Gölsentalrally

Seit Jahren wollte ich schon hinfahren, vor allem wegen der oftmals wiederholten netten Einladung von Christian Lashofer, einem der nettesten Rollerfahrer.
Für alle, die nicht wissen, was ein „Run“ ist, vorweg eine kleine Erklärung. Es gibt diese Art von Veranstaltung seit Jahrzehnten in ganz Europa. Schon in den 1980ern sind Rollerfahrer (genau genommen Vespa und Lambretta) auf „Scooterruns“ gefahren. Meistens reist man auf eigener Achse an, es gibt eine Halle oder ein Bierzelt oder so etwas ähnliches und man schläft im Zelt. Manchmal geht so ein Run über mehrere Tage und darum ranken sich dann unzählige Geschichten.
Es gibt Preise für die weiteste Anreise (diesmal ein junger Deutscher aus Baden-Würtemberg mit über 700 Kilometern), die meisten getrunkenen Schnäpse oder was immer den Veranstaltern so einfällt. Natürlich gibt es Musik, Essen und jede Menge Alkohol.
Zur Erinnerung gibt es „Patches“, also Aufnäher, die gerne auf die sogenannten „Kutten“ genäht werden. Es gibt Rollerfahrer, auf deren Kutten ist schon längst kein Platz mehr für neue Aufnäher.

Ich selbst war lustigerweise noch nie auf einem echten Run mit Übernachtung im Zelt und allem drum und dran, daher war das eine gute Gelegenheit. Außerdem hat Stefano als einer der Mit-Veranstalter angeboten meine Getränkerechnung zu übernehmen, weil ich ihm einen Bollerwagen organisiert habe.

Mein wasserfester Louis-Sack ist schnell gepackt und wie schon auf der Rom-Reise auch schnell am hinteren Gepäckträger verstaut. Ich habe diesmal nicht viele Sachen mit, weil ich ja am nächsten Tag schon wieder nach Hause fahre: Zelt, Liegematte, Schlafsack, Reservehose und -shirt, ein kleines Handtuch und das Regenzeug.

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Bild 1: Fertig für den Start

Um 08:30 geht es los, ich treffe mich zuerst mit Hömal in 1150 und später dann bei der Tankstelle beim Wienerwaldsee mit anderen Fahrern. Das Wetter ist mittelprächtig angekündigt: 31 Grad, sonnig, ab Mittag sind Gewitter möglich. Unsere Hoffnung besteht darin trocken bis St. Veit an der Gölsen zu kommen und ev. auch noch eine trockene gemeinsame Ausfahrt zustande zu bringen. Da die Veranstaltungshalle regenfest ist, spielt das Danach keine Rolle mehr, wenngleich es ohne Regen deutlich bequemer ist.
Eine trockene Heimreise am Sonntag wäre dann die Kür zur Pflicht.

Die Vespa rennt ruhig und gut, als ich beim Hömal bin entdecke ich, dass der Zulassungsschein in der anderen Jacke ist – ich habe aufgrund des heißen Wetters nur die Airflowjacke an, aber warum sollte ich gerade diesmal von der Polizei aufgehalten werden.
Am Wienerwaldsee wartet Werner und ich erfahre, dass wir nur zu dritt sind, die anderen kommen erst nach oder haben aus Schlechtwetterangst abgesagt.
Macht nichts, zu dritt ist es sehr angenehm zu fahren und wir beschließen über Wolfsgraben, Hochrotherd und Gruberau nach Klausen-Leopoldsdorf zu fahren.
Am Ende von Wolfsgraben gebe ich ordentlich Gas um die danach folgende Steigung mit Schwung zu nehmen. Das stellt sich als weniger gute Idee heraus, denn hinter der Kurve stehen freundliche Herren mit einer Laserpistole.
Der Herr Inspektor winkt mich auf den Parkplatz und die anderen beiden folgen dem „mitgefangen-mitgehangen-Prinzip“ und parken sich ebenfalls ein.

Führerschein, Apotheke… alles wunderbar, nur beim Zulassungsschein muss ich passen. Also funkt der junge Polizist (der ältere dürfte der Kommandant sein, der lasert, der jüngere erledigt die Amtshandlung) an die Zentrale nach einer Zulassungsauskunft. In der Wartezeit erkundigt sich der junge Polizist bei mir wie weit wir heute schon gefahren sind und wohin es noch geht.
Die Zulassungsauskunft kommt prompt und ich bitte den Herrn Inspektor zusammenzurechnen, was er auch gerne tut:
„68 km/h im Ortsgebiet macht 35,-, dazu die fehlende Zulassung macht 20,-, sind insgesamt 55,- die Geschwindigkeitsübertretung rechnen wir gleich wieder weg, macht 20,- gradaus. Ich möchte Ihnen ja nicht den schönen Ausflug verderben“.

Das ist ein Angebot, das wir gerne annehmen, Werner borgt mir noch einen Zwanziger, da der Polizist auf meinen Fünfziger nicht rausgeben kann („Die Dienststelle stellt uns kein Wechselgeld zur Verfügung.“)
Wir wünschen einander alle noch einen schönen Tag und setzen die Fahrt fort.

Es ist traumhaft zu fahren, nicht zu heiß und nicht zu kühl, nach Klausen-Leopoldsdorf fahren wir Richtung St. Corona am Schöpfl, dann über die Klammhöhe nach Hainfeld, wo sich Hömal verabschiedet, weil er noch in sein Quartier fahren will, während Werner und ich noch eine Extrarunde drehen, durch Ramsau vorbei am Golfplatz Adamstal über eine wunderschöne Bergstraße bis nach Kleinzell und von dort nach St. Veit an der Gölsen, wo wir zu Mittag ankommen.

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Bild 2: An der Gabelung eine kurze Pause

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist gratis, gegen eine kleine Spende bekommt man die Patches und noch ein paar kleine Gimmicks. Nachdem ich mir einen netten Platz für das Zelt gesucht und es aufgebaut habe, gönne ich mir einen großen Spritzer, der mit 2,50- Euro wohlfeil zu haben ist und auch in größeren Mengen kein Schädelweh verursacht (was erst am nächsten Tag feststellbar ist). Es gibt verschiedene Sorten von Leberkäs, ein Spanferkel mit Sauerkraut und vier verschiedene Varianten Chili (vegetarisch, Stufe 1, Stufe 2 und Stufe 3). So wie das Bier kostet auch alles andere 2,50- Euro, da es sich hier um keine kommerzielle Veranstaltung handelt.
Es sind noch nicht allzu viele Leute da, ca. 30 RollerfahrerInnen und ich kenne erstaunlich viele davon, viele habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen, die Bilanz zeichnet sich jetzt schon als positiv ab.

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Bild 3: Das Zelt steht, allerdings bezweifle ich, dass es weit genug weg von der Halle steht, um in der Nacht ruhig schlafen zu können.

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Bild 4: In der Halle ist genug Platz für alle, die Heurigenbänke sind aufgestellt und das Bier ist kalt.

Stefan ist auch schon da und hat den Bollerwagen zu einem deutschen Getränkewagen umgebaut (er selbst ist Deutscher). Es gibt „Schlumpfpisse“ (Waldmeistersirup mit Vodka bzw. einen Atemreisser in blau) in Form von halben oder ganzen Metern.

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Bild 5: Der Wagen hatte zwar später einen Patschen und stand schief, das hat die Leute aber nicht davon abgehalten sich weiter trinkfest daran anzuhalten. Nach einiger Zeit waren sie selbst ohnehin auch schon etwas schief.

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Bild 6: Hier kann man gut die „Kutten“ erkennen. Links steht übrigens Stefan und rechts Holger aus Deutschland, auch trinkfest

Nach zwei dieser Shots steige ich kurz auf Hollersaft gespritzt um, da es um 14:30 noch eine gemeinsame Ausfahrt geben wird, die ich ohne Alkoholisierung absolvieren möchte.
Werner ist von seinem Chili Stufe 2 überfordert und ich übernehme. Es hat angeblich 200.000 Scoville, was ich nicht ganz glaube, aber es ist genau an der Schärfegrenze, die ich noch aushalte. Die Stufe 3 hat dann angeblich 1.000.000 Scoville, aber das muss ja nicht sein.

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Bild 7: Das Chili war scharf, aber ich habe es geschafft.

Die Ausfahrt beginnt tatsächlich pünktlich und ist hervorragend organisiert. Ca. fünfzig Roller fahren eine Runde von etwa einer Stunde durch drei Täler. Die Strecke ist mehr als schön, aber schließlich kennen die Veranstalter ihre Gegend ja sehr gut. Die Anzahl der Roller ist klein genug um zügig fahren zu können, die Streckenposten sind auf zack und alles läuft gut, bis ich plötzlich einen der Fahrer von weiter vorne in einer kleinen Gruppe an einer Kreuzung stehen sehe. Zwei andere klauben Teile zusammen, es stellt sich heraus, dass sein Vorderreifen plötzlich platt war. Dann kam die Kurve und er ist gelegen. Der Schaden an Leib und Blech hält sich aber in Grenzen, ein paar Aufschürfungen auf Haut und Blech sind alles, 15 Minuten später kann er die Fahrt wieder fortsetzen (Viele Vespafahrer haben ein Reserverad mit, weil das doch oft gebraucht wird, und eines passt auf fast alle Vespas, nur mit Lambretta sind sie nicht kompatibel, die haben andere Felgen).

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Bild 8: Die Voralpenlandschaft ist fantastisch, die Steckenführung großartig und bei dem Wert, den viele auf Sicherheitskleidung legen, sind Schotterausschläge bei einem Sturz vorprogrammiert.

Wir treffen wieder am Veranstaltungsgelände ein, wo Onkel Mikes Garage gerade einen Leistungsprüfstand aufbaut. Ich ergreife die Gelegenheit, weil ich so etwas noch nie gemacht habe und gespannt bin, wie das funktioniert und welche Leistung mein Standard-200er erreicht.
Nachdem die Vespa hinten auf die Rolle gestellt und vorne verzurrt wird, startet man den Motor, schaltet auf Kommando die Gänge 1, 2 und drei hoch, wodurch das Getriebe eingemessen wird. Danach geht man vom Gas und auf Kommando gibt man Vollgas, dann erfolgt die eigentliche Messung. Meine Vespa erreicht 9,1 PS am Hinterrad, was nach der herkömmlichen Messung an der Kurbelwelle etwa 11,5 PS ergibt, also nur knapp unter der normalen Leistung. Damit bin ich zufrieden, die stärkste Vespa an diesem Tag erreicht ca. 25 PS, was lautstärkemäßig auch ein sehr deutlicher Unterschied ist.

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Bild 9: Am Prüfstand

Es wird langsam Abend, der Spritzwein schmeckt noch und das Wetter hält ebenfalls. Kleine Grüppchen stehen überall herum und plaudern, die Stimmung ist entspannt, da und dort gibt es aber auch die eine oder andere Konfrontation. Rollerfahrer sind extrem unterschiedlich, das kann man übrigens auch an ihren Rollern erkennen – von geschniegelt bis abgefuckt, neben der chromblitzenden Polierten steht eine rattige O-Lack-Reibe, neben dem 30-PS-Custom-Roller die siffende 125er mit 5 PS.

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Bild 10: Herumstehen und plaudern

Vom Fabrikshackler bis zum Uni-Professor, vom Millionär bis zum Mindestrentner ist alles vertreten. Leider gilt das auch für die politische Einstellung, auch hier gibt es alles von links bis far-right und was da und dort (meist unter ordentlicher Betankung mit Bier) gerufen wurde, möchte ich hier nicht wiederholen, jede(r) kann es sich denken.
Großteils verläuft aber alles amical und ich freue mich über neue Bekanntschaften und wieder aufgefrischte Freundschaften. Das Schaltroller-Automaten-Verhältnis ist 10:1, was mir sehr taugt, weil die Automatenszene ist doch eine sehr andere – zumindest die, die ich kenne.

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Bild 11: Das ist eine der Custom-Vespas. Kenner erkennen die geglätteten Karosserieformen, den T5-Kotflügel und noch viele andere Details. Was man nicht sieht, sind die inneren Werte, wie in diesem Fall z.B. eine Luftfederung. Wenn die Zündung eingeschaltet wird, bläst ein Kompressor das Fahrwerk auf – wenn man ausschaltet, sackt sie zusammen. Das sieht lustig aus.

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Bild 12: Wer findet das Rücklicht? Der Besitzer meinte, die nicht wirklich vorhandene Kennzeichenbeleuchtung wäre bei einer technischen Kontrolle aber sowieso sein geringstes Problem.

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Bild 13: Eine sehr schöne Lambretta im The-Who-Design

Dann ist das Bier aus. Mir macht das nix, weil ich nur Spritzer trinke – so wie die meisten übrigens eher sommerlich, man will sich ja nicht vor der Zeit wegschießen (was einige trotzdem schaffen). Glücklicherweise können die Veranstalter blitzschnell zehn Kisten auftreiben, das reicht zumindest eine Zeit, denn es ist immer noch sehr warm und die Kehlen sind durch die Bank durstig.

Der Sonnenuntergang ist großartig und mit Einbruch der Dunkelheit beginnt auch der DJ aufzulegen – übrigens erstklassig, er hat am Nachmittag mit zahlreichen The-Who-Nummern schon eine gute Basis gelegt und pendelt jetzt zwischen Sixties-Rock und Northern Soul, durchaus gekonnt. Die Tanzfläche füllt sich so schnell wie die Spritzweinbecher und schön langsam treffen die letzten Abend-Gäste ein. Einige sind übrigens schon wieder heimgefahren und wollten noch bei Tageslicht daheim sein.

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Bild 14: Der Sonnenuntergang ist großartig

Einige geben auf, wie etwa der „Lüdi“, ein junger Deutscher (der mit der weitesten Anreise) der am Nachmittag schon allen auf die Nerven gegangen ist, weil er eine Drohne sirrend über unseren Köpfen hat schwirren lassen. Aus den Rufen (Steinschleuder, Schrotflinte etc.) wurde zwar nichts, aber wahrscheinlich haben ein paar Scooterboys beschlossen ihn einzutrankeln, was gelungen sein dürfte.

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Bild 15: Lüdi hat fertig.

Irgendwann ist es deutlich nach Mitternacht und ich beschließe schlafen zu gehen. Das Zelt steht ca. 50 Meter von der Halle entfernt und ich merke, dass ich entweder Ohropax hätte mitnehmen oder das Zelt ganz woanders aufstellen hätte sollen. Die Wiese trägt den Schall ungebremst bis in mein Zelt und die Musik ist so laut, dass an Schlaf leider nicht zu denken ist. Zudem ist meine alte Liegematte nicht mehr frisch und somit steinhart und ich habe den Verdacht, dass die Nacht nicht so wirklich lauschig ist.
Irgendwann startet einer seinen Roller und knattert in die Nacht hinaus.
In den kurzen Übergangspausen zwischen zwei Nummern höre ich ein melodisches Schnarch-Quartett aus den Zelten rundherum und finde, dass ich noch Glück habe, denn die Musik ist wirklich gut. Wenn sie jetzt den üblichen Kommerz-Schrott à la Gaballier oder Helene Fischer spielen würden, müsste ich mein Zelt verlegen oder heimfahren. So liege ich, höre der Musik zu und hoffe irgendwann einzuschlafen.

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Bild 16: Als ich aufgebaut habe, stand mein Zelt ziemlich allein da. Das hat sich dann geändert.

Leider geht dieser Wunsch nicht in Erfüllung und es dauert bis ca. 04:30 bis die Musik verstummt und die letzten schwankend in ihre Zelte gefallen sind. Rhythmisches Schnarchen löst die Musik ab und ich schaffe es immerhin in einen dösenden Zustand zu verfallen, während die Dämmerung langsam der Nacht die Dunkelheit ausbläst.
Jetzt in der blauen Stunde ist es auf einmal sehr still, selbst die Schnarcher haben aufgehört zu röcheln, es wäre sehr romantisch, wenn ich etwas weniger hart liegen würde.

Als die ersten Sonnenstrahlen erscheinen stehe ich auf und packe zusammen. Ein paar Frühaufsteher bekommen an der Bar einen Kaffee und alle sehen ähnlich aus wie ich – nicht sehr frisch, aber auch nicht vollkommen zerstört.
Es ist kurz nach sechs Uhr als ich die Vespa starte und mich auf den Heimweg mache. Als ich hinter St. Veit bei einer Pension vorbei komme, winkt mir plötzlich der Hömal zu, der dort ruhig übernachtet hat. Gemeinsam schauen wir einem Biber zu, der im Flussbett der Gölsen einen Morgenspaziergang macht. Hömal wartet aber noch auf das Frühstück und so setze ich nach einer kurzen Plauderei die Fahrt fort.

Es ist bewölkt, sieht aber nicht nach baldigem Regen aus. Ich genieße die Morgenstimmung, das schräge Licht, das auf die Kuhherden am Straßenrand leuchtet und vor allem, dass keinerlei Verkehr ist. Kurz vor Laaben rennt eine Rotte Wildschweine auf die Straße zu, ich kann aber noch vorbei fahren, bevor sie sie überqueren.
Dann schalte ich den Benzinhahn auf Reserve und denke mir, dass ich über Klausen-Leopoldsdorf und dann weiter über den Hengstl nach Pressbaum fahren werde. Dort gibt es eine Tankstelle und das müsste zu schaffen sein.
Es geht sich auch aus, oder sagen wir – es geht sich fast aus. Ca. 500 Meter vor der Tankstelle ist der Sprit alle, nach 28 Kilometern auf Reserve. Ich habe aber einen kleinen Benzinkanister dabei und so ist das kein Problem.
Der Rest der Fahrt verläuft unspektakulär und fünf Minuten nachdem ich daheim bin, fängt es leicht zu regnen an. Hörnchen und Dorothea, die ich nicht aufwecken wollte, sind eine Stunde später gefahren und von Altenmarkt bis in den Süden Wiens in den Regen gekommen. Ich hatte Glück – nicht nur mit dem Wetter, sondern mit einem rundum geglückten Scooterrun. In zwei Jahren machen sie wieder einen und ich werde dabei sein, mit Ohropax oder besser noch mit einem Quartier außer Lautsprecherreichweite.

Sarajevo, 4. Tag

Der letzte Tag bricht an und wir haben uns vorgenommen ihn gemütlich anzugehen. Ein bisschen Restwirkung vom Vorabend ist noch zu spüren, aber nach einem guten Frühstück brechen wir auf um den Leihwagen in der Nähe des Flughafens zurückzubringen. Dann fahren wir mit dem Bus weiter hinauf in die Berge, genauer gesagt würde ich gerne die Reste der alten Bobbahn von den olympischen Winterspielen 1984 sehen – das waren übrigens die aus österr. Sicht medaillenmäßig schlechteste aller Zeiten, wir haben gerade mal eine Bronzene gemacht, ich glaube in der Herren-Abfahrt oder so.

Wir fahren durch den serbischen Teil von Sarajevo und dann steil in die Berge hinauf. Das Land ist hier sehr ländlich, mit Feldern und kleinen Weihern, Nadelwäldern und kleinen Tälern.

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Bild 1: Der Berg im Hintergrund ist ca. 1.500 Meter hoch und dort fand ein Teil der Alpinbewerbe statt. Man kann heute noch Skifahren, es gibt einige Liftanlagen und mein Bruder hat es im Winter schon ausprobiert.

Der Bus wird wieder ein bissl heiß, aber schon naht ein großer Parkplatz mit einem neuen Restaurant. Daneben stehen ca. fünf Meter der alten Bobbahn. „Mehr gibt es davon nicht mehr zu sehen“ meint Peter, ich bin mir aber nicht sicher, dass das wirklich so ist.
Also fahren wir ein Stück links eine asphaltierte Straße hinunter, einem anderen Auto folgend. Nach ca. 200 Metern ein weiterer Parkplatz und da ist sie, die alte Bobbahn, ungefähr so wie ich sie mir vorgestellt habe. Im Krieg war dort eine Frontlinie und es wurde ordentlich gekämpft, kaputt dürfte sie aber schon vorher gewesen sein. Nach dem Ende der olympischen Spiele war nicht mehr viel los in Sarajevo und auch die Sportstätten wurden nicht mehr gut erhalten.
Während Peter ein längeres Telefonat mit seinem Schatzi führt, entere ich die Bobbahn und gehe bergab. Ich bin noch nie in einer Bobbahn gegangen und finde das irgendwie lustig. Die Sonne knallt schon ziemlich runter, es wird heute wieder ein sehr heißer Tag, hier gibt es aber immer wieder schattige Abschnitte.

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Bild 2: Links im Bild die große Bob-Bahn, daneben eine für Rodeln oder Skeleton oder was auch immer.

Die Bahn sieht nicht vollkommen zerstört aus, wobei die Schaumstoff-Isolierung nur mehr bruchstückhaft zu sehen ist. Hier wird wohl nie wieder ein Bob hinunter fahren.
Es gibt mehrere Verzweigungen und ich entdecke, dass es offensichtlich mehrere verschiedene Bahnen gab. (Recherchen ergeben, dass es die einzige Bahn der Welt mit drei Strecken war.) Hinter einer Kurve höre ich ein Klopfen. Es stammt von einem jungen Mann, der an der Bobbahn arbeitet. Ich frage ihn was er da macht und erfahre, dass die Bobbahn von ihm und einer Anzahl Kollegen wieder befahrbar gemacht wird, allerdings nur für Trainingsfahrten im Sommer. Sie füllen die Ritzen mit Zement und klopfen die Bahn nach losen Stellen ab. Er meint, dass sie fast fertig wären und sich schon sehr auf das Fahren freuen würden. Die bosnische Regierung unterstützt sie genau gar nicht, sie machen das alles in ihrer Freizeit und unentgeltlich. Sie wollen einfach wieder besser Bobfahren können und dazu brauchen sie eine gut erreichbare Trainingsstrecke.

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Bild 3: Der junge Mann beim Ausbessern der Bahn. Sein Englisch war tadellos und es war ein sehr angenehmes Gespräch.

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Bild 4: Eine der ausgebesserten Stellen. Die Bahn wird mit Zement wieder glatt und für Sommertraining befahrbar gemacht.

Auch das ist Bosnien, hier tut sich was und ich erinnere mich an das Genozid-Museum, das ebenfalls von jungen Studenten in Eigenregie aufgebaut wurde und erhalten wird.
Ich wünsche dem jungen Mann viel Erfolg und wandere weiter. Die Bahn geht in vielen Kurven talwärts und ich komme beim Rückweg ganz ordentlich ins Schwitzen. Ein Seitenast ist schon ziemlich überwachsen, hin und wieder marschieren andere Besucher über die Bahn und ich erinnere mich an die Warnung meines Bruders, einfach so in den Wald hinein zu gehen, da es immer wieder Minenunfälle gibt. Glücklicherweise hat Österreich vor ein paar Jahren zähneknirschend zugestimmt keine Anti-Personen-Minen mehr zu bauen. Davor haben wir an dem einen oder anderen zerfetzten bosnischen Kind sehr gut verdient und ich kann das Argument „Wenn wir es nicht bauen und verkaufen, dann verdient wer anderer das Geld“ nicht mehr hören, echt nicht.

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Bild 5: Eine Stelle, an der sich die Natur die Bahn langsam zurück holt. Immerhin ist der Bau schon 34 Jahre her.

Ich kann den Besuch der alten Bobbahn empfehlen, es herrscht eine eigene Stimmung dort im Wald auf der Höhe und zeigt einen ganz anderen Blick auf Sarajevo.
Beim Hinunterfahren zeigt mir mein Bruder noch die Stellungen, von denen die Serben damals die Stadt unter Beschuss nahmen. Ein paar Ruinen stehen noch dort, daneben gibt es eine moderne Sommerrodelbahn.

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Bild 6: Der Blick hinunter auf die Stadt.

Als wir wieder in Peters Haus sind, fehlt mir Bewegung. Also vertrete ich mir noch ein wenig die Beine und marschiere den Hügel bergauf. Die Straßen sind unfassbar steil, so etwas wäre bei uns nicht möglich und ich habe nicht die geringste Idee wie die das im Winter machen, wenn viel Schnee liegt.

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Bild 7: Die Steilheit ist am Bild nicht so gut zu erkennen, aber es ist sehr steil.

Links und rechts ist alles voll mit Einfamilienhäusern, es sieht ein bisschen aus wie am Klosterneuburger Ölberg, nur sind die Häuser weniger protzig, es gibt halbfertige Buden, Rohbauten, dazwischen die eine oder andere kleine Moschee, Ruinen, aber auch sehr schöne Häuser. Bauvorschriften dürfte es hier nicht geben, es baut jeder was er will und wie er will – nur das rote Ziegeldach, das haben alle gemeinsam, wenngleich die alte Regel (Giebeldach Christen, Pyramidenförmiges Dach Muslime) nicht mehr gilt.

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Bild 8: Einer der zahlreichen kleinen Friedhöfe. Die muslimischen kann man daran erkennen, dass alle Grabsteine weiße Stelen sind. Dieser dürfte nicht sehr gepflegt sein.

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Bild 9: Ein typischer Rohbau, wie man ihn am ganzen Balkan findet. Niemand weiß, ob dieses Haus jemals fertig gebaut wird. Das Auto davor ist auch typisch.

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Bild 10: Moschee, Rohbau, Blumen in einem gepflegten Vorgarten – die Mischung ist typisch für die Hügelkette rund um Sarajevo.

Ich wandere bis zum Grat hinauf, wo eine kleine Straße verläuft. Direkt dahinter ist Sarajevo zu Ende, auf der anderen Seite fällt der Hügel relativ steil ab und ich sehe hinten ein riesiges Gewitter aufziehen. Noch schnell ein paar Fotos von einer Ecke, die von Zigeunern bewohnt sein dürfte, die gibt es relativ häufig in Bosnien.

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Bild 11: Schwere Wolken ziehen auf, vor mir ein Autowrack und hinten eine Müllhalde. Das ist auch Bosnien.

Dann marschiere ich wieder zurück und ruhe mich den Rest des Nachmittags ein wenig aus. Am Abend wollen wir mit einer Kollegin von Peter auf einen der Hügel in ein besonders gutes Restaurant fahren. Ich freu mich schon drauf!

Besagtes Restaurant hält was es verspricht. Es gibt – leicht zu erraten – wieder Fleisch, diesmal Pleskjavica mit Pita und Salat, alles hervorragend.

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Bild 12: Mahlzeit!

Über den Abend gibt es sonst nichts zu berichten und ich werde diesen Blog auch mit dieser Eintragung beschließen, denn es gibt auch über den nächsten Tag nichts Aufregendes zu berichten. Mein Bruder führt mich auf den Flughafen, der Check-in mittels Handy funktioniert gut, der Flughafen ist klein und hat nur fünf Gates in einer Abflughalle, was aber vollkommen ausreichend ist.
Wieder fliegen ausgesprochen viele Kinder mit, von 6 bis 14 Uhr gehen insgesamt 9 Flüge, das ist überschaubar.
Der Flug selbst ist okay, der Pilot berichtet uns, dass es in Wien heiter ist bei 21 Grad. Als wir um neun Uhr landen, hat es 25 Grad und schüttet in Strömen. Als ich das Flughafengebäude verlasse hat der Regenguss jedoch gerade aufgehört und ich kann einigermaßen trocken mit dem Roller nach Hause fahren.

Mein Fazit: In Sarajevo sollte man einmal gewesen sein. Eine ganze Woche muss es nicht sein, aber die knapp vier Tage waren ideal, um alles zu sehen, was wichtig ist. Die Preise sind günstig und es gibt eine Welt zu entdecken, die ich in dieser Form sonst noch nirgends erlebt habe. Vielleicht komme ich ja einmal wieder.

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Bild 13: Ein so genanntes „Schwiegermuttertürl“, hier in der bosnischen Variante. Irgendwie auch ein passendes Abschlussbild zu dieser Reise, keine Ahnung warum. Vielleicht einfach nur, weil es das letzte war, das ich aufgenommen habe.

Sarajevo, 3. Tag

Heute geht es nach Mostar. Viel weiß ich nicht von dieser Stadt, nur dass es eine alte Brücke gegeben hat, die im Krieg zerschossen und danach wieder aufgebaut wurde. Nicht sehr üppig, aber das kann sich ja heute ändern.
Weil Peters alter T4-Bus schon über 300.000 km am Buckel hat und gerne etwas heiß wird, mieten wir uns einen Skoda Rapid, der kann alles, was wir brauchen, um bequem nach Mostar zu kommen, das ca. 160 km entfernt ist.
Wir brechen schon um 7 Uhr auf, um die Kühle des Morgens mitnehmen zu können und der Beginn der Fahrt führt uns über das brandneue Stück Autobahn. Die Gegend sieht aus wie die Steiermark, nur die Dichte der Golf-2-Modelle ist ungleich höher oder so wie in den frühen 1990-er Jahren in der Steiermark.

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Bild 1: Autobahn bei Sarajevo

Die Autobahn endet an den Schluchten des Balkan. Sie sehen so aus wie man sie sich aus den Karl-May-Büchern vorstellt und hinter jeder Ecke könnte der Schut auftauchen.
De facto tauchen nur Autos auf, die dafür aber gerne mal die Kurve schneiden. Die Straße ist aber gut ausgebaut, wenngleich man als Motorradfahrer aufpassen muss, weil die alten Kisten gerne Öl verlieren und da liegst du schneller als du „Shit“ sagen kannst.

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Bild 2: Weiter geht es auf der Landstraße durch die Schluchten des Balkan

Von Sarajevo nach Mostar könnte man auch mit dem Skateboard fahren, denn es geht ständig nur bergab. Die Straße führt durch die Schluchten immer an Flüssen entlang, die mehr oder weniger ständig aufgestaut sind. Ich weiß nicht wie viel Strom sie erzeugen, aber angeblich wird Mostar mit solchem Strom versorgt.

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Bild 3: Einer der vielen Stauseen

Hier eine Autobahn zu bauen wäre so irrwitzig teuer und würde unfassbare Zerstörung der Landschaft bedeuten, dass ich ganz froh bin, dass dies nicht gebaut wird. Es geht auch ohne, denn nach 2 bis 2,5 Stunden ist man auch so am Ziel.
Die Schluchten hören ganz plötzlich auf und öffnen eine weite Hochebene, in die mehrere Täler zusammenkommen. Ganz plötzlich ändert sich auch das Klima, es wird sofort wärmer, die Landschaft ist karstig und trocken. Auch hier sieht man die uralte Vermischung der Kulturen, in manchen Dörfern dominiert eine kleine Kirche, in anderen wieder eine Moschee.

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Bild 4: Kurz vor Mostar

Wir erreichen Mostar und Peter sucht einen Weg durch die Stadt, um möglichst nah der Altstadt einen Parkplatz zu finden. Da auch diese Stadt im Krieg ordentlich was abbekommen hat, sehen wir jede Menge Ruinen, aber auch ein palastartiges Gebäude, von dem ich nicht genau herausfinden konnte, was sein Zweck ist, ich schätze eine Behörde ist dort einquartiert. Schön und hässlich liegen hier nah beeinander.

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Bild 5: Top restauriert erinnert der Stil an die Bibliothek in Sarajevo

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Bild 6: Ruinen und davor der obligate 2er-Golf

Viel Verkehr ist nicht und wir finden einen kleinen Parkplatz, auf dem noch was frei ist. Das Haus daneben ist eines von den zerschossenen.

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Bild 7: Man sieht einen ausgebesserten Granateinschlag und zahllose Maschinengewehrsalven

Als wir aussteigen kommt ein Typ auf uns zu, der sich als lokaler Fremdenführer herausstellt. Er hängt hier ab und wartet bis Touristen kommen, denen er eine Tour aufschwatzen möchte.
Da Peter zwar schon öfter hier war, selbst aber auch nicht alle Infos hat, willigen wir ein und gehen los. Alen Kuko heißt unser Führer, hat viele Jahre in Deutschland gelebt und spricht fließend Deutsch. Er berichtet auch vom Krieg und zeigt sein Ohr, von dem ein kleines Stück fehlt, das ihm im Krieg angeblich von einem Granatsplitter abgeschossen wurde. 220.000 Menschen seien damals in ganz Bosnien umgekommen, davon 5.000 in Mostar, das heute ca. 120.000 EinwohnerInnen hat. Er selbst war damals 15 Jahre alt.
70 Mark soll die Führung kosten, was ein durchaus stolzer Preis für die dortigen Verhältnisse ist. Alen meint, er hätte hungrige Kinder zu ernähren und müsste all das Geld im Sommer verdienen. Soll sein.
Wir marschieren an einem schnuckeligen Hotel vorbei, in dem Peter meist übernachtet, wenn er beruflich in Mostar ist.

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Bild 8: Das alte, aber sehr gute Hotel

Daneben ist die „Crooked Brigde“, eine uralte Brücke, die es schon vor der legendären anderen Brücke gab. Dieser Teil der Altstadt war im Krieg sehr kaputt, wurde aber wieder sehr schön aufgebaut.

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Bild 9: Die alte Crooked Bridge

Dann marschieren wir durch einen kleinen Basar mit Touristenzeugs zur großen Brücke. Sie wird von zwei kleinen Wehrtürmen geflankt und ist wahrhaftig eine Sehenswürdigkeit.

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Bild 10: Blick von der Brücke auf einen der Türme, die auch wieder aufgebaut wurden.

Über der eigentlichen Pflasterung liegen Steinleisten quer, die früher den Pferden als Rutschsicherung gedient haben, meint unser Führer. Er kann erkennen, ob es ein Einheimischer ist, der über die Brücke geht oder ein Tourist – erstere gehen auf den Leisten, letztere dazwischen. Peter und ich gehen jetzt nur mehr auf den Leisten und machen die obligaten Fotos. Wir sind relativ früh dran und daher ist die Brücke zwar nicht leer, aber auch nicht so voll wie etwas später.

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Bild 11: Die Querleisten auf der Brücke

Es gibt die Brückenspringer – das sind junge Männer, die sich 30 Euro von irgendwelchen Touristen bezahlen lassen, damit sie von der Brücke 25 Meter in die Tiefe springen. Da gerade niemand das zahlen will, sehen wir keinen springen.
Die Brücke selbst wurde im Krieg von den Kroaten gesprengt und von 2002 bis 2004 von den Türken wieder aufgebaut, davor gab es eine provisorische Hängebrücke.
Vor dem Krieg gab es in Mostar 1/3 Kroaten, 1/3 Moslems und 1/3 orthodoxe Serben. Letztere gibt es jetzt fast nicht mehr, auch Juden gibt es hier nur wenige.
Auf der anderen Seite führt uns Alen in eine spezielles Lokal, das in einer großen Felshöhle liegt. Dort wäre es auch an heißen Tagen sehr kühl, da sie dort aber laute Disko-Musik spielen, gehen wir wieder zurück über die Brücke, um ein nettes, schattiges Café (Kaffee Karma, mit Gratis-WLAN) unterhalb der großen Brücke zu suchen.

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Bild 12: Die Disko in der Höhle

Dort lassen wir Alen noch ein wenig erzählen, wobei er jetzt schon etwas hin- und herzappelt und wir den Verdacht haben, dass er zurück zum Parkplatz möchte, um neue Touristen zu finden.
Dieser Verdacht stellt sich als richtig heraus, er meint, dass wir den Rest selbst ansehen könnten und 45 Minuten eh schon vorbei wären. Außerdem meint er, dass wir ihm ruhig 100 Mark geben könnten.
Leider merkt er nicht, dass er den Bogen gerade überspannt. Wir geben ihm die versprochenen 70 Mark und er trollt sich. Leider können wir ihn somit nur bedingt weiterempfehlen. Ob dieses Geschäftsmodell schlau ist, dürfen andere bewerten.

Wir trinken noch unseren guten Kaffee aus und marschieren wieder über die Brücke, um die dahinter liegende Moschee zu finden, auf deren Minarett man angeblich steigen kann. Der Weg durch die Altstadt ist von unzähligen Ramschbuden gesäumt, in Summe aber recht malerisch. In und vor den Geschäften sitzen meist junge Verkäuferinnen und pflegen sich zu langweilen.

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Bild 13: Die gesuchte Moschee

Es hat inzwischen 37 Grad und wir finden die Moschee, die man um 6 Euro besichtigen kann. Dass wir Ungläubige sind spielt keine Rolle, denn in der Moschee wurde ein Bereich abgegrenzt, den man betreten darf ohne die Schuhe ausziehen zu müssen. Das Innere der Moschee reist mir nix aus, aber auch sie ist ein Nachbau, inklusive dem besteigbaren Minarett.

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Bild 14: In der Moschee

Die Wendeltreppe ist superschmal, zwei Leute können unmöglich aneinander vorbei und es gibt genau genommen auch keine Ausweichmöglichkeit.

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Bild 15: Die enge Wendeltreppe hinauf auf´s Minarett

Wir haben aber das Glück, dass gerade niemand hinabsteigt und erreichen die kleine Plattform. Für mich ist das auch deswegen interessant, weil ich noch nie auf einem Minarett war. Ich kann aber gut verstehen, dass ein Aufseufzen durch die muslimische Welt ging, als die Lautsprecher erfunden wurden. Davor musste jeder Muezzin fünf Mal am Tag dort hinauf koffern, um von oben sein Gebet runterzubrüllen. Heute drückt er von unten bequem auf einen Knopf und oben schallt es heraus.
Das, was da schallt, ist übrigens immer das Gleiche, und zwar geht das so:

– Allah is the Greatest. (4x)
– I bear witness that there is no god except Allah. (2x)
– I bear witness that Muhammad is the messenger of Allah. (2x)
– Come to prayer. (2x)
– Come for salvation. (2x)
– Allah is the Greatest. (2x)
– There is no god except Allah.

Der Neuigkeitswert hält sich in Grenzen, wenn du dir das 5x am Tag und das wiederum jeden Tag anhören musst. Außerdem kommt mir der Verdacht, dass die Typen selbst nicht glauben, dass es nur einen Gott gibt. Warum wiederholen sie es sonst so oft?
Der Blick hinunter auf die Brücke von Mostar ist jedenfalls fantastisch.

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Bild 16: Blick vom Minarett hinunter

Wir marschieren wieder runter und gönnen uns eine kleine Pause in dem netten und schattigen Garten der Moschee. Auch hier gibt es wieder einen Trinkbrunnen, das ist eine der angenehmen Seiten des Islam.

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Bild 17: Einer von vielen Brunnen im Garten einer Moschee

Die in Sarajevo gekauften Converse waren übrigens eine erstklassige Wahl, sie sind äußerst bequem und ich schwitze darin weniger als in den super-antitranspirant-hightech-Geox-Latschen, viel weniger sogar.
Es ist 12:30 und machen wir uns auf den Weg zurück. Für Mostar brauchst du zwei Stunden, dann hast du alles gesehen, mehr gibt es nicht wirklich. Deswegen ist das auch ein so beliebtes Ausflugsziel bei den Touristen von der dalmatinischen Küste, weil man es schnell und ohne großen Aufwand erledigen kann.
Minarette gibt es jedenfalls genügend hier in Mostar.

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Bild 18: Wo bei uns Kirchtürme stehen, sind dort Minarette

Die Rückfahrt ist angenehm und unspektakulär, der Verkehr hält sich in Grenzen und wir machen noch einen Halt an einem der vielen Stauseen, um zu baden. Das Wasser ist kühl und erfrischend und der am Ufer wachsende Feigenbaum hat zwar Früchte, die sind aber ungenießbar.

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Bild 19: Stausee mit Bademöglichkeit

Die Zikaden machen mediterranen Lärm und wir bekommen langsam Hunger, den wir in einem der zahlreichen Lokale befriedigen können, die am Straßenrand liegen, meist mit Blick auf einen Stausee.
Dort drehen sich riesige Spieße mit kleinen, unschuldigen Lämmern, die als lokale Spezialität angeboten werden. Dazu gibt es interessante Salatvarianten und das übliche Fladenbrot. Es ist etwas teurer, aber sehr gut und wir sind schließlich erstens im Urlaub, zweitens ist es für unsere Verhältnisse immer noch billig und drittens befinden wir uns in so etwas wie einer Autobahnraststätte.
Kurz vor der Autobahn kaufe ich bei einem Tankstopp von einem Händler am Straßenrand noch zwei Gläser mit Honig und bin schon gespannt, wie er schmeckt. Angeblich ist er lokal erzeugt und kostet 5 Euro pro Kilo.

Die Fahrt ist kurzweilig und ich kann noch ein paar Heumandln fotografieren, die es bei uns schon länger nicht mehr gibt. Hier ist auch die Landwirtschaft vor allem in den Bergen ein paar Jahre oder Jahrzehnte hinterher.

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Bild 20: Heumandln, bei uns sind das inzwischen in Plastik eingeschweißte Riesenrollen.

Dann sind wir wieder in Sarajevo und ruhen uns erst mal aus, denn wir wollen am Abend noch in die Stadt fahren und uns ein gutes Bier gönnen oder zwei.
In Bosnien läuft alles ein wenig gemütlicher ab und der Autovermieter hat keine Zeit den Skoda abzuholen, daher machen wir uns locker für morgen Vormittag die Übergabe aus. Wir können also mit dem kleinen Auto in die Stadt fahren und müssen nicht die VW-Bus-Kiste nehmen.
Es geht wieder vorbei an den immer noch zerschossenen Plattenbauten, in denen die nicht so wohlhabenden Leute wohnen.

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Bild 21: Ein Granateinschlag und zahlreiche Einschüsse sind gut sichtbar, sie wirken wie Narben im Gesicht der Stadt

Bosnien ist nicht besonders reich an Bodenschätzen, auch Landwirtschaft ist eher kleinflächig möglich, es gibt Holz, Wasser, ein bisschen Wein und Honig, aber im großen und ganzen sind wir hier im eher kargen Balkan. Daher ist auch die Arbeitslosigkeit hoch und der Wunsch vieler Menschen, irgendwo im Ausland das Glück zu versuchen und dann in der Pension wieder hier zu leben – so wie das die Nachbarn machen, genau gegenüber, in ihrem mehrstöckigen Haus. Sarajevo ist nicht unangenehm, durch die Höhenlage ist das Klima aushaltbar, nur im Winter haben sie – ähnlich wie Wien – öfter Inversionslage mit schlechter Luft. Da musste vor einiger Zeit sogar der Autoverkehr eingeschränkt werden, was sie aufgrund der hohen Motorisierung doch trifft.

Heute ist es aber schön und wir parken in einem Parkhaus mitten in der Altstadt, was für den gesamten Abend ca. 5 Euro kostet. Eine Bekannte hat uns zwei Lokaltipps gegeben, der erste scheitert daran, dass es kein Bier gibt. Also marschieren wir in den „christlichen“ Teil und setzen uns in ein Pub, also genau genommen davor in den Gastgarten. Auf der Straße fahren aufgemotzte BMW und VW vorbei, möglichst laut, mit tätowierten Testosteronis drinnen, ganz wie bei uns.
Das Bier ist gut und wir genießen den lauen Abend. Danach marschieren wir noch beim „ewigen Feuer“ vorbei, das am Ende der Fußgängerzone an einer Hausecke brennt.

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Bild 22: Guido am Feuer

Ach ja – hier sehe ich, wie anders die Uhren gehen. In Wien verhandle ich mit dem Magistrat usw. über Gehsteig-Mindestbreiten. Darüber können die hier maximal schmunzeln.

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Bild 23: DAS ist ein schmaler Gehsteig. Wenn der Bewohner ein Fenster aufmacht, muss er sich vorher vergewissern, dass keine Bim kommt.

Die Häuser erinnern an Wien und nicht nur in einem ist unten eine Raiffeisenbank oder ein dm-Markt.

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Bild 24: Eines von vielen alten Häusern mit schöner Fassade

Nicht weit davon der zweite Lokaltipp, der sich als Volltreffer herausstellen sollte. Eine kleine Bar – oder nennen wir es einfach „Lokal“, es ist so speziell, dass ich es schwer beschreiben kann.
Wir treten ein, die wenigen Tische in gemütlichen Ecken sind besetzt, es ist eng hier herin, aber auf den ersten Blick gemütlich. Gerade mal vor der Theke ist ein Tisch nur mit einem weißhaarigen Herrn besetzt, doch der steht auf und deutet uns, dass wir den Tisch haben können. Er schaut unendlich mürrisch drein und als gelernter Wiener habe ich den Verdacht, dass es sich dabei um den Chef handelt. Die entzückende Kellnerin bestätigt das, während sich der Weißhaarige trollt.
Das Lokal heißt „Zlatna Ribica“ und dürfte international nicht ganz unbekannt sein – auch auf Facebook ist es zu finden. Es ist ein bisschen wie ein Wohnzimmer, überfüllt mit tausenden Gegenständen, die überall herumstehen. Das Auge ist überfordert, irgendwo spielen sie auf Bildschirmen uralte Filme und es gibt keinen Gegenstand zwei Mal. Wenn du drei Bier bestellst, bekommst du sie in verschiedenen Gläsern. Auch die Untersetzer sind verschieden.

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Bild 25: Für´s Auge

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Bild 26: In einem alten Radio ist der Bildschirm, von dem aus sie MP3s spielen

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Bild 27: Zuerst dachte ich schon, sie haben ein Bild von Gavrilo Princip aufgehängt, aber die Kellnerin klärte mich dann auf, dass es Nicola Tesla ist.

Der optische Irrsinn lässt deine eigenen Gedanken wirr werden, ich bestelle das erste Mal in meinem Leben Walnusslikör („Orahovac“ steht auf der Rechnung), keine Ahnung warum. Er wird in kleinen Zinnbechern serviert, alles ist irgendwie unfassbar schräg.

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Bild 28: Getränke

Selbst das WC wirkt wie einem LSD-Tripp entsprungen, vielleicht ist es das ja auch. Es gibt einen winzigen Fernseher und jede Menge Toilette-Artikel, woher auch immer.

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Bild 29: Das WC, mit Fernseher und sonst noch so einigem

Und das Zlatna Ribica ist extrem kommunikativ. Nach kurzer Zeit setzt sich ein dänisches Pärchen zu uns, mit dem wir uns längere Zeit ausgezeichnet unterhalten. Die Themen und die Gedanken sind so vielfältig wie das Lokal, als wir rausmarschieren ist es auf einmal nach Mitternacht.
Wenn man das Zlatna Ribica googelt, so findet man unter dem gleichen Namen auch ein Fachgeschäft für Fischereizubehör, ein Restaurant in Serbien, eine Raiffeisenbank in Kroatien und wahrscheinlich noch viel anderes Unerwartetes – irgendwie ist das stimmig. Einmal eingefangen, ist nicht klar, ob man sich in einem Wohnzimmer befindet oder in einem Lokal, irgendwie wechselt das dauernd. Ich kann es am ehesten mit dem Kleinsasserhof am Millstädtersee vergleichen, der hat einen ähnlichen Spirit, allerdings längst nicht so gemütlich.
Wer einen Abend in der Altstadt von Sarajevo verbringt, sollte dorthin gehen, am besten zum Abhängen, ohne Stress und mit guter Laune. Wir jedenfalls fahren bestens gelaunt nach Hause und verbringen eine angenehme Nacht, denn in der letzten gab es ein ordentliches Gewitter, heute ist es aber trocken und ich freue mich auf den letzten Tag, den Sonntag.

Sarajevo, 2. Tag

Das Bett bequem, die Luft kühl und frisch – auch wenn es in Sarajevo tagsüber im Sommer sehr heiß ist, so kühlt es in der Nacht aufgrund der Seehöhe ausreichend ab, vor allem weil von den Hügeln kühle Luft hinabstreicht.
Peter hat mir für heute einen Führer engagiert, er heißt ebenfalls Tarek und ist 21 Jahre alt. Er studiert an der Uni von Sarajevo und spricht ausreichend gut Englisch. Seinen eigenen Renault hat er seinem Vater geborgt, der damit nach Kroatien auf den Campingplatz gefahren ist. Wir fahren mit einem alten Polo mit 255.000 km herum, den er sich von seinem Großvater geborgt hat.

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Bild 1: Tarek, er studiert Jus und Wirtschaft

Da mir mehr oder weniger wurscht ist, in welcher Schüssel ich herumgefahren werde, steht einem spannenden Tag nichts im Wege.
Ich erkenne schnell, dass Tarek ein guter Autofahrer und ein sehr netter Kerl, leider aber kein Fremdenführer ist. Er kann mich dorthin fahren, wo ich hin will und antwortet bereitwillig auf alle Fragen, sofern er die Antwort kennt, aber von sich aus erzählt er nichts.
Da ich fast keine Ahnung habe, was es in Sarajevo zu sehen gibt, versuche ich ihm Sehenswürdigkeiten zu entlocken. Das klappt einigermaßen und so machen wir uns auf den Weg zum „Tunnel of Hope“.
Sarajewo war ja von 1992 bis 1995 fast 3,5 Jahre lang belagert – etwas, das ich damals nicht so mitbekommen habe, da die Medien nur bruchstückhaft berichtet haben. Hin und wieder hat der Fritz Orter seinen zerzausten Lockenkopf in die Kamera gehalten und die eine oder andere Schreckensnachricht gebracht, aber so richtig verstanden habe ich erst zwanzig Jahre später, was da passiert ist. Die schon erwähnte Doku hat ausführlich gezeigt, welchen Wahnsinn die EinwohnerInnen dieser alten Kulturstadt aushalten mussten.
Ich komme noch einmal auf das Kochlöffelbeispiel zurück: Nur die untere Spitze des Stiels war damals die räumliche Verbindung zu Bosnien-Herzegowina, alles andere rundherum war von den Serben besetzt. Sie platzierten auf den Hügeln rund um die Stadt ihre Armee und die Artillerie schoss bequem ihre Granaten in die Stadt hinunter. Das hatte verheerende Folgen, denn man musste immer und überall darauf gefasst sein von einer Granate getroffen oder erschossen zu werden. Dafür gab es die Sniper, die serbischen Scharfschützen, die auch gerne Kinder und Frauen auf´s Korn nahmen.
Auch Tareks Vater wurde von einem Sniper erwischt, der ihm von hinten in den Hals schoss. Die Kugel ist dann in seinem Mund explodiert, interessanterweise hat er das überlebt und ist nach inzwischen neun plastischen Operationen wieder einigermaßen hergestellt. Er spürt halt seinen Unterkiefer nicht und braucht ein bisschen mehr Urlaub als andere Menschen, vor allem weil er einen anstrengenden Management-Job hat, deswegen auch der sommerliche ausführliche Aufenthalt in Kroatien am Meer.

Während Tarek mir das alles erzählt, erreichen wir das Museum, das für den Tunnel gebaut wurde. Weil die Stadt ja eingeschlossen war und man den genau in der Lücke liegenden Flughafen nicht oder nur mit sehr großem Risiko überqueren konnte, beschloss man einen Tunnel zu bauen. Das gelang tatsächlich und so konnte über längere Zeit ein gewisser unentdeckter Waren- und Personentransfer durchgeführt werden. Man baute Schienen in den niedrigen Tunnel und pölzte Decke und Wände mit dem ab, was gerade zur Verfügung stand. Kleine Wägelchen waren als Krankentrage ausgeführt oder als Warentransportmittel. Lustigerweise wurden die Eingänge lange Zeit nicht entdeckt.

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Bild 2: Das leuchtende Band quer drüber ist der Tunnelverlauf

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Bild 3: Der nachgebaute Tunnel

Heute steht ungefähr an der Stelle des südlichen Ausgangs ein kleines Museum und man hat ca. 15 Meter des Tunnels nachgebaut, so dass die Besucher das Feeling einigermaßen nachvollziehen können. Es gibt Video-Installationen und im Garten des Grundstücks auf der Wiese eine kleine Ausstellung über Minen und Sprengfallen.
Ich sehe mir das alles an und entdecke eine Wasserpumpe (um den Stollen freizuhalten) der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck, hergestellt von Rosenberger. Das ist alles nicht lange her, echt nicht lang.
Neben dem Museum ist ein geschotterter Platz, den man als Parkplatz benützen kann. Dort steht ein Typ herum, der Geld dafür kassiert. Tarek meint, er ist sich überhaupt nicht sicher, ob der offiziell dort steht oder einfach nur eine unbesetzte Einkommensquelle entdeckt hat. Egal, das Geld ist es mir wert.
Danach fahren wir nicht weit an den Fuß des südlichen Hügels – eigentlich ein Berg, an dessen Fuß ein Park ist, in dem die Quelle des Flusses Bosna zu sehen ist, der für das Land namensgebend ist. Auch dort gibt es einen Parkwächter, also genau genommen zwei, einen für den Parkplatz und einen am Eingang zum Park, beide sind zu bezahlen, wenngleich es sich hier um Summen wie einen oder zwei Euro handelt.
Der Tag ist jetzt schon heiß und wir sind froh unter die kühlen Bäume des Parks zu kommen. Dort ist es wirklich sehr angenehm und es gibt auch eine nette Anzahl an Besuchern, vor allem Familien, die den heißen Tag zum Teil hier verbringen.
Die Quelle ist beeindruckend, das Wasser sehr kühl und die gesamte Atmosphäre ausgesprochen einladend. In den zahlreichen Teichen schwimmen Schwäne und es gibt Bankerln, auf denen man sich ausruhen kann.

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Bild 4: Die Quelle ist groß und fließt stark

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Bild 5: Die Teiche haben glasklares Wasser, Schwäne ergänzen die Idylle

Tarek erzählt mir, dass er bald mit ein paar Freunden nach Griechenland auf Urlaub fahren wird, seine Freundin dürfe leider nicht mitfahren, weil ihr strenger Vater das verbietet – volljährig hin oder her.
Jungen Menschen haben es generell nicht leicht, denn die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Perspektiven dafür niedrig. Tarek meint, dass er es nach dem Studium ev. mit Hilfe seines Vaters schaffen wird einen Job zu finden. „Prinzipiell kann jeder einen Job finden, aber dann arbeitest du als fertiger Akademiker oder Facharbeiter halt als Kellner“, erzählt er mir am Weg zurück in die Stadt.
Deswegen gehen viele junge Leute nach Deutschland, weil sie dort als KrankenpflegerIn um die 1.600 Euro verdienen, hier allerdings nur 300 bis 400, bei zwar geringeren Lebenserhaltungskosten, aber der Unterschied ist trotzdem beträchtlich.

Wir fahren am Fluss auf der großen Hauptstraße (der schon erwähnten Sniper Alley) in Richtung Altstadt. Neben uns fährt die Straßenbahn, die Triebwägen und Waggons sind aus verschiedenen Ländern zusammengeschnorrt, auch die eine oder andere Wiener Garnitur fährt hier herum. Das ist mit den Autos und den O-Bussen nicht anders, Bosnien war und ist der Wiederverwertungsort für ausgemusterte Technik aus ganz Europa. Nur bei den Autos haben sie einen Riegel vorgeschoben, die dürfen für den Import nicht mehr älter als zehn Jahre sein. Mit Abgaswerten oder so dürfte das nichts zu tun haben, das spielt de facto keine Rolle, ebenso wie der technische Zustand der Autos generell. Da ist Bosnien noch viele Jahre hinter dem EU-Standard.
Die meisten Leute hier fahren übrigens recht rücksichtsvoll und die neu gebauten Straßen oder Kreisverkehre sehen aus wie bei uns – viel wurde und wird übrigens mit EU-Geld gebaut, so wie das ca. 25 km lange Autobahnstück von Sarajevo Richtung Mostar, das genau dort aufhört, wo die Berge und Schluchten beginnen. Diese Autobahn ist mautpflichtig und somit fast immer leer. Sie waren aber so schlau den letzten, bei Sarajevo gebauten Teil mautfrei zu machen, so dass die Menschen dieses Stück gratis benützen dürfen – schlauer als bei uns in Wien, wo die Nordbrücke nur mit Pickerl zu befahren ist.

Geparkt wird allerdings überall und irgendwo, auf Gehsteigen, Grünstreifen, im Kreuzungsbereich – ein Ticket kostet umgerechnet 40 Mark und wenn man es binnen sieben Tagen bezahlt nur die Hälfte, da bleiben also 10 Euro übrig, das ist für viele bequemer als sich umständlich einen freien Parkplatz zu suchen oder auf einen kostenpflichtigen zu fahren. Die Polizei ist meistens recht entspannt, mein Bruder berichtet, dass sie ihn, wenn er mit der Suzuki fährt, noch anfeuern, dass er schneller fahren soll.
Roller oder Motorräder gibt es fast keine, ich habe gerade mal eine einzige Vespa gesehen, die Motorräder waren meist Tourenfahrer aus Europa. Auch Fahrräder gibt es wenige und wenn, dann nur unten am Talgrund. Die Straßen hinauf auf die Hügel sind steil bis unglaublich steil, hier werden erst E-Bikes eine Veränderung bringen und das wird vermutlich noch dauern. Bis dahin staut man fröhlich durch die oft sehr engen Gassen und alle fahren mit dem Auto. Die Stadt wächst die Hügel hinauf und alle, die sich hier neu ansiedeln, tun das mit Auto und Garage.

Wir parken auf einem der Parkplätze linksseitig des Flusses. Genau gegenüber ist die Bibliothek, die von den Serben in Brand gesteckt wurde. Dabei wurden ca. 2 Millionen Bücher und Schriften vernichtet, viele davon waren uralte Einzelstücke, in Summe war dies die Bosnische Geschichte, die von den Serben erfolgreich ausradiert wurde, eine Art konzentrierte Bücherverbrennung.
Nachdem die Bibliothek jahrelang als Ruine herumstand, wurde sie vor ein paar Jahren sehr aufwändig wieder aufgebaut. Es sieht etwas kitschig aus, ist in Summe aber stimmig. Heute befindet sich darin keine Bibliothek mehr, es gibt Ausstellungen und Konferenzräume.

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Bild 6: Die wiederaufgebaute Bibliothek

Interessanterweise ist mir ein Haus aufgefallen, das genau neben unserem Parkplatz steht und irgendwie sehr nett aussieht. Ich habe erst später erfahren, dass es eine bewegte Geschichte im wörtlichen Sinne hat. Es stand nämlich früher dort, wo jetzt die Bibliothek steht und der damalige Besitzer weigerte sich es zu verkaufen. Man hätte ihn einfach davonjagen können, aber in der k.u.k-Monarchie gab es Gesetze, die jedem das gleiche Recht einräumten. Also konnte er nicht einfach enteignet werden und man bot ihm an, das Haus auf die andere Seite hinüber zu versetzen. Auf dieses Angebot ging er schließlich ein und heute ist das Haus ein schmuckes Restaurant.

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Bild 7: Inat Kuca, das kleine Restaurant gegenüber der Bibliothek

Dann marschieren wir in die Altstadt. Im muslimischen Teil gibt es besonders viele Moscheen und einen Bazar, der allerdings sehr touristisch ausgelegt ist. Man kann hier vor allem Kupfergegenstände kaufen, ein Stand reiht sich an den nächsten.

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Bild 8: Alles was der Touristen Herz begehrt

Es gibt aber auch einen uralten Bazar in einer Halle, allerdings findet man auch dort Gucci-Handtaschen und fast echte Rolex-Uhren. Jede Menge kleine Restaurants reihen sich in einer langen Straße aneinander, die als Fußgängerzone angelegt ist.

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Bild 9: Die Fußgängerzone mit Einkehrmöglichkeit ohne Ende

In der Altstadt gibt es fast keine Plattenbauten und sie wurde im Krieg auch wesentlich weniger kaputtgeschossen. Trotzdem finden sich noch an jedem fünften Haus Einschusslöcher der Maschinengewehrsalven. Die unzähligen Granattrichter wurden aber großteils ausgebessert, die Stellen sind aber oft noch gut sichtbar. Es muss grauenvoll gewesen sein, die Schändung einer uralten und sehr schönen Stadt.
Es ist sehr heiß und an einem zentralen Platz gibt es eines der Wahrzeichen von Sarajevo, einen holzverkleideten Brunnen mit Trinkwasser. Dort sehe ich auch die einzige Ansammlung an verschleierten Frauen, es dürfte sich um arabische Touristinnen handeln, von denen es ja hier jede Menge gibt.

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Bild 10: Der Brunnen

Wir schlendern durch die Gassen und erreichen den Teil der Altstadt, der stark an Wien erinnert – Gründerzeithäuser, Pflastersteine, Cafés – in eines davon setzen wir uns und beobachten bei einem Meinl-Kaffee die zahlreichen Vorbeischlendernden. Es gibt an jeder Ecke Eis zu kaufen, bei den Palatschinken zeigt sich allerdings, dass Jugoslawien seinerzeit zu Recht zum Ostblock gerechnet werden konnte. Es gibt sie mit Nutella (mag ich nicht) oder mit Marmelade. Das mag ich, außer Erdbeermarmelade. Der Kellner sinniert kurz und meint dann, es gäbe nur eine Marmelade, nämlich „mixed“ und da wäre auch Erdbeer drin. Also lasse ich es. (Die Geschichte geht später noch weiter.)

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Bild 11: Weil es sehr heiß ist, versprüht man Wasserdampf zur Kühlung.

Gleich um´s Eck befindet sich eine weitere Markthalle aus der österreichischen Zeit, die vor kurzem renoviert wurde. Dort wird vor allem Fleisch verkauft.

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Bild 12: Die Fleischhalle

Nur wenige Meter weiter, etwas versteckt im ersten Stock eines alten Hauses, befindet sich das Genozid-Museum. Man muss läuten, dann wird geöffnet und in einer großen ehemaligen Wohnung befindet sich das Museum, das man jedoch nur mit guten Nerven besichtigen sollte. Betrieben wird es von drei Studenten, die über die Gräueltaten im Krieg ihre Abschlussarbeit an der Uni geschrieben und dann gleich in die Praxis umgesetzt haben. Es kostet wohlfeile 10 Mark (also 5 Euro, Tarek muss als Führer nichts bezahlen) Eintritt und beherbergt eine Vielzahl an Artefakten und Schautafeln, vor allem über die zahllosen Kriegsverbrechen, die im ganzen Land begangen wurden. Die Tafel mit den Konzentrationslagern (mehrere hundert in ganz Bosnien-Herzegowina) ist beeindruckend und ich merke, wie viel ich bisher nicht wusste.

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Bild 13: Die Standorte der Lager

Das galt schon vor Jahren für die Genozid-Museen in Kambodscha und Ruanda, dieser Bürgerkrieg fand jedoch vor unserer Haustüre statt, mehr oder weniger.
Es gibt erschütternde Videos und das gesamte Museum ist sehr sorgfältig aufgebaut. Ich kann seinen Besuch durchaus empfehlen. Die wirklich schrecklichen Bilder von Folter, Verstümmelung und den zahlreichen Massengräbern erspare ich meinen LeserInnen jedoch an dieser Stelle.
Der Staat Bosnien hat übrigens kein Museum über die Zeit und unterstützt die drei Studenten auch nicht, was ich persönlich für eine Schande halte.

Hier sehen wir auch den Stabilisator der Granate, die 1993 auf einem zentralen Gemüsemärkte in der Altstadt eingeschlagen ist und 60 Menschen getötet und Unzählige verletzt hat.

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Bild 14: Der Stabilisator der Granate

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Bild 15: Der Markt wurde wieder aufgebaut, ist heute aktiv und überdacht

Wer Lust hat, kann sich ein Post-it schnappen und eine Botschaft drauf schreiben und den Zettel dann an die Wand pinnen:

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Bild 16: Zahlreiche bunte Zettel zeugen von der Anteilnahme der BesucherInnen

Eine katholische Kirche, daneben eine serbisch-orthodoxe, daneben eine Moschee und ich glaube, eine Synagoge haben sich auch noch – das ist Sarajevo, Jahrhunderte lang ein Ort für alle, jedenfalls bis in die 1990er-Jahre.
Wir marschieren weiter, nachdem ich im Internet den Ort des Attentats von 1914 herausgefunden habe – Tarek wusste das nämlich nicht. Er befindet sich bei einer Brücke am Fluss und ist nicht sehr spektakulär.

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Bild 17: Die Brücke und das Museum

Über die Jahrzehnte wurden immer wieder Heldenmonumente für den Attentäter Gavrilo Princip aufgestellt und wieder abmontiert. Heute steht dort eine Glasplatte, auf der ein Monument abgebildet ist. Und an der Ecke gibt es ein kleines Museum und das war es dann auch schon, obwohl hier natürlich europäische Geschichte geschrieben wurde, wenn auch auf sehr unrühmliche Art.

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Bild 18: Die Tafel, die an das Attentat erinnert

Dazu fällt mir folgende Geschichte ein:

Der arme Mann wünscht sich so sehnlich eine Fee herbei, die ihm drei Wünsche erfüllen kann. Plötzlich ein Knall – vor ihm steht tatsächlich eine Fee und gewährt ihm die drei Wünsche.
„Also, ich möchte ein schöner Prinz sein und eine schöne Prinzessin zur Frau haben und in einem großen Schloss möchte ich wohnen.“
Ein weiterer Knall – und der Mann wacht auf in einem riesigen Himmelbett in einem riesigen Schloss. Die Türe geht auf, eine schöne Prinzessin kommt herein und sagt:
„Aufstehn, Franz-Ferdinand, heut müss´ ma nach Sarajevo!“

Um 14:30 fahren wir dann noch hinauf auf einen der Hügel, der am Ende des Talkessels liegt. Vorbei am Friedhof, auf dem Izedbegovic, der erste bosnische Präsident nach dem Krieg, begraben liegt, geht es steil bergan bis auf die Hügelkuppe, wo ein nettes Kaffeehaus liegt, von dem aus man einen grandiosen Blick über die Stadt hat.

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Bild 19: Gestatten: Sarajevo

Am Heimweg besuche ich dann noch die Bibliothek, die am Vormittag wegen eines Staatsbesuches gesperrt war. Die Architektur innen ist beeidruckend.

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Bild 20: Innenansicht – das muss seinerzeit als Bibliothek auch grandios gewesen sein.

Den späteren Nachmittag ruhe ich mich bei Peter im Haus aus und verarbeite die vielen Eindrücke dieser interessanten Stadt. Am Abend beschließen wir die Reste der Grillerei vom Vortag aufzufuttern – da ist noch mehr als reichlich vorhanden, auch die Üppigkeit ist ein Teil Bosniens.
Es ist ruhig hier, nur die Kinder der Araber aus dem Nachbarhaus dürfen bis Mitternacht im Freien spielen und machen entsprechenden Krawall. Irgendwann ist auch das vorbei und ich genieße meine zweite Nacht in Bosnien.

Sarajevo 1. Tag

„Schatzi, was sagt dir Sarajevo?“ – so rief mein Bruder seine Freundin am Strand von Kho Samui, wo sie ihre Verlobungsreise verbrachten. Er hatte nämlich gerade ein Angebot für einen Job bekommen, der ihn für zwei Jahre nach Sarajevo führen könnte.
Vanessa wusste mehr oder weniger gar nichts über diese ferne Stadt, die uns ÖsterreicherInnen doch so nah ist. Letztendlich geschah es, dass mein Bruder vor ca. einem Jahr dann seine Koffer packte und ein kleines Haus in Sarajevo mietete.

Ich wollte schon seit längerer Zeit einmal dorthin und jetzt hat es sich ergeben, dass ein Wochenende genau passt. Mit Hitzewelle, aber Sarajevo liegt auf 550 Metern Seehöhe (also der Talgrund, dazu später mehr) und hat überhaupt ein interessantes Klima.
Für Unterkunft ist gesorgt, das Ticket für den Flug mit der AUA kostet erschwingliche 270 Euro und so starte ich in ein sicher spannendes Wochenende.

Zum Flughafen fahre ich mit der Honda, denn ich habe erstens nur einen bordgepäcktauglichen Trolley ohne gefährliche Flüssigkeiten wie Zahnpasta oder Rasierschaum (ist alles im Haus meines Bruders) und zweitens ist das Parken mit einem Zweirad das einzige, was am Flughafen Schwechat gratis ist. Übrigens seit Jahren, man fährt einfach bei der Teilung Abflug-Ankunft die Straße Richtung Ankunft ein Stück weiter und biegt dann rechts ab. Nach wenigen Metern befindet sich auf der rechten Seite ein überdachter Zweiradparkplatz, von dem aus man direkt in die alte Ankunftshalle gehen kann. Alles sehr einfach und bequem. Bei der Ankunft steige ich auf den Roller und bin 25 Minuten später daheim, Staus interessieren mich nicht.

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Bild 1: Honda, gut gepackt

Da ich am Vortag bereits online eingecheckt und meine Bordkarte ausgedruckt mit habe, marschiere ich flugs Richtung Gate und bin erstaunt, dass ich meine Schuhe bei der Sicherheitskontrolle nicht ausziehen muss. Sie haben Metallösen und ich musste sie die letzten fünfzehn Jahre immer ausziehen. „Das ist ihr Glückstag“ meint der freundliche Herr beim Stargate.
Im kleinen Warteraum am Gate wird es irgendwie bosnisch: Jede Menge schreiende Kinder, eine Frau mit Kopftuch, die auf ein paar Sitzen ausgestreckt ein Nickerchen hält und die Passagiere entsprechen ungefähr der Vielfalt, die man auch an einem Mittwoch Vormittag am Brunnenmarkt sehen kann. Selbstverständlich haben die meisten eine Unmenge Handgepäck (bis zu vier Stück) mit, was eigentlich nicht erlaubt ist. Also geht ein AUA-Mitarbeiter durch und sammelt die größten Trümmer ein, nicht ohne entsprechende Diskussionen auszulösen.
Letztlich funktioniert alles irgendwie und der Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Die Maschine ist bis auf den letzten Platz ausgebucht, auf der kurzen Strecke machen mir die engen Sitze aber nichts aus. Ich schaffe es mit durchaus beachtlichem Erfolg einige Seiten eines Buchs zu lesen, was bei den schreienden Kindern vor, neben und hinter mir keine Selbstverständlichkeit ist.
Auch der Flughafen in Sarajevo ist okay – ziemlich neu und die Passkontrolle ist in wenigen Minuten erledigt. Eine Fluggastbrücke haben wir auch bekommen, was laut Aussage meines Bruders keine Selbstverständlichkeit ist.
Der wartet auch schon auf mich und wir entern seinen alten VW-Bus, um zu seinem Haus zu fahren. Der erste Eindruck: Plattenbauten, viele mit Granat- und Maschinengewehrlöchern, die auch nach 22 Jahren noch nicht repariert sind. Der Bosnien-Krieg ist hier immer noch allgegenwärtig und gehört zur Stadt untrennbar dazu. Ich bin mir sicher, dass ich die nächsten Tage noch mehr Eindrücke diesbezüglich bekommen werde.

Um die Stadt zu verstehen, muss man ihre Geschichte, aber auch ihre Topographie kennen. Man kann sich das wie einen kurzen Kochlöffel vorstellen, der am Ende des Stiels den Flughafen hat. Der Stiel selbst ist ein Tal, durch das ein Fluss fließt. Der eigentliche Löffel ist die Altstadt, das alles ist von Hügeln umgeben, die auf einer Seite am Anfang des Stiels durchbrochen sind. Dort geht es quasi links weg in ein Nebental.
Diese Topographie beherrscht die Stadt wie ich es noch bei keiner anderen Stadt gesehen habe. Sie formt sie nicht nur, sondern war auch für die Art und Weise des Krieges und der damit verbundenen 3,5jährigen Belagerung der Stadt verantwortlich.
Ich wusste das alles nicht, bis ich vor ca. 1,5 Jahren eine ausführliche Doku gesehen habe, die von der Zeit der Belagerung berichtet hat. Seitdem war mein Wunsch diesen faszinierenden Ort zu besuchen noch größer.
Rechts vom unteren Teil des Stiels liegt hinter der Hügelkette Nova Sarajevo, also der serbische, neu erbaute Teil. Im Krieg war Sarajevo von der serbischen Armee eingekesselt, nur am Ende des Stiels war ein schmaler Korridor in den Landesteil, der von der bosnischen Föderation beherrscht wurde.

Die Hügel sind zerhüttelt und diese Zerhüttelung schreitet auch oder gerade jetzt munter voran. Was früher noch Wald und Wiese war, ist jetzt Bauland und man braucht dafür keine komplizierten Genehmigungen wie bei uns. Grundstück kaufen, Haus bauen – so einfach ist das.
Nicht so einfach funktioniert das Zusammenleben der drei Ethnien (Kroaten, Bosnier, Serben), deren Differenz genauso künstlich geschaffen wurde wie die zwischen Tutsi und Hutu in Ruanda.
Erkennbar ist das daran, dass sie sich nicht nur äußerlich nicht unterscheiden, sondern in allen drei Gruppen die meisten Namen auf „-ic“ enden. Es finden sich leider immer wieder Menschen, die Spaß daran haben andere Menschen zu entzweien, was ebenso leider immer wieder zu Kriegen führt. Danach ist viel kaputt, auf allen Ebenen und es ist schwierig und teuer, das wieder einigermaßen zu reparieren.
Mein Bruder ist einer von denen, die den Auftrag haben hier ein kleines Stückchen mitzuwirken. Er organisiert den Ausbau der bosnischen Polizeiakademien, die vom ziemlich deutlichen Chaos in eine einigermaßen sinnvolle Struktur mit erkennbaren Qualitätsmaßstäben gebracht werden sollen. Kein leichter Job in diesem Land und es wird sich erst herausstellen, wie erfolgreich das Projekt ist.

Sein Haus ist jedenfalls sehr schön und gehört Mirela, die es an meinen Bruder vermietet hat. Ihr Mann ist aus Innsbruck, ihr Bruder Tarek hilft das Haus und das ebenfalls ihnen gehörende Nachbarhaus zu verwalten. Der Vater der beiden wurde im Krieg von einem „Sniper“, also einem Scharfschützen erschossen. Mirela war damals 13 und ihr Bruder 10 Jahre alt. Die meisten dieser Scharfschützen gab es bei der „Sniper Alley“, dem großen Boulevard entlang des Flusses. Wer ihn überqueren wollte, hatte über mehrere Jahre eine gute Chance erschossen zu werden. Brot kaufen gehen oder den Schwager besuchen war eine lebensgefährliche Angelegenheit.
Mirela erzählt uns ein bisschen was aus dieser Zeit, etwa als sie von serbischen Panzerfahrern Zuckerl und Schokolade bekam und drei Tage später miterleben musste, wie genau diese Panzer die Stadt beschossen.
Sie erzählt aber auch von den Menschen, die im Krieg flohen, in Deutschland Karriere machten, jetzt mit dem fetten Mercedes zurück kommen und großmäulig damit prahlen, wie toll sie sind. Das kommt nicht gut an bei denen, die damals geblieben sind und heute mit mehr oder weniger Armut kämpfen, meint sie.

Glücklicherweise sind Mirela und Tarek sehr lebensfroh und organisieren an diesem Abend eine Grillerei, zu der auch noch drei Kollegen meines Bruders eingeladen sind.
Zuvor fahren wir jedoch noch einmal Richtung Flughafen um einzukaufen. In Sarajevo gibt es eine Menge Einkaufscenter und wie bei uns liegen die meisten davon am Rande der Stadt. In einem davon kaufe ich die ersten Converse meines Lebens, die sich als exzellenter Kauf herausstellen und mich die nächsten Tage gut durch die Stadt tragen.
Auch eine unglaublich gute Zuckermelone und Gemüse können wir bei einem kleinen Stand neben dem Supermarkt erstehen, denn ich möchte heute Abend den Salat zum Grillfleisch zubereiten.

In unserem Nachbarhaus wohnen arabische Familien, die aber nur für kurze Zeit in Sarajevo sind. Die meisten fahren durch die Stadt bzw. das Umland und kaufen Häuser, manchmal sogar ganze Siedlungen. Ein guter Teil der Flugzeuge kommt aus dem arabischen Raum, speziell aus Dubai.
Den Bosniern gefällt das gar nicht, aber die Araber zahlen gut und das Geld kann man sehr gut gebrauchen.
Sollte Bosnien einmal zur EU kommen, dann sind die Araber automatisch drin. Daher meinen einige Experten, dass man das immer noch unterentwickelte Bosnien schnellstens in die EU holen sollte, um das Tor nicht zu weit aufzumachen.

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Bild 2: Der Blick von der Terrasse hinunter in das Tal mit dem Fluss. Zwischen zwei der Plattenbau-Hochhäusern steht ein Schornstein einer Heizungsanlage. Das rosa Haus rechts gehört Bosniern, die vor dreißig Jahren nach Deutschland ausgewandert sind. Mit dem dort verdienten Geld haben sie sich ein wirklich schönes und großes Haus hingestellt, ein Stock davon ist innen bereits ausgebaut und wird von ihnen ein paar Wochen im Jahr bewohnt. Sie sind schon in Pension und leben den Großteil des Jahres in Deutschland. Das ist für hier gar nicht einmal untypisch.
Das teilweise rostige Dach gehört zu einem Supermarkt, der sich direkt neben dem Haus befindet, klein ist aber 24/7-Öffnungszeiten hat. Das funktioniert hier deswegen so gut, weil Arbeitskraft sehr billig ist. Hundert Meter weiter unten an der Transit-Straße ist die „Pekara Ass“, eine hier bekannte Backwaren-Kette, die ebenfalls rund um die Uhr offen hat. Bei ihr treffen sich die Menschen ähnlich wie bei uns des nächtens in einer Bar.

Die Grillerei am Abend ist ein voller Erfolg. Tarek hat bei einem speziellen lokalen Fleischhauer eingekauft und es gibt bosnische Würstel, Pleskjavica, Cevapcici und Huhn. Dazu ein hervorragendes Fladenbrot (Pita), Ajvar und meinen Salat. Wir essen bis wir fast platzen und wissen: vegetarisch ist nicht bosnisch, ganz und gar nicht.

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Bild 3: Das hervorragende Essen

Das Bier ist aus Sarajevo, die Brauerei liegt fast am Fluss in der Altstadt und erinnert ein klein wenig an die Guinness-Brauerei in Dublin, nur ist sie viel kleiner. Ein guter Slivovic rundet das Gelage ab und wir plaudern noch weit in den Abend hinein. Mein erster Tag zeigt eine sehr positive Bilanz.

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Bild 4: Mein Salat und eine Dose vom leichten, aber trinkbaren Bier