Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 3

Ich hatte am Vorabend noch in Italien angerufen, um mein Quartier zu finden. Dank Silvios Hilfe hatte ich die Nummer von Helga Karlegger, die mit ihrem Mann Sigi gemeinsam eine Herberge betreibt. Obwohl sie eigentlich schon ausgebucht waren, willigte sie ein und meinte „Kommen Sie doch einfach vorbei“. Das war für mich eine große Beruhigung, denn so hatte ich nicht nur ein feines Quartier für die Nacht, sondern auch schon ein Tagesziel, auf das ich hinsteuern konnte.

Der Tag begann sonnig und warm, und doch war schon nach wenigen hundert Metern klar, dass es ohne Windjacke um halb neun Uhr in der Früh noch nicht gehen würde. Als ich die Vespa abstellte, bemerkte ich das Malheur: der rechte Ständerfuß fehlte. Ich musste ihn in der Nacht zuvor irgendwo zwischen Viktring und dem Kreuzbergl verloren haben.
Das war schade, denn diese Ständerfüße aus Metall waren extra angefertigt worden, damit ich einerseits starten konnte, ohne sie unbedingt auf den Ständer stellen zu müssen, was sich vor allem im dichten Verkehr an einer Kreuzung sehr bewährt, andererseits passte so der Ständer am SIP Road Auspuff vorbei.
Und genau diesen Metallfuß hatte ich verloren. Natürlich saß er fest drauf, aber das hatte ich beim Sturzbügel am Tag zuvor auch angenommen.
Also die nächsten paar tausend Kilometer mit einer schief stehenden Vespa – Panne Nummer 5 halt. Hätte ich etwa glauben sollen, dass es mit den ersten vier Pannen erledigt wäre? Dieser Schaden ließ sich erst in Wien wieder beheben.

Dafür bewährte sich das Handtuch, ich saß deutlich bequemer und der Hintern begann erst gegen Mittag weh zu tun. So ging es ohne weitere Störungen ins Rosental und dann zum nächsten ADEG, um ein wenig Proviant einzukaufen. Als ich die Vekäuferin um die Abzweigung zum Wurzenpass fragte, erfuhr ich, dass dieser gesperrt wäre, wegen eines Murenabgangs. Nun gut, dann würde es doch das Kanaltal werden, auch wenn ich mich schon auf das angeblich malerische Soca-Tal gefreut hatte. Die Soca ist ein wunderschöner, türkisblauer Fluß, der auf seinen letzten Kilometern in Italien Isonzo heißt und vor allem im ersten Weltkrieg Schauplatz wilder Schlachten war, die von keiner Seite je wirklich gewonnen wurden.
Heute ist das eine friedlichere Gegend, die ich doch noch sehen sollte, denn bei der Abzweigung zum Wurzenpass stand groß angeschrieben, dass dieser offen wäre. Also nichts wie hinauf, Rudi hatte mich allerdings vorgewarnt, dass das ein recht steiler Anstieg wäre.
Nun, er hatte nicht übertrieben. Es geht auf bis zu 18 % Steigung, das ist richtig knackig und sollte eine erste Bewährungsprobe für den Motor werden. Mein Kompliment gilt übrigens den Radfahrern, die sich das antun, es waren gar nicht wenige, die ich zu Gesicht bekam. Ich entschuldige mich an dieser Stelle für den Zweitaktgestank, den ich ihnen und ihren Lungen als kleinen Gruß hinterließ.
Die Vespa ist gar nicht schwach, aber zeitweise musste ich in den ersten Gang schalten und über den zweiten kam ich auch nur ganz selten hinaus. Doch dann war es geschafft, die Passhöhe war erreicht und ich fuhr nach Slowenien hinein.

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Bild: Der Wurzenpass

Nach einer knackigen Abfahrt kam ich nach Podkoren, das gleich neben dem Wintersportort Kranjska Gora liegt. Ich stellte den Motor kurz ab, um auf die Karte zu schauen. Den Vrsic-Pass würde ich mir und der Sprint ersparen, statt dessen rechts nach Tarvis fahren und von dort dann über den Predil-Pass hinunter ins Soca-Tal.

Also Helm auf, Karte unter dem Gepäcknetz verstauen, Handschuhe, starten und ab geht die Post! Zumindest theoretisch, denn vorerst ging einmal gar nichts. Die Startversuche scheiterten und die in diesem Moment notwendigen Vespa-Spezialisten oder alternativ eine Handvoll satter slowenischer Flüche waren jeweils nicht anwesend.
Ich wusste bereits von den Schwierigkeiten, die nur beim Warmstart auftraten, ich hatte sie im Laufe des Frühlings schon so drei bis vier Mal gehabt. Sie springt dann schon an, rennt aber nur so wop-wop-wop und nimmt kein Gas an. Selbst wenn ich Vollgas gebe, bleibt es beim stotternden wop-wop-wop und dann, nach einiger Zeit nimmt sie auf einmal Gas an. Der Verdacht auf ein Vergaserproblem liegt nahe, aber was genau soll da sein? Die Schwimmernadel war neu, der Vergaser neu gedichtet und sorgfältig gereinigt. Vielleicht ein geknickter Benzinschlauch, der sich nur manchmal meldet? Aber wieso dann nur beim Warmstart? Der Choke blieb auch nicht hängen, das hatte ich schon kontrolliert, nachdem genau dieser Fehler bei einem Freund von mir aufgetreten war. Ich hatte weder Lust den kompletten Gepäckträger samt Tank auszubauen, um den Benzinschlauch zu kontrollieren, noch den Vergaser hier an der Straßenkreuzung auszubauen, zu kontrollieren und wieder zusammen zu bauen, wahrscheinlich mit dem Ergebnis, dass nichts zu finden wäre.
Also anrennen. Auch das scheiterte zuerst, dann aber nahm sie plötzlich Gas an und ich konnte weiterfahren. Was soll´s, vielleicht nahm sie mir ja nur den Wurzenpass übel oder sie mochte Slowenien nicht, als echte Italienerin, wer weiß das schon.

Nach Tarvis ging es hinauf zum Predil-Pass.

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Bild: Der Predil-Pass mit grandiosem Blick auf die slowenischen Berge

Ich blieb an einem Wirtschaftshof stehen und wollte einen Mann fragen, wann es auf der Strecke durch Slowenien die nächste Tankstelle gäbe. Er konnte aber kein Wort Deutsch, auch nicht Englisch oder Französisch. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er Italienisch konnte, aber auf meine mit Händen und Füßen unterstützte Anfrage meinte er, dass ihm keine Tankstelle in Slowenien bekannt wäre. Also fuhr ich weiter. Allerdings nicht sehr weit, dann machte der Motor Probleme. Er stotterte wie am Vortag, nahm nur schlecht Gas an und ich rollte irgendwann aus, mit Panne Nr. 6. Das erste Mal versagte der Motor. Ich schob die Kiste hundert Meter weiter zu einer Hauseinfahrt und wurde von zwei großen, schlecht gelaunten Hunden mit viel Gebell empfangen.

Ich hatte mit den Hunden die schlechte Laune gemeinsam, sonst allerdings nichts, denn ich war eher schmähstad bis kleinlaut, aber auch wütend: Was war da los mit dieser Scheiß-Kracksn? Ich hatte so viel Geld, Zeit und Mühe in diesen Motor gesteckt und das gesammelte Wissen guter Freunde und Vespa-Spezialisten war hier vereint. Warum lief sie nicht?
Es war heiß und es gab keinen Schatten in der Einfahrt, also erst einmal Jacke, Helm, Handschuhe und Nierengurt ausziehen. Dann tauchte eine nette Dame auf, die gut Englisch konnte. Ich erklärte ihr mein Problem und sie meinte, ein paar hundert Meter weiter wäre jemand, der sich vielleicht auskennen würde, eine Art Traktor-Werkstatt und sie müsse jetzt wegfahren. Sie würde mich aber gerne mitnehmen, wenn mir das helfen könnte. Ich war ihr dankbar, lehnte aber ab. Sie meinte, sie wäre ohnehin in einer halben Stunde wieder da und dann würden wir sehen, ob ich ihre Hilfe noch bräuchte. Und wegen der Hunde solle ich mir keine Sorgen machen, die bellen nur viel und laut und hätten Angst vor der chromblitzenden Vespa.

Sie fuhr weg und ich fing an mit den Zerlegungsarbeiten. Sturzbügel runter, Seitenbacke runter, Vergaserwannendeckel runter – doch die Sichtkontrolle ergab nichts, außer der üblichen Sauerei in der Wanne, hervorgerufen durch den Blowback der Kurbelwelle, vielleicht etwas stärker als sonst, aber ich führte das auf die besonderen Anstrengungen zurück. Dann fiel mir ein, dass ich ja in einer Seehöhe gewesen war wie noch nie zuvor. Dort ist die Luft dünner – das weiß ich aus eigener Erfahrung der Besteigung hoher Berge – und das könnte Auswirkungen auf das Gemisch haben. Dünnere Luft müsste bedeuten, dass das Gemisch fetter wird, vielleicht ja zu fett. Also raus mit der Zündkerze und siehe da: komplett schwarz, verrußt und ölig. Dass sie da nicht mehr ordentlich geht und schlecht anspringt ist klar.
Ich war froh, den Fehler gefunden zu haben und baute alles wieder zusammen, nachdem ich die Kerze mit der Bürste gereinigt hatte. Sie sprang auf den ersten Kick an und ich konnte mit gut laufendem Motor weiterfahren. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welcher Schaden sich wahrscheinlich hier schon anbahnte. Und vielleicht war das gut so, denn ich hatte sowieso schon Zweifel, es bis Rom zu schaffen. Zeit für einen Tipp.

Tipp: Tourenmotoren
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den 200er Motor etwas zu tunen, wenn auch nur um 2-3 PS. Das sollte man aber nur tun, wenn man ein wirklicher Spezialist ist, der sich auch in schwierigsten Situationen zu helfen weiß und die Nerven behält. Es gibt Menschen, die das alles ganz locker sehen und vor keiner Panne Angst haben. Ich gehöre leider nicht dazu. Ich empfehle daher den 200er Motor uneingeschränkt, aber in der absoluten Originalversion. Er hat da auch viel Kraft und läuft normalerweise problemlos, wenn er sauber aufgebaut wurde, idealerweise mit Originalteilen, sofern diese zu bekommen sind. Alle Nachbauteile sind ungenau gefertigt und Quelle möglicher Fehler. Das beste sind NOS-Teile (als New Old Stock, Neuteile aus einem alten Lagerbestand, somit aus einer Zeit, als Piaggio noch genaue Qualitätskontrollen hatte). Das bewahrt nicht vollständig vor Schäden und Pannen, macht diese aber deutlich seltener. Die Einstellung eines Tourenmotors ist immer eine Nuance fetter, damit bei heißen Bedingungen auf langen Etappen nichts passiert. Bei einem Originalmotor ist man dann auf der sicheren Seite.

Ich stellte also auf Verdacht die Gemischschraube eine Viertelumdrehung magerer, weil sie sowieso eher fett eingestellt war. Leider wurde dadurch das „Stampfen“ stärker, das auch vorher schon zu spüren war, wenn auch nur leicht. So nenne ich es, wenn der Motor im Schubbetrieb, also bergab ohne Gas seltsam zu ruckeln beginnt. Angeblich ist das ein Zeichen dafür, dass sie zu mager läuft. Lag es doch nicht an der dünnen Luft? Aber woran dann?

Tipp: Ein stoisches Gemüt
Die griechischen Philosophen aus der Schule der Stoiker gelten heute als Vorbilder in Gelassenheit. Angeblich konnte sie nichts erschüttern. Ich empfehle ebenfalls so eine Einstellung, wenn man sich eine Gewalttour wie die meine antun will. Ich selbst bin es nämlich nicht oder nicht oft genug. Es gibt auch die Variante, sich mit Vespas überhaupt nicht auszukennen und einfach drauflos zu fahren. Ich kenne Leute, bei denen ist das bis in die Türkei und zurück gut gegangen. Sie hatten keine Ahnung, was da unten läuft und wie, sie wussten nicht einmal, wo der Vergaser ist. Sie hatten ihren Chokehebel, ihren Benzinhahnhebel und ihren Kickstarter. Und sie fuhren einfach so lange, wie die Kiste lief. Wenn es dann aus war, konnten bzw. mussten sie sich einen Spezialisten suchen, der sich mit dem Ding auskennt.
Wer genau weiß, was sich da unten abspielt und jede Schraube beim Vornamen kennt, kann zwar meist selbst reparieren, wenn er die notwendigen Ersatzteile und das Werkzeug dabei hat, läuft aber auch Gefahr, ständig auf die Geräusche des Motors zu hören. Das trübt die Freude an der Tour, weil man mit dem Gefährt beschäftigt ist, anstatt sich die schöne Landschaft anzusehen und die Fahrt zu genießen.

