die Propaganda hat gewirkt und tut es weiter.

UPDATE 1. NOVEMBER 2015

Allerorts geschieht es und glücklicherweise gibt es viele Menschen, die propagandistische Hetze erkennen und auch aufzeigen. Ein besonders unappetitliches Exemplar ist der Artikel von Christoph Biro, inzwischen abgesetzter Chefredakteur der Steirischen Kronen Zeitung. Es lohnt sich genauer anzusehen, was er hier schreibt.

**** ACHTUNG, AKTUELL AM 24. NOVEMBER: BIRO IST AUS DEM URLAUB WIEDER ZURÜCK UND SOMIT AUCH ZURÜCK VOM RÜCKTRITT. ALLES WIE VORHER. DIESER BLOG-ARTIKEL BLEIBT SOMIT AKTUELL ***
http://derstandard.at/2000026245826/Christoph-Biro-kehrte-am-Montag-in-Krone-Redaktion-zurueck

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Beginnen wir ganz vorne: „Die Stimmung ist ja längst gekippt.“
Nun, was heißt denn dieser Satz? „Längst gekippt“ bedeutet, dass scheinbar viele Menschen denken, dass es keine freundliche Stimmung ggü. den Flüchtlingen mehr gibt. Und Biro gibt vor, das zu wissen. Er versucht gleich zu Beginn die Weichen zu stellen: Wie kann man noch für Flüchtlinge sein, wenn doch die Mehrheit längst dagegen ist? Offensichtlich haben die Leute ja einen Grund, warum sie die Stimmung pro Flüchtlinge nicht mehr haben. Die nächsten Sätze untermauern das noch: Es ist zu viel passiert! Scheinbar was negatives – und zwar „zu viel“ davon, also eine ganze Menge. Mit diesen Sätzen bereitet Biro seine Beispiele vor.

„Wir erfahren“ gibt vor, dass nicht nur Biro hier seine Ansichten herauswürgt, sondern dass viele andere auch das erfahren haben, was er jetzt berichtet. Und zwar die erste Bombe: „junge, tesosteron-gesteuerte Syrer“ – sofort erschauern wir alle und vor allem das männliche Publikum, das nicht mehr jung und nicht mehr testosteron-gesteuert ist. Jetzt wird es gefährlich, und zwar für die Männer, denn hier kommt junge Konkurrenz, die auch nicht lange überlegt (weil testosteron- und nicht von Vernunft gesteuert), sondern sich sofort die heimischen Frauen holt. Biro versucht hier ganz direkt Ängste über Phantasien zu schüren. Wenn er schreibt, dass er es eh nur „harmlos ausdrückt“, dann suggeriert er, dass er erstens mehr weiß, es aber nicht schreiben will – weil es zu schlimm ist, um es zu schreiben. Was mag das sein, das schlimmer ist als „äußerst aggressive sexuelle Übergriffe“? Diese jungen Syrer müssen ja wirklich schlimm sein, richtige Tiere!

Auch die Afghanen bekommen ihr Fett ab und werden zu Gewalttätern, die nicht einen, nicht zwei oder drei, sondern „die Sitze“ in ÖBB-Waggons aufschlitzen. Also das Eigentum unserer ÖBB, die ja unser Eigentum ist. Die Afghanen schlitzen sozusagen unseren Besitz auf – und wir können froh sein, dass sie nicht uns selbst aufschlitzen. Dann schreibt er noch, dass sie „nicht nur ihre Notdurft“ verrichten. Wieder ein Versuch unsere Phantasie zu stimulieren: Was könnte noch schlimmer, noch grauslicher sein, als wenn Aufschlitzer ihre Notdurft verrichten?
Dann kommt ein Angriff auf unsere Religion, die ja bekanntlich christlich ist. Und wieder haben wir eine Verallgemeinerung: „sagen sie“ – also nicht einer oder wenige, sondern quasi alle.
Biro bleibt in der Fäkalabteilung und behauptet, dass „sie“ neben die Muschel scheissen und dann „weibliche Hilfskräfte“ auffordern, das wegzuputzen. Wieder eine Verallgemeinerung, wieder der Vorwurf, dass „sie“ unkultiviert, grauslich und frauenfeindlich wären. Und sie tun es „just“ – also absichtlich, was scheinbar auf ihren miesen Charakter hinweisen soll.

Dann kommt ein Teil, in dem Biro berichtet, dass „Horden“ die Supermärkte stürmen, Packungen aufreissen, sich nehmen, was sie wollen, und wieder verschwinden. Hier greift er auf ein Angstpotenzial zu, das bei uns durch die „Vandalen“ gut bekannt ist und seit Jahrtausenden in Europa immer wieder aktiviert wird: In immer neuen Wellen kamen Völker nach Mitteleuropa, meist aus dem Osten, irgendwo aus Asien. Davor hatten die Menschen Angst – obwohl sie selbst zu genau diesen Völkern gehörten – nur halt zu denen, die ein wenig davor kamen. Das war und ist vollkommen normal, seitdem es Menschen gibt, wandern Völker. Und seitdem hatten immer die Sesshaften Angst vor den Neuen. Meistens hat man sich einfach vermischt und so ziemlich alle Mitteleuropäer, die auf eine längere Ahnentafel in Europa blicken können, sind eine Mischung aus all den Völkern, die da im Laufe der Jahrhunderte kamen.
Es sind übrigens „Horden“ – was wohl eine leichte Übertreibung darstellen dürfte, aber es soll ja die Angst schüren, und da ist es am besten, wenn man sich eine Horde statt einem kleinen Grüppchen vorstellen kann. Und sie stürmen nicht einen Supermarkt, sondern „die Supermärkte“ – also scheinbar alle. Das müssen unglaublich viele Horden sein, in Summe zigtausende Menschen, die alle Vandalen sind, und natürlich Räuber. Und sie verschwinden wieder, wobei Biro schreibt, dass die Polizei machtlos ist.
Was soll das nun schon wieder? Ich finde hier leider nur eine einzige sinnvolle Erklärung: Er möchte einen Polizei- und Militärstaat, in dem an jeder Ecke eine Polizeihorde wartet, um gegen die Flüchtlingshorden einzuschreiten.
Sie können jetzt nur verschwinden, weil die Polizei machtlos ist – und warum ist sie machtlos? Weil es zu wenige Polizisten gibt und weil sie nicht die entsprechenden Möglichkeiten zum Einschreiten haben. Ein Schießbefehl auf alle Menschen, die wie Flüchtlinge aussehen – das wäre die angedachte Lösung. Das unterstelle ich dem Herrn Biro an dieser Stelle jetzt einfach einmal.

Das perfide an dieser Behauptung von Herrn Biro ist jedoch, dass das alles erstunken und erlogen ist. Es gab niemals Horden, die Supermärkte gestürmt haben. Auch keine Gruppen, keine Grüppchen, und es gab keinen einzigen Supermarkt, wo so etwas passiert ist. Die „machtlose“ Polizei hat das klar dementiert.
Das ist einfach Hetzpropaganda, sonst nichts – frei erfunden, und das von einem Chefredakteur der größten Tageszeitung Österrreichs. Es verwundert nicht, dass das sogar denjenigen zu viel geworden ist, die eigentlich Herrn Biros Meinung sind.

Biro macht weiter: „Integration? Ein schönes Wort, mehr nicht. Integration kann bestenfalls in Einzelfällen funktionieren.“
Damit meint er, dass sie de facto nicht funktioniert. Und da man nicht-integrierte Menschen nicht will, muss man sie also wieder loswerden. Am besten gar nicht reinlassen.
Nein, damit macht Christoph Biro noch nicht Schluss. Er muss noch das eine oder andere Schäuferl nachlegen, weiterzündeln, weiter aufstacheln. Nun schreibt er, dass „sämtliche Ordnungskräfte einfach überrannt wurden“ und dass „Tausende wie auf Kommando über unsere Grenze trampeln“ – allein die Wortwahl ist hier so delikat-abscheulich, dass mir die Spucke wegbleibt. Glücklicherweise brauche ich für diese Analyse keine Spucke.
Biro erzeugt Bilder in unserem Kopf: Wir sehen hier freundliche Ordnungskräfte, die nur ordnen wollen – und was muss man ordnen? Natürlich das Ungeordnete, das Chaos, das scheinbar in Gestalt der Flüchtlinge in unser so wunderbar geordnetes Land kommt. Und diese armen Ordnungskräfte, in denen wir uns selbst erkennen, weil wir ja auch alle gerne Ordnung haben, lieber als dieses grausliche Chaos, die werden jetzt „einfach überrannt“ – und zwar scheinbar niedergetrampelt, wie er einen Halbsatz später schreibt. Ich glaube, dass hier ganz bewusst die Nähe der überrannten Ordnungskräfte mit dem Wort „niedergetrampelt“ erzeugt wird. Wir alle werden somit überrannt und niedergetrampelt, und zwar von Horden, die das noch dazu „auf Kommando“ tun – also scheinbar geordnet.
Das ist besonders fies, denn er unterstellt, dass es Kommandanten gibt, die das Niedertrampeln der Österreicher präzise planen und die „Horden“ dann dazu verwenden, um unser Österreich niederzutrampeln, also unser schönes Land und uns alle. Wie lieben unsere kleinen Gartenzäune, die wir als klare Grenzen zum Nachbargarten aufbauen und hegen und pflegen und ein schöner Ausdruck für unseren Wunsch sind, uns abzugrenzen, sogar von unseren nächsten Nachbarn und daher sowieso von allem, was noch weiter weg ist. Die werden jetzt niedergetrampelt.

Dann kommt Biro zu seinem fulminanten Schluss und schreibt, dass uns ALLEN (JA, DA VERWENDET ER AUCH GROSSBUCHSTABEN) klar geworden ist, dass sie Grenzen dicht gemacht werden müssen. Jetzt ist es heraus, worum es ihm im ganzen Artikel geht: Grenzen dicht. Warum will er das? Vielleicht leidet er unter einer kleinen, aber fiesen Inkontinenz, zumindest im Kopf, wir wissen es nicht. Und wir sind vielleicht durchaus froh, das auch nicht erfahren zu müssen. Ich zumindest bin es.

Er schreibt noch, dass es gilt eine „humanitäre Katastrophe“ zu vermeiden, und zwar eine, die den Österreichern und ihrem Land droht. Witzigerweise hat er ganz zum Schluss sogar recht: es wäre eine humanitäre Katastrophe für uns, wenn wir uns davon trennen humanitär zu sein und Maria und Josef wegweisen. Interessanterweise kommen die meisten Flüchtlinge genau aus diesem Raum, in dem Maria und Josef gelebt haben.
Diese humanitäre Nächstenliebe, die die eigentliche Basis unseres Christentums darstellt, würden wir verlieren, wenn wir uns ein- und andere aussperren.

Herr Biro hat seinen Schlusssatz wohl anders gemeint. Dafür gehört ihm vor allem mein Mitleid.

Mit der Vespa nach Kroatien

Seit dem Tod vom alten Herrn Kudlicka möchte ich sein Grab in Rijeka besuchen. Selbstverständlich geht das nur mit einer alten Vespa, also plane ich seit mehr als zwei Jahren eine Tour an´s Meer.
Albert Kudlicka wurde 81 Jahre alt und stand bis wenige Monate vor seinem Tod noch im Geschäft. Vespa war sein Leben. Ich durfte ihn ca. eine Woche vor seinem Ableben in der Palliativ im Wilhelminenspital besuchen, wo er mir etliche interessante Geschichten aus seinem Leben erzählte – etwa seine Vergangenheit als Münzsammler. Er legte so die Basis für sein späteres Einkommen und stammt – wenn ich mich richtig erinnere – aus einem kleinen Ort namens Bakar etwas südlich von Rijeka.
Ich durfte mir ca. eine halbe Stunde ein Video von seinem traumhaften Haus in Medveja ansehen, während er schlief und dann eine Suppe aß, die ihm sein Mechaniker ins Krankenzimmer geschmuggelt hatte („viel besser als das, was sie hier haben“).

Eine Woche später schied er aus dem Leben und ich hatte die Ehre, eine kleine Rede auf seiner Seelenmesse am Ottakringer Friedhof zu halten. Links saß die Familie, rechts saßen die Vespafahrer. Herr Kudlicka wurde eingeäschert und dann am Friedhof von Rijeka beigesetzt.

Ich war in den 1990er oft in Kroatien und erinnere mich noch gut an das erste Wochenende, als ich mit meinen Freunden Gabor und HiHo im ausgeborgten Audi meines Vaters nach Istrien fuhr. Ein Freund von Gabor hatte damals ein kleines Bauernhaus gekauft, in dem wir die zwei Nächte wohnen durften. Es lag in „Sveti Anton“ (St. Anton), einem winzigen Bergdorf oberhalb von Mosenicka Draga. Als wir damals im Sommer 1993 dort ankamen, stellte es sich als bessere Ruine heraus, ohne Sanitäreinrichtungen, Wasser oder Strom. Wir waren aber zum Tauchen dort und außerdem ein wenig jünger als heute und hielten es auch ohne Luxus gut aus.
Am letzten Tag spazierten wir durch Medveja und Gabor sah sich ein schönes Schiff näher an. Es lag an der Mole und er lernte Jani kennen, einen Slowenen, der mit seiner Wiener Frau eine Tauchbasis betrieb. Das Schiff (die „Vranjak“) hatte er gepachtet und unternahm damit Tauchsafaris an der dalmatinischen Küste.
Auf diesem Bild sieht man die Mole, an der die Vranjak damals lag:

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Die traumhafte Villa oberhalb der Mole ist die Villa Susmel, wahrscheinlich das schönste Haus in der ganzen Gegend, weil sie in unglaublich toller Lage liegt, genau am nördlichen Kap der Bucht von Medveja, mit riesigen Grundstück und eigenem Meerzugang.
Jani hatte auch diese Villa gemietet und wir verbrachten dort einige Tauchurlaube und sogar Silvester 1994.
Ca. 1997 musste Jani die Villa aufgeben, danach befand sich darin eine Computerfirma und heute ist sie in privater Hand. Hier ein Bild, das ich von der Straße aus geschossen habe:

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Viele Jahre lang wollte ich wieder nach Kroatien fahren und versuchte immer wieder eine Kreuzfahrt auf der Vranjak zu organisieren, die inzwischen von Jani´s Sohn betrieben wird, doch es wurde nie was draus.
Dann hatte ich die Gelegenheit am 40. Geburtstags meines lieben Vespa-Freundes Hannes ausführlich mit Sergio zu plaudern, dem Schwiegersohn von Albert Kudlicka. Ich kannte ihn bisher nur als eher mürrischen Typen, seines Zeichens seit immer schon die Nr. 2 im Geschäft vom alten Kudlicka. Viele glauben bis heute, dass er der „Radakovits“ ist, der ehemalige Geschäftspartner, mit dem der Kudkicka seinerzeit in den 1970ern das Geschäft gegründet hat.
Ich erfuhr, dass die Familie von Sergio aus Sveti Anton stammt und er selbst ein Haus in Mosenicka Draga hat. Und dass die Villa vom Albert Kudlicka keine 100 Meter neben der Villa Susmel steht. So schließen sich die Kreise und so entstand auch der Gedanke – schätzungsweise im Frühjahr 2013 – wieder einmal dorthin zu fahren.
In den darauf folgenden beiden Sommern klappte es nicht, denn ich hätte jeweils alleine fahren müssen und außerdem hatte ich keinen Motor in meiner Vespa, dem ich ausreichend vertraut hätte. Nach der stressigen Rom-Reise 2012 hatte ich außerdem beschlossen, dass ich so weite Strecken nicht mehr allein fahren möchte. Dazu kamen letztes Jahr noch die drei bitteren Todesfälle in meinem Freundeskreis, die mich im Sommer beschäftigten.
Und dann kam 2015. Schon im Frühling schrieb ich mein Interesse an der Tour ins Internet und etliche Freunde meinten, da würden sie gerne mitfahren. Da wir aber in einer Zeit der Unverbindlichkeit leben, blieb am Schluss wieder ich alleine übrig.
Doch dann fiel der Entschluss: ich fahre! Da der von mir neu aufgebaute Polini-Motor zwar sehr gut lief, sich aber trotzdem irgendwie nicht gut anfühlte (schwierig zu beschreiben, „überlastet“ obwohl er es nicht sein sollte, viel zu helle Zündkerze…) beschloss ich am Vortag noch einen Standard-200er einzubauen. Den hatte ich startfertig daheim liegen und vor zwei Jahren auch schon getestet. Damals lief er problemlos

An dieser Stelle wird ein kleiner Einschub fällig, zumindest für diejenigen, die meine Rom-Reise nicht kennen. Alte Vespas sind tendenziell anfällig, weil die modernen Ersatzteile oft von schlechter Qualität sind und sich außerdem hin und wieder Fehler einschleichen. Auf meiner Rom-Reise hatte ich insgesamt 11 Pannen und das wollte ich um jeden Preis vermeiden. Die Sprint-Vespa ist mein Tourenfahrzeug und soweit gut in Schuss. Blieb noch die Frage nach dem richtigen Motor.
Beim bisher eingebauten Polini-Motor hatte ich nie ein wirklich gutes Gefühl. Das bedeutet, dass ich beim Fahren ständig auf den Motor höre: kreischt da etwas? Scheppert da irgendwo was? Klingelt der Motor? Stottert er oder vibriert er mehr als üblich? Fühlt er sich zu heiß an? Was ist auf einmal dieses komische Dröhnen? Was wird an der nächsten Steigung passieren?
Diese und noch mehr Ängste und Gedanken machen mich fertig. So will ich nicht weite Strecken fahren. Rund um Wien – kein Problem, da kann ich mir immer irgendwo helfen. Wenn aber irgendwo in Slowenien mitten im Nirgendwo der Motor seinen Geist aufgibt – so etwas hatte ich schon, so etwas will ich nicht mehr. Natürlich geht die Welt nicht unter und ein gewisses Risiko bleibt immer, aber bereits in Wien mit einem Motor wegfahren, dem ich überhaupt nicht vertraue – sicher nicht.
Also wurde umgebaut, mein lieber Freund Bobby half mir dabei und nach drei Stunden war die Vespa reisefertig. Als Auspuff wählte ich einen gebrauchten SIP Road 1. Serie, den ich gut kenne und der ein wenig kerniger klingt und geht als der originale.

MITTWOCH

Mittwoch früh, ich stehe gegen 06.30 auf und komme ca. um 07.15 weg. Die geplante Route führt mich ohne Autobahn bis nach Klagenfurt, meinem heutigen Tagesziel. Die Vespa springt gut an und schnurrt brav dahin, wenngleich ich jetzt schon merke, dass der Kraftverlust gegenüber dem Polini-Motor erheblich ist. Das stört aber nicht, denn ich habe sowieso vor eher gemütlich zu fahren, also so 80 km/h mit Tendenz leicht nach oben, schließlich will ich irgendwann auch ankommen.
Ich muss noch zwei Bücher zur Post bringen, doch die hat noch zu und ich verlasse Wien.

Enorm ist der Temperaturunterschied zwischen der Stadt und außerhalb. Ich bin wie seinerzeit bei der Rom-Reise nur mit meiner Airflow-Jacke bekleidet, die unglaublich genial bei Hitze und unfahrbar bei Kälte ist. Ich fahre diesmal mit sehr wenig Gepäck, die dichte Regenjacke ist aber dabei und leistet jetzt gute Dienste.
Über Auhof fahre ich nach Wolfsgraben, dann über Gruberau und Klausen-Leopoldsdorf meine Rom-Route von vor drei Jahren. Dann jedoch schlage ich eine andere Route ein und fahre über Laaben und die Klammhöhe nach Hainfeld. Dort läuft mir ein freundlicher Postler über den Weg und wenige Minuten später ist der letzte Ballast weg, die Fahrt kann weitergehen.
Es wartet die berühmte Kalte Kuchl, vor der viele Motorradfahrer seit vielen Jahren Respekt haben, weil es dort erstens eine 70er-Beschränkung gibt und diese zweitens sehr rigoros überwacht wird. An sonnigen Sonntag-Nachmittagen kann man einen ganzen Haufen geparkter Motorräder finden, die alle ohne Nummerntafel herumstehen.
Mich interessiert das wenig, denn mit der Vespa komme ich eh nicht über die 70. Die Fahrt ist angenehm, ganz jedoch kann ich meine Angewohnheit, irgendwie ständig oder zumindest öfter auf den Motor zu hören, nicht ganz ablegen. Ich hoffe, dass sich das mit der Zeit gibt und sich Vertrauen in den Originalmotor einstellt.
Hier ein Bild von meiner kurzen Rast in der Kalten Kuchl. Vespas sind hier eher selten zu sehen.

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Die Höchstgeschwindigkeit der Sprint liegt bei knapp über 90 und sogar da wirkt sie schon am absoluten Ende der Fahnenstange. Der Motor dreht im 2. und 3. Gang gut rauf, nur oben ist dann Schluss, die Vierte dreht lange nicht so frei wie sie müsste (trotz 118 Hauptdüse, eh klein für den SIP Road). Mein Verdacht richtet sich gegen den Auspuff – wenn der verlegt ist, ergibt es genau diese Symptome. Spielt aber keine Rolle, ich kann das jetzt eh nicht ändern. Vielleicht putzt er sich ja frei.

Über St. Aegyd am Neuwalde geht es nach Mariazell, wo der erste Tankstopp fällig wird. Bisher ist es eine völlig problemlose Fahrt über eine absolut empfehlenswerte Strecke. Die Vespa mit ihrer Gepäckrolle hinten drauf ruft fast überall freundliche Gesichter hervor, sogar ein paar schnelle Motorradfahrer haben mich gegrüßt.
Über Gußwerk geht es weiter nach Wildalpen. Das ist eine meiner alten Motorrad-Lieblingsstrecken, eine Kurvenorgie ohne Ende. Weniger spannend ist dann das Gesäuse und in Admont wird es Zeit für eine Mittagspause. Beim Nah&Frisch sind alle mit mir per Du und ich merke, dass ich schon echt weit weg bin von Wien.
Nach einer eher kurzen Pause treibt es mich weiter. Über eine tolle Bergstraße geht es nach Trieben. Auf der Passhöhe befindet sich ein kleines Skigebiet, das scheinbar gerade für eine Beschneiungsanlage umgebaut wird. Das ist ein unglaublicher Eingriff in die Naturlandschaft, nicht nur der riesige Wasserspeicher, das folgende Bild zeigt nur einen Ausschnitt der großflächigen Zerstörung:

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Schon in Mariazell hab ich das erste Mal meinen Nacken gespürt. Ich kenne das leider schon von der Romreise, dass sich durch die Sitzhaltung bei meiner Größe und der für Italiener gebauten Vespa die Nackenmuskeln verspannen und dann bis zum Ende des Tages schmerzen. Ich mache immer wieder kleine Entspannungsübungen, aber das hilft nur wenig. Eine zeitweise Veränderung der Sitzposition bringt auch ein wenig, aber eben nicht viel. In Trieben wird der nächste Tankstopp fällig, danach geht es auf die große Bundesstraße Richtung Hohentauern. Diese Strecke habe ich viel weniger steil und auch weniger kurvig in Erinnerung – aber ich bin sie das letzte Mal vor über zehn Jahren mit einer Aprilia Pegaso gefahren und der Vergleich ist nur bedingt sinnvoll.
Trotzdem: bisher eine großartige Strecke und der Motor hält, wenngleich er auch bergab nicht über 110 zu bringen ist, das ist eindeutig um 10 bis 15 km/h zu langsam für einen Standard-200er. Wie auch immer, ich kann es nicht ändern und will auch nicht anfangen, irgendwo herumzuschrauben.
Dann geht es auf der mir gut bekannten Strecke nach Scheifling und hinauf zum Perchauer Sattel. In Neumarkt zweige ich links ab und fahre nicht die normale Route nach Klagenfurt, weil die eher fad ist. Von Neumarkt geht es über Brückel eine sehr nette Strecke bis direkt nach Klagenfurt – absolut empfehlenswert. Besonders interessant: Gefühltermaßen geht es nur bergab, ich hatte den Eindruck, ich könnte selbst bei einem Motorschaden fast bis Klagenfurt rollen.
Bei der Ortseinfahrt hupt mich ein Autofahrer an. Als ich mich umdrehe, zeigt er mir den Daumen nach oben – das sind die kleinen Momente, wo die Schmerzen im Nacken nachlassen und auch der Hintern nicht mehr so weh tut.
Die Regenjacke habe ich bis nach Hohentauern getragen, jetzt ist es sehr warm und die Airflow-Jacke erledigt ihren Job bravourös. Nur bei der knielangen Hose bin ich mir nicht sicher, ob ich mir nicht das eine oder andere Insekt einfange, das wäre eher weniger angenehm, so ein Wespenstich in die Weichteile…
Egal, ich riskiere das einfach.

Ein bis zwei Mal hatte ich heute schon leichte Warmstartprobleme, aber die sind jetzt auch verschwunden, der Motor hat gut bis Klagenfurt gehalten und zeigt keine Veränderung, was ich als gutes Zeichen interpretiere.
Meine Gastgeber Norbert und Ute haben mich lange nicht gesehen und gemeinsam fahren wir noch mit dem Radl am Ländkanal bis zum Loretto-Strandbad, um ein kühles Bad im Wörthersee zu nehmen. Das entspannt auch den Nacken ein wenig und ich bin froh, den ersten Tag gut überstanden zu haben.
Im Gegensatz zu Wien kühlt es in Klagenfurt in der Nacht ein wenig ab und so schlafe ich gut und fest.

DONNERSTAG

Ich merke leichtes Reisefieber, das wirkt sich bei mir in absoluter Appetitlosigkeit aus. Glücklicherweise brauche ich bis zu Mittag kein Essen und breche gegen 8 Uhr auf. Die Luft ist kühl und erfrischend, diesmal habe ich die Regenjacke schon bei der Abfahrt angezogen. Jetzt wartet der Loibl-Pass auf mich, den ich das letzte Mal vor 19 Jahren gefahren bin. Damals sind wir von einer langen Tauchtour zurück gekommen und ausnahmsweise über Klagenfurt heimgefahren. Es war mitten in der Nacht und es gab keine Grenzposten – die hatten sich alle schlafen gelegt. Wir blieben stehen, warteten eine Weile und fuhren dann einfach weiter.
Der Loibl ist sehr steil und kurvig, aber schön zu fahren.

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Auf der slowenischen Seite gibt es ein Kriegsdenkmal, denn die Straße wurde seinerzeit mit Zwangsarbeitern errichtet.

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Auf dem Parkplatz davor steht ein uralter Opel Rekord Caravan (ein „C-Rekord“), mit einem Hänger, auf dem zwei Mopeds stehen. Das junge Pärchen versucht gerade die Kiste wieder flott zu bekommen und der holländische Fahrer erzählt mir, dass sich die Gänge nicht mehr schalten lassen. Außerdem würden sich ständig die Ventile verstellen, aber er bekäme das schon in den Griff. Schließlich müssten sie heute nur noch bis Holland und er meint, wenn er unter das Auto kriecht, kann er den dritten Gang manuell einlegen und dann damit durchfahren. Ich erkläre ihm, dass es bis zur Passhöhe nicht mehr weit ist und gebe ihm noch Info über die Straßenbeschaffenheit danach.
Dann geht es hinunter nach Kranj, die Straßen sind sehr gut und ich habe mir eine Route quer durch Slowenien ausgesucht. Auch diesmal werde ich nicht enttäuscht, es sieht ein wenig aus wie in der Steiermark, alles ist sehr sauber, gepflegt und die Landschaft ist durch kleinstrukturierte Landwirtschaft geprägt. In jedem größeren Ort gibt es einen Hofer, einen Lidl, einen Spar und eine OMV-Tankstelle. Oft auch eine Burg.

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Ich durchquere einige kleinere Orte (Skofia Loka, Gorenja vas und Ziri) und muss mit dem einzig schlechten Straßenstück überhaupt kämpfen (zwischen Ziri und Logatec). Mein Zwischenziel ist Postojna, wo ich auch den nächsten Tankstopp einlege. Ab da brauche ich die Regenjacke nicht mehr, es ist wieder sehr heiß und ich fahre ab jetzt direkt in südlicher Richtung. Bei Pivka gibt es eine kleine Abzweigung, die zu einer ziemlich bekannten Abkürzung führt, nämlich durch den slowenischen Karst rund um den Ort Knezak. Diese Abkürzung sind wir in den 1990ern immer gefahren, manchmal auch in der Dunkelheit, was irgendwie eine ganz eigene Atmosphäre hat. Etwa in der Mitte der Strecke fährt man auf einen einsamen Friedhof zu und kurz davor kommt eine scharfe Kurve – es ist wie in einem Videospiel. Die Abkürzung geht bis Ilirska Bistrica und ist 16 km lang. Irgendwo auf der Strecke mache ich Mittagspause und esse eine Wurstsemmel. Die Nackenschmerzen sind verlässlich und pünktlich zur Stelle und weigern sich wieder abzuhauen.

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Vor vier Jahren sind wir zur exakt gleichen Zeit nach Krk zum Tauchen gefahren, Mario, mein Bruder und ich. Damals dachten wir beim Stau in Ilirska Bistrica an eine Ampel, eine Baustelle oder einen Unfall, bis wir feststellen mussten, dass es der bis hierher zurück reichende Grenzstau war, satte zehn Kilometer im Schritttempo. Das werde ich nie vergessen.
Diesmal ist alles frei, wobei mich ein Stau mit der Vespa eh nicht interessiert hätte. Aber so denke ich mir, dass es nicht schwer sein wird in Baska (mein Zielort für heute) ein Quartier zu finden. Vor vier Jahren waren wir mitten im Ferragosto und hatten Problem unser reserviertes Quartier auch zu bekommen.
An der Grenze gibt es noch zwei echte Passkontrollen, dann bin ich in Kroatien. Weil ich nicht auf der Autobahn fahren will, wähle ich die schlecht beschilderte Abfahrt und hoffe, dass ich richtig liege.
Die Kroaten und auch die Slowenen wollen mit ihrer Beschilderung offensichtlich bewirken, dass man auf der mautpflichtigen Autobahn fährt bzw. bleibt. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken und finde die richtige Bundesstraße (Nr. 8), die mich hinunter nach Rijeka führt. Aber auch dort gerate ich am südlichen Ende der Stadt in die Autobahnfalle und bin plötzlich in einem Zubringertunnel. Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich mit der alten Vespa äußerst ungern Autobahn fahre. Erstens kostet es sinnlose Maut und zweitens ist es bei einer Panne irgendwie noch unangenehmer als auf einer Landstraße. In diesem Fall ist es doppelt blöd, weil ich keine Vignette habe und im Falle einer Panne dadurch wahrscheinlich ein ernsthafteres Problem.
Ich komme jedoch ungeschoren bis zur nächsten Abfahrt und nehme diese, um wieder auf die Bundesstraße zu kommen. Ich kenne sie noch von vor vier Jahren und fahren hinunter nach Bakar, dem eigentlichen Heimatort von Albert Kudlicka. Dort ist es nicht sehr lauschig, weil es ein größeres Öllager gibt und die gesamte Bucht nach Mineralöl riecht. Genau dort unten befindet sich der kleine Ort Bakarac, in dem ich eine kleine Pause einlege.
Es ist inzwischen extrem heiß und ich gönne mir eine kalte Flasche Mineralwasser. Der nette Kellner grinst und bringt mir eine Römerquelle.

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Endlich am Meer! Ich weiß, dass es bis Krk nicht mehr weit ist und wähne mich schon am Ziel. Genau genommen ist dieses Ziel der „Saloon“, ein sensationelles kroatisches Lokal, dessen Essen reichlich, hervorragend und günstig ist. Dort haben wir vor vier Jahren vorzüglich gespeist und dort ist mein heutiges Etappenziel.
Also nichts wie hin. Die Vespa läuft sehr brav und ich komme zur Mautstelle an der Brücke, die über den Velebitkanal führt und Krk mit dem Festland verbindet. Der nette Kassier fragt mich, ob ich mit der Vespa aus Österreich bis hierher gefahren bin und schüttelt lächelnd den Kopf.
Die Straßen sind auf Krk hervorragend, was sich in den letzten vier Jahren deutlich verändert hat, ist die enorm gestiegene Anzahl an Shoppingcentern, die überall zu finden sind (es gibt dort einen KONZUM).
Die Strecke nach Baska zieht sich, vor allem weil ich hinter einigen Wohnwägen hertuckern muss. Doch irgendwann habe ich den schmalen Pass überwunden, hinter dem es nach Baska hinunter geht. Ich erreiche mein Ziel, parke die Vespa gegenüber des „Saloon“ und entdecke den Chefkellner, an den ich mich noch erinnere.
Ich frage ihn, ob es den Chef noch gibt und er deutet auf einen Tisch. Ich erkenne ihn erst auf den zweiten Blick, es ist ein witziger Typ, der einen unglaublich dicken Bauch hat. Er dirigiert dieses Lokal indem er davor steht und die Gäste empfängt. Er erkennt schon von weitem die Nationalität der Gäste und spricht sie in ihrer Sprache an. Die Hütte ist immer ausnahmslos zum Bersten voll und trotzdem bekommt man irgendwie einen Platz. Er fragt sofort „wie viele?“ und wenn man draußen ein wenig warten muss, dann bekommen die Kinder einen Schlecker und die Eltern einen Schnaps.
Als ich ihm erzähle, dass ich jetzt Quartier suchen werde, bricht der ganze Tisch in schallendes Gelächter aus, was mir ein wenig Flauheit im Magen verschafft. Andererseits: das muss zu schaffen sein, ein billiges Quartier für eine Person, ohne jeden Komfort, ich brauche nur ein Bett und eine Dusche.
Also mache ich mich auf die Suche nach einer Pension. Die ersten drei Agenturen winken freundlich ab und meinen, dass das hier genau am stärksten Wochenende sehr schwierig sein würde.
Aber ich solle am besten noch in anderen Agenturen fragen oder in ein Hotel gehen, davon gäbe es zwei hier in Baska (plus noch eines mit Zimmern ab 250,- pro Nacht, was doch über meinem Budget liegt).
Also frage ich bei anderen Agenturen und einigen privaten Häusern. Die erste Frage lautet immer „wie viele Personen“ und die zweite Frage „für wie lange“.
Alleine und für eine Nacht hat man die Arschkarte, so viel stellt sich heraus, als mir das Tischgelächter im Ohr nachklingt, meine Dehydrierung langsam zu- und mein Energielevel abnimmt.
Das darf doch nicht wahr sein! Ich beschließe zum kleineren der beiden Hotels zu fahren. Dort sitzt ein eher unfreundlicher Typ, der meint, er hätte noch ein Zimmer und das würde 75 Euro kosten, inklusive Halbpension. Auf meine Frage, ob ich es auch nur mit Frühstück haben könnte, meint er „das ist der Preis – wie auch immer.“
Ich beschließe noch in das andere Hotel zu schauen und vielleicht noch in 2-3 Agenturen. Aber auch dort habe ich kein Glück und bin inzwischen genervt und kaputt. Also dann doch das teure Hotelzimmer.
Als ich ankomme, merke ich schon am Blick des Unfreundlichen, dass was nicht stimmt. „Ich habe das Zimmer gerade einer jungen Familie gegeben, tut mir leid.“ meint er.
Dann erbarmt er sich insofern als er mir eine Broschüre mit Hotels und Pensionen auf ganz Krk gibt. Ich solle es im Ort Krk probieren, denn im Nachbarort Punat (wo wir vor 4 Jahren gewohnt haben) wäre auch alles voll, aber auf Krk gäbe es insgesamt mehr Betten.

Ich setze mich in ein Kaffeehaus und trinke einen halben Liter Wasser auf ex. Leichte Enttäuschung und Verzweiflung tauchen auf – muss ich wieder zurück fahren, und wenn ja, bis wohin? Ich sehe mich schon irgendwo hinter einem Busch im Staub übernachten und greife zum Telefon. Im kleinen Ort Silo gibt es leider auch kein Quartier mehr, ich telefoniere alle Agenturen durch, keine Chance. Nur einen Wohnwagen gäbe es, für 60 Euro.
Dann beschließe ich nach Krk zu fahren. Am Weg dorthin bleibe ich noch in zwei Ortschaften vor Baska stehen und klappere ein halbes Dutzend Agenturen und Privatquartiere ab. Einzig eine nette Dame meint, sie hätte noch ein Kellerapartment und wenn bis 9 Uhr Abends niemand käme, dann könnte ich es haben, für 60 Euro.
Das ist mir zu unsicher und ich starte die Vespa. Schade, aus dem Abendessen im Saloon wird nichts, das ist irgendwie ein persönlicher Rückschlag.
Dazu habe ich jetzt noch das Problem, dass mir der Sprit ausgeht. In Baska gibt es nämlich keine Tankstelle und damit habe ich nicht gerechnet. Jeden Moment erwarte ich, dass ich auf Reserve schalten muss – und ich habe noch den Pass vor mir und etliche Kilometer. Glücklicherweise habe ich einen Reservekanister mit 1,8 Litern Sprit dabei, doch das Einfüllen ist mühsam und ich bin eh schon fix und foxi.

Doch ich schaffe es bis zur Tankstelle und somit auch nach Krk. Im ersten Hotel, das ich finde, gibt es eine nette, junge Rezeptionistin namens Veronika, die aber leider auch kein Zimmer für mich hat. Als ich ihr erzähle, dass ich eigentlich keine Kraft mehr habe um alles abzusuchen, erbarmt sie sich meiner und ruft die anderen 3-4 Hotels an. Leider ohne Erfolg, sie meint, in Krk würde ich nichts mehr finden, vielleicht in Malinska, ca. 15 km von hier.
Ich bin kaputt und beschließe von der Hotellobby in Malinska anzurufen. Das erste ist das Hotel Adria, wo ein netter Herr abhebt und tatsächlich meint, er hätte noch ein Zimmer. Es würde 75 Euro kosten und ein Motorradparkplatz direkt vor dem Haus wäre auch dabei.
Ich beschließe, ihm sofort um den Hals zu fallen und starte schnellstens die Vespa, obwohl er meint, dass er mir das Zimmer gerne reservieren kann.

In Malinska angekommen fällt mir ein Stein vom Herzen. Endlich ein Zimmer, endlich ein Bett, eine Dusche – herrlich! Und das mit dem Parkplatz stimmt auch, sogar Free WLAN gibt es.

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Nach einer kurzen Ruhepause mache ich einen Spaziergang, kaufe eine Flasche Wasser und gehe am Strand schwimmen. Es gibt in Malinska eine kleine Marina, alles wirkt ausgesprochen sauber und die Strandpromenade ist sehr durchdacht angelegt. Es ist trotzdem kein Ort, an dem ich eine Woche Urlaub verbringen möchte – zu neckermännisch ist hier alles.

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Außer der Ausstellung direkt an der Promenade. Über 60 große Tafeln, auf denen historische Fotos von 1900 bis 1930 zu sehen sind, alle aus Kroatien und eine wirklich interessante Zeitdokumentation.
Die Promenade ist gut gefüllt, vor allem viele Familien sind zu sehen, die noch einen Abendspaziergang machen. Ich bin wirklich erleichtert und bekomme schön langsam Hunger. Ich habe mich schon seit Wien auf das gute kroatische Essen gefreut und daher wähle ich gleich das Hotel-Restaurant. Man sitzt im Freien und die Pleskjavica schmecken hervorragend.

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Ich lasse den Abend ruhig ausklingen, surfe noch ein wenig auf Facebook und lege mich dann schlafen.

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In der Nacht bekomme ich Durst und habe leider kein Wasser mehr. Aus dem Wasserhahn kommt sehr kaltes, klares Wasser und ich riskiere es, davon zu trinken. Wird schon gut gehen.

FREITAG

Ich weiß zwar nicht warum, aber ich bekomme kein Frühstück runter, nicht einmal ein Stück Marmeladebrot. Das Reisefieber müsste eigentlich schon weg sein, aber ich habe nicht sehr gut geschlafen. Es war drückend heiß und ich fühle mich nicht allzu toll. Auschecken, Vespa satteln und ab geht es nach Rijeka, wo ich das zweite Ziel meiner Reise erreichen möchte: das Grab von Albert Kudlicka.
Die Fahrt geht zügig voran, die Vespa läuft problemlos und die Rückfahrt über die Brücke ist erstaunlicherweise mautfrei.
Im Zentrum von Rijeka, das übrigens architektonisch durchaus reizvoll ist, im Gegensatz zum Hafen und den Betonsilos rundherum, aktiviere ich das erste Mal mein Navi, damit es mich zur Straße namens „Petra Kotalka“ führt, wo der Eingang zum Friedhof ist – im STadtteil Kozala, ziemlich weit oben am Berg und direkt unterhalb der Autobahn. Ein guter Hinweis (Danke an Rainer Derx) ist das T-Mobile-Hochhaus, weil sich direkt daneben der Friedhofseingang befindet.
Mit nur einmal falsch fahren finde ich den Eingang und stelle die Vespa ab. Es ist bereits enorm heiß und ich hoffe im dort befindlichen Blumengeschäft Hilfe zu bekommen. Die jüngere der beiden Verkäuferinnen spricht Englisch und erklärt sich sofort und sehr freundlich bereit meinen Helm und den Nierengurt für mich aufzubewahren und einen Blick auf die Vespa zu werfen.

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Ich kaufe eine große Kerze und bekomme von ihr noch Zündhölzer, dann mache ich mich auf den Weg Rainer war ca. drei Wochen vorher schon dort und hat eine genaue Fotodokumentation vom richtigen Weg zum Grab gemacht – das ist jetzt ausgesprochen hilfreich.
Nach wenigen Minuten stehe ich am Grab und habe mein zweites Reiseziel erreicht.

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Der Friedhof ist sehr schön und ruhig, man hört gar nichts von der benachbarten Autobahn. Alles ist sehr grün und gepflegt. Das Grab vom alten Kudlicka ist klassisch angelegt und passt zu den anderen Gräbern. Nur eine Sache stimmt halt überhaupt nicht. Ein Steinmetz hat in eine Platte einen Roller eingraviert. Was genau passiert ist, kann ich nicht sagen (und muss Sergio bei Gelegenheit danach fragen), aber statt einer Vespa ist eine Lambretta eingraviert. Irgendwie ist das so als würde man am Grabstein von Enzo Ferrari einen Maserati eingravieren.

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Eigentlich sollte man die Platte austauschen. Aber das wäre eine größer angelegte Aktion. Ich zünde noch die Kerze an und mache mich dann wieder auf den Weg. Heute habe ich glücklicherweise keinen so weiten Weg. Ich muss nur noch durch Rijeka durchfahren und dann an der kroatischen Riviera entlang durch die Orte Opatija, Lovran und Medveja nach Mosenicka Draga, meinem dritten Reiseziel.
An Hochhäusern vorbei fahre ich hinunter zur Hafenstraße und dann quäle ich mich durch den dichten Verkehr an der kleinen Küstenstraße. Mit der Vespa komme ich jedoch gut voran, weil ich überall überholen und mich vorbeischlängeln kann.
In Medveja bleibe ich kurz stehen und sehe mir die Villa Susmel an. Sie ist wunderschön hergerichtet und der neue Besitzer dürfte sie gut pflegen.
Hier ist das Geld daheim, das sieht man auf den ersten Blick. Nur 50 Meter weiter befindet sich die Villa vom Albert Kudlicka – das habe ich seinerzeit, als wir öfter in der Villa Susmel waren, natürlich nicht gewusst.
Ich starte die Vespa und fahre nach Mosenicka Draga. Dort versuche ich in einem dieser zahlreichen Touristenbüros, die es auch hier wie Sand am Meer gibt, ein Zimmer zu bekommen. Sergio meinte lakonisch, dass das überhaupt kein Problem wäre, es gäbe viele Pensionen und er würde auch alle Leute hier kennen.
Leider hat er nicht bedacht, dass ich alleine bin und maximal drei Tage bleibe. Der nette junge Mann im Tourismusbüro meint, dass ich doch um 17 Uhr noch einmal kommen solle, vielleicht könnte er mir dann ein Quartier beschaffen.
Mir ist das nach meinen Erlebnissen in Baska viel zu unsicher und so fahre ich in den Ortskern, wo es zwei Hotels gibt. Im ersten empfängt mich die hübsche Rezeptionistin zwar mit freundlichen Worten, meint aber nach einem Blick in den Computer, dass sie auch kein Zimmer für mich hätte.
Geht das jetzt wieder los? Das kann doch nicht wahr sein!
Nach Rücksprache mit dem Chef sieht sie eine gewisse Chance und bittet mich noch ein wenig zu warten. Man müsse nur ein wenig disponieren und dann könnte ich eventuell ein Zimmer bekommen.
Ich warte draußen und passe auf die Vespa auf, denn angeblich kommt nach spätestens 20 Minuten ein Polizist und dann muss man wegfahren.
Vorher kommt aber noch die Rezeptionistin und berichtet mir freudig, dass ich das Zimmer hätte, nur könnte ich es erst um 14 Uhr beziehen. Aber mein Gepäck könnte ich trotzdem da lassen.
Ich habe vorher schon mit Sergio telefoniert, der sich bereits am Strand von Medveja befindet (warum auch immer dort und nicht hier in seinem Ort) und meinte, ich solle doch gleich zum Strand fahren, sie hätten einen guten Schluck zu trinken dort.

Ich erfahre von der Rezeptionistin, dass sie noch einmal umdisponiert hätten und ich das Zimmer jetzt gleich haben könnte. Mir ist inzwischen alles recht, ich werde nie durchschauen, was da in Kroatien zimmermäßig wirklich abgeht. Jetzt fahre ich einmal hinüber nach Medveja, aber ohne das ganze Gepäck.
Am Strand angekommen finde ich Sergio nicht. Ein kurzes Telefonat klärt, dass er sich auf der anderen Seite der Bucht befindet, die glücklicherweise nicht sehr groß ist.
Dann habe ich ihn gefunden, und seine Kumpels gleich mit dazu und außerdem noch seine Sohn Sebastian mit dessen Freundin und Adriana, die Tochter vom alten Kudlicka und Frau von Sergio.
Sie sind hier alle entweder aufgewachsen oder seit Ewigkeiten Stammgäste. Adriana und Sergio beginnen sofort einen kleinen Streit darüber, ob ich gleich ein Bier trinken muss oder vorher noch einen gespritzen Apfelsaft trinken darf. Adriana gewinnt und ich bekomme meinen Saft.

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Danach gönne ich mir auch noch eine Erfrischung im Meer und fange dann langsam an mich zu entspannen, also zumindest bis zum Bier, das Sergio mir unter reger Anteilnahme seiner Kumpanis blitzschnell organisiert hat. Ich mag Bier, aber wenn ich an dem Tag noch nichts gegessen habe, es erst früher Nachmittag ist und die Sonne runterknallt, ist das nur eine mäßig gute Idee.
Das interessiert Sergio aber genau original gar nicht und so kippe ich mir das Bier hinein. Darminfektion, Stress, ein heißer Tag – das könnte sich noch zu einer Herausforderung auswachsen.

Generell ist die Lage jedoch sehr entspannt. Die Vespa hat ohne Probleme gehalten, ich habe ein teures, aber gutes Quartier und frage mich, ob ich die geplanten weiteren zwei Tage noch hier bleiben werde. Adriana meint, dass leider für den nächsten oder übernächsten Tag schwere Unwetter angesagt seien, die nach der wochenlangen Hitze und Trockenheit auch ein klein wenig heftig ausfallen könnten. Ich schiebe diese Probleme weg und trinke das nächste Bier.
Dann überkommt mich ein Anfall von Nostalgie und ich marschiere nach vorne zum Kap, das die Bucht auf der linken Seite begrenzt. Dort thront über allem die Villa Susmel. Herunten auf der Mole gibt es ein Lokal und ich finde den Einstieg wieder, von dem aus wir vor über zwanzig Jahren unseren Silvestertauchgang absolviert haben. Das hat sich nicht merklich verändert und doch wird mir langsam klar, wie lange das alles schon zurück liegt.

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Damals hatte niemand oder fast niemand meiner Freunde schon Kinder, das Leben war wirklich unbeschwert und wir verbrachten einige schöne Wochenenden hier in Istrien. Jetzt bin ich alleine hier und denke an die alten Zeiten.
Danach marschiere ich zurück zur lustigen Runde und verbringe noch eine Zeit mit ihnen, bevor ich nach Mosenicka Draga zurück fahre. Als es Abend wird, folge ich dem Tipp von Thomas aus der lustigen Runde und finde das von ihm angepriesene Lokal. Leider gilt auch hier das gleiche wie bei den Zimmern: wer alleine unterwegs ist, hat Pech gehabt.
Doch eine nette Kellnerin findet einen kleinen Tisch für mich und ich bestelle Calamari und ein gutes Bier. Ich freue mich auch schon sehr auf die Palatschinken und erinnere mich, wie gut die damals in den 1990ern waren – und wie billig. Damals war der Tourismus nach dem Balkankrieg gerade erst wieder im Aufschwung, alles war günstiger und irgendwie gemütlicher. Jetzt blinkt einem an jeder Ecke der Kommerzgötze entgegen, alles ist mit Schranken abgesperrt bzw. sonstwie gegen freie Benützung gesichert. Der Zauber des Ortes ist verschwunden oder zumindest zurück gegangen.
Auch bei mir verschwindet der Zauber und die Palatschinken schmecken irgendwie gar nicht mehr gut. Ich merke, wie sich Magen und Darm gar nicht wohl fühlen und marschiere schnell zum Hotel zurück, das glücklicherweise nicht weit weg ist. Da der Supermarkt bis 22 Uhr offen hat und am nächsten Tag ein Feiertag ist, kaufe ich noch eine große Wasserflasche.
Mein morgiger Plan besteht darin mit dem Bus nach Opatija zu fahren und dann den „Lungomare“ zu marschieren, die wunderschöne und berühmte Strandpromenade. Am Nachmittag würde ich dann wieder der lustigen Runde am Strand Gesellschaft leisten und wahrscheinlich am Tag darauf – also am Sonntag – nach Klagenfurt fahren, um meinen alten Freund Rudi zu besuchen.

Im Hotel zieht es mich zuerst auf´s WC und dann merke ich, dass es mir irgendwie gar nicht so gut geht. Die Belastungen der letzten Tage holen mich ein und mir wird auch klar, dass das Wasser im Hotel von Malinska gar nicht gut gewesen sein dürfte. Ich nenne es „Titos Rache“ (als Pendant zu Montezumas Rache) und befürchte, dass das bis zum nächsten Tag wohl nicht wieder verschwunden sein würde.

Dann gibt mir der Wetterbericht den Rest. Angesagt ist in Inferno oder noch schlimmer, und zwar für die nächsten vier Tage, von Slowenien über Kärnten bis Wien.
Das schmeißt all meine Pläne auf einen Sitz über den Haufen, denn eines ist klar: ich will und werde nicht im Regen quer durch Slowenien und Österreich fahren, ganz sicher nicht.
Der nächste Tag verspricht noch Sonnenschein und ich überlege, was ich tun soll: hier bleiben, auf die Gefahr hin, dass es mich mehrere Tage einregnet und ich alleine in einem kleinen Hotelzimmer sitze – oder eine Gewalttour von hier direkt nach Wien unternehmen. Ich habe die Wahl. Das würde allerdings bedeuten die Autobahn zu wählen, was ich echt nicht gerne mache. Als Vespafahrer bist du genau in der Geschwindigkeit der LKW und das für viele viele Stunden.
Ich beschließe den Sonnenaufgang abzuwarten, aber eigentlich habe ich den Entschluss schon gefasst. Die Nacht wird trotzdem nicht angenehm und kurz vor dem Morgengrauen graut nicht nur wieder einmal meinem Magen, sondern es fängt auch leicht zu regnen an.
Doch der Regen dauert nur wenige Minuten und wirkt etwas später, als hätte es ihn nie gegeben.

SAMSTAG

Als die Sonne aufgeht packe ich meine Sachen und marschiere zur Rezeption. Wenn sie mir jetzt zwei Nächte verrechnen, habe ich Pech gehabt. Mich beutelt leichter Schüttelfrost, die Knie sind weich und ich habe ganz sicher keine Kraft um zu streiten. Doch es geht alles gut, ich zahle eine Nacht und haue ab.
Als ich auf der Vespa sitze, fällt wieder etwas von dem Druck ab, den ich mir gemacht habe. Der Morgen ist wunderschön, die Wolken haben sich verzogen und es fängt sogar jetzt um 06.30 Uhr bereits an warm zu werden. Irgendwo in Lovran überholt mich dann ein Wiener PKW und irgendwie habe ich den Verdacht, der Fahrer will was von mir. Er blinkt auffällig links und biegt dann vor mir ab. Ich fahre einfach weiter, schließlich kenne ich hier niemanden und bin mir auch sicher, dass ich nichts verloren habe. Das Gepäck ist jedenfalls noch da. (Viel später erfahre ich, dass das Sergio war, der für mich völlig unerwartet schon so früh auf den Beinen war…)

Ich fahre hinauf in die Berge und wähle die Landstraße bis zur Grenze, die ich teilweise ja schon hinunter gefahren war. Dann bin ich wieder in Slowenien und nehme wie immer die Abkürzung über Knezak. Es ist interessant wie anders eine Strecke aussieht, wenn man sie in der Gegenrichtung fährt.
In Knezak geht der Sprit zur Neige und ich finde glücklicherweise eine Tankstelle im Ort. Und dazu auch das passende Örtchen, denn mein Darm meldet sich zur Stelle.
Danach geht es zügig nach Postojna, wo die Autobahn beginnt. Die slowenische Autobahnvignette kostet 7,50 Euro (die österr. übrigens 5 Euro) und ist an einer Tankstelle zu haben.
Das Wetter ist gut und ich hege berechtigte Hoffnung ohne Regen bis nach Wien zu kommen. Wie wird sich die Sprint auf der Autobahn machen? Ich bin noch nie so eine lange Strecke gefahren und bin schon gespannt.

Mein Glück: Heute ist Feiertag und es sind keine LKW unterwegs. Die wären tempomäßig nämlich genau in meiner Preisklasse und ihre Abwesenheit erleichtert mir die Sache ungemein. Ganz im Gegensatz zu meinem Genick, das eigentlich keine schmerzfreie Position mehr kennt. Ich mache alle paar Minuten die wildesten Verrenkungen, um die Muskeln irgendwie zu entspannen, aber das hilft immer nur für ein paar Momente.
Auch der Hintern fängt an weh zu tun, obwohl die Sitzbank ihr Bestes gibt. Ich wechsle die Sitzposition von ganz vorne bis ganz hinten – für die Autofahrer muss das ein lustiges Bild abgegeben haben, ich fand es weniger aufregend.
Doch die Zeit verging und ich erreichte Laibach, bekam von der Stadt aber maximal ihre Stadtautobahn mit. Es gibt in regelmäßigen Abständen Mautkontrollstationen, bei denen man aber nur die Geschwindigkeit ein wenig drosseln muss. Also die Autos müssen sie drosseln, ich bin schon langsam. Genau genommen bin ich der Langsamste überhaupt. Ich werde auf der gesamten Autobahnstrecke ununterbrochen überholt, und zwar von allem, was dort fährt. Besonders mühsam sind die Italiener mir Lieferwägen. Die schneiden vor mir so dicht hinein, dass es mich jedes Mal einen halben Meter versetzt. Warum sie sich da so verschätzen bleibt mir ein Rätsel.
Irgendwann überholt mich eine Gruppe tschechischer Motorradfahrer. jeder von ihnen streckt nach dem Überholen kurz den rechten Fuß nach rechts hinaus. Ich entwickle drei Theorien, was sie mir damit sagen wollen:

a.) Du miese Ratte, an der nächsten Tankstelle treten wir dich von deiner Dose.
b.) Sei gegrüßt!
c.) Lässiges Moped, gute Fahrt!

Ich entscheide mich für Variante c.) und fahre meinen Stiefel weiter, und zwar bis Celje, dort muss ich tanken. Die Straße ist hier nass, vor kurzem muss es ordentlich geregnet haben, obwohl keine wirklich bedrohlichen Wolken zu sehen sind und der Himmel schon wieder blau schimmert.
Ich beschließe einfach weiterzufahren und komme endlich wieder nach Österreich. Jetzt sind es noch ca. 230 km bis Wien, das ist schon noch ein ordentliches Stück. Aber es geht gut voran, bis auf die körperlichen Schmerzen bin ich guter Dinge und das Wetter dürfte auch halten.

Bei Graz wird es wieder Zeit auf den Sprit zu achten. Ich merke, dass ich noch immer nicht auf Reserve schalten musste und daher noch eine gute Zahl an Kilometern weit komme. Die Raststätte Gleisdorf ist gerade mal 15 km entfernt, das geht sich locker aus.
Allerdings sehe ich es nicht mehr ganz so locker als ich entdecke, dass ich nach dem letzten Tankvorgang den Hebel auf Reserve gelassen habe. Das könnte jetzt eng werden, niemals jedoch tragisch, da ich ja den Reservekanister dabei habe.
Als ich die Raststätte dann erreiche, sieht man im Tank schon die Befestigungsmutter des Benzinhahns frei liegen. Echt weit wäre ich nicht mehr gekommen.
Wirklich interessant ist für mich die Politik der Autobahnsteigungen. Sie dürfte einem internationalen Vereinbarung unterliegen und sie sind alle so flach, dass ich vom vierten Gang nicht zurück schalten muss. Das ist ausgesprochen angenehm und so überwinde ich auch die letzte große Steigung am Wechsel. Bergab gönne ich mir dann die letzte Pause, mit einem Apfel und einem guten Schluck Wasser. Die Chancen, pannenfrei bis nach Wien zu kommen, steigen beständig.
Am folgenden Bild mache ich gerade die letzte Rast vor Wien, im Hintergrund ist der Wechsel zu sehen.

AmWechsel.jpg

Ab Wr. Neustadt bin ich in „Rettungsreichweite“, d.h. es gibt diverse Vespa-Freunde, die mich von dort abholen können, wenn die Kiste eingeht. Es sieht aber nicht danach aus, der Motor schnurrt und – was sehr angenehm ist – saftelt auch nicht.
Auf der Triester Straße wird noch einmal getankt, dann geht es über den Gürtel nach Hause. Immerhin 8 Stunden Fahrzeit, denn die Pausen waren kurz und haben sich mehr oder weniger auf´s Tanken beschränkt.

FAZIT

Eine ausgesprochen anstrengende Tour, die ich so nicht mehr machen möchte, geprägt von Durchfall und Genickschmerzen. Trotzdem werden nach einiger Zeit die schönen Erinnerungen dominieren und ich habe letztlich auch mit dem Motor die richtige Entscheidung getroffen. Im Gegensatz zur Romreise bin ich ohne die kleinste Panne durchgekommen, wenngleich es auch nur halb so viele gefahrene Kilometer waren. Das bringt mich zur Statistik:

Gefahrene Kilometer: 1.328
Verfahrenes Benzin: 55 Liter (Schnitt 4,14 auf 100 km)
Gesamtkosten: 300 Euro