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Bild: Das Tal mit tiefen Schluchten, unten fließt die Soca türkisblau

Ich war nun in so einer Situation und konnte das wunderbare Soca-Tal nur bedingt genießen. Und es war genau das eingetreten, was ich durch meine lange Planung und Vorbereitung verhindern wollte: Motorprobleme, die ich nicht in den Griff bekam, weil ich nicht wusste, woran es genau liegt. Das bewirkt eine gewisse Angst irgendwo liegen zu bleiben. Ich musste erst lernen, damit umzugehen, so schien es.

Doch vorerst lief die Vespa wieder gut, auch wenn ich sie schonte und nicht oder nur selten Vollgas gab. Die nette Dame hatte mir übrigens verraten, dass es ohnehin genügend Tankstellen am Weg gäbe und so hatte ich eine Sorge weniger.
An einer schönen Stelle stand eine Bank im Schatten und das war genau der richtige Platz für die Mittagspause.

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Bild: Mittagspause, wieder auf einem Bankerl

Die Wurstsemmeln mundeten hervorragend und ich merkte, dass der Wasserbedarf stark anstieg. Entspannt startete ich die Vespa – oder versuchte es zumindest. Sie sprang nämlich wieder nicht an. Aus der Entspannung wurde sofort wieder Stress und ich fing erneut mit der Tortour an: Helm runter, Handschuhe ausziehen, Rucksack abnehmen, Jacke ausziehen, Nierengurt runter, Werkzeug rausfummeln, Sturzbügel, Seitenbacke, Zündkerze raus, putzen – und das alles wieder retour.
Zum Glück sprang sie wieder an und ich fuhr weiter, wieder ein Stück mehr verunsichert. Der Genuss der traumhaften Strecke (viele Motorräder, manche grüßen einen vollbepackten Vespa-Fahrer) wich dem ständigen Hinspüren und Hinhören: was kreischt, was scheppert, was klingelt, wie dreht der Motor, dreht er oben aus, nimmt er unten Gas an, ändert sich das gerade wieder…

In Nova Gorica verfuhr ich mich das erste Mal und stoppte an einer Schnellstraßenkreuzung. Ich fuhr bei einem Kreisverkehr ab und erwischte einen Autofahrer, den ich nach dem Weg nach Italien fragen konnte. Er schickte mich wieder auf den richtigen Weg. Die Beschilderung war so schlecht, dass das für mich nicht eindeutig erkennbar war. Er wusste aber, wo es lang ging und das passte auch, zumindest bis Gorizia, dem Nachbarort von Nova Gorica, wo ich wieder fragen musste.
Diesmal erwischte ich zwei junge Herren, die wieder kein Wort Englisch konnten, aber sehr nett und hilfsbereit waren. Ich musste nach Monfalcone und sie konnten mir irgendwie erklären, dass ich Richtung Triest fahren müsse und ein paar Kilometer vorher rechts ab.
Das klappte auch gut und ich merkte langsam, dass sich die Landschaft veränderte, mediterraner wurde, mit den ersten Pinien und Zypressen und auch die Temperatur stieg merklich an. Jetzt bewährte sich das erste Mal die Air-Flow-Jacke und auch der Motor schien rund zu laufen. Sie war jetzt auch ein paar Mal problemlos angesprungen und ich hoffte, dass mit den Bergen auch die Probleme hinter mir lagen.

Dann erreichte ich Monfalcone und verfuhr mich zum zweiten Mal. Die Karte war für die vielen Kreisverkehre und Abzweigungen zu ungenau und ich fuhr nach Gefühl. Dann blieb ich bei einer Tankstelle stehen, weil sie ein paar schattige Plätze unter großen Bäumen bereit hatte. Mein Plan eine Flasche Wasser zu kaufen schlug grandios fehl, weil die Tankstellen in Italien fast immer zu Mittag geschlossen haben, so von 12 bis 15.30 Uhr etwa. Früher konnte man da gar nichts machen außer warten, heute haben fast alle auf Tankautomaten umgestellt. Das ist aber tricky, denn erstens nehmen sie nicht immer die Karten, die man gerade eingesteckt hat und sie sind auch bei den Euro-Scheinen recht wählerisch. Zweitens kann man nur mit 5, 10 oder 20 Euro Scheinen tanken, d.h. manchmal bekommt man den Tank nicht voll, dann wiederum schenkt man der Tankstelle den einen oder anderen Liter. Da dürfte für die Mineralölfirmen bzw. Tankstellenpächter ein ganz nettes Körberlgeld dabei herausschauen, die Tankautomaten geben nämlich nicht retour.
Ich brauchte gerade keinen Sprit, aber Wasser wäre fein gewesen, es war nämlich extrem heiß und etwa 14 Uhr. Und ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren musste.
Dann kam eine Italienerin auf einem Fahrrad vorbei, die gerade telefonierte. Da sie die einzige seit vielen Minuten war, die überhaupt hier vorbei kam, außer natürlich den vorbeiflitzenden Autos, hielt ich sie auf und fragte sie höflich, wo es denn hier nach Cervignano ginge. Sie war etwas unwirsch, dass ich sie während ihres Telefonats anzusprechen wagte und außerdem konnte sie kein Wort Englisch. Sie fuhr dann einfach weiter, telefonierend.

Also zückte ich zum ersten Mal das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte (Danke Michi Bernleitner!). Leider wurde ich damit nicht glücklich. Erstens spiegelte der Bildschirm, zweitens wackelte das ganze Ding so gewaltig, dass während der Fahrt nichts abzulesen war und drittens kam ich mit den Pfeilen zwar zurecht, nicht aber mit den Angaben. Das Navi zeigt nämlich immer die nächste Straße an, ich weiß aber natürlich nicht, ob ich auf der überhaupt fahren will. „500 m geradeaus und dann links abbiegen“ wäre viel besser. Ich habe nun einmal wenig Erfahrung mit Navis und blieb daher bald bei einem Pärchen stehen, das sich gerade bei einem Gebrauchtwagenhändler umsah. Die konnten sogar ein paar Worte Englisch und meinten, ich wäre ohnehin auf der richtigen Straße und müsse nur den blauen Schildern folgen, das wäre quasi die Bundesstraße. Nur grün wäre schlecht für mich, das ist die Autobahn.

Motiviert fuhr ich weiter und war kurz darauf tatsächlich auf der richtigen Straße, der ich jetzt nur bis Jesolo folgen müsste. Es würde zwar noch eine Zeit lang dauern, aber die Vespa lief gut, sprang jetzt auch im Warmzustand gut an und nach einiger Zeit fand ich auch eine Tankstelle mit einem echten Tankwart. Dieser war sogar sehr freundlich und zeigte mir sofort, wo ich Wasser kaufen könnte, nämlich in der bereits offenen Bar daneben.
Es sind diese kleinen Begegnungen, die mich als Alleinreisenden sehr stützen. Sie sind wie Inseln im weiten Meer, denn die Straße ist nicht gerade freundlich zu einem Zweiradfahrer mit einer 39 Jahre alten Vespa. Ständig zischen Autos vorbei, eines größer als das andere. Je flacher die Gegend wurde, desto mehr Geländewagen fuhren herum. Sie sind am aggressivsten, vielleicht haben sie besonders viel zu beweisen, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall überholen sie sehr knapp und bremsen sich dann vor dir stark ein, weil davor schon das nächste Auto fährt. Solche Manöver sind für meine kleinen Trommelbremsen sowie für meine Reaktion immer eine ziemliche Herausforderung.
Die anderen sind auch nicht angenehmer. Sie zittern möglichst weit in Fahrbahnmitte elendslangsam vor dir her und machen sich ständig in die Hose. Wenn ich sie überholen will, steigen sie aufs Gas und fahren noch mehr in Richtung Mittellinie. Was ist los mit den Italienern? Wo sind die ganz normalen Autofahrer, quasi die goldene Mitte? Oder hab ich mir das alles nur eingebildet? Jedenfalls war ich da und dort froh über den einigermaßen starken Motor, mit dem ich hin und wieder flott überholen konnte. Außerdem eignete ich mir langsam die italienische Fahrweise an, die lautet für Roller: seitlich vorbei, auch rechts, den Vorteil des schmalen Gefährts nützen und hoffen, dass sie dich nicht übersehen.

Nach längerer Zeit und ziemlichen Genickschmerzen erreichte ich Jesolo und fuhr dann noch einige Kilometer weiter nach Cavallino. Dann war ich nicht nur langsam selbst am Ende, sondern auch am Ende einer kleinen Sackgasse angelangt und stand vor einem großen Eisentor. Dahinter jedoch sah es wunderbar aus, wobei an diesem sehr anstrengenden Tag jedes Reiseziel wunderbar ausgesehen hätte.

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Bild: Das Haus von Helga und Sigi Karlegger

Ich war in der Ca´Casson angelangt, und die Website verspricht nicht zuviel, wenn sie meint „Bed & Breakfast in einer anderen Welt“. Auf der Website www.karlegger.it finden sich alle notwendigen Informationen. Helga und Sigi haben vor ca. 10 Jahren diesen alten Bauernhof gekauft und komplett umgebaut. Sie haben nicht allzu viele Zimmer und es ist daher notwendig, rechtzeitig zu buchen oder Glück zu haben. Ich hatte das Glück und durfte dort übernachten, zu einem ausgesprochen fairen Preis übrigens. Aber darum ging es nicht. Ca´Casson war mir ein Zufluchtsort, fast ein Stück zuhause, eben eine andere Welt als das Drumherum, nämlich Jesolo in der unmittelbaren Nähe.
Wer hier ankommt, durchschreitet nicht nur ein Tor, sondern findet sich in einer ganz speziellen Atmosphäre wieder. Helga und Sigi sind Südtiroler und Cavallino ist ihre Wahlheimat. Sie betreiben den Hof mit sehr viel Engagement und Liebe und das ist überall zu spüren. Sie haben viele Obstbäume gepflanzt und die Zimmer sind extrem gepflegt und auf sehr hohem Standard.

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Bild: Das Bad

Ich kam als Fremder und wurde sofort als Gast aufgenommen. Das war mir als Alleinreisender nach einer extrem anstrengenden Tagesetappe sehr viel wert. Nach einer Stunde Entspannung kam langsam der Hunger hoch. Helga empfahl mir eine spezielle Pizzeria, denn dort würde es noch echte italienische Pizza geben. Auch die Einheimischen gingen dorthin und die Preise wären sehr fair.
Vorher empfahl sie mir aber noch ein kleines Bad in der Adria. Also ging ich die 900 Meter nach vor zum Strand, der in Cavallino ein freier Strand ist, ganz im Gegenteil zu Jesolo, wo man in einem der vielen Hotels absteigen muss, um den Strand benützen zu dürfen.
Zwei nette Damen waren einverstanden für ein paar Minuten auf meine Sachen aufzupassen und ich konnte schwimmen gehen. Das war herrlich für mein komplett verspanntes Genick und überhaupt für den ganzen Körper.
Ansonsten reißt mir der Strand dort nichts aus. Ein langer Sandstrand, man muss lange waten, bevor er Schwimmtiefe erreicht. Viele Liegestühle, klassische Adria-Strandkulisse, so hatte ich es mir vorgestellt. Viele Kinder, die Muscheln sammeln und Sandburgen bauen. Eltern in gutem Fütterungszustand, meist bundesdeutscher Herkunft und natürlich viele aus Wien.

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Bild: Strand in Cavallino, Adria

Ich machte noch einen kurzen Strandspaziergang, ein etwa zehnjähriger dicker deutscher Bub mit famosem Sonnenbrand versuchte sich als Kaufmann: „Muscheln zu verkaufen, das Stück nur 50 Cent“ plärrte er ständig, aber niemand interessierte sich dafür.

So will und werde ich nie Urlaub verbringen. Beim Heimweg ging ich dann an einer der zahlreichen Wohnwagensiedlungen vorbei, aus dem Sumpf nebenan roch es gar schröcklich und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das ein Genuss ist. Wie grauenvoll muss es erst daheim sein, wenn man im Urlaub das aushält:

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Bild: Wohnwägen, Deichsel an Deichsel

Der Tag war noch nicht zu Ende. Im Garten von Helga sah ich einen seltsamen Vogel herumhüpfen – ein Wiedehopf. Der erste meines Lebens. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen, vor allem nicht das Abendessen (Pizza, nicht Wiedehopf). Ich machte mich nach einer ausgesprochen verdienten Dusche auf den Weg in die Pizzeria La Laterna (www.lalanterna.info) und erlebte mit Freude, dass es in Italien doch noch wirklich gute Pizza gibt. In Wien suche ich das seit Jahren leider vergeblich, auch die Lokale, die früher gute Pizza gemacht haben, können oder wollen es nicht mehr. Entweder bekomme ich die American Pizza mit dickem Teig und noch dickerem Belag aus Kunstkäse und Formschinken, oder eine mit einigermaßen brauchbarem Teig und der richtigen Belagstärke, dafür aber komplett geschmacksbefreit. Wo sind die Pizze, die ich noch in meiner Jugend verzehren durfte, die so herrlich dufteten und noch besser schmeckten? Mit Oregano und fallweise Knoblauch, mit würziger Paradeissauce und Mozarella, der noch richtig Fäden zieht? Alle Tipps für Wien erwiesen sich bisher als Reinfall. Geschmack ist offenbar nicht mehr gefragt, Aussehen reicht – so wie bei modernen Vespas, wo das Design zählt und nicht mehr die Qualität darunter.
In Cavallino bekam ich sie nun, nach vielen Jahren Abstinzenz.
Und die Aussagen, dass Italien so teuer geworden wäre, erwiesen sich als nicht zutreffend. Große Pizza samt zwei Achterln Wein, einem Liter Wasser und dem Gedeck kamen inklusive Trinkgeld auf 17 Euro. In der Hochsaison in einem Lokal, in das zur Hälfte Touristen gehen. Noch Fragen?

Da musste ich beim Gehen noch zum Koch, der allerdings gerade mit einer Pizza beschäftigt war. Sofort kam die Chefin zu mir und fragte mich, was los wäre. Als sie kapierte, dass ich nicht reklamieren, sondern nur das tolle Essen loben wollte, wich der irritierte Gesichtsausdruck und sie freute sich sichtlich.
Satt und zufrieden ging ich nach Hause, die Vespa-Probleme waren in ausreichend weite Ferne gerückt und die Zuversicht wieder spürbar.

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Bild: Sonnenuntergang an der Lagune von Venedig

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 2

Das erste Frühstück auf der Tour gemeinsam mit Heinz und Isabella, danach ein gemütlicher Aufbruch. Wird die Vespa anspringen? Wie wird der heutige Tag verlaufen? Es ist die wahrscheinlich kürzeste Etappe und sie wird mich „nur“ nach Klagenfurt führen.
Leider hat sich am ersten Tag gezeigt, dass der von mir montierte Sitz extrem unbequem ist. Da steht zwar „Piaggio“ drauf und er sieht aus wie ein originaler Sitz einer Sprint, aber die beiden Hauptfedern drücken dermaßen durch, dass es schon am ersten Tag eine Herausforderung war. Ich hatte meine bequeme Denfeld-Bank extra abmontiert, weil ich Angst hatte, dass sie mir gestohlen wird – zwei Schrauben lösen und schon sind 300 Euro beim Teufel, ganz abgesehen davon, dass ich diese Bank nicht mehr wieder bekomme. Sie wurde vor Jahren von einem Deutschen extrem penibel komplett restauriert, mit pulverbeschichtetem Rahmen und Niro-Schrauben. Dann hat ihm die Farbe nicht zu seiner Vespa gepasst und ich konnte die Bank kaufen.

Bei so einer Tour ist nur sehr schwer vorauszusehen, wie die Sicherheitssituation aussehen wird. Die Sprint mit den vielen Chromteilen ist ein extremer Blickfang und Kenner wissen, wie viel Geld da drin steckt. Ein kleiner Lieferwagen bleibt kurz stehen, eine Schiebetür geht auf, vier Herren springen heraus und keine 30 Sekunden später hat die Vespa neue Besitzer.
Dieses Bild bekam ich im Vorfeld leider nicht aus dem Kopf. Ich wollte mir vom ÖAMTC einen so genannten „Carfinder“ ausborgen, das ist eine kleine Kiste, die man irgendwo im Fahrzeug befestigt und die im Falle eines Diebstahls aktiviert wird. Dann kann man die Kiste orten und bekommt ein genaues Satellitenbild des Standorts. Das wäre eine Chance, eine gestohlene Vespa zurückzubekommen, vorausgesetzt der Carfinder wird nicht gefunden, denn man kann ihn eigentlich nur in dem Hohlraum unterm Tank verstecken. Wenn die Vespa zerlegt wird, finden die Diebe die Kiste und dann sieht der Eigentümer das Fahrzeug nie wieder.
Letztlich war nicht klar, ob das Gerät überhaupt ordentlich sendet, wenn es rundherum von Blech umgeben ist und ich beschloss, das Risiko schlicht und einfach einzugehen. Es war sowieso nicht ausschaltbar, trotz einer schweren Sicherungskette, die mir vor allem für Rom empfohlen wurde.

Das Problem war in der Planung ein weitaus größeres als auf der Tour, denn ich musste die Vespa nirgends alleine stehen lassen, mit den beiden Gepäckrollen drauf. Ich hatte in Italien jeweils eine gute und sichere Möglichkeit das Fahrzeug einzustellen und wollte abends sowieso nicht mehr damit herumfahren.

So tat mir also schon am ersten Tag der Hintern gehörig weh und es wird Zeit, für andere Wahnsinnige einige Tipps zusammen zu stellen – vielleicht nützen sie ja einmal irgendwem und nicht jeder muss die gleichen Erfahrungen machen wie ich.

Tipp 1 – die Sitzbank
Sie sollte einigermaßen weich sein, entweder mit entsprechender Polsterung über den Federn oder überhaupt ohne Federn. Christian Höfer empfiehlt die alte Corsa-Bank, hier muss man aber, so wie bei allen Sitzbänken, bei Nachbauten vorsichtig sein. Die sind sogar bei original Piaggio-Bänken nicht gut. Am besten vorher eine Tagestour fahren und schauen, ob die Bank drückt.
Empfehlenswert sind durchgehende Sitzbänke, eventuell sogar ohne Halteschlaufe, die eh noch nie eine Sozia verwendet hat, denn dann kann man problemlos auf der Fahrt die Sitzposition wechseln und etwa nach hinten rutschen. Mit Einzelsitzen habe ich keine Erfahrung, manche schwören drauf, sie haben aber auf jeden Fall den Nachteil, dass man die Position nicht wechseln kann, ebenso wie bei Stufensitzbänken.

Tipp 2 – der Zündunterbrecher
Ich habe mir sowohl bei der GS 150 als auch bei der Sprint in das Gepäckfach in der linken Backe einen Unterbrecherschalter eingebaut. Die Sprint hatte ja nie ein Zündschloss und auch keine Batterie, daher kann jeder die Vespa anstarten. Wenn man dann noch mit einem gezielten Fußtritt das Lenkradschloss durchbricht, kann man frisch und fröhlich davon fahren. Der Unterbrecherschalter wird einfach zwischen das Zündkabel gesetzt (bei der PX und bei vielen anderen Modellen grün) und in das Seitenblech im Gepäckfach eingebaut. Das hält nicht alle Diebe ab, aber Jugendliche bei einer Mutprobe oder Gelegenheitstäter haben es deutlich schwerer. Wichtig: selbst nicht darauf vergessen, sonst startet man sich dumm und dämlich und flucht, weil das Ding nicht anspringt.

Ein dickes Handtuch über der Sitzbank könnte die Lösung für das Schmerzproblem meines Hinterns sein und so konnte der zweite Tag beginnen. Schon am ersten Tag musste ich von Anfang an die Regenjacke verwenden, weil meine Air-Flow-Protektorjacke keinerlei Wind- und Wärmeschutz bietet. Es ist Zeit für den nächsten Tipp.

Tipp 3 – der Helm
Eine sehr individuelle Frage, ich kann nur über meine eigenen Erfahrungen berichten. Ganz abgesehen davon, dass ich stets einen Vollvisierhelm empfehle, auch wenn der bei Hitze sicher nicht ganz so bequem ist wie einer der smarten und feschen City-Helme. Allerdings heißen die nicht umsonst so, denn sie sind für lange Überlandfahrten eigentlich nicht geeignet. Das weiß man ab dem ersten Regenguss, wenn einem trotz Visier die Sauce ins Gesicht peitscht. Auch die zahlreichen Insekten, die man bei höherer Geschwindigkeit mit voller Wucht abbekommt, können durchaus überzeugen. So ein fetter Käfer tut im Gesicht ordentlich weh.
Ich verwende einen Klapphelm, weil ich Brillenträger bin. Mit meinem neuesten Helm bin ich mehr als zufrieden und habe vor allem das mit einem Griff herunterklappbare Sonnenvisier zu schätzen gelernt. Früher wollte ich das nicht, jetzt hat sich meine Einstellung ins Gegenteil gekehrt. Das Sonnenvisier ist viel größer als eine Sonnenbrille und kann in einem Tunnel einfach hochgeklappt werden. Es bietet außerdem einen guten Insektenschutz und ich bin fast die gesamte Strecke mit offenem Hauptvisier gefahren, das hat wunderbar funktioniert.

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Bild 10: Klapphelm mit Sonnenvisier

Die Italiener fahren fast ausnahmslos Cityhelme, auch außerhalb der Stadt, selbst auf großen schweren Maschinen. Sie haben überhaupt eine andere Einstellung zur Sicherheit, denn sie fahren mit Shirt und Flip-Flops, zumindest bis zum ersten Unfall. Um auf den Helm zurück zu kommen: In meinem ersten Vespa-Buch bin ich auf dieses Thema schon genau eingegangen, daher gibt es hier nur eine Zusammenfassung des wichtigsten Gedankens: Bei einem Unfall ist mit einem City-Helm oft das Gesicht kaputt und es stellt sich die Frage, ob da die paar Schweißtropfen zusätzlich und der scheinbar verminderte Coolness-Faktor das Risiko wert sind. Ich habe mich an den Klapphelm gewöhnt und bleibe dabei.

Tipp 4 – die Jacke
Ich verwende nur Jacken mit Hartprotektoren, auch wenn mir ständig versichert wird, dass die weichen auch toll wären. Ich hatte einen Sturz mit nur 30 km/h und da hat es mir sogar die harten Protektoren an Schultern und Ellbogen zerstört. Eine Alternative sind übrigens die Motocross-Protektoren, die man unterhalb einer normalen Jacke anziehen kann. Sie sind aber ein zusätzlicher Teil, mit dem man hantieren muss und zum schnellen Ausziehen bei der Mittagspause nicht ganz so komfortabel, dafür sicherer, weil sie weniger verrutschen als die Protektoren in einer Jacke.
Vor einer Tour ohne Protektorenjacke kann ich nur dringend abraten, auch wenn es heiß ist. Dafür gibt es die Air-Flow-Jacken, das sind tadellose Protektorenjacken mit Netzeinsätzen, die eine sehr guten Luftzirkulation ermöglichen und die ich bis knapp 40 Grad Außentemperatur auf 2.800 km testen konnte. Gegen Wind und Kälte braucht man dann noch eine Windjacke, den zusätzlich mitgenommenen Pullover brauchte ich auf der Tour gar nicht. Allerdings hatte ich die ganze Zeit über heißes und sonniges Wetter, glücklicherweise.

Von St. Ruprecht ging es über eine schöne Landstraße bis Graz. Dort fand sich eine nette Dame in einem roten Ford Ka, die mich durch die City lotste. Vielen Dank an dieser Stelle, ihr gebührt der Rang der ersten Weghilfe auf dieser Tour. Graz kann man leider nicht umfahren, zumindest nicht auf einer einigermaßen durchgängigen Straße.
Ein paar ordentliche Kurven führten mich hinauf auf den Steinberg. Nachdem ich ein Straßendienstfahrzeug überholt hatte, hörte ich plötzlich ein lautes Scheppern und ein hartes dauerhaftes Kratzgeräusch. Sofort stehenbleiben, nachschauen – was war da los? Nun, es handelte sich schlicht und einfach um Panne Nr. 2, der rechte hintere Sturzbügel hatte sich gelöst. Und ich hatte im Pech gleich auch Glück, denn die Straße war eben. Der Bügel hatte sich nämlich vorne gelöst und rodelte am Boden dahin. Bei einer Kante auf der Fahrbahn wäre er eingespitzt und das hätte böse ausgehen können.
Was war passiert? Die Schraube, mit der ich den Bügel angeschraubt hatte, war seit fast sieben Jahren oben und hatte sich noch nie gelöst. Ich achte immer sehr genau darauf, dass sie auch fest sitzt, damit genau das nicht passiert. Das sie mit einem Sprengring gesichert war, versteht sich von selbst. Das nächste Bild zeigt, wie der Sturzbügel aussah, als er auf der Fahrbahn schlitterte:

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Bild 11: Sturzbügel, nicht mehr ganz in Position

Ich werde nie herausfinden, warum sie sich gelöst hat, aber so etwas dürfte einfach zu einer langen Tour gehören. Es sollte auch nicht der letzte Schaden sein, der durch die harte Beanspruchung des Materials auftrat. So etwas lässt sich auch im Vorfeld nur schwer bis gar nicht ausschalten, es passiert einfach. Das gehört zum Fahren mit einer knapp 40 Jahre alten Vespa dazu, so viel habe ich lernen müssen.
Also Sturzbügel wieder draufstecken – leider steht er etwas unter Spannung und daher muss ich ihn mit dem rechten Fuß in die Halterung pressen, selbstverständlich ständig, also auch während der Fahrt. Da das auf lange Sicht keine erfreuliche Perspektive ist und ich in dieser Position auch nicht die Fußbremse bedienen kann, ist eine Werkstatt gefragt. Irgendwann später, viel später werde ich mich daran erinnern, dass ich in einem ruhigen Moment in der Planung ja ein Säckchen mit Schrauben eingepackt habe. Da wäre auch eine 6er-Schraube dabei gewesen, aber bitte, im Fahrstress kann das passieren.

Dem Voraneilenden ist das Glück manchmal hold und schon nach zwei bis drei Kilometern entdecke ich am Wegesrand eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt. Drei Herren im Blaumann versuchen gerade einen Ölfilter zu lösen, der sich festgefressen hat. Ich unterbreche die Kaskade steirischer Flüche und bitte um eine 6er-Schraube. Der Meister persönlich gibt sie mir und ist begeistert, als er meine Vespa sieht und von den Romplänen erfährt. „Erst vor drei Jahren hab ich meine GS 160 verkauft und ich bereue es seitdem“ meint er.
Ich bedanke mich und spende fünf Euro für die Kaffeekassa, was mit einer kurzen Kaskade Dankesbellen beantwortet wird.

Weiter geht die Fahrt, mit frisch befestigtem Sturzbügel zieht das Gerät doch gleich ganz anders an. Allerdings nur bis ca. 80, dann fängt der Motor zu stottern an und nimmt kein Gas mehr an. Wie unschwer zu erraten, handelt es sich dabei um Panne Nr. 3. Nun, ein herabgefallener Sturzbügel ist das eine, ein Motorproblem etwas ganz anderes, da ist es meist nicht mit einer Schraube getan.
Ich fahren vorerst einmal weiter, vielleicht gibt sich das Problem ja. Nur der Gedanke an die Ursache lässt mich nicht mehr los, vor allem weil das Stottern nicht aufhört, sondern eher stärker wird.
Vielleicht bekommt sie zu wenig Benzin? Es könnte an einem zu langen Benzinschlauch liegen und wenn der Tank schon eher leer ist – was ja gerade der Fall war – dann kann das Eigengewicht den Sprit nicht mehr in ausreichenden Mengen zum Vergaser bringen. Das wäre eine logische Erklärung und ob sie zutrifft, wird sich nach dem Tanken zeigen.

In Köflach fülle ich die Kiste randvoll und hoffe, dass das Problem dadurch behoben ist, vor allem weil es jetzt auf die Pack hinauf geht. Vorsichtshalber rufe ich noch Rudi, meinen Gastgeber in Klagenfurt, an und berichte ihm kurz von meinem derzeitigen Problem und dass es sein könnte, dass meine Romreise ein jähes Ende hat.
Aber so weit war es noch nicht und nach dem Starten zeigte sich: kein Stottern mehr, der Motor zieht gut. Ich beschließe, mir das zu merken und ab jetzt immer rechtzeitig voll zu tanken. Aber ein wenig wundert es mich schon – der Benzinschlauch ist seit Einbau des Motors unverändert drauf und hat nie Probleme gemacht. Was ist da wirklich los?

Die Pack ist anspruchsvoll, doch zu meiner Beruhigung komme ich vorher noch in Edelschrott durch. Warum ich das erwähne? Ohne bestimmten Grund, mir gefällt einfach der Name sehr gut.

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Bild 12: ein Willkommensgruß

Die Pack war früher das Tor nach Kärnten und unter Fernfahrern gefürchtet, da es keine Alternative und natürlich noch keine Autobahn gab. Also quälte sich der gesamte Verkehr über die schmale, kurvenreiche und teilweise recht steile Straße. Vor allem auf der Kärntner Seite ist sie mit etlichen Serpentinen gespickt und recht anspruchsvoll, vor allem bei Nässe, die mir jedoch glücklicherweise erspart blieb, da das Wetter ständig schöner wurde.
Heute spielt sich alles auf der Autobahn ab, mir kam über den gesamten Anstieg genau ein Auto entgegen, was zum Vespafahren sehr angenehm ist.
Oben gibt es noch ein bis zwei alte Wirtshäuser, früher sicher Goldgruben, heute am Ende.

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Bild 13: Gasthof auf der Pack

Hinunter geht es flott und ich biege in das schöne Lavanttal ein, um gleich darauf in Frantschach zu landen, das aufgrund seiner Papierfabrik nicht ganz so lieblich ist. Da mir schon der Hintern weh tut, wird es Zeit beim ADEG zu halten und ein Mittagessen zu kaufen. Ich beschließe dasselbige irgendwo auf der Strecke zu verzehren – wo es mich gerade freut bzw. ein schönes Plätzchen ist.
Ich finde es vor einer großen Kirche in St. Andrä und genieße die Sonne und die gut laufende Vespa.

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Bild 14: Mein Mittagsbankerl

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Bild 15: Vespa vor Kirche – kleiner, aber schöner. Und es erinnert mich an den alten Leitspruch eines guten Freundes: Kirchen von außen, Berge von unten, Kneipen von innen.

Die Sache mit dem schlechten Sitz ist besser geworden, weil ich den Rucksack leichter gemacht habe. Dafür habe ich jetzt eine zweite Gepäckrolle vorne drauf, was sehr tourenmäßig aussieht und vom Gewicht okay geht. Entscheidend ist aber das Handtuch, das ich untergelegt habe und das bei jedem Mal Absteigen runterfällt und bei jedem Mal Aufsitzen verrutscht. Aber man kann nicht alles haben im Leben, schon gar nicht, wenn man mit der Vespa nach Rom fährt.

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Bild 16: Die startbereite Vespa mit zwei Gepäckrollen

Der Rest der Fahrt verlief unspektakulär und ich erinnerte mich beim Überqueren des Griffener Bergs an die Zeit meines Studiums in Klagenfurt, als die Autobahn noch in Wolfsberg aufhörte. Heute ist auch der Griffen verwaist, ich zog ganz alleine durch die Serpentinen.

Gegen 13 Uhr 45 erreichte ich Klagenfurt und freute mich, gut bei meinem lieben alten Freund Rudi angekommen zu sein. Wir kennen uns seit meinem Gruppendynamikstudium und zwar seit 23 Jahren. Wenn ich in Klagenfurt bin, erfreue ich mich seiner Gastfreundschaft und umgekehrt. Nach einer kurzen Entspannung rief ich meinen lieben Vespafreund Michi Tscheitschonigg an und wir vereinbarten, später gemeinsam mit den Vespas nach Viktring zu fahren zwecks Abendessensaufnahme. Seine Freundin plus ein weiteres Pärchen wären auch noch mit der Vespa dabei, so meinte er.

Es sollte ein sehr feiner Abend werden, wir konnten lange fachsimpeln und langweilten die Damen nicht allzu sehr. Gegen 21 Uhr starteten wir unsere Kisten und ich meinte, ich würde lieber über die Uni heimfahren, das wäre ein netter Weg. So beschlossen wir spontan, noch in der Garage von Thomas vorbei zu schauen, der dort seine Vespasammlung hat und die außerdem an seinem Heimweg liegt.

Nachdem wir seine feinen Vespas (für Kenner: alle im O-Lack!) bestaunt hatten, starteten Michi und ich noch einmal unsere Vespas und fuhren hinaus auf die Hauptstraße. Plötzlich ein feines Knacken und mein Motor heulte auf wie verrückt. Reflexartig drückte ich den Unterbrecher und wusste: Scheiße, das Gasseil war gerissen. Jetzt standen wir bei Panne Nr. 4 und das mitten in der Nacht. Michi hatte das Aufheulen meines Motors noch gehört und wusste auch, was los war. Sofort rief er Thomas an und bat ihn, noch einmal zur Garage zurück zu kommen, seine Hilfe wäre gefragt. Ich hatte nämlich die Stirnlampe nicht mit dabei und in seiner Garage gab es ausreichend Licht für die Reparatur.
Vier geschickte Hände und das richtige Werkzeug ermöglichten einen schnellen Tausch des Gasseils. Doch damit war das Problem nicht wirklich behoben, denn das alte Gasseil war noch nicht sehr alt. Ich hatte in Wien noch überlegt, den Bowdenzug zu tauschen, damit genau das nicht passieren würde. Jetzt bereute ich meine Faulheit und wusste, dass das Gasseil voraussichtlich bald wieder reissen würde. Aber wann? Würde ich nach Rom und wieder zurück kommen? Oder würde der schlimmste Fall passieren, nämlich ein Riss mitten in einem langen Tunnel? Da mir Thomas ein Gasseil von sich spendierte, hatte ich jetzt noch eines in Reserve – das könnte knapp werden, vor allem, weil ich die Beanspruchung noch nicht abschätzen konnte. Wie kaputt war der Bowdenzug innen bereits? Wie schnell würde sich das neue Seil durchscheuern? Die Vespa hat den großen Lenker von der gtr bzw. Rally und der hat eine Schwäche durch eine blöde Biegung des Bowdenzuges. Jedenfalls ließ sich der Gasgriff auch mit neuem Seil, das sogar frisch eingefettet wurde, ich hatte ja alles mit, nicht leicht drehen. Ich hasse aufgelegte Defekte, die mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten werden, nur weiß man nicht wann und wo.

Allerdings konnte ich dieses Problem jetzt nicht beheben und war froh über das Glück, dass mir das Seil nicht fünf Minuten später gerissen war, irgendwo in Klagenfurt, bei schlechtem Licht und ohne Hilfe.
Der Schnitt an Defekten hatte sich jetzt bei zwei pro Tag eingependelt – deutlich zu viel, um Rom ohne allzu großen Aufwand erreichen zu können. Das wären noch weitere 6-10 Pannen und die Chance, dass eine entscheidende, die Weiterfahrt stoppende dabei sein würde, war entsprechend groß.

Allerdings konnte ich auch dieses Problem jetzt nicht lösen und so beschloss ich, einfach weiter zu fahren – zumindest heute hatte ich ja nicht mehr weit. Und ich beschloss auch, nach Möglichkeit nicht mehr in der Dunkelheit zu fahren. Und ein Danke, ein großes Danke an Thomas, der mir mit seiner schnellen und ausgesprochen kompetenten Hilfe sowie seiner ruhigen und selbstsicheren Art ein großes Stück weiter geholfen hat. Ich war im Moment der Panne nicht allein, das macht schon viel aus.

Wenn ich an dieser Stelle meine sozialwissenschaftliche Brille aufsetze, ergeben sich noch ein paar interessante Aspekte. Wir finden hier das Clan-Phänomen, das in der Soziologie einen wichtigen Stellenwert hat. Die Menschen entwickelten schon seit Anbeginn ihrer Entwicklung Organisation. Die heute gebräuchliche Hierarchie (übersetzt „Heilige Ordnung“) ist in der jetzigen Form ca. 10.000 Jahre alt, die andere Form der Organisation, nämlich die Gruppe, gibt es schon sehr viel länger. Menschen haben Fähigkeiten entwickelt Gemeinschaft zu bilden und dies seit mehreren Millionen Jahren. Schon unsere gemeinsamen Verwandten, die Menschenaffen, haben hier erstaunliche Mechanismen. Beim Menschen ist das noch wesentlich ausgeprägter. Die wichtigsten Werkzeuge, die wir derzeit entwickeln, sind solche zur Kommunikation. Wir sind oft mit unseren eigenen Entwicklungen überfordert – junge Italiener etwa können kein Wort Englisch, besitzen aber in jedem Fall ein Smartphone. Apple muss sich dumm und blöd verkauft haben mit iPhones, zumindest in Italien. Kommunikation erzeugt Bindung und Bindung mehrerer erzeugt Gemeinschaft.
Es gibt auch eine Gemeinschaft der Vespa-Fahrerinnen und -fahrer. Sie erkennen einander an einem speziellen Symbol, nämlich dem Fahrzeug. Das war auch das erste, was Silvio aufgefallen ist, noch bevor er den dazu gehörenden Menschen überhaupt zu Gesicht bekommen hatte – schließlich hatte ich meinen Helm auf. Dieses Zeichen erlaubt eindeutige Zuordnung zu einer Gemeinschaft, die über die reine Gruppenform hinaus reicht. Gruppe ist immer auf maximal fünfzehn Personen limitiert. Wir haben nicht die Fähigkeiten mit mehr als vierzehn weiteren Personen direkt zu kommunizieren, das hat sich in unserer Entwicklung als sinnvoll herausgestellt und uns somit evolutiv geprägt.
Indirekte Kommunikation, also über mehrere Ecken quasi, ist uns mit sehr viel mehr Menschen möglich. Ein Vorteil in der Menschheitsentwicklung bestand darin, anonym zu kommunizieren. Diejenigen Menschen, die diese Fähigkeit erlernten und gemeinsam ausüben konnten, hatten einen Vorteil gegenüber anderen und setzten sich im Evolutionskampf letztlich durch. Der Homo sapiens ist so ein Exemplar.
Wir haben es gelernt, aufgrund von Zeichen und Symbolen fremde Menschen nicht als Feinde zu betrachten. Das ist die Grundvoraussetzung um mit ihnen nicht-kriegerisch zu kommunizieren. Wenn das nicht geht, so lehrte uns die Geschichte, dann muss man sich auf einen Kampf einlassen und hoffen, der Stärkere zu sein. Das lernten wir über viele Jahrhunderttausende und diese Muster sind noch sehr tief in uns versteckt. So tief, dass wir sie nicht beliebig ausschalten oder schnell verändern können.
Das hat negative, aber auch sehr positive Seiten. Die „Ketten“ indirekter Kommunikation etwa können länger werden, fast beliebig lang sein. Man kann mehrere tausend Facebook-Freunde haben, ohne sie zu kennen. Man kann auch eine spontane, freundschaftliche Unterhaltung mit einem Menschen aus Australien anfangen, der an der Kreuzung mit seiner Vespa neben meiner stehen bleibt – selbst wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. Die Kommunikation wird dann zwar eingeschränkt sein, läuft aber auf der gleichen Basis ab.
Ich bekam bei Silvio durch die Vespa sozusagen einen Vertrauensvorsprung, der die erste Kommunikationshürde automatisch überwinden konnte. Natürlich kann man sich auch auf der Straße spontan mit einem Australier (oder irgend einem Fremden) unterhalten ohne das gemeinsame Zugehörigkeitssymbol Vespa zu brauchen, aber dann gibt es andere Symbole, etwa ähnliche Kleidung oder eine bestimmte kulturelle Handlung oder was auch immer. Es ist sogar ohne jedes Symbol möglich, leichter wird es aber, wenn eines vorhanden ist. Noch leichter, wenn ebendieses ein starkes Symbol ist. Der berühmte französische Soziologe Claude Levi-Strauss hat darüber sein Buch „Totem und Tabu“ geschrieben. Auch bei der Vespa handelt es sich um ein „Totem“, also um ein Symbol der Clan-Zugehörigkeit. Menschen des gleichen Totems können einander vertrauen, sie gehören zusammen, haben quasi die gleiche „Ur-Mutter“. Sie sind fast wie Geschwister. Wichtig ist hier die eindeutige Erkennbarkeit des Totems, und das ist bei der Vespa sehr klar.
Man muss hier zwischen alten (Handschaltung) und neuen (Variomatik) Vespas unterscheiden. Das sind zwei verschiedene Totems, die einander nur in manchen Punkten ähnlich sind. Deswegen grüßen sich die FahrerInnen alter Vespas sehr oft, die von neuen nicht. Okay, es gibt so viele neue, dass das schwierig wäre, aber das zeigt nur, dass ein Identifikationsmerkmal stärker heraustritt, nämlich das der Seltenheit. Die neuen Variomatik-Vespas (Modelle GT, GTS und LX sowie S) werden zu einem guten Teil in China oder sonstwo gefertigt, sie haben nicht mehr die gemeinsame italienische Ur-Mutter. Früher kamen alle Vespas (außer die Lizenzbauten) aus Pontedera in Italien, wenngleich Piaggio auch damals schon Teile von Spezialfirmen zuliefern ließ, aber auch die waren meist italienisch. Die Qualität der Ersatzteile war auf einem hohen und gleichmäßigen Standard – alles Merkmale einer kräftigen und eindeutig identifizierbaren Ur-Mutter, eine klare Totem-Sichtbarkeit sozusagen.
Fahrer alter Vespas helfen einander in der Not – das ist zumindest ein Zeichen gemeinsamer Clanzugehörigkeit.

Das hat sich stark geändert und damit wurde die Kraft des Totems stark geschwächt. Es ist die Frage, ob die Kraft der Marke Vespa, von der Piaggio derzeit noch enorm profitiert, die Kraft des Totems ersetzen kann. Das wird erst die Zukunft zeigen, denn unsere Welt verändert sich ständig und auch die Evolutionsgeschichte wird weiter geschrieben.

Eine alte Vespa zu fahren liefert ein klares Zeichen an die Umwelt. Das ist keine Garantie überall freundschaftlich aufgenommen zu werden, aber es erhöht die Chancen. Ich konnte dies auf meiner Reise vielfach erfahren.

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 1

In den folgenden Tagen berichte ich über meine Romreise – 100 % Abenteuer, 0 % Urlaub.

Ich hatte die Romreise schon für Sommer 2011 geplant, leider lief der dafür vorgesehene Motor meiner Vespa Sprint nicht so, dass ich auch nur an so eine Reise hätte denken können.
Heuer im Frühjahr war es dann soweit. Der Motor lief zufriedenstellend und auch der Rest der Vespa war quasi bereit für die lange Reise. Knapp drei Wochen im August sollten es werden – alleine, denn so eine Tour tut sich nicht so schnell wer an bzw. ist verrückt genug dazu.

Mein Zeitfenster öffnete sich am 28. Juli und schloss sich am 1. August, ich hatte also fünf Tage Zeit um aufzubrechen. Das Wetter sollte für die Wahl des Starttages ausschlaggebend sein und so begann es am Montag, den 30. Juli in der Früh. Bewölkung gab es reichlich, aber laut Vorhersage sollte es bis auf wenige Ausnahmen trocken bleiben und in den nächsten Tagen dann langsam immer schöner werden.

Bevor ich über die Fahrt berichte, möchte ich kurz den Hintergrund schildern. Was treibt mich zu so einer Aktion, die von vielen meiner Freunde mit „Wahnsinn“ und „verrückt“ locker kommentiert wurde?

Der Traum

Die Basis ist ein uraltes Bild, das sich in meinem Kopf festgesetzt war und aus dem heraus die Idee entstand. Es ist das Bild der Via Appia Antica, auf der ich vor 28 Jahren gemeinsam mit meiner Schulklasse im zarten Alter von siebzehn spazierte. Bei einem kleinen Alimentari kaufte ich mir damals zwei Panini mit Mortadella und eine Flasche Wasser (damals noch aus Glas) und dann saßen wir auf einem Jahrtausende alten Stein und machten eine kleine Pause.

Diese Bild wurde mit den Jahren immer stärker und nährte die Sehnsucht, diesen Ort wieder zu besuchen. Natürlich wäre das in Begleitung noch feiner gewesen, aber es ergab sich halt nun einmal nicht und so wurde klar, dass ich diese Reise alleine würde unternehmen müssen. So hatte ich als Begleitung die Einsamkeit, immerhin besser als gar niemand.

Eine Motivation bot mir Peter Moore, ein australischer Globetrotter und Autor, der kurz vor seiner Hochzeit eine alte Vespa kaufte und mit ihr ein paar Wochen lang durch Italien fuhr – und natürlich kam er auch bis Rom. Seine Bücher waren mir nicht nur Ansporn für mein eigenes erstes Vespa-Buch, sondern zeigen auch den Weg eines Mannes, der ein guter sein dürfte. Er machte seine erste Vespa-Tour (es folgte noch eine zweite kurz vor der Geburt seiner Tochter) als eine Zäsur, als deutliches Zeichen für den Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt.

Etwas geht zu Ende, etwas Neues fängt an – der Übergang ist nicht immer einfach, oft mit Selbstzweifeln und Ängsten besetzt. Peter Moore hat sich den Weg ein wenig leichter gemacht, indem er sich einen alten Traum aus seiner Jugend erfüllt hat. So wie ich hatte er auch ein Bild vor Augen: Marcello Mastroianni auf einer alten Vespa, der gerade am Abend in den Ort hinunter fährt, um sich dort in einem kleinen Café oder einer Bar mit netten Leuten zu treffen. Deswegen nannte er seine zweite Vespa auch „Marcello“ und fuhr mit ihr durch Sardinien, Sizilien und wieder hinauf bis Rom.

Mein eigenes Bild es das der Via Appia Antica. Es ist ein sehr friedliches Bild mit viel Grün und einer uralten Straße mit viel Vergangenheit. Hohe Bäume säumen die Straße, die es in dieser Form schon seit mehr als zwei Jahrtausenden gibt.

In meinem Traum ist es Sommer, oder Frühling wie 1984. Der Frühling hat den Vorteil, dass alles blüht und grün ist. Dafür ist es noch ein wenig kühler und vom Wetter her unbeständig. Ich wünsche mir Sonnenschein und keinen Regen. Da es ruhig warm sein darf und ich im Sommer eher Zeit finden werde, ist es Sommer in meinem Traum. Da darf das Gras schon ein wenig gelb sein, der Himmel blau und die Zypressen dunkelgrün. Die Landschaft dort ist sehr kontrastreich, beginnt urban und wird dann schnell ländlich. Die Via Appia Antica ist 18 km lang und ich möchte sie gerne komplett abgehen.

Ich möchte gerne störungsfrei nach Rom kommen. Dieses Wörtchen ist wichtig. Ich bin nicht mehr zwanzig und will nicht an jeder Ecke eine Panne haben, auch wenn das immer ein Abenteuer verspricht. Die Reise wird so und so Abenteuer genug, auch ohne Störungen. Ich werde versuchen, kleineren Pannen einigermaßen vorzu-beugen, indem ich eine Menge Ersatzteile und Werkzeug mitnehme. Inzwischen bin ich auf diesem Motor so gut eingearbeitet, dass ich viele Pannen selbst beheben kann. Ich habe ihn schließlich selbst aufgebaut.
Mit Störung ist aber auch die Gefahr des Diebstahls gemeint. Das ist in Italien nicht ganz von der Hand zu weisen, vor allem, wenn man ein so auffälliges Gefährt wie das meine hat. Ich habe unendlich viel Arbeit und Geld investiert und möchte die Vespa weder durch Langfinger noch durch einen Unfall verlieren.

Daher wird es notwendig sein, die richtigen Unterschlüpfe zu finden, also Möglichkeiten, wo ich sie sicher abstellen kann. Zu meinem Traum gehören kleine Pensionen mit freundlichen Menschen, die einen Suchenden wie mich aufnehmen, für eine Nacht oder zwei.

Die Planung

Ohne ordentliche Planung kann das nicht funktionieren – so viel war mir klar. Es war aber auch wichtig, eine echte italienische Reise daraus zu machen, also die Quartiere nicht schon von Wien aus zu buchen. Ich würde sowieso nicht wissen, wie weit ich jeweils komme und auch die Route war nur teilweise planbar. Wie sich später herausstellte, fuhr ich komplett anders als ich vorher dachte, so in Wien vor dem Computer sitzend.

Der mit Abstand wichtigste Teil der Planung betraf die Vespa und da wiederum das Herzstück, den Motor. Ich hatte vor einem Jahr einen 200er aus Einzelteilen komplett neu aufgebaut, mit Originalzylinder und leichten Verbesserungen. Es sollte eine langstreckentaugliche Maschine werden, mit ein bisschen mehr Kraft als das Original, nicht zu hohem Verbrauch und vor allem standfest. (für die Technik-Interessierten: O-Tuning, also Originalzylinder mit aufgemachten Überströmern, optimiertem Kolben, Gravedigger-Kopf mit verbessertem Brennraum und Quetschfläche, gelippte 60er Langhubwelle vom Polinist, Vergaser gefräst, Einlass gefräst, Zylinderauslass optimiert plus SIP Road Auspuff)
Das ergibt insgesamt etwa 15 PS gegenüber 12 im Original. Eine 125er hätte 5,9 PS und wäre nur sehr bedingt tauglich für so eine Reise, außer man hat extrem viel Zeit und braucht keine Kraftreserven.

Im Frühjahr war es dann soweit, ich erklärte den Motor für fahrtauglich, natürlich ohne zu wissen, wie er sich auf knapp 3000 km Langstrecke verhalten würde. Ein neuer Stoßdämpfer hinten, gecheckte Bremsen, Elektrik wunderbar funktionierend – alles war bereit. Ich hatte mir als Weihnachtsgeschenk selbst noch eine Staubox geschenkt, die vorne innen in der Schürze montiert wurde. Da die Sprint links hinten keinen Reservereifen, sondern ein Staufach in der Seitenbacke hat, war ich nun mit zwei (versperrbaren) Fächern ausgerüstet. In die Backe kamen sämtliche Ersatzteile sowie das Werkzeug, in das vordere Staufach die schwere Absperrkette, ein Reservekanister mit zwei Litern Fassungsvermögen sowie das Öl und das Fahrtenbuch. Das sollte laut meiner Planung reichen und mir einige Reserven für eventuelle Pannen bieten. (auch hier wieder die Liste für die Techniker. Ersatzteile: Seile, Zündgrundplatte, Blackbox/Elektronikzentrale, Vergaserdüsen, Halbmondkeile, diverse Schrauben in allen Größen, Nipperl, Birnen bzw. Sofitten, Zündkerzen, Zündkerzenstecker, ein Satz Simmerringe, Kabelbinder, Schlauch für den Reifen, ein dünner 2m-Schlauch zum Benzinabpumpen, eine kleine Spritze mit Schmierfett, ein Elektrokabel, ein rotes Blinklicht/Rücklicht mit Batterie; Werkzeug: div. Schraubenzieher inkl. dem kleinen, mit dem man das Gasseilnipperl im Lenkerkopf festdrehen kann, Gabelschlüssel, Stecknuss-Satz, Schwungscheibenabzieher, Schwungscheibenhalter, Kupplungshalter, Gummihammer, Kombizange, Flach/Spitzzange, Kerzenbürste sowie eine Kopftaschenlampe.)

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Bild 1: Ersatzteile

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Bild 2: Werkzeug

Es gab einige Teile, die ich leider nicht mit hatte, dazu später mehr.

Der Start

Bewölkter Himmel plus das Gefühl, einfach los zu müssen. Ein Abschiedsfoto mit der fertig gepackten Vespa.

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Bild 3: Das Startfoto

Ich hatte einen Rucksack für alle Wertgegenstände, das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte, Karten sowie Essen und Wasser, Fotoapparat, Sonnenbrille etc.
In einem großen, wasserdichten Sack hatte ich das Gewand, Kulturbeutel und noch einige Dinge, von denen ich mir sicher war, dass ich die Hälfte nicht brauchen würde.

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Bild 4: Vespa, fertig gepackt für die Abreise

Was ich an diesem Morgen noch dabei hatte, war ein gewisses Reisefieber, jedoch nicht allzu stark und wahrscheinlich normal für eine Fahrt ins Ungewisse.
Die erste Etappe führte mich nur bis St. Ruprecht an der Raab (gleich bei Gleisdorf und nicht weit von Graz) zu meinem lieben alten Freund Heinz Bauer und seiner Isabella. Ich hatte noch nie die Gelegenheit sie dort zu besuchen und durfte mich für eine Nacht einquartieren. Das war ein Ziel, auf das ich mich schon sehr freute und das auch in einer sinnvollen Distanz lag. Auf der Autobahn wären das nur ca. 180 km gewesen, ich hatte aber die Kombination mit einer alten und gerne gefahrenen Motorradroute vorgesehen, auch um zu testen, wie es dem Motor unter Bergstraßenbeanspruchung gehen würde.

Nach dem Start um 9 Uhr ging es über Purkersdorf und den Wienerwaldsee nach Hochroterd, dann nach Klausenleopoldsdorf und nach St. Corona am Schöpfl. Der dortige kleine Pass war auch der erste Halt und zugleich der Ort der ersten Panne. So schnell hatte ich das nicht erwartet, doch zum Glück war es nichts Schlimmes. Es hatten sich die Befestigungsstangen des hinteren Gepäckträgers losvibriert und eine war bereits verschwunden. Das ist auch keine besonders schlaue Konstruktion, vor allem, weil sie sich unter dem Gewicht der Gepäckrolle ständig verändert und nur schwer ausreichend zu fixieren ist.

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Bild 5: Die Befestigungsstange, die noch übrig ist

Bis Gleisdorf würde der Gepäckträger auch ohne die Stangen halten und dort würde ich ihn dann mit einem Spanngurt festzurren. So wäre dann die erste Panne erfolgreich behoben.
Dunkle Wolken deuteten an, dass mich das Wetter eventuell doch nicht ungeschoren (besser: ungewaschen) bis nach St. Ruprecht kommen lassen würde, aber vorerst blieb es trocken. Das war übrigens eine meiner größten Ängste, daher auch das Zeitfenster, um dem Regen zu entkommen: Ich mache mir bei Nässe ziemlich in die Hose. Insgesamt bin ich in 13 Jahren Zweiradfahren 12 Mal gestürzt und fast jedes Mal bei Nässe, weil mir das Vorderrad weggerutscht ist. Eine Vespa hat noch dazu eine ziemlich miese Straßenlage, kleine Reifen (10 Zoll) und ist daher besonders anfällig. Da das für mich puren Stress bedeutet, hatte ich mir geschworen bei Regen sofort eine Pause in irgend einem Wirtshaus zu machen und abzuwarten, bis der Regen vorbei und die Straße wieder trocken ist. Bei einem ordentlichen Tiefdruckgebiet kann das allerdings ein paar Tage dauern, während ein Gewitter keine große Katastrophe ist, außer es erwischt mich gerade auf einer Passhöhe und die Abfahrt wird zur Rutschpartie.
Und ich kenne mich: ich werde dann sehr ungeduldig, wenn es regnet, und möchte so schnell wie möglich weiter. Das Wirtshaus, in dem ich in solchen Fällen strande, ist nicht das Ziel und dort hält mich auch wenig.
Kurz und gut: Die bessere Variante bestand darin, gar nicht erst in den Regen zu kommen.

Über Altenmarkt ging es nach Berndorf und von dort über den so genannten „Hals“ nach Pernitz und weiter nach Gutenstein. Die Vespa lief prächtig, allerdings ging langsam der Sprit zur Neige. Ich erinnerte mich, dass es in Gutenstein eine Tankstelle gibt. und machte mir keine Sorgen. Bis ich an der Tankstelle in Gutenstein vorbei fuhr. Oder besser: an dem, was von ihr noch übrig war. Sie war scheinbar Pleite gegangen und hatte nun geschlossen. Eine nette Dame erklärte mir, dass die nächste Tankstelle in meiner Richtung in Gloggnitz wäre. Da ich nicht zurück fahren wollte (vorwärts geht´s, vorwärts!) versuchte ich auszurechnen, wie lange ich mit dem Tank noch durch käme. Bei der Vespa gibt es natürlich keine Tankanzeige, sondern man fährt, bis der Motor ausgeht. Dann dreht man den Benzinhahn auf Reserve und hat noch 20 bis 30 km, je nachdem, wie viel der Motor schluckt und welchen Tank man eingebaut hat.
Fazit: Je nachdem, wie schnell ich auf Reserve bin, komme ich damit noch bis Gloggnitz (von Gutenstein etwa 45 Kilometer). Also los, hinauf aufs Klostertaler Gscheid. Als ich den Gedanken fertig hatte, musste ich auf Reserve schalten und es war klar, dass sich Gloggnitz auch mit bestem Willen nicht ausgehen würde. Aber ich hatte ja noch meine zwei Liter im Reservekanister, das müsste reichen.
Im Höllental füllte ich dann um und bemerkte, dass mir ein Einfülltrichter fehlt. Das funktioniert auch ohne, ergibt aber eine gehörige Sauerei am Tank. Die zwei netten Motorradfahrer, die auch gerade dort stehen blieben, wünschten mir eine Gute Reise nach Rom und ich fuhr weiter bis Reichenau. Dort gibt es auch eine Tankstelle (das hatte ich vergessen) und die wäre sich auch ohne Einfüllsauerei ausgegangen. Aber so ist das Vespafahren.
Da ich jetzt noch Sprit im Tank hatte, fuhr ich an der Tankstelle in Reichenau locker vorbei, schließlich kommt ja elf Kilometer weiter die nächste in Gloggnitz. Dachte ich zumindest. Leider war dem nicht so, vielleicht gibt es gut versteckt im Ort eine, auf der Hauptstraße ist jedenfalls nichts. Mit langem Gesicht fuhr ich weiter, denn danach geht es über den Ramssattel nach Kirchberg am Wechsel (das „am Wechsel“ ist wichtig, dort in der Gegend gibt es ein geschätztes Dutzend Kirchbergs). Also wieder zittern. Glücklicherweise kam direkt hinter Kirchberg eine offene Tankstelle mit einer sehr netten Dame, die vor dem Kassieren noch schnell zur Preistafel musste, um den Preis nach oben zu korrigieren. „Jeden Tag um zwölf Uhr Mittags wird der Treibstoff teurer“ meinte sie und ich hatte das unverschämte Glück, noch davor getankt zu haben.
Danach ging es nach St. Corona am Wechsel, wo ich in meinem Lieblingswirtshaus einkehren wollte, mit herrlichem Blick zu Schneeberg, Rax und ins ganze Land hinein.
Das hatte leider geschlossen, also fuhr ich weiter, um ein paar Minuten später woanders Mittagspause zu machen. Ich erwischte eine leicht bizarre Szenerie, denn in dem Wirtshaus machten drei alte Weiblein scheinbar einen Sommerfrischeaufenthalt, und das seit geschätzten 100 Jahren jeden Sommer. Sie saßen jede auf einem anderen Tisch, durch je einen Paravent getrennt und gaben hintereinander Wortmeldungen ab, etwa „Können Sie sich noch an den Doktor erinnern, den mit dem Hund, der müsste auch schon länger tot sein, der hat immer Schweinsbraten gegessen.“ Sie aßen jede ihr Menü und ich eine gebackene Leber, quasi um den Kontrast zum hoffentlich bald folgenden italienischen Essen deutlicher zu machen.

Nach einer Abfahrt durch die Kleine Klause ging es hinauf auf den Wechsel, einst das Tor zum Süden, viel befahren und berühmt. Jetzt führt ein paar Kilometer weiter die Autobahn vorbei und an der Straße stehen verlassene Wirtshäuser und geschlossene Tankstellen, ein tristes Bild. Ich war aber guter Dinge, denn das Wetter wurde besser und die Vespa lief hervorragend.

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Bild 6: Am Wechsel

Der Rest der Fahrt verlief unspektakulär, nur nach dem kurzen Halt in Hirnsdorf sprang die Vespa etwas schwer an. Ich kannte dieses Phänomen des schlechten Warmstarts bereits und hatte etwas Angst davor, denn ich würde in den nächsten Tagen oder Wochen sehr oft einen Warmstart machen, ausgesprochen oft sogar. Da konnte ich eine schlecht startende Vespa gar nicht brauchen. Ich hatte schon versucht das Problem in Wien zu beheben, aber auch die Experten unter meinen Zanglerfreunden wussten nicht wirklich, warum es so war. Es müsste etwas mit dem Vergaser zu tun haben. Aber was?

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Bild 7: Hirnsdorf

Egal, ich erreichte St. Ruprecht um 14 Uhr 45, also nach knapp sechs Stunden, inklusive 45 Minuten Mittagspause. Nun musste ich nur noch das Haus von Heinz und Isabella finden, das sich am Bahnhofsweg befindet, interessanterweise mit der Hausnummer Dreihundertirgendwas. „Die müssen aber lange Straßen haben“ war der erste Gedanke. Oder sie haben alle Häuser wild durchnummeriert. Das könnte die Suche etwas erschweren, wobei ich den Bahnhofsweg sofort fand. Dort war dann die Nummer 151 neben 208 und daneben befand sich 193.
Irgendwo blieb ich stehen und sah einen Herren, der gerade auf seinem Garagenvorplatz mit irgendwas beschäftigt war. Er blickte freundlich auf die Vespa und ich fragte ihn nach „Bauer und Petz“ sowie der Hausnummer. Stirnrunzelnd meinte er, mit den Hausnummern hätte er es nicht so und er kenne weder jemand mit dem Namen Bauer noch mit dem Namen Petz. Vielleicht wären das die Leute, die erst vor kurzem daher gezogen wären, am Ende der Straße, meinte seine hinzukommende Frau. Wir diskutierten ein wenig herum und dann sagte ich „Heinz und Isabella“. Das bewirkte ein sofortiges Strahlen in ihren Gesichtern: „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, das sind unsere Nachbarn, gleich das Nebenhaus.“ Mit den Nachnamen hätte man es hier nicht so, aber den Heinz, denn würden sie natürlich gut kennen.

Dann ergab ein Thema das nächste, Silvio hatte bis vor kurzem auch eine Vespa, dann jedoch wegen der beiden Kinder eine Ape Calessino gekauft, damit könnte man alle mitnehmen.

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Bild 8: Ape Calessino, in einer sehr netten Sonderlackierung, mit 400ccm Dieselmotor

Es stellte sich heraus, dass Silvio und seine Frau ums Eck eine Pizzeria und ein Eisgeschäft haben und sehr italophil sind. Sie erzählten von lieben Freunden in Cavallino bei Venedig und dass sie dort öfter zu Gast wären.
So ergab sich mein nächstes Quartier und ich hatte durch die Vespa meine ersten netten Bekanntschaften gemacht.

Das ist es, was ich suche und versuche in diesem Buch zu beschreiben – der Mythos Vespa ist nur deswegen einer, weil er funktioniert. Eine alte Vespa löst bei vielen Menschen ein Gefühl aus, das sie positiv stimmt. Silvio hätte mir auch den Weg gezeigt, wenn ich mit irgendeinem Roller oder Motorrad gekommen wäre. Aber wir hätten wahrscheinlich kein Gespräch angefangen bzw. es wäre ganz anders verlaufen. Ich bin mir sicher, dass ich das tolle Quartier (siehe Bericht Tag 3) nicht bekommen hätte. Die Vespa öffnet Türen, die vorher als Türen gar nicht sichtbar bzw. gar nicht vorhanden waren.
Mit einer alten Vespa zu fahren macht dich zum Teil eines unsichtbaren Netzwerkes, das sehr gut funktioniert. Es ist immer wieder als solches erkennbar, etwa wenn sich die Fahrer alter Vespas grüßen, was sehr oft vorkommt. Ich habe auf dieser Reise nur zwei bis drei andere Tourenfahrer getroffen, man grüßte sich stets anerkennend und freundschaftlich.
Ich darf an dieser Stelle ein wenig ausholen: Gesellschaft – was ist das eigentlich? Wir nehmen dieses Wort oft und schnell in den Mund, aber wissen wir, worüber wir hier reden? Ich habe in meiner Zeit an der Uni Klagenfurt im Bereich der Gruppendynamik oft und intensiv über den Gesellschaftsbegriff nachdenken dürfen – wir sind nie auf ein wirklich befriedigendes Ergebnis gekommen. Die Vespa bietet nun einen Blick durchs Schlüsselloch, in das Geheimnis des menschlichen Kollektivlebens sozusagen.
Das Netzwerk ist sehr fein gesponnen und wie ein Spinnennetz trotzdem recht belastbar bzw. tragend. Jede(r) kennt eine(n), der eine Vespa hat, zumindest in unserem Kulturkreis. Oder er kennt einen, der einen kennt, der eine hat. Und der kennt jemand, der Vespas reparieren kann. Diese Leute sind wiederum meist in einem der virtuellen Netzwerke wie dem German Scooter Forum oder auch bei einem der unzähligen Clubs. Eine Vespa öffnet nicht nur Türen, sie schafft eine Art gemeinschaftlicher Grundstimmung, die tragbar genug für etwa gegenseitige Hilfe ist. Diesen Punkt werde ich im Laufe dieses Buches noch ein paar Mal aufgreifen und erörtern.
Eine lange Tour mit einer alten Vespa eröffnet zusätzlich noch weitere Perspektiven. Man ist klar als Reisender erkennbar, der zumindest den Mut hat, einen Oldtimer in einer neuen Zeit zu fahren. Man sendet Signale aus, optische in erster Linie, die von den Menschen klar erkannt werden. Sie ermöglichen eine schnelle Einordnung und Kategorisierung, die folgende Eckdaten enthält: nicht aggressiv, traditionsbewusst oder zumindest mit Freude an alten, erhaltenswerten Dingen, ein wenig schräg und jenseits der Norm, nicht fad, individualistisch etc.
Silvio hat etwa sofort erkannt, dass da jemand unterwegs ist, der mit Liebe und Hingabe seinen Oldtimer pflegt – und das war ihm zumindest so sympathisch, dass er sich auf ein längeres Gespräch einlassen konnte. Die Vespa hat uns nicht auf eine Linie gebracht, aber sie hat ermöglicht, dass wir das überhaupt versuchen konnten.
Gesellschaft ist also ein Netzwerk von Beziehungen, das durch gemeinsame Normen und Regeln sich selbst erhält. Es gibt gemeinsame Werte („Ich hatte auch eine alte Vespa und verstehe dich, der du auch eine hast“), die erkennbar sind und auf die man sich bis zu einer bestimmten Grenze verlassen kann. Das gibt Sicherheit und das wiederum ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen wiederum ist der Kitt der Gesellschaft. Die Tragfähigkeit der Grundbeziehung zeigte sich bei Silvio, als er bereit war, mir die Nummer von Sigi und Helga Karlegger zu geben, die mich bei sich wohnen lassen würden. Meine Seriosität war einerseits durch die Freundschaft zu Heinz als Silvios Nachbar gegeben, andererseits auch durch die gemeinsame Leidenschaft für alte italienische Motorroller. Die Tragfähigkeit zeigte sich dann auch am nächsten Tag, als ich tatsächlich in Italien anrief, um das Quartier zu bekommen.

Die alte Vespa ist wie ein Codewort, wie ein Schlüssel, der in viele Schlösser passt. Sie ist in dieser Eigenschaft sehr universell und somit ein Element, das Gesellschaft erzeugt, stiftet.

Abends saß ich noch länger mit Heinz und Isabella zusammen. Der erste Abend war in sich sehr stimmig und stimmungsvoll, ich genoss sehr das Treffen mit guten Freunden. Und ein Highlight wartete auch noch: Heinz führte mich seinen Keller, wo er seine Plattensammlung lagert. Da ich keine Kamera habe, die 360-Grad-Bilder schießen kann, sieht man auf dem nächsten Bild nur einen Ausschnitt. Ich darf versichern: Alles vom Feinsten! Das zweite Bild zeigt seine The-Who-Plattensammlung, weit größer als meine, zum Niederknien, sicher eine der größten und schönsten in Österreich (Wo PostIts hängen: The Who…)

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Bild 9: Die Plattensammlung – oder besser: Ein Ausschnitt

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Bild 10: The Who

Die Tour hatte gut begonnen, der erste Tag war ein voller Erfolg. Nun würde sich zeigen, was die nächsten Tage bringen.

Der Boss

Mein Posting Nr. 200 – das kann nur dem Boss gewidmet sein!

Inzwischen habe ich den Vergleich von drei Konzerten – 25. Juni 2003 die „The Rising“-Tour, am 5. Juli 2009 „Working On a Dream“ und jetzt die „Wrecking Ball Tour“.

Die Tourneen

Sie sind immer gigantisch, vor neun Jahren spielte er von 15. bis 27. Juli, also in knapp zwei Wochen insgesamt sieben Mal im Giants Stadium in New Jersey. Alle Konzerte restlos ausverkauft. Die Tour ging von August 2002 bis Oktober 2003 – er spielte 14 Monate.
2009 war es wieder eine Welttournee mit neuer Platte (1. April bis 22. November) und auch diesmal gibt es ein neues Album, eben „Wrecking Ball.“ Und natürlich eine Welttournee, die diesmal von 9. März bis 7. September dauern wird.

Der Boss

Wie macht er das? Der Mann wurde am 23. September 1949 geboren und ist somit immer noch älter als der Großteil seines Publikums, das auch nicht mehr das Jüngste ist. Er wird heuer 63 und spielte in Wien über 3,5 Stunden ohne eine einzige Pause. Nein, nicht eine einzige. Entweder hat er eine unglaubliche Kondition und Konstitution oder einen sensationellen Arzt, der ihm Zeug gibt, das scheinbar über Jahrzehnte keinen Schaden anrichtet.
Und er hat Freude am Spielen, große Freude sogar. Was er gestern live bot, kann man nicht simulieren. Auf seinen Ruf „Are you tired“ brüllen Tausende „Noooo“ und er spielte weiter.
Er tut und tat das auch bei den anderen Konzerten, in Madrid spielte der alte Mann 3 Stunden und 48 Minuten und somit das längste Konzert seiner 40-jährigen Karriere. Er springt ins Publikum, lässt sich angreifen, herumschubsen, bejubeln – vielleicht ist es dieses Bad in der Menge, das ihn jung hält, ein Verjüngungsbad sozusagen. Vielleicht ist er süchtig und braucht den donnernden Jubel von zigtausend Menschen, denen er für mehrere Stunden Freude gibt, er und natürlich die E-Street-Band, von der er einige Zeit getrennt war und mit der er allerdings jetzt auch schon seit über zehn Jahren wieder äußerst erfolgreich ist.

Selbstverständlich sind auch seine Auftritte durchorganisiert. Bei vielen Konzerten holt er während „Waitin on a sunny day“ einen ca. 10-jährigen Buben auf die Bühne, der dann eine Minute lang den Refrain singen darf. Ob das vorher ausgemacht ist, welcher Bub das jeweils wird, weiß ich nicht, singen tun die natürlich grottenschlecht, aber darum geht es ja nicht. Der Effekt ist vorgeplant und tritt immer ein – Rührung im Publikum, Sympathie für den Boss.

Trotzdem ist Springsteen sicher der authentischste Superstar und der einzige, der sich stets mehr als eine halbe Stunde im Publikum aufhält, das in dem Sinn nicht von Securities kontrolliert werden kann, denn im Wellenbrecher sind quasi „ganz normale Leute“ (diesmal etwa: mein Bruder mit ein paar Freunden). Laut eigenen Aussagen versucht der Boss den amerikanischen Traum, den er seit Jahrzehnten besingt, mit der amerikanischen Realität auszugleichen – Ergebnis sind etwa einige Protestsongs auf seinem neuen Album, z. B. gegen die Finanzindustrie.
Hier ein Bild von Markus Gobetzky – die waren wirklich nah dran:

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Das Konzert

17:30 Dienstbeginn – nicht für den Boss, sondern für mich. Ich sehe mir die Konzerte gerne in der Rolle des Platzanweisers an. Das hat ein paar Vorteile, etwa dass ich Geld bekomme, statt zu bezahlen, oder dass ich nette Menschen treffe. Die Arbeit hält sich in Grenzen und das Konzert genieße ich genauso wie alle anderen. Diesmal wurde ich zum „Supervisor“ befördert und bekam ein graues Poloshirt anstatt des orangen. Mehr Geld gab es dafür nicht, aber uneingeschränkte Macht und ca. 2 cm Körpergröße mehr, zumindest so lang ich das Polo trug. Hier meine Chefs in voller Autoritätsstrenge:

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Das Publikum

Es war irgendwie klar, dass die Sache eher stressfrei abgehen wird. Ältere Herrschaften sind schon ein wenig außer Atem, wenn sie bei uns am dritten Rang ankommen und machen wenig Stress. Sie wollen ihren Sitzplatz, vorher noch aufs Klo und ev. ein Bier. Mein Vorrat an Ohrenstöpseln wurde durch ein paar weitere von Markus ergänzt und von einigen Leuten dankbar angenommen. Nur einmal wurde es etwas mühsam, als sich einige beschwerten, dass man am Juchhee eine grottenschlechte Akustik hätte. Wir konnte etwa 30 Leute umsiedeln und alles lief bestens.

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Der pünktliche Beginn verschob sich um 40 Minuten und so begann das Konzert um 20:10 Uhr. Da war es noch taghell und es wollte noch keine echte Stimmung aufkommen – zumindest wenn man Stimmung mit lautem Gebrüll und Armewacheln gleichsetzt. Der Boss spielte zuerst einige Nummern seiner neuen Platte, die niemand kannte und die daher auch niemand interessierten.
Spannend wurde es ab der 12. Nummer – es wurde finster und der Boss spielte seine alten Hits – Badlands, gefolgt von Darlington County und dann kam bald auch schon Waitin on a sunny day – mit dem obligaten Buben.

Hier die Setlist:

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Für die 31 Lieder brauchte er 3:35 und konnte das mit 51.000 Gästen ausverkaufte Wiener Ernst Happel-Stadion absolut begeistern. Da kamen auch die Showeffekte nicht zu kurz, etwa die Ruheminute für Clarence Clemons, den im Juni 2011 an einem Schlaganfall verstorbenen Saxophonisten, bekannt als „Mr. Big“ und seit Anfang der 1970er-Jahre treuer Begleiter der E-Street-Band.
„Ruheminute“ bedeutete, dass der Ton der Lautsprecher abgeschaltet wurde und man sah ein Videoclip, einen Zusammenschnitt aus Szenen mit Mr. Big. Das Publikum klatschte derweilen. Übrigens spielte sein Neffe, Jake Clemons, die meisten Sax-Soli, ein witziger Typ mit unglaublicher Afro-Krause. Die Mutter dürfte eher weiße Hautfarbe haben. (Bild: Markus Gobetzky)

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Sehr nett auch die Rockabilly-Nummer Seven Nights to Rock und natürlich Glory Days – wie immer blieb dem Boss jede Menge Spielraum für Soli, Interpretationen und sonstigen Unfug. Er war diesen Abend ausgesprochen gut gelaunt und genoss das Wiener Konzert sichtlich. Vielleicht war ihm ja auch der großartige Auftritt 2009 noch in Erinnerung, für mich das bessere Konzert, auch wenn es diesmal sehr gut war.
Seltsam war nur die Beleuchtung – während des gesamten Konzerts waren die Ränge beleuchtet und während der gesamten Zugabe wurde das komplette Stadion-Flutlicht eingeschaltet – warum weiß ich nicht. Wenigstens konnte ich dadurch ein brauchbares Foto machen:

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Ganz zum Schluss noch eine nette Showeinlage: Der Boss ist am Ende, er winkt ab, kann keine Nummer mehr spielen und lässt sich zu Boden fallen, gefilmt mit 3 Kameras und perfekt geschnitten. Die Nr. 2 der E-Street-Band, der Gitarrist Steven Van Zandt, nimmt einen wassergetränkten Schwamm und quetscht ihn über dem Kopf von Bruce aus – dieser steht erfrischt auf und spielt noch die letzten zwei Nummern.
Twist And Shout als Schlussnummer erlebe ich bereits am Weg aus dem Stadion, als alter Profi bleibe ich immer nur bis zur letzten Nummer, die Heimfahrt wird dann wesentlich entspannter und krönt einen durchaus genialen Abend.

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Mein neues Leben

Zugegeben – der Titel wird nicht halten, was er verspricht. Aber ich bemühe mich.

Neulich im Vorfeld unserer Veranstaltung „Besser statt mehr – Perspektiven und Chancen einer Postwachstums-Ökonomie (PWÖ)“ hatte ich ein Gespräch mit meinem Kollegen Stefan und wie üblich kamen wir auch auf das Thema Vespa-Basteln.
Sein Kommentar: „Du machst eigentlich schon das, was wir vielleicht in Zukunft alle machen werden: Du arbeitest da und dort, für verschiedene Auftraggeber, hast kein oder nur ein geringes regelmäßiges Einkommen und bist in vielen verschiedenen Bereichen tätig: Motivforschung, Training, Organisationsentwicklung, Vespas Restaurieren, bei der Grünen Wirtschaft, Bücher schreiben etc.“

Aufgrund dieses Gesprächs habe ich begonnen nachzudenken und das mündet manchmal in einem Vordenken. Das Ergebnis deckt sich mit den Annahmen der PWÖ und geht darüber hinaus, als Philosoph darf ich noch etwas freier denken als die Ökonomen und Naturwissenschafter:

1.) Unsere Wirtschaft wird sich verändern und damit unser Leben. Das gilt für fast alle Mitglieder einer Gesellschaft.

Wirtschaft hat sich immer verändert, aber es wird einen Paradigmenwechsel geben und er wird ein recht radikales Umdenken notwendig machen. Das wird alle wichtigen Bereiche unseres Lebens betreffen und fast alle Menschen. Selbst diejenigen, die jetzt schon in einer Art PWÖ und somit „modern“ leben (auch wenn uns das derzeit noch als veraltet vorkommt) werden nicht unberührt bleiben. Die Aussage meiner Freunde, „Du und die Grünen, ihr wollt ja nur, dass wir in Zukunft alle wieder in Lehmhütten leben“ lässt mich kalt, Lehm ist ein sensationeller, umweltfreundlicher, klimaaktiver, billiger und stets vorhandener Baustoff und hat sicher Zukunft.

2.) Die Veränderung wird global sein.

Randgebiete und die dort lebenden Menschen werden etwas weniger betroffen sein, am stärksten wird man es in den großen Städten merken, denn die sind erstens nicht direkt an den notwendigen Ressourcen (deswegen entstehen gerade in New York City gerade so viele Projekte im Community Gardening) und zweitens brauchen sie besonders viel davon.

3.) Sie kommt entweder schnell und heftig oder etwas langsamer.

Alle, auch die Postwachstumsökonomen haben Angst vor einem großen Knall, der weder in seiner Quantität (Ausmaß) noch in seiner Qualität (von Ölkrise bis Weltkrieg) vorhersehbar ist. Von der Theorie, dass die Krise vor allem dann kommt, wenn man sie „herbeiredet“, halte ich nichts. Diese Ansicht wirkt pervers angesichts der hemmungslosen Ressourcenverschwendung, die fast global zu spüren ist. Das einzige Argument, das hier noch zu hören ist, lautet: „Die Technik wird sich so schnell weiterentwickeln und wir (wer eigentlich?) werden so tolle Dinge und Techniken und Verfahren entwickeln, dass es ohne Bruch gut weitergehen wird.“
Wie diese Techniken aussehen, kann von den Anhängern der Theorie „Der (Technik-)Papa wird´s scho richten“ auch niemand sagen. Man vertraut auf mögliche Erfindungen, die uns retten – das ist mir zu wenig.

4.) Es geht um Energie

Wie auch immer man es betrachtet, das Thema Energie steht immer im Vordergrund, sowohl bei den Ressourcen als auch bei der Umweltverschmutzung, dem Verkehr, der industriellen Produktion, der Landwirtschaft, dem Klima etc. Letztlich ist alles eine Energiefrage, vielleicht wurde ja deswegen der Heilsversprechung der Atomenergie so viel Geld in den Rachen geworfen – sie haben eine endgültige Lösung der Energiefrage versprochen. Den Preis dafür haben sie uns nicht verraten, aber inzwischen kennen wir ihn.

5.) Durch die richtigen Schritte können wir die Veränderung weder aufhalten noch verhindern, wir können nur den Weg frei räumen bzw. den Fall dämpfen. Das ist auch das Fazit der Postwachstumsökonomie, vor allem der Spezialisten aus Oldenburg. Daher müssen wir uns überlegen, wie es danach weiter geht, gut weiter geht.

Mein Idealszenario: Ein Weltwährung, die den globalen Handel sowie die Vernetzung ermöglicht. Dazu lokale Komplementärwährungen, die zueinander unabhängig sind und den Handel vor Ort gewährleisten. Die Verwaltungen sind ebenfalls national-global und regional-lokal. In Österreich kann man die Bundesländer weitgehend abschaffen, offiziell können sie aus sentimentalem Lokalkolorit und für den Tourismus erhalten bleiben. Landeshauptleute sind Repräsentationsfiguren ohne jede Macht, Bierzeltclowns, das reicht.
Weltweite Vernetzungen werden auf weit höherem Niveau stattfinden als jetzt, der Lokalbürger wird zugleich Weltbürger sein, wenngleich mehr auf virtueller Ebene, weil den derzeitigen Flugverkehr wird es nicht mehr geben. Wer nach Afrika reisen will, braucht eben mehr Zeit. Die haben wir dann auch, weil der wahnsinnige Druck wegfällt, den wir uns mit dem derzeitigen Produktionsirrsinn selbst schaffen. Druck ist immer Zeitdruck, oder fast immer. Hier folge ich den Ideen der PWÖ, die neue Arbeitsmodelle proklamiert: 20 Stunden klassische Erwerbsarbeit, etwa als Angestellter in einer Firma, der Rest für andere Tätigkeiten, die meist auch Arbeit sind. Hier erfolgt dann die Bezahlung in der Komplementärwährung, etwa in Zeitaustauschmodellen oder ähnlichem.

Wir werden weit weniger Produkte produzieren als jetzt und auch hier habe ich ein Idealszenario: Es werden genau die Produkte wegfallen, die wir jetzt schon nicht brauchen, sondern nur kaufen, weil sie der Nachbar auch hat oder weil uns fad ist oder Konsumrausch es uns ermöglicht, den Kopf so vollzubrummen, dass wir über nichts anderes nachdenken können und daher auch nicht müssen. Es gibt auf jeden Fall genügend Ressourcen auf dieser Welt, um alle Menschen zu ernähren und ihnen ein durchaus gutes Leben auf hohem Niveau zu ermöglichen. Mag sein, dass dann nicht mehr vier Leute mit fünf Autos auf den Golfplatz fahren können. Diesen Preis werden wir bezahlen können, auch wenn einige jammern werden.

Ja, es wird gravierende soziale Veränderungen geben. Die derzeit sich immer noch stark öffnende Schere arm-reich wird sich wieder schließen, schließen müssen. Die Reichen können sich aussuchen, wie das geschieht, diese Wahl haben sie. Ich erinnere mich an die alte Gerechtigkeitsgeschichte, bei der die Mutter einen Kuchen zwischen zwei Kindern aufteilen muss. Sie lässt das erste Kind teilen und das zweite aussuchen. Genau so wird es aussehen, die Reichen werden teilen dürfen und die Armen aussuchen.

Wie immer wird es Gewinner und Verlierer geben und es ist nicht klar, wer wo dabei sein wird. Das erinnert mich ein wenig an die „Theorie der Gerechtigkeit“ des amerikanischen Philosophen John Rawls, der das Modell des „Schleier des Nichtwissens“ erschaffen hat: In einer Art virtuellem Raum treffen Menschen vor ihrer Geburt aufeinander und müssen gemeinsam (und dann natürlich jeder für sich) entscheiden, wer in welcher Rolle geboren wird. Sie wissen aber nicht, was jeder sein wird – wie schnapsen sich die ein Modell aus? Rawls meint, dann wäre es ein gerechtes Modell. Er hat eine gute Theorie erschaffen, allerdings nicht mit einer menschlichen Eigenschaft gerechnet: dem Hasardieren („Ich werde möglicherweise ein armer Schlucker, aber das Risiko geh ich ein, vielleicht werde ich ja Millionär.“)

Sicherheit wird hauptsächlich definiert durch Vielfalt und Vernetzung. Das ist übrigens jetzt schon so, da die klassischen Sicherheiten ohnehin schon weggebröckelt sind (Kirche, Familie, Job, Geld, Energie, Rohstoffe…), nur merken es noch nicht viele. Ich habe aber das Gefühl, dass es viele schon spüren und dass sich ein Hauch von Panik durch die Gesellschaften zieht, wie ein dumpfer, noch recht weit entfernter Donner. Wenn ich die Menschen in meiner Umgebung frage, dann sagen die meisten, dass sie schon Donner gehört haben (bis auf die, die ständig ihre Kopfhörer aufhaben). Viele versuchen auch, sich vor dem kommenden Regen ins Trockene zu flüchten und kaufen Immobilien bzw. versuchen ihr Eigentum auf irgend eine Art zu schützen. Für einige wird das funktionieren, für andere nicht. Blöderweise wissen wir noch nicht, wer durch die Flut wohin gespült wird. Reichtum wird möglicherweise keinen Schutz bieten, zumindest nicht materieller Reichtum.

Ich kann somit nur hoffen, dass dann die Stunde der Philosophen schlägt, der ruhigen Vor- und Nachdenker, die sich jetzt schon Modelle und Techniken überlegen, die uns dann weiter helfen, so dass es möglichst vielen Menschen möglichst gut geht. Übrigens ein gänzlich anderes Modell, als es in unserer Gesellschaft derzeit in Mode ist